Fer-de-Lance

Fer-de-Lance, Titelbild, Rezension
Rex Stout

 1934 erblickte mit Rex Stouts “Nero Wolfe“ ein ungewöhnlicher Privatdetektiv das Licht der Welt. Exzentrischer als Poirot und Sherlock Holmes zusammen lebt der wirklich gewichtige Mann in der 35. Straße New Yorks in einem Backsteinhaus mit Dachgarten, das er nur sehr sehr selten verlässt. Seine Verbindung  zur Außenwelt ist Archie Godwin, eine Art aktiver Doktor Watson.  Aber Godwin ist nicht nur wie Watson der Ich- Erzähler der verschiedenen Fälle, sondern wie Erle Stanley Gardners Lam in den „Cool & Lam“ Abenteuern auch der aktive Teil des ermittelnden Duos, während Nero Wolfe seine Fälle alleine aufgrund seiner fast aus der Ferne agierenden Deduktion löst. 

Über vierzig Jahre hat Rex Stout in mehr als dreißig Romanen und ebenso vielen Kurzgeschichten – die letzte erschien 1985 zehn Jahre nach dem letzten publizierten Band -  nicht nur ein homogenes, fast statisches Umfeld für seinen nicht alternden Helden entwickelt, sondern sie unmerklich auch der jeweiligen Zeit außerhalb des Backsteinhauses in der 35. Straße angepasst. Auch wenn jede Geschichte, jeder Roman in sich abgeschlossen ist, beginnt die Geschichte nicht mit  diesem ersten aufgezeichneten Fall. Godwin  spricht quasi mit seinen unbekannten Lesern und weist darauf hin, dass Nero Wolfe sich schon sehr viele Feinde gemacht hat; das er finanzielle Engpässe aufgrund seines exzentrischen Lebensstils alleine wie damals Sherlock Holmes durch die Lebensrettung eines sehr reichen Mannes umschiffen könnte, wenn es sein Stolz zuließe sowie schließlich auch den „schlechten“ Ruf bei einigen örtlichen Polizisten, die  in Nero Wolfe nicht nur einen Exzentriker, sondern vor allem einen Besserwisser sehen. 

Viele von Nero Wolfes Eitelkeiten hat Rex Stout schon in diesem ersten Buch entwickelt.  Das Verhältnis zwischen Wolfe und Godwin vom Angestellten/ Boten zum Ziehsohn wird erst in den folgenden Romanen auch mit dem Auftreten von Godwins langjähriger Freundin im Mittelpunkt des Plots neben den meistens Mordfällen stehen.  In „Fer-de-Lance“  stehen die Orchideenzucht; sein Verhalten beim Essen;  seine Liebe für  Literatur und das Radio sowie auch ökonomischen Gründen die Umstellung des  täglichen Bierkonsums auf Flaschen im Mittelpunkt der Handlung. Frauen sind Nero Wolfe ein Graus, wobei sich diese hinsichtlich direkter Konfrontationen im Auftaktbuch zurückhalten. Auch Nero Wolfs Haushalt mit seinem Faktotum Fritz Brenner; dem Schweizer Koch  sowie seinem Gärtner Theodore Horstman wird eher beiläufig vorgestellt.  Auch die Konfrontation mit  den Detektiven der Mordkommission  spielt  schon eine Rolle.

Im Gegensatz zu Sherlock Holmes oder Poirot, aber auch Erle Stanley Gardner folgend ist ein Markenzeichen dieser Romane, das sich nicht selten hinter einem anfänglich untersuchten Verbrechen eine deutlich kompliziertere Tat verbürgt.  Wie Sherlock Holmes muss ein Fall Nero Wolfe interessieren. Im Gegensatz zu Sherlock Holmes aber braucht Nero Wolfe sehr viel Geld für seinen aufwendigen Lebensstil, seinen Haushalt und schließlich auch den Unterhalt des Hauses, so dass der gewichtige Ermittler monetär eher   an die geizige Bertha Cool aus Gardners ebenfalls viele Jahrzehnte laufende  Krimiserie erinnert.  Hinzu kommen die Exkurse in den Bereich des Zubereitens und Genießen von Gerichten. Wie Rex Stout kann sich Nero Wolfe allerdings eher passiv an guten Zutaten und außergewöhnlichen Gerichten stundenlang aufhalten und seine Umgebung vergessen.

Im ersten schon zwei Jahre nach seinem Erscheinen auch verfilmten Nero Wolfe Fall bittet Fred Dunkin aus seinem erweiterten Dienstleisterkreis den Detektiv darum, die Freundin seiner Frau Maria Maffei anzuhören, deren Bruder verschwunden ist.  Eigentlich wollte ihr Bruder aus dem Nichts heraus seine Schulden bezahlen und nach Italien zurückkehren. 

Kurze Zeit später wird die Leiche des Bruders gefunden und die ersten Ermittlungen führen zu einem anderen Toten.  Der örtliche College Vorsitzende ist auf dem Golfplatz tot zusammengebrochen, anscheinend ein Herzinfarkt.  Nero Wolfe ist aber der Meinung, dass er vergiftet worden ist und Maffai zumindest  einen Hinweis auf den oder die Täter hatte. Anscheinend hat er sich als Erpresser versucht und ist dabei ums Leben gekommen. 

