Jagdtrip

Jagdtrip, Titelbild, Rezension
Jack Ketchum

Jack Ketchums „Jagdtrip“ ist vor allem eine eher klassische angelegte Suspense Geschichte als eine seiner brutalen, manchmal auf erschreckenden Tatsachen basierenden Horror Storys. Wie Jack Ketchum in seinem Vorwort schreibt, ist „Cover“ – der Originaltitel ist doppeldeutig und bezieht sich nicht nur auf den ehemaligen Vietnam Soldaten- sein Vietnam Roman. Die Auseinandersetzung mit einem Krieg, den er – wie er selbst zugibt – nur aus der Ferne miterlebt hat. Im Gegensatz zu Autoren wie Joe Haldeman mit seinem autobiographischen Werk „1968“  oder Oliver Stone mit seinem „Platoon“ hat Ketchum nicht in Vietnam gedient, sondern sich irgendwie durch das vor allem studentische Leben geschlagen. Aus dieser Sicht ist es natürlich schwierig, den schmalen Grat zwischen einem zu einer menschenverachtenden Farce gewordenen Auseinandersetzung, den Traumata der Soldaten und der Idee, das der Krieg zumindest für einige selbst in der Heimat niemals zu Ende gegangen ist, überzeugend darzustellen.

 Das Grundgerüst bilden in erster Linie Erzählungen von Bekannten oder Freunden oder zufällig kennen gelernten Ex Soldaten, die in Vietnam gedient haben. Von der Grundstruktur her geht Ketchum einen Schritt weiter als Morrell vor allem in der heute noch lesenswerten, aber aufgrund der erfolgreichen Verfilmungen in den Hintergrund gedrängten „Rambo“ Bücher. Sein Soldat Lee braucht keinen Katalysator, keine Auseinandersetzung mit den verständnislosen Behörden. Vielleicht dient der Diebstahl des in einem Versteck im Wald angebauten Stoffes als Auslöser der anschließenden Gewalttätigkeiten, der Rahmen macht aber diese Idee eher unwahrscheinlich. Eindringlich beschreibt Ketchum, wie sich der im Wald mit seiner wieder schwangeren Frau lebende Lee immer mehr isoliert. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis der alle Hilfe ablehnende ehemalige Soldat Selbstmord begehen wird. Zusammenbrechen unter der Schuld, die er sich im Wahnsinn des Krieges aufgeladen hat. Mittels nahtloser Überblendungen „springt“ sein dreidimensional gezeichneter Antagonist immer  zwischen den Schrecken des Dschungels beginnend mit der immer stärker werdenden Paranoia eines brutalen wie gesichtslosen Feindes bis zur Einkesselung in den gerade ausgehobenen Gräben durch die Vietcong sowie den Ereignissen im Wald nur wenige Schritte von der durch eine Straße symbolisierten Zivilisation hin und her.

Obwohl seine geschundene Seele auch Schuld auf sich geladen hat, geht Ketchum geschickt vor. Die meisten Gräueltaten hat er mit miterlebt, sich aber nicht beteiligt. Damit ermöglicht er es dem Leser, noch etwas Sympathie für diese Figur zu empfinden, die in der Gegenwart effektiv wie eine Maschine tötet. Es ist charakterlich eine schmale Balance, welche Ketchum hier anstrebt, sie funktioniert aber erstaunlich gut.

 Viel interessanter sind seine „Feinde“. Ketchum nimmt sich sehr viel Zeit, sie zu beschreiben. Im Mittelpunkt steht der im Grunde ausgebrannte erfolgreiche Autor Kelsey, der ebenfalls in Vietnam gedient hat. Er ist reich, aber sein neustes Buch scheint sich zu einem Desaster zu entwickeln. Wer jetzt unbedingt glaubt, dass die Aktionen Lee die Bestie in Kelsey wieder wecken und aus dem verweichlichten Schriftsteller wieder einen harten Kämpfer machen, der irrt. So weit geht Ketchum im teilweise allerdings auch statischen Handlungsaufbau nicht.

 Kelsey hat ein Problem. Er ist seit vielen Jahren mit Caroline verheiratet und hat eine Freundin. Seine Fitnesstrainerin. Auch hier spielt Ketchum mit den Erwartungen der Leser, als die Freundin erkennt, dass sie schwanger ist. Ganz bewusst baut er fast eine klischeehafte Exposition mit nachmittaglichen Sex und dem plötzlichen Erscheinen der Ehefrau auf. Das Gegenteil ist der Fall. Die beiden Frauen verstehen sich. Jahrelang hat Caroline schon dessen Affären aufgrund ihrer Frigidität akzeptiert. Sie will eher auf eine geistige behütende Art und Weise geliebt werden. Sie hat auch nichts gegen die aktuelle Affäre, auch wenn diese Frau mit ihrer Schönheit – so modelt – und ihrer geistigen Vielseitigkeit, ihrer offenen Sexualität und schließlich ihrem ganzen Wesen ihrer Ehe mit Kelsey am gefährlichsten werden könnte. Trotzdem sprechen die beiden Frauen nicht nur miteinander, sie sind echte Freundinnen. Eine ungewöhnliche Ausgangskonstellation. In den achtziger Jahren noch schockierender als heute. Aber eine interessante Prämisse, die aufgrund der sorgfältig gezeichneten Protagonisten sogar sehr gut funktioniert.

