Edgar Wallace Neue Fälle Band 1 "Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle"

Edgar Wallce Band 1, der unheimliche Pfeifer von Blending Castle, Titelbild
Dietmar Kügler

In mehrfacher Hinsicht ist "Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle" eine unnötige Mogelpackung, welche den Inhalt beginnend mit dem stimmungsvollen Titelbild deutlich unterminiert. Es handelt sich mitnichten um Edgar Wallace neue Abenteuer, auch wenn der britische Schriftsteller vor allem in Kombination mit den in den fünfziger und sechziger Jahren so populären deutschen Adpationen im Hintergrund als Gedankenstütze oder Inspiration mitmischt.

Auch das Wort "neue" mit angezweifelt werden. Dietmar Kügler ist vor allem ein Westernautor, der in seiner langen Karriere mehr als einhundert Western und auch Trucker Romane verfasst hat. Unter dem Pseudonym John Gilmoor verfasst er vor mehr als dreißig Jahren sechs Jugendbücher für den Kibu Verlag. Der Reihentitel ist damals "Edgar Wallace löst das Rätsel" gewesen.

Der Blitz Verlag hat diese sechs Abenteuer in zwei Taschenbücher neu aufgelegt, ohne einen Hinweis auf die Erstauflage zu geben oder auf dem Backcover anzumerken, dass es sich im Story- bzw. Kurzromansammlungen handelt.

Negativ ist weiterhin, dass der Verlag einige der schönen Originaltitel wie "Das irische Halstuch" für das zweite Abenteuer nicht übernommen hat. Dietmar Küglers Auswahl bezieht sich nicht nur auf den allgegenwärtigen Edgar Wallace, sondern auch ein wenig auf Sherlock Holmes. Und von Durbridge mit "Das Halstuch" ganz zu schweigen.

 Die drei hier gesammelten Fälle folgen ähnliche Strukturen. Wichtig ist, Dietmar Kügler lässt die Texte in den zwanziger Jahren  spielen, in denen Edgar Wallace nicht nur noch gelebt, sondern fleißigst Romane und Kurzgeschichten produziert hat. So wünscht sich der Wallace Fan und Inspektor Ebemezer Pommery nichts sehnlicher als sein Idol zu treffen und sich direkt mit ihm auszutauschen.

 In allen Kurzromanen gibt es ein Kapitel, das wie die ursprüngliche Buchreihe „Weiß Edgar Wallace Rat?“ oder vergleichbar übertitelt ist. In diesem Abschnitt greift Pommery direkt auf die Romane Wallace zurück und baut aus einzelnen Werken die Lösung seines Falls zusammen. Wer sich intensiv mit dem Werk des Briten auskennt, wird die Querverweise als Hommage erkennen. Wer aber nur die Titel oder manchmal die sehr freien Adaptionen im Gedächtnis hat, wird nicht jeden Bogenschlag nachvollziehen können. Die originelle Idee ist aber, dass Pommery in den meisten, aber anscheinend nicht allen seiner Fälle auf das umfangreiche Werk Edgar Wallace zurückgreifen und Lösungen direkt ableiten kann.

 „Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle“ berichtet von einem Familienfluch, der den augenblicklichen Lord erwischt. Als er die Figur auf dem Turm seines Schlosses Dudelsack pfeifend in der Nacht erkennt, schwinden seine Kräfte und er wird krank. Seine besorgte Tochter ruft Inspektor Pommery, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch kein Verbrechen gegeben hat. Relativ schnell auch durch die Unvorsichtigkeit des Täters – hätte er an einer Stelle nicht eingegriffen, wäre der Inspektor wahrscheinlich nicht auf diese Lösung gekommen – kann er die Zusammenhänge erkennen, wobei der Autor den Leser mit einer Bemerkung im Testament auch auf die Spur bringt. Der Showdown ist solide, wenn auch ein wenig unrealistisch konstruiert. Es erscheint unwahrscheinlich, dass niemanden diese verblüffenden Ähnlichkeiten aufgefallen sind. Stimmungstechnisch konzentriert sich der Autor darauf, eine bedrohliche Atmosphäre zu schaffen und teilweise die gängigen Klischees des viktorianischen Gruselromans inklusiv einiger Anleihen auch bei Sherlock Holmes mit einem relativ hohen Tempo zu erzählen.

 Die zweite Geschichte hieß ursprünglich „Das irische Tuch“, nicht „Die Bruderschaft der Raben“. Dieses Mal versucht Pommery nicht nur Waffenschmuggler dingfest zu machen, sondern den Kopf der irischen Terroristen, die mit ihren Attentaten Freiheit für Irland zu erbomben suchen. Da Pommery ein klassischer Engländer ist, unterdrückt Kügler alle politischen Interessenskonflikte und fokussiert sich auf eine Geschichte, die wie die angesprochenen Vorlagen – ohne zu viel zu verraten – auch als normale Gangsterstory funktioniert. Pommery ist von Beginn an deutlich aktiver und seine Einbeziehung in den Fall nachvollziehbarer als in „Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle“.

