Zukunftskriege in der Science Fiction

Franz Rottensteiner

Mit dem reichhaltig bebilderten „Zukunftskriege in der Science Fiction“ legt der Verlag Dieter von Reeken die einzelnen Buchvorstellungen aus dem „Werkführer  durch die utopisch-phantastische Literatur“ aus dem Corian Verlag gebündelt vor.  Bis ins Jahr 2017 und der immerhin 67. Lieferung hat diese Loseblattsammlung ein interessantes Kompendium  für die zugrundeliegende Literatur dargestellt. Auch wenn Franz Rottensteiner in seinen Abschiedsworten auf die veränderten Lesegewohnheiten und das Internet eingeht, stellt genau der jetzt publizierte Werksführer den Gegenentwurf  dar. Die Texte sind thematisch und in den einzelnen Kapiteln chronologisch geordnet. Hinzu kommen mit den Geschichtensammlungen aus dem Synergen Verlag, auf welche Franz Rottensteiner eher kritisch eingeht, sowie zwei in englisch veröffentlichte Sammlungen einiger der zugrundeliegenden, extrem seltenen Romane zwei ergänzende Publikationen aus der Gegenwart. 

Im Vorwort zu dieser Ausgabe sprechen die Autoren von einem indirekten Vorläufer der Military Science Fiction. Dieser Begriff kann vielleicht nicht so leicht stehen gelassen werden.  Viel mehr hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn die tatsächlichen oder fiktiven Kriegsberichte im Grunde jeglicher Epoche um utopische Ideen bereichert worden und dann als warnender Zukunftsroman verkauft worden sind. 

Wie Franz Rottensteiner ja selbst herausarbeitet, scheint einer der Scheidepunkte der literarischen Entwicklung der deutschfranzösische Krieg von 1870/ 1871 zu sein, der auf der Seite der Verlierer und den ihnen wohl gesonnenen Nationen die Angst vor einer weiteren militärischen Auseinandersetzung, während es auf der deutschen Seite zu einer fast euphorischen Extrapolation von militärisch-  globalen Strategien führt. 

Die gegenwärtige Military Science Fiction ist dagegen eher ein leichtes Kriegsspielzeug, in dem nicht selten vergleichbar dem Thrillersektor mit Schwergewichten wie Tom Clancy die Autoren gegenwärtige Technik und Strategien einfach extrapolieren und ins All verlegen.

Bei den von Franz Rottensteiner  vorgestellten Romanen handelt es sich bis auf die wenigen weißen Tauben um rassistische und polemische subversive Texte, in denen es um die Beschwörung der großen Idee einer völkischen Überlegenheit geht.  Diese verführerische wie abschließend falsche Mahnung zu mehr Wachsamkeit gegenüber den Nachbarn oder der Glaube an die eigene kaum vorhandene (militärische) Stärke hebt diese Bücher meistens auch ein wenig negativ aus dem Subgenre der Utopien heraus und rückt sie nahe an die gegenwärtige Propagandaliteratur, die vor allem der FESTA Verlag mit seinen paranoiden Angst vor dem Islam Büchern aus den USA importiert. 

Aber es gibt eine sehr gute und nachdenklich stimmende Querverbindung zu den meisten Military Science Fiction Bücher. Franz Rottensteiner spricht den Romanen einen Realismus den Kriegsgrausamkeiten gegenüber ab. Die Exzesse des Menschen verachtenden Bodenkriegs aus dem Ersten Weltkrieg  werden genauso wenig angesprochen wie bis auf ganz wenige dann schnell verklärende Ausnahmen das Leiden der einfachen Soldaten.  Das Gleiche gilt für die gegenwärtige  Military Science Fiction wie  auch die Kriegsberichte. Das Sterben auf den Schlachtfeldern, das  lebenslange leiden der Verkrüppelten; der Verlust von geliebten Menschen, die nicht heroisch bis naiv in den Tod gehen verkauft sich eben in allen Zeiten schlechter als Pathos, Vaterlandsliebe und der Heldentod.

Bei der Anordnung der einzelnen Buchvorstellungen geht Franz Rottensteiner chronologisch vor. Ausgangspunkt ist George Tomknys Chesneys Battle of Dorking“ aus dem Jahr 1871, entstanden nach dem schnellen deutschen Sieg im Krieg gegen Frankreich. Anschließend geht es noch einen Schritt zurück nach Österreich, wo Heinrich Ritter von Levitschnigg sieben Jahre vorher schon eine Kriegsphantasie geschrieben hat.  Der gewonnene Krieg gegen Frankreich hat die utopischen Autoren Deutschlands allerdings erst vierzig Jahre später zu einigen Fortsetzungen und neuen Angriffen auf den Nachbarn inspiriert.  Vorher ging es gegen einen anderen literarischen „Feind“, der mit seinem Imperium und vor allem seiner Flotte den deutschen Offizieren und dem Kaiser ein Dorn im Auge gewesen ist.