 Dabei harmonieren diese drei jeder auf ihre Art und Weise kommerziell erfolgreichen Menschen sehr gut miteinander und Jack Ketchum baut mit Absicht immer wieder die typische wie klischeehafte Erwartungshaltung des Lesers hinsichtlich dieses Beziehungsdramas auf, um es dann in eine gänzlich andere, überraschende Richtung wieder abfließen zu lassen.

 Um die drei wichtigsten Protagonisten sowie den Antagonisten herum platziert Jack Ketchum allerdings auch ein wenig Kanonenfutter. Auch wenn sich alle im Wald auskennen und sogar in der Lage sind, ein Feuer zu entfachen und Holz zu fällen, entsprechen die drei männlichen begleitenden Kollegen/ Freude eher einer Reihe von Klischees. Da wäre Kelseys Jugendfreund, der ihm in einer schweren existentiellen Krise geholfen hat. Während Kelsey aber mit seinen Romanen und selbst seinen Sachbüchern Erfolg gehabt hat, scheitert sein Freund nach einem eher experimentellen Bühnenstück als jeglicher literarischer Form. Auch wenn er immer noch sich nach Ruhm förmlich sehnt, ist er auf den Freund neidisch. Zwischen ihnen steht Kelseys Agent, der vom qualitativen Verfall seines besten Klienten nicht unbedingt begeistert ist. Er sucht immer wieder Mittel und Wege, um dessen Bücher dann bei einem anderen Verlag unterzubringen. Er ist der kapitalistische Opportunist in dieser Gruppe. Der Dritte im Bunde ist der Fotograf Graham, der durch seine Aufnahmen wieder auf die Titelseiten diverser Magazine kommen möchte.

 Alle drei Männer sind eher eindimensional und pragmatisch beschrieben worden. Ihre jeweiligen Schicksale sind grausam und sollen unterstreichen, dass der unter dem Kriegstrauma leidende Soldat im Wald nichts verlernt hat. Im Gegensatz zu einigen anderen seiner Bücher verzichtet Jack Ketchum aber auf sadistische Gewaltexzesse. Selbst die deutlich brutaleren Rückblenden, welche die Verrohung des einst stolzen amerikanischen Militärs plakativ aufzeigen, sind härter und gehen stärker unter die Haut als die Gegenwartshandlung, in welcher Ketchum die klassische Elemente eines Thrillers aufbaut.

 Wie sehr Handys einem Plot die Spannung nehmen können, zeigen die exemplarischen Beispiele aus der Zeit, als diese nützlichen Helfer noch nicht erfunden worden sind. Auch wenn sich die sechs Freunde nicht weit von zumindest einer kleineren Siedlung entfernt befinden, können sie nicht um Hilfe rufen. Viele der Wege schneidet der Soldat ihnen immer effektiv wie individuell ab. Aber Ketchum gleicht die taktische Überlegenheit des Angreifers auch gut aus. Es sind Männer, die mit Waffen zumindest besser als viele Amateure umgehen können. Kelseys Freundin ist körperlich fitt und gewandt. Seine Frau verfügt über einen wichtigen Überlebensinstinkt und Kelsey selbst wird schnell an die eigene Dienstzeit in Vietnam erinnert. Ohne zu verrohen oder auf das Niveau des nicht einmal gesichtslosen, sondern auch nuanciert beschriebenen Angreifers zurückzufallen, sind ihre Aktionen und jeweiligen Reaktionen für den Leser jederzeit nachvollziehbar.

 Und wenn der Soldat Schuldgefühle hat, weil er seinen treusten Freund absichtlich und in diesem Fall selbst ohne Not in den Tod geschickt hat, dann wirkt diese zusätzliche Komponente jederzeit überzeugend und zeigt, wie differenziert und minutiös Jack Ketchum seine Protagonisten ausgemalt hat.

 „Jagdtrieb“ ist ein sehr geradliniger Thriller, der sich nur wenig mit der Etablierung der Ausgangssituation aufhält. Durch die wechselnde Perspektiven inklusiv der aus dem Nichts kommenden Rückblenden verdichtet Ketchum konzentriert und konsequent den Plot bis zum grundsätzlich erst einmal überraschenden Finale, in welchem der Autor dem Leser irgendwie auch versöhnlich die Hand reicht und einen in dieser Hinsicht nachvollziehbaren Weg wählt. Natürlich werden Blutjünger abschließend enttäuscht und die auf den ersten Seiten mehrfach geäußerten Befürchtungen bewahrheiten sich, bis dahin macht Jack Ketchum aus der nicht zuletzt durch John Rambo und eine Reihe von Filmen bekannte Prämisse des Kriegers, der in Wirklichkeit nicht nach Hause zurückkehrt, sondern den Krieg mit gebracht hat, ausgesprochen viel. Er unterhält packend, wobei die größte Stärke des Buches ist, das der Leser selbst die verquere Position des meistens gesichtslos angreifenden Ex Vietnamkriegers verstehen kann.    

  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (13. Juni 2016)
  • Übersetzer: Urban Hofstetter
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453677064
  • ISBN-13: 978-3453677067
  • Originaltitel: Cover
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