Morgenwelt

Thomas le Blanc
In seinem Vorwort spricht Herausgeber Thomas Le Blanc davon, dass niemand in die Zukunft schauen kann. Auch Science Fiction Autoren versuchen nur in ihrem Umfeld zu spekulieren. "Morgenwelt" orientiert sich deswegen vielleicht auch weniger an John Brunners herausragendem Roman, sondern an einem Blick über den Tellerrand in die nahe Zukunft. Interessant ist, dass die insgesamt nur sechszehn Autoren mit einundzwanzig Texten sich dieses Mal ein wenig mehr literarischen Platz gelassen haben und einige der Miniaturen eher an Kurzgeschichten den Kürzesttexte erinnern. Weiterhin bemerkenswert ist, dass John Brunners Schatten doch viel weiter reicht als es vielleicht der Herausgeber bei der Planung der Anthologie vermutet hat. Schon die Eröffnungsgeschichte ist dafür ein schlagender Beweis. 
 
Maike Braun eröffnet die Sammlung gleich mit einem ein wenig längeren Text. "Erntedank" zeigt, wie die Menschheit sich in den perfektionierten Städten der Zukunft aufgeteilt hat. Während die Alten und impliziert Nutzlosen in den Vorstädten außerhalb oder in interessant gestalteten Aufenthaltsräumen um die Zentren herum aufhalten müssen, scheint es nur noch normales Leben in den Herzen der Städte zu geben, wobei immer versucht wird, zumindest Impressionen aus dieser Idylle zu stehlen. Viele kleine Ideen ergeben ein nachdenkliches stimmendes Mosaik einer düsteren Zukunft, wobei Maike Braun ihre Anätze selbst in dem wenig vorhandenen Raum erstaunlich weit zu Ende denkt. Holger Marks nimmt einen Aspekt - die Versorgung der alten Menschen - in einer der längsten Geschichten dieser Anthologie "Eine Frage der Menschlichkeit" wieder auf. Es entwickelt sich ein spannender Krimi um einen renitenten Bewohner eines dieser Pflegeheime. Die Pointe der unterhaltsame Story ist logisch aufgebaut und gibt im Grunde der automatisierten Pflegeeinrichtung auf eine amüsante Art und Weise recht. 
 
Karl Ulrich Burgdorf ist ein perfekter Minituarist. Wie auch "Ineffizient" beweist, zielen seine pointierten menschlichen Texte immer auf den finalen, perfekt getimten Schlusssatz. In dieser Geschichte hält er den Maschinen den Eulenspiegel ins Gesicht und zeigt, dass der Mensch als das natürlich schwächste Glied immer noch bemüht ist, im Rahmen seiner Ineffizienz etwas Kreatives um seiner selbst Willen zu erschaffen. Dagegen müssen die Menschen in Robert P. Jägers "Hyper- Cortex" quasi zur Perfektionierung als Arbeitskraft ihre stärkste Seite opfern. Der Text ist wie einige andere Miniaturen zu stringent angelegt und zielt zu sehr auf die mehrfach schon implizierte Pointe. Auch Karla Weigand zeigt pointiert in "Der Chip" auf, das man die perfektioniert überwachte Welt  täuschen kann.
 
Aber selbst wenn es Arbeit für die Menschen in den jeweiligen Zukünften gibt, muss diese nicht unbedingt Zufriedenstellen. Monika Niehaus zeigt in "Nomaden des Himmels" allerdings, wie sich mit Einfallsreichtum, ein wenig handwerklichem Geschick und schließlich einer Verkäuferseele ein ganzes wenn auch überschaubares Volk umorientieren kann. Und wieder träumen darf. Dagegen kommt Christian Kühne mit "Austausch" weniger auf den Punkt, in dem er seine zukünftige Arbeitswelt eher als Beschäftigungstherapie beschreibt. Positiv dagegen ist, dass der Autor auf eine der Grundideen des menschlichen Kennenlernens zurückgreift und aufzeigt, dass egal wie perfektioniert anscheinend die Partnersuchen sein sollen, der Faktor Zufall in Kombination mit spontaner Sympathie niemals ausgegrenzt werden kann. Marc- Andre Pahl "Eine Karriereleiter aus Aussichten" nimmt ironisch den Titel sehr wörtlich. Dazu ein kleiner Science Fiction Hinweis. Er beschreibt einen der Jobs, die wahrscheinlich nur noch zum Wohlbefinden der Menschen existieren, während Alexander Roeder mit "Sauber" aufzeigt, dass manche Jobs wiederkehren. Der Umweg ist beträchtlich und einige seiner Ideen skurril, aber alle Weg führen schließlich wieder zu ihm.
 
Konsumenten spielen nicht nur in der sehr experimentellen "Operation Wichtelgang" (Ansgar Schwarzkopf) eine wichtige Rolle. Der Müll muss ja auch weg, wozu Friedhelm Schneidewind mit "Plastickfresser" als eine seiner beiden Storys auf eine alte Idee zurück greift. Vielleicht ist die Ausführung angesichts der Kürze und vor allem der Fokussierung auf ein positiveres Ende anders als bei dem gleichnamigen Science Fiction Katastrophenroman aus den siebziger Jahren, aber Friedhelm Schneidewind kann seinem Plot keine wirklich grundlegend neue Idee verleihen.  
 
"Das Hindernis" von Sabine Frambach ist eine der zahlreichen Miniaturen, die sich elegant und glatt lesen lassen- solange man nicht beginnt, die Pointe in einen Kontext zur Handlung zu stellen. Im Grunde ist das System zu perfektioniert, um eine derartige "Schwachstelle" durchzulassen und die einzelnen Fahrer nicht vor diesem besonderen Hinderniss viel früher zu warnen. Wenn es tatsächlich mehrfach unterschiedlichen Fahrzeugen passiert ist, muss es sich um mehrere Täter handeln, die relativ schnell hintereinander an verschiedenen Orten zuschlagen. Sonst wäre es nicht so leicht, die Zusammenhänge zu erkennen und unmittelbar nach dem Ereignis in diesem Fall zu spät zu warnen.  Auch Rainer Schorm mit "Die Prognose" versucht eine futuristische Gesellschaft in ihren Ansätzen zu zeigen, ohne die Idee bis auf der brachiale Ende wirklich ausreichend und für den Leser zufriedenstellend zu extrpolieren.   
 
Christian Kühne zeigt in "Selbstreinigung", das die intelligenten Häuser mit jedem Problem auf ihre pragmatische Art und Weise fertig werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Ausgangspunkt nachvollziehbar ist oder nicht. Zwar bürgt die Miniatur wie einige andere Texte keine inhaltliche Überraschung, lässt sich aber pragmatisch kurzweilig lesen.
 
Thomas Le Blancs "Die Traumfrau" zeigt auf, dass zwischen Design und Konzeption sowie Realisierung immer noch ein kleiner Unterschied ist und das weniger bei der breiten Masse der Bevölkerung einfach mehr sein könnte. Pointiert, belustigend und kurzweilig zu lesen. 
 
Im Grunde ist der Mensch immer Schuld. Michael Wink zeigt in "Back to the Roots?" das selbst das gute Bemühen, bestimmte Vorgänge umzukehren, nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Die Ausführung der Miniatur ist eher bodenständig und ein wenig belehrend, aber mit der bekannten Höhle in der Eifel hat der Autor zumindest einen besuchenswerten Fixpunkt etabliert. Das galt für gestern, heute und vor allem die so anders als erwartete Zukunft. 
 
Selbst die Altmeister wie Jörg Weigand können in "Paradies" nur alten Hüten neