Die Medusa- Chroniken

Die Medusa Chroniken, Titelbild, Rezension
Alastair Reynolds & Stephen Baxter

Am Ende dieses umfangreichen Buches ist Arthur C. Clarkes mit dem HUGO prämierte Novelle "Ein Treffen mit Medusa" nachgedruckt worden. Auch wenn die beiden Autoren Stephen Baxter und Alastair Reynolds die Story noch einmal zu Beginn des Romans zusammenfassen, ist es sinnvoll, Arthur C. Clarkes interessante Geschichte noch einmal zu lesen. Arthur C. Clarke beschreibt eine Expedition in die Gasatmosphäre des Jupiters. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Viel mehr auch als Einleitung zum Roman erzählt der Brite eine so typische Pioniergeistgeschichte, die Sehnsucht eines einzelnen Mannes nach neuen Herausforderungen. Howard Falcon hat auf der Erde das erste gigantische Wasserstoffluftschift mit verschiedenen Ballons ausprobiert. Auch wenn es nicht gleich klar wird, soll es zur Erkundung auf fremden Planeten dienen.  Bei einem dramatischen Absturz wird er schwer verletzt. Wie schwer, erfährt der Leser im Grunde erst zum Abschluss der Geschichte. Kaum hat er sich erholt, will er mit seinem Schiff in die Atmosphäre des Jupiters eintauchen, da er der Ansicht ist, ein Freiwilliger kann mehr erreichen als eine ferngesteuerte Sonde. In der Atmosphäre des Riesenplaneten kommt es zu einer Begegnung mit fremdartigen Lebeweisen in ihrer für den Menschen so herausfordernden Atmosphäre. 

 Arthur C. Clarke ist niemand, der mit Emotionen spielt. Auch wenn sich die Faszination des Fliegens in jeglicher Form durch sein Werk zieht und er sogar einen Roman über die Radarwächter während des Zweiten Weltkriegs an Großbritanniens Küsten verfasst hat, ist es vor allem die Extrapolation einer nur bedingt fremdartigen Lebensform allerdings mit deutlichen Bezügen zum Leben unter der Meeresoberfläche, welche diese Novelle auch heute noch so lesenswert, so exotisch und doch mystisch erscheinen lässt.

 Auf charakterlicher Ebene hat Clarke insbesondere in einem direkten Vergleich zu seinen anderen Romanen und Kurzgeschichten mit Howard Falcon anfänglich einen abenteuerlichen Draufgänger erschaffen, der später durch die notwendigen Operationen zum ersten Mittler im Grunde zwischen Mensch und rudimentärer Maschine geworden ist, wobei es vor allem seine fokussierten Beobachtungen sind, welche den Reiz dieser die Wunder im All beschreibenden Novelle ausmachen. 

 Die Zusammenarbeit zwischen Reynolds und Baxter ist nicht nur eine klassische Fortsetzung. Von der "Foundation" Serie über natürlich den "Wüstenplaneten" bis Clarkes eigenen "Rama" Romanen haben sich sehr gute Science Fiction Autoren an dieser Idee versucht. Baxter und Reynolds gehen einen anderen Weg, in dem sie im Grunde beginnend mit dem Auftaktkapitel Clarkes Novelle in einen größeren Kontext integrieren und dadurch das Spektrum erweitern. Hinzu kommt eine in den sechziger Jahren spielende Handlung, in welcher die Welt vor einem der Erde bedrohlich nahe kommenden Meteroiten nur durch eine gemeinschaftliche Aktien der führenden Länder unabhängig von den militärischen Konflikten in Vietnam gerettet werden könnte. Dabei entwickeln Baxter und Reynolds nichtm nur eine Parallelwelthandlung einigen von Baxters früheren Arbeiten entsprechend, sondern bleiben so eng wie möglich den historischen Ereignissen verbunden und bauen nur die Bedrohung durch den Meteor in den Plot ein. Vielleicht wirkt der Bruch zwischen dem 20. Jahrhundert und der Zukunft - irgendwo zwischen dem 22. und 24. Jahrhundert in chronologischen Sprüngen beschrieben - zu scharf, zu wenig auf den ersten Blick Arthur C. Clarke folgend. Aber bis auf den kleinen Insiderjoke mit dem obskuren Film mit den Affen folgt diese Idee auch vielen Aspekten im umfangreichen Werk des Briten. Der nicht naive, aber herausfordernde technologische Blick in die Zukunft. Die Lösung von Konflikten mit dem Verstand und nicht der Waffe und im Grunde übertragend eine bedingungslose Liebe nicht nur für das Meer auf der Erde, sondern im übertragenen Sinne auch die Atmosphärenozeane auf dem Jupiter.   