 Während die erste Story aber deutlich enger mit einigen Edgar Wallace Texten verbunden und der potentielle Täterkreis eingeschränkter ist, muss Dietmar Kügler vor allem in der Mitte der zweiten Geschichte einige Bögen schlagen, um Pommery nicht nur wieder auf die Fährte zu führen, sondern wieder wird das Leben des Inspektors nach dem ersten spannend dynamischen Auftakt bedroht, damit der rote Faden wieder aufgenommen werden kann.

Positiv ist aber, dass die Identität des Anführer der Rabenbande eine wirkliche Überraschung ist. Hochmut kommt wieder einmal vor dem Fall, auch wenn die Deduktion fast eines Sherlock Holmes würdig ist.

Interessant ist, dass Dietmar Kügler in dieser Geschichte im direkten Vergleich mit dem ersten Buch auch die Perspektiven wechselt und eine etwas distanzierte, aber deutlich umfassendere Erwartungshaltung aufbaut. 

 Der letzte Fall „Der Überfall des Phantoms“ lehnt sich wieder an „Der unheimliche Pfeifer von Blending Castle“ an. Auch wenn Pommery immer wieder betont, dass Edgar Wallace ein Autor ist, von dem auch Gangster etwas lernen können, vergisst Dietmar Küglers Protagonisten zu erwähnen, dass der Brite aufgrund seiner Massenproduktion auch gerne zu Stereotypen gegriffen hat und einige Szenarien sich nur leicht verändert wiederholten.

Die Geschichte spielt dieses Mal nicht in adligen Kreisen. Die Familie eines ehemaligen britischen Offiziers wird von einem schwarzen Armbrustschützen bedroht, der sie immer wieder durch seine Handlungen auffordert, das Haus zu verlassen und wegzuziehen. Auf den ersten Seiten folgt Pommery in mehrfacher Hinsicht den Ermittlungsmustern aus dem ersten Abenteuer. Das reicht bis zur zufälligen Begegnung wieder an einem ungewöhnlichen Ort. Nur steht in „Der Überfall des Phantoms“ kein Erbe im Mittelpunkt der Handlung, sondern ein gigantischer Schatz, bei dem der Autor einen Hang zur Übertreibung heckt. Das Geld stammt aus einem verwegenen Coup und ist irgendwo auf dem Anwesen versteckt.

 Im Edgar Wallace Konsultationskapitel kann Pommery gleich auf mehrere Romane Edgar Wallace zurückgreifen, wobei nicht jeder Bogenschlag nachvollziehbar ist. Einige andere Aspekte kennt der Leser aus dem schon erwähnten ersten Abenteuer. Mit dem zweiten Fall gibt es aber hinsichtlich der Helfer auch Überschneidungen.

 Zusammengefasst erscheinen die drei Pommery Ermittlungen insbesondere für Jugendbücher aus den achtziger Jahren ausgesprochen komprimiert verfasst worden. Die Zielgruppe ist interessant definiert, da der Autor impliziert, dass die Leser sich zumindest rudimentär in Edgar Wallace Werk auskennen. Sonst macht die Vorgehensweise keinen Sinn. Positiv ist weiterhin, dass Dietmar Kügler auf eine gleichaltrige Identifikationsfigur für die Leser verzichtet. Es ist ein stringenter Krimi, in dem dezent Blut fliest, aber der Plot erwachsen und packend erzählt wird. Die Grundidee ist originell, auch wenn die nur durchschnittlich sechzig Seiten nicht so viel Raum schenken, um die komprimierten Plots dynamischer und umfangreicher mit mehr falschen Spuren zu erzählen. Auch die Charakterisierung aller Figuren neben Pommery leidet unter dieser Kürze, wobei mit Pommery selbst als dicklicher, gemütlicher Mann mit einem scharfsinnigen Verstand und immer weniger von den Kollegen hinsichtlich seiner Leidenschaft und Ermittlungshilfe belächelt eine erstaunlich dreidimensionaler Charakter erschaffen worden ist.

 Im Gegensatz zu vielen anderen Jugendbüchern sind die Texte in Ehre gealtert und unterhalten auch heute noch kurzweilig. Mark Freiers stimmungsvolles Titelbild lädt ein, über Pommery zu Edgar Wallace zurückzukehren und vielleicht einige seiner Romane noch einmal zu goutieren.

Das der Blitz Verlag aber die Serie ein wenig zu reißerisch und teilweise falsch „plakatiert“ hat, ist unglücklich, sollte aber nicht den Texten angelastet werden.  

direkt beim Verlag zu bestellen

www.blitz-verlag.de

Taschenbuch, 162 Seiten

Titelbild: Ligoti

Originalausgabe

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