Gotham Noir 3- Der Fremde im Spiegel

Christian Humberg

In den ersten beiden „Gotham Noir“ Romanen hat sich Christian Humberg mehr um den Hintergrund der bislang ungläubigen strafversetzten Sarah Dolan gekümmert. Das mehr an ihrer Versetzung in das Department „666“ dran ist als sie selbst ahnt wird nicht nur durch den Besuch ihres erfolgreichen Vaters im zweiten Roman verdeutlicht. In „Der Fremde im Spiegel“ kommt es zu einer plötzlich und etwas zu konstruiert erscheinenden Versetzung eines Wissensträgers, nachdem er mit Sarah Dolan gesprochen und einige für den Leser noch nicht zuzuordnende Informationen ausgetauscht hat.

Trotzdem kann die attraktive Polizistin nur auf das Geschehen reagieren, während der geheimnisvolle, anscheinend auch mit übernatürlichen Kräften ausgestattete Flynn Elliot direkt und indirekt im Mittelpunkt der Handlung steht.

Flynn Elliot wird ausgeschossen in ein Krankenhaus eingeliefert. Im Delirium spricht er immer wieder Sarah Dolans Namen aus, die von den Ärzten zum Krankenbett gerufen wird. Die Verletzungen sind schwer und nur eine umgehende Operation kann sein Leben retten. Diese Prämisse – ein Hauptcharakter kämpft mit dem Tod – schleicht immer am Rand des Klischees entlang. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Christian Humberg Flynn Elliot in irgendeiner Erscheinungsform endgültig verschwinden lassen wird. Da es sich um eine Serie mit übernatürlichen Phänomenen handelt, könnte der Tod des realen Körpers eine Reinkarnation bewirken. Wie gesagt, ein Verschwinden des ganzen Protagonisten erscheint unwahrscheinlich und so dient diese schwere Verletzung im Grunde als Ausgangspunkt für drei interessante Szenarien: zum einen untersucht Sarah Dolan mit Hilfe von Flynn Elliots Hausgenossin – sie betreibt als verheiratete Frau mit Kindern die okkulte Buchhandlung „Gotham Noir“ in dem Haus, in dem Elliot sein Büro unterhält – und findet heraus, dass sie im Mittelpunkt verschiedener Personenkonstellationen steht. Das zweite Szenario beinhaltet das Verhältnis der Charaktere untereinander. Flynn Elliot ist mehrfach als attraktiver Mann beschrieben worden und Sarah Dolan relativiert relativ schnell dessen scheinbare Arroganz. Die dritte Handlungsebene beginnt Elliots Vergangenheit zu untersuchen.

Alle drei Spannungsbögen sind im vorliegenden Roman nicht abgeschlossen worden. Daher ist eine abschließende Beurteilung nicht möglich. Wie in den ersten beiden „Gotham Noir“ verfestigt Christian Humberg die Struktur seiner Serie weiter, in dem er immer wieder Aspekte aus den Auftaktbänden beiläufig integriert. Vorkenntnisse sind für Neueinsteiger nicht unbedingt notwendig, es empfiehlt sich allerdings wegen der zufrieden stellenden bis guten Charakterentwicklung mit dem ersten Roman anzufangen. Die Rückblick auf Elliots Vergangenheit reicht bis ins Jahr 1999. Der Balkankrieg tobt und „Elliot Flynn“ kümmert sich als Psychologe um den einzigen Überlebenden einer Einheit, die von Rebellen angegriffen und zerrieben worden ist. Obwohl körperlich geheilt sitzt der Mann weiterhin im Rollstuhl, bis ein weiterer Angriff das Trauma verstärkt und eine überraschende „Lösung“ anbietet. Christian Humbergs Kriegsszenen wirken intensiv geschrieben, die Atmosphäre wirkt aber teilweise bemüht und distanziert. Dagegen sind die Dialoge ausgesprochen feinsinnig und doppeldeutig geschrieben. Sie gehören zu den besten Passagen der bisherigen Serie. Im Vergleich zu einigen Handlungsteilen stellt der Autor den Spannungsbogen im Epilog förmlich auf den Kopf. Auf der einen Seite erfährt der Leser mehr über Flynn Elliot, auf der andern sehr positiven Seite bauen sich noch mehr Fragen im Hintergrund auf. Diese Ambivalenz ist das am meisten faszinierende Element des vorliegenden dritten Romans, der durch den Fokus auf diverse Fragen deutlich vielschichtiger, intensiver und interessanter erscheint als die ersten beiden Romane, in denen es sich Christian Humberg hinsichtlich der Plotentwicklung unabhängig vom interessanten Hintergrund und den gut angelegten Charakteren ein wenig zu einfach gemacht hat.               

 

 

Markus Rohde Verlag, E Book, 100 Seiten

Erschienen im Oktober 2013

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