 Neben den ozeanischen Anspielungen sind zwei wichtige Themen für den Roman bestimmend. Einmal die weitere Expansion der Menschheit nach draußen. Hier wird Falcons Leistung über den Jupiter nur zwölf Jahre später durch einen spektakulären Flug zum Pluto überflügelt. Für Falcon ist es besonders tragisch, weil er für viele Menschen sowieso mehr Maschine als Mensch nach dem Absturz mit dem Luftschiff ist. Um sich wieder in Szene zu setzen, greifen die beiden Autoren allerdings mit der Rettung der Weltpräsidentin durch Falcon auf ein handlungstechnisches Klischee zurück. 

 Parallel ist er allerdings auch Katalysator für das zweite wichtige Thema, das absichtlich und konsequent gegen alle "Terminator" Ideen gespielt wird. Das Heranwachsen der Maschinenintelligenz. Wie bei Falcons Reise in die Atmosphäre des Jupiters dient der "Hybrid" auch hier als Mittler, zumal er am Erwachen der ersten Maschinen mittelbar auch beteiligt ist.  Dabei ist der durch die Operationen künstlich relativ unsterblich gemachte Falcon der Begleiter des Lesers, wie bei Olaf Stapledons der Mittler zwischen dem intellektuellen Horizont der Gegenwart und einem phantastischen wie konsequenten Blick in die Zukunft.

 Hier teilt sich die Handlung ebenfalls auf. Da der Roman aus insgesamt sechs zusammenfließenden Episoden besteht, haben Reynolds und Baxter jeweils drei relevante Abschnitte verfasst, die Stephen Baxter zusammengefasst hat. Signifikant und für Arthur C. Clarke so typisch ist die abschließende Reise in die Tiefen des Jupiters, die Falcon und die erste intelligente Maschine Adam unternehmen. Es stellt sich heraus, dass die Wolkenstadt der Maschinenwesen in der Atmosphäre des Jupiters nicht nur von den aggressiven Menschen von außen bedroht wird, sondern das tief im Inneren des Planeten noch eine weitere, ultimative Bedrohung lauert. Hier schlägt Baxter vor allem nicht nur den Bogen zu Arthur C. Clarkes „2001“ Serie mit der göttlichen, aber außerirdischen Instanz, welche im Grunde alles Leben im Sonnensystem auslöschen könnte. Der aufgesetzte Kompromiss mit einem tausendjährigen Frieden und gegenseitiger Ignoranz zwischen Mensch und Maschine wirkt fast belehrend und kritisch gesprochen selbst in der fernen Zukunft unrealistisch. Am Ende von „2010“ sollten alle Menschen ins All aufbrechen, nur eine Welt bzw. ein Mond wäre ihnen im Sonnensystem verschlossen. Baxter will aber nicht wie Clarke den Handlungsbogen so einfach auslaufen lassen, sondern bietet eine Alternative mit einem Tor zu den Sternen und passend einer Welt in einem anderen Sonnensystem an, die Jupiter gleicht. 

Diese kosmopolitische Variante wird während der eindrucksvollen, aber auch lange Zeit nihilistischen Reise Falcons und Adams in eine Region geöffnet, aus der sie mit aller Logik nicht mehr „entkommen“ sollten. Diese fatalistische Einstellung in Kombination mit der menschlichen Neugierde nach weiterer, auch das Leben kostender Erkenntnis, diese Jagd nach Wissen in positiver Hinweis ist eine Idee, die Arthur C. Clarke durchgehend immer wieder propagiert und selbst vorgelebt hat.       

  Es ist erstaunlich, wie eng die beiden Autoren auf der einen Seite Arthur C. Clarke mit ihrem umfangreichen Werk gewürdigt haben, wie aber auf der anderen positiven Seiten vor allem Stephen Baxter dem Buch seinen markanten Stempel aufgedrückt hat. Er hat Clarkes Visionen genommen und sie einfach groß, teilweise großartig, aber auch gegen  Ende ein wenig schematisch extrapoliert. Die mahnenden Worte wirken für Baxter befremdlich, für Clarke sind sie selbstbestimmend.

 Hinzu kommt die alternative Zeitlinie, die aber wie schon angesprochen wie ein Fremdkörper erscheint und sehr offen endet. Da sie leider nicht in die laufende Handlung als kleine Variation der bekannten Geschichte eingebaut worden ist, hofft der Leser auf ein gutes Ende, bleibt aber im Gegensatz zur Haupthandlung draußen vor der Tür.

 Da auch Olaf Stapledon in diesem Buch eine relevante Hintergrundrolle gespielt hat, bleibt abzuwarten, ob eine evtl. weitere Fortsetzung der Novelle „Ein Treffen mit Medusa“ – auch hier verschließen Reynolds und Baxter am Ende im Vorbeifliegen einen ganz wichtigen Aspekt – noch weitere in die Zukunft schaut und diese tausendjährige Frist überbrückt, um dann auf Augenhöhe eine Kooperation der erstaunlich menschlichen Maschinen mit ihren Schöpfern in einem deutlich universellen Zusammenhang zu untersuchen.  

 

  • Broschiert: 592 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (11. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • Übersetzung: Peter Robert
  • ISBN-10: 345331784X
  • ISBN-13: 978-3453317840
  • Originaltitel: The Medusa Chronicles