The Magazine of Fantasy and Science Fiction September/ October 2017

The Magazine of Fantasy and Science Fiction, 09/10 2017, Titelbild,
C.C. Finlay (Hrsg.)

Das “The Magazine of Fantasy and Science Fiction” feiert mit der September/ October 2017 Ausgabe seinen insgesamt 68. Geburtstag. Deswegen haben Verleger Gordon van Gelder und Redakteur C.C. Finlay auf die fast obligatorische Novellette verzichtet und präsentieren mehr kürzere Texte in der Tradition der langen Geschichte des Magazins. Texte von Debütanten und Arbeiten von mehrfach ausgezeichneten Autoren wie Michael Swanwick oder das spektakuläre Comeback von Samuel Delany.

 Den Auftakt macht Naomi Kritzer mit „Evil Opposite“. Als Prämisse verwendet die inzwischen sehr populäre wie ausgezeichnete Autorin eine Idee, die sowohl Bob Shaw als auch Arthur C. Carke in ihren Romanen verwandt haben. Der Blick mittels eines besonderen Teleskops in Parallelwelten. Dabei verdreht Naomi Kritzer die zugrunde liegende Idee, in dem der Protagonist vor allem ein Objekt in diesen unzähligen Welten beobachten kann: sich selbst. Die Moral ist klassisch. Egal wie viele gute oder schlechte Lebensvariationen Du auf den Parallelwelten siehst, Du kannst nur ein Leben im Diesseits leben. Auch wenn es nicht immer einfach ist, stellt es den einzigen gangbaren Weg dar.

 Robert Reed ist ein Stammautor des Magazins. Mit „Leash on a Man“ präsentiert er eine zynische Geschichte, in welcher in einem modernen Gefängnis Wächter und Gefangene eine besondere Allianz bilden müssen, da eine Gefangene eingeliefert wird, der ein ganz besonders perfides Verbrechen gegangen hat, das sie zu einem Zielobjekt verschiedener Interessen macht. Ein ungewöhnlicher Wärter muss ihr helfen, wobei seine eigene Loyalität in Frage gestellt wird. Eine stringente Geschichte, in einem typisch lakonischen Robert Reed Stil geschrieben, die vor Ideen überfließt, welche alle durch die Kurzform nicht gänzlich zufrieden stellend entwickelt erscheinen und dadurch an Effektivität auch verlieren. 

 „The Care of House Plants“ von Jeremy Minton ist eine dieser klassischen Pointengeschichten, die zu wenig surrealistisch, exzentrisch oder skurril sind. Zwei Agenten suchen einen Mann, der eine genetisch veränderte Pflanze aus dem Forschungslaboratorium gestohlen hat. In seinem Haus finden sie nicht nur seine Frau, sondern von Pflanzen überwucherte Räume.  

 Immer wieder hat „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ Debütanten Chancen gegeben. “We are born” von Dare Segun Falowo ist eine Fantasy Geschichte mit afrikanischen Wurzeln, über eine aus Lehm geformte junge Frau, welche die Schwangerschaft ihrer Formmutter verfolgt. Das Ende ist vorhersehbar, aber stilistisch angenehm geschrieben und voller kleinere exotischer Ideen ein lesenswerter Text. Gwendolyne Clare debütiert zwar „nur“ in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ und nicht wie Falowo als Autorin, aber ihre Story über besondere Früchte, welche wie eine archaische Giftgaswolke ganze Städte und Armeen zu Stein werden lassen, überzeugt durch die interessante Ausgangslage, die allerdings eher in Novellenform ihr volles Bouquet entfaltet hätte.  Oder Amy Griswolds sehr kompakte Geschichte um die Folgen eines nicht Bezahlens verschiedener wichtiger Raten in der nahen Zukunft. „Still Tomorrow´s Going To Be Another Working Day“ ist bitterböse, dunkel, zynisch und doch auch zwischen den Zeilen realistisch. Auch Lisa Mason debütiert in „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ mit ihrer Groteske „Riddle“. Eine bizarre Liebesgeschichte zwischen einem Künstler und einer ungewöhnlichen Frau. Der dritte Newcomer Tina Connolly in diesem Magazin stammt aus Asien und präsentiert mit „The Two Choice Foxtrot of Chapham County“  eine moralische Fabel um eine ungewöhnliche Schwangerschaft, die gegen die bestehenden Konventionen verstößt. Die Angst, gegen die meisten ungeschriebenen Regeln zu verstoßen, bedeutet auch, schwierige Entscheidungen zu treffen. Auf wenigen Seiten zeichnet die Autorin dreidimensionale Figuren, wobei das ungewöhnliche Baby auch eine Art MacGuffin sein könnte, um die sozial brennenden Themen in der Breite anzusprechen. 

 Dazu kommt die thematische Breite. So fügt Rebecca Campbell mit „On Highway 18“ der Herbst 2017 Ausgabe nicht nur eine fast klassische Geistergeschichte hinzu, sondern vor allem auch abschließend eine fast philosophische Reflektion des bisherigen Lebens, des Verlusts von Freunden und schließlich die Frage nach dem Ergreifen des Augenblicks hinzu. Selbst wenn man auf einer Insel den Highway entlang fährt.