England wird von zwei Seiten beleuchtet. Einmal die Angst auf der  Insel vor  dem deutschen Einmarsch und dann der schwelende Konflikt mit England um die Seemacht.  Zwei Aspekte machen die Bücher vor allem in den Zusammenfassungen interessant. Die maritime Überlegenheit Englands wird anerkannt und höchstens durch die U Boot Waffe ein wenig relativiert.  Große Seeschlachten in klassischer Formation finden nicht statt. Deutschland versucht die englische Überseeversorgung genauso  zu unterbinden wie die britische Marine die Nordseehäfen abriegelt. Beides tatsächliche Ereignisse nicht nur aus dem Ersten, aber vor allem auch Zweiten Weltkrieg. 

Der Luftkrieg spielte in einigen Romanen aus den Jahren 1909 bis 1913 eine wichtige Rolle. Jules Verne hat zwar in „Robur, der  Eroberer“  diese Möglichkeit schon vorher angedeutet, aber die Autoren konnten mit der Wucht der Zeppeline als Bombenträger weniger anfangen als der Idee, dass kleine Flugzeuge Torpedos auf große Schiffe abfeuern. Was im Ersten Weltkrieg technisch noch nicht so möglich gewesen ist, wird im Zweiten Weltkrieg nicht nur an Hand der Bismarck zeigen, dass eine Mücke durchaus einen Elefanten mehr als  ärgern kann. 

Die beschriebenen Weltkriege haben nicht selten ihre Wurzeln in Europa. Dabei wirkt das Zusammenspiel der einzelnen Kräfte auf unterschiedlichen Kontinenten eher bemüht, das perfide Dominospiel mit mehr und mehr fallenden und in den Krieg gezogenen Nationen findet an der Oberfläche statt.  1908 erschienen zwei Romane um den „gelben Rassenkrieg“, wobei Condors „Im Kampf gegen Südamerika“ tatsächlich auf dem lateinamerikanischen Kontinent spielt. Die beiden Bücher sprechen direkt aus, was einige andere Autoren bis in die vierziger Jahre hinein mit ihren teilweise offensichtlichen Anspielungen auf die schurkischen Asiaten eher im Verborgenen gehalten haben. Freder van Holk und Hans Dominik lassen hier grüßen, wobei deren Texte vor allem sich um den technologischen Weltlauf auf nicht militärischer und selten politischer Ebene bemüht haben. 

Neben den ganz wenigen Büchern, die gegen den Krieg im Allgemeinen und die Brutalität der zukünftigen Auseinandersetzungen argumentieren ist es der Kampf gegen den inneren Feind, die Revolutionen in Russland wie auch die Arbeiteraufstände in Deutschland vorwegnehmen, welche markante und nachdenklich stimmende Zeitzeugnisse sind. 

Alleine der heute nur Sammlern vorbehaltene Überblick in Form der Originalschriften empfiehlt allen Interessierten diesen konzentrierten Überblick zwar in Form von überwiegenden, aber zum ersten Mal gesammelten Nachdrucken. Der Autor geht dabei zielstrebig vor.  Neben einigen wenigen zum Autoren einleitenden Worten folgt eine umfangreiche, von Zitaten nicht selten begleitete Zusammenfassung des Textes inklusiv einiger manchmal ein wenig oberflächlicher Bemerkungen hinsichtlich der militärischen „Brauchbarkeit“ der Texte und endend  mit einem kurzen, manchmal ein wenig oberflächlich bis leicht flapsigen Fazit. Wie bei einigen anderen Arbeiten legt Franz Rottensteiner Wert auf einen literarischen Wert der Werke, den er einigen Romanen ohne weitere Begründung abspricht.  Als  Kritiker sollte er manchmal souveräner sein.

Die Rezensionen scheinen für diese Neuherausgabe überarbeitet worden zu sein, denn immer wieder gibt es gute und manchmal auch notwendige Querverweise auf andere Arbeiten, deren Rezensionen unter anderen Sammelüberschriften zu finden sind. Es ist ein komplexes, vor allem europäischer, aber keineswegs rein deutscher Überblick  über diese fragwürdige bis nachdenkliche stimmende Abzweigung der utopischen Literatur, begleitet wie eingangs erwähnt von zahlreichen sehr gut nachgedruckten Abbildungen der vorgestellten Bücher.

Wer sich mit der Materie schon intensiver auseinandergesetzt hat, wird in diesem Leitfanden eher ergänzende Hinweise finden. Wer aber nur einen gut recherchierten und sachkundig präsentierten Überblick über die utopische Kriegsliteratur im Grunde bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs haben möchte, wird in dieser Rezensionssammlung mehr als fündig und zufriedenstellend informiert,  aufgeklärt und  manchmal auch angesichts der erschreckenden Naivität der einzelnen Autoren schockiert.   

Kommentierte Beispiele aus den Jahren 1871–1918
Klappenbroschur., 159 S., 30 Abb.
15,00 € — ISBN 978-3-945807-26-2

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