Auch wenn Rex Stout mit seinem ersten “Nero Wolfe“ Roman nicht nur hinsichtlich der Beschreibung des Hauses und des geordneten, fast statisch perfektionierten Männerhaushalts, sondern auch der Struktur eines Kriminalromans vom aufblühenden Hardboiled Kriminalroman abweichen sollte, lässt sich erkennen, dass er neben einer spannenden Unterhaltung vor allem auch immer ein Augenzwinkern mitliefert. So präsentiert Nero Wolfe im Grunde in der Mitte des Buches nicht nur aus dem scheinbaren Nichts heraus die Tatsache, dass der Präsident des Colleges Peter Barstow ermordet worden ist, sondern wer der Täter sein müsste.

 Auf den nächsten Seiten untermauert Rex Stout dank Archie Godwin und den farbenprächtigen wie exzentrischen Charakteren diese These, um sie dann plötzlich auf den Kopf zu stellen. Dabei agiert der insbesondere im Vergleich mit den anderen Abenteuern sehr gesprächige Nero Wolfe erstaunlich ambivalent. Natürlich hat es ein Autor auch leicht, wenn er selbst möglichst viele Tatverdächtige mit Motiven in den Ring wirft. Die wahrscheinlich geistig verstörte Ehefrau, die schon einen Mordanschlag auf ihren Mann verübt hat. Der lange Zeit eher familientechnisch abweisende Sohn oder im Hintergrund der langjährige Freund und Psychologe. Alle haben eigene Interessen und könnten ein Motiv haben.

 In der zweiten Hälfte des Romans gibt es plötzlich ein weiteres potentielles Opfer sogar mit einem einzigen Täter, der ein Motiv haben könnte. Diese Flanke öffnet sich erst durch einen Zufall, als Archie Godwin zusammen mit Nero Wolfe eine kleine Gruppe von potentiellen Zeugen zusammen verhört. Kritisch gesprochen könnte man auch davon sprechen, dass der ansonsten so überlegene Nero Wolfe aufgrund der vorhandenen Fakten komplett ins Nichts recherchiert hat.

 Die Grundidee und das potentielle Motiv sowie die Nichtbestrafung eines vom Leben gezeichneten Mannes, der vor vielen Jahren aus dem provozierten Affekt heraus eine Beziehungstat begangen hat, sind dagegen wieder klassische Sherlock Holmes Ansätze, in denen Bestrafung und Gerechtigkeit zwei unterschiedliche paar Schuhe sind.

 Aber auch die Vorgehensweise beim ersten Mord erinnert an eine der bekanntesten Sherlock Holmes Geschichten sowie eine Idee, die Rex Stout schon in einer 1916 geschriebenen und lange Zeit verschollenen Kurzgeschichte das erste Mal ausprobiert hat. 

 Während der Plot anfänglich ausgesprochen interessant ist, auch wenn bis auf den exzentrischen Hintergrund Nero Wolfes Vorgehensweise noch sehr stark an entsprechenden bekannten literarischen Vorlagen klebt, ist es Archie Godwins teilweise subversiv zynischer Humor; seine Angewohnheiten wie das Trinken von Milch, während sein Chef ein ausgesprochener Bieranhänger, um nicht zu sagen, ein Alkoholiker in spe ist, welche den Roman aus der Masse verschiedener Detektivromane vor allem der dreißiger und vierziger Jahre heraushebt.   

 Zu einem der roten Fäden gehört, dass Nero Wolfe und Archie Godwin sich nicht nur gegenüber den potentiellen Verdächtigen oder Zeugen immer wieder unabhängig von ihrem Ruf rechtfertigen müssen und nicht selten bei ihren Befragungen behindert werden, auch die Idee, dass Nero Wolfe durchaus die von der Witwe ausgeschriebene Belohnung hinsichtlich der Identität des Mörders entweder mit den entsprechenden Informationen direkt oder einem Tipp an die Polizei bei einem ungewünschten Täter indirekt kassieren möchte, ist für einen Hilfsarbeiter des örtlichen Gesetzes ungewöhnlich, aber es passt zu den Ecken und Kanten, welche Rex Stout seinem gewichtigen Detektiv vor allem in den ersten Büchern auf den Leib geschrieben hat. „Far-de-Lance“ ist wegen der mechanischen Ploteröffnung und dem nicht immer für den Leser nachvollziehbaren oder rückblickend gegründeten Vorgehen ein solider „Nero Wolfe“ Roman, aber kein Höhepunkt der Serie. Viel mehr dient er dazu, den Leser mit Nero Wolfes Welt vertraut zu machen und in dieser Hinsicht empfiehlt es sich, bei „Far-de-Lance“ anzufangen, auch wenn einige der später veröffentlichten Kurzgeschichten chronologisch weiter in die Vergangenheit reichen.

 

  • Taschenbuch: 304 Seiten
  • Verlag: Crimeline; Auflage: Bantam Crime Li (21. Januar 1997)
  • Sprache: Englisch
  • ISBN-10: 0553278193
  • ISBN-13: 978-0553278194
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