 Oliver Buckrams „Hollywood Squid“ ist eine der Science Fiction Geschichten, die aus der Grundidee der Begegnung mit den Außerirdischen etwas Neues, Originelles gewinne. Das beginnt schon mit der Tatsache, dass die Landung der Fremden den neusten Film des Erzählers – richtig eine Story mit Außerirdischen – floppen lässt. Es folgt die seltsame Freundschaft zwischen dem Regisseur/ Produzenten und einem dieser fremden Squids ausgerechnet auch noch mit dem Namen Eppie. Das Manuskript, das sie anbieten, ist eine klischeehafte Buddystory mit einer Verschwörung um die Verleihung der Oscars im Mittelpunkt, die so bizarr ist, das sie wahr sein muss. Neben den zahlreichen Seitenhieben auf die „Down and Out“ Gesellschaft in Tinseltown sind es vor allem die pointierten Dialoge, welche Oliver Buckrams kurzweilige Mediensatire zu einem Höhepunkt dieser „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ Ausgabe machen.  Es gibt aber noch eine zweitem Story in dieser Ausgabe, die sich mit Aliens und Kino auseinandersetzt. „Bodythoughts“ von Rahul Kanakia ist eine im tiefsten Inneren unangenehme Geschichte von einem Außerirdischen, der von den Menschen durch ihre Filme begeistert bis besessen ist. Was als Satire angefangen hat, endet auf einer doppeldeutigen bitterbösen Note. 

 Aber es sind auch die großen Namen, welche diese Ausgabe von „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ auszeichnen. Samuel R. Delany kehrt nach vierzig Jahren mit „The Hermit of  Houston“ zurück. Er beschreibt eine wilde Zukunft, in welcher die Geschlechterunterschiede im Grunde keine Rolle mehr spielen. Die USA sind in Enklaven aufgeteilt und erinnern an die Post Doomsday Zukunft, die Delany in seinem Meilen – wie Ziegelstein „Dahlgren“ beschrieben hat. Zwischen den Enklaven vermitteln die im Titel genannten Hermite, die auf die gigantischen zurück gelassenen Computer zurück greifen können. Es ist eine wilde Zukunft, die Delany in seinem verspielten wie expressiven Stil kurz, prägnant und pointiert beschreibt. Viele Leser werden erst über diese wenigen gegenwärtigen Veröffentlichungen mit dessen Werk Bekanntschaft machen. Aber „The Hermit of Houston“ unterstreicht, welche Erzählkraft immer noch in Delany innewohnt. In der Hoffnung, dass es mehr Geschichten aus seiner Feder geben wird.   

 Michael Swanwicks Geschichte ist ursprünglich in Russland erschienen, dann ins Chinesische übersetzt worden und erlebt in dieser Ausgabe ihre amerikanische Erstveröffentlichung. „Starlight Express“ – das Titelbild gehört dieser Story – ist eine Liebesgeschichte. Ein Mann verliebt sich in eine ihm unbekannte Frau, die plötzlich aus einem Materietransmitter auftaucht. Je mehr er sich mit der Frau und ihrer Herkunft beschäftigt, um so mehr lernt der Leser über die vor allem zeitlich weit entfernte Erde der Zukunft. Nicht so emotional, nicht so packend wie frühere Swanwick Geschichten, in welchem er aus dem Nichts heraus eine besondere Atmosphäre mit vor allem dreidimensionalen Charakteren entwickeln konnte, aber immer noch eine wunderschön kurzweilig wie stimmungsvoll zu lesende Story.

 Eine der besten Arbeiten stammt von Juan Paulo Rafols. Die Novelle „Children of Xanadu“ entwickelt eine Zukunft, in welcher die Chinesen die Weltherrschaft vor allem durch ihre militärische Dominanz übernommen haben. Ein Arzt wird in eine geheime Operation eingeschleust, deren Ziel die Effektivitätssteigerung sowohl in geistiger wie körperlicher Hinsicht von Kindern ist. Anschließend wird der Arzt nach einem erfolgreichen, aber hinsichtlich der Menschen auch „kostspieligen“ Projekt nach Xanadu geschickt, wo die Veränderten leben. Dabei handelt es sich bei dem Arzt um einen Schläfer mit eigenen Absichten. Eine wunderbar vielschichtige Geschichte mit interessanten Figuren, absichtlich im getragenen Stil der chinesischen Science Fiction geschrieben, aber kraftvoll, intelligent, subversiv und doppeldeutig.           

 Die Buchkritiken könnten nicht unterschiedlicher sein. Charles de Lint folgt den offensichtlichen Fantasy und Horrorserien, während sein Kollege Sallis zwei sehr ungewöhnliche Bücher vorstellt, deren Autoren schon vorher immer wieder mit neuen Ideen und vor allem interessanter literarischer Umsetzung geglänzt haben. In diese Kerbe schlägt auch die Filmkolumne, da mit dem vorgestellten Science Fiction Schläfer ein ausgesprochen sehenswerter wie fast unbekannter Monster Streifen vorgestellt wird. Immer wenn die Rezensenten über den Horizont hinausschauen und selbst die Kuriosität des Monats am Ende des Heftes zielt in diese Richtung, dann lebt die lange Tradition bekannter Kritiker wie Judith Merrill oder Algis Budrys dieses Magazins wieder auf.  Hinzu kommt ein Exkurs in die Wissenschaft.

 Die Geburttagsnummer – 68 Jahre und kein bisschen Renter – des „The Magazine of Fantasy and Science Fiction“ erfüllt alle Kriterien, welche sich das Magazin seit Jahrzehnten oder hinsichtlich der Herausgeber Generationen zu Eigen gemacht hat. Fantasy und ein wenig Horror, Science Fiction mit einem humanistischen Touch; etablierte Autoren und Newcomer. Sehr kurze Storys und Novellen. Dazu ein breites Themenspektrum und vor allem hinsichtlich der Qualität der einzelnen Texte eine der besten Ausgaben, die Redakteur C.C. Finlay bislang produziert hat. Wer unbedingt einmal dieses lang laufende Magazin kennen lernen möchte, hat mit der September/ Oktober 2017 eine ideale Einstiegsplattform.   

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Taschenbuch, 256 Seiten