Die Leben des Lazarus Long

Die Leben des Lazarus Long, Titelbild, Rezension
Robert A. Heinlein

Im Original heißt “Die Leben des Lazarus Long” passend “Time enough for Love”. Der 1973 veröffentlichte Roman ist ein Jahr später für die drei wichtigsten Preise der Science Fiction nominiert worden.

Im Gesamtwerk Heinleins ragt das umfangreiche, inzwischen ungekürzt veröffentlichte Werk in mehrfacher, nicht nur positiver Hinsicht heraus.  Die Struktur wirkt uneinheitlich.  Interessant ist, dass Heinlein in einem seiner folgenden Bücher „Die Zahl des Tieres“ eine erzähltechnische Struktur erschaffen sollte, die Bezug nicht nur auf diesen als eine Art Schleife entwickelten Roman nimmt, sondern Aspekte von „Die Katze, die durch Wände ging“ vorwegnimmt. Zusammen mit „Segeln im Sonnenwind“ bildet „Die Katze, die durch Wände geht“  eine Art Fortsetzung des vorliegenden Episodenromans, da die Geschichte der Howard Familie und natürlich auch Lazarus Long weiter erzählt wird. Zusätzlich verbindet „Die Zahl des Tieres“ die insgesamt drei Romane durch die Idee, dass in diesem Parallelweltepos Lazarus Long den jeweils in den anderen Abenteuern Reisenden eine Art Lösung/ Erklärung präsentiert, deren Wurzeln in den tiefsten Pulp Geschichten liegt.

Selbst die erste Hälfte von „Die Leben des Lazarus Long“ hat eine erkennbare und von Heinlein auch expliziert genannte Basis.  Der Amerikaner dreht die Prämisse der „Geschichten aus  1001 Nacht“ einfach um.  Während die junge Frau in den arabischen Märchen mit ihren Geschichten ihr Leben verlängert, verspricht der aus dem Tiefschlaf erweckte Lazarus Long, so lange zu leben, wie der Chefexekutive   der Howard Stiftung und Nachkomme Ira Weatherall seinen nur vordergründig eigenen Memoiren lauscht.  

Es folgen insgesamt fünf unterschiedlich lange Novellen, deren Bindeglied nicht nur Lazarus Long ist. Beginnend mit der Geschichten eines der faulsten und dadurch pragmatischen Menschen auf der Erde im 20. Jahrhundert und endet mit der  Zeitreise in den Ersten Weltkrieg. Die Qualität der Geschichten ist erstaunlich unterschiedlich. Gleich zu Beginn spricht Heinlein für seinen Charakter David Lamb. Auch wenn David Lamb in seinem Leben opportunistisch Risiken scheut und mit genauer Planung schließlich genau da wieder landet, wo er aufgebrochen ist, wirkt sein Charakter trotzdem interessant. Er verlässt die Farm seiner Eltern und wird sie am Ende wieder zusammen mit anderem Land kaufen. Er hat das Geld, sie bewirtschaften zu lassen. Während der Militärzeit hat er sich genau ausgerechnet, welche Risiken er eingehen kann und welche nicht. Wie Heinlein ist er ein kühler Denker. Wie Heinlein verfügt Lamb über ein technisches Wissen und wie bei seinem Schöpfer ist das Militär inklusiv der entsprechenden Versehrtenrente ein Mittel zum Zweck, um das Leben zu genießen. Bei David Lamb ist es die Faulheit, bei Heinlein der Startschuss der eigenen literarischen Karriere.   

In der dritten Episode wird Lazarus Long diese pragmatische Rolle direkter übernehmen. Wie in „For us, the Living“ etabliert Heinlein auf verschiedenen Kolonialplaneten ein praktikables kapitalistisches System mit einer jeweils Lazarus Long gehörenden Bank, die den Handel mittelbar kontrolliert. Natürlich gibt es mit dem Erfolg auch Neider und schließlich wird Lazarus Long jedesmal enteignet, wobei das Schlitzohr schon entsprechende Vorkehrungen getroffen hat.

Dazwischen steht die Geschichte der beiden Zwillinge, die Lazarus Long als Sklaven kauft. Er bringt ihnen in einer weiteren, dem Sendungsbewusstsein Heinleins entsprechenden Episode die menschlichen Grundsätze des Lebens bei und etabliert eine moralisch fragwürdige Basis nicht nur für die folgenden beiden Episoden, sondern für sein ganzes Spätwerk. Alleine genetische Fehlentwicklungen bilden eine Grundlage, um Inzest des ersten Grades abzulehnen. So vermählen sich die Zwillinge in dieser Episode. Später wird Lazarus Long auf einem anderen Kolonialplaneten eine Großfamilie gründen, bestehend aus drei Männern und drei Frauen sowie zahllosen Kindern. Interessant ist, dass von den Kindern zwei Mädchen Klone Lazarus Long sind.

Mit dieser Episode ändert sich auch der Erzählstil. Heinlein gibt die Struktur unterminierend die distanzierte trotzdem in der Ich- Perspektive gehaltene Struktur auf.  Im Gegensatz zum „müden“ Lazarus Long der Haupthandlung erlebt der Leser einen lebhaften, stetig seine Umgebung manipulierenden Long , der im Finale – passend „Da Capo“ genannt – schließlich ins Jahr 1919 mit einer Methode zurückreisen möchte, die auch schon die „Enterprise“ in den klassischen „Star Trek“ Folgen angewandt hat. Mittels eines Raumschiffs schneller als das Licht fliegen. Erst im folgenden Roman wird ein weiterer bizarrer Mathematiker und Wissenschaftler eine entsprechende Maschine entwickeln.  Die Zeitreiseepisode hätte die mit großem Abstand beste Story sein Können. Wie es sich für diese Thematik gehört,  landet Lazarus Long nicht im Jahre 1919, sondern schon drei Jahre früher. Er verliebt sich in seine eigene Mutter. Sein Großvater zwingt ihn als Patriot, in den Ersten Weltkrieg zu ziehen. 

Heinlein schließt den Handlungskreis mit einer spektakulären „Deus Ex Machina“ Rettung. Es ist erstaunlich, dass die Idee des Inzest zumindest von Lazarus Longs Seite stärker im Mittelpunkt steht als die Grundidee, dass Lazarus Long schnell merkt, wie sich von Heinlein allerdings nur impliziert die Vergangenheit mehr und mehr durch dessen Auftreten verändert.   In der Gegenwart wird diese Idee allerdings nicht mehr angesprochen.

Zwischen den einzelnen Kapiteln finden sich eine Reihe von Zwischenbemerkungen, bestehend in erster Linie aus Anekdoten und moralisierenden Sprüchen.  Später sind diese auch gesondert veröffentlicht worden. Sie wirken aber stellenweise konträr zu den beschriebenen Aktionen. 

Im Gesamtwerk Heinleins ist „Die Leben des Lazarus Long“ strategisch gut positioniert. Heinlein ist sich mit Anspielungen auf „I will fear No Evil“ oder „Methuselah´s Children“ auch nicht zu schade, die eigenen Werke als Hörensagen zu diskeditieren, während er in Bezug auf andere Romane offene nicht unbedingt relevante Handlungsfäden mit einigen Nebenbemerkungen abschließt.  Viele der Anspielungen sind aber nur Kennern von Heinleins umfangreichem Werk ersichtlich.

Wie einige andere seiner späten Werke ist „Die Leben des Lazarus Long“ ambitioniert und provokativ, wobei Heinlein wie auch in einigen seiner anderen Bücher vor allem die Erwartungen der Leser und Kritiker kitzelt, um Reaktionen zu erhalten, welche der Autor eher als Scheuklappendenken und Borniertheit ansieht.  Vor allem funktionieren die einzelnen Episoden trotz oder vielleicht auch wegen der unterschiedlichen Länge und inhaltlichen Qualität sehr gut. Beginnend mit einer Parabeln und endend mit einer klassischen, ohne Frage bis auf die Inzestfrage auch absichtlich klischeehaft strukturierten Zeitreisestory streift Heinlein philosophierend im Grunde durch die Menschheitsgeschichte, an Hand des relativ unsterblichen in die Zukunft extrapoliert. Teilweise hat sich nicht viel verändert und es ist kein Zufall, dass einige der Pionierwelten an die Frontierzeit Amerikas mit ihren engen moralischen Vorstellungen erinnern.  

Zu den Schwächen gehören die Unterbrechungen wie auch der exzentrische, wehleidige und affektierte Lazarus Long aus der Rahmenhandlung. Im Gegensatz zu vielen anderen charismatischen Heinlein Helden fragt sich der Leser, worin die Faszination dieser Figur besteht. Interessant ist, dass noch mehr als in einigen seiner anderen Bücher sich Heinlein als ein Mann erweist, der Frauen wirklich liebt, vielleicht  sogar zu viel  in ihnen sieht, in dem er aus die gesellschaftlichen Norman mit Gruppenfamilien und sexueller Aktivität bis zum ersten Grad aber immer im gegenseitigen Einverständnis zwischen überwiegend Erwachsenen Korsetten auszubrechen sucht.

„Die Leben des Lazarus Long“ ist durch die verschiedenen Anekdoten leichter zu lesen und kurzweiliger als der in dieser Hinsicht zu wenig nachhaltig strukturierte Folgeroman, aber wie in einigen seiner anderen Romane des Alterswerk will der Amerikaner zu viel und verzettelt sich, anstatt wie in seinen besten Arbeiten geradliniger und ruhiger heranzugehen und die einzelnen durchaus originellen Ideen voneinander abzugrenzen und sogar isoliert voneinander zu erzählen.  

  • Taschenbuch: 600 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (11. Juni 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453317416
  • ISBN-13: 978-3453317413
  • Originaltitel: Time Enough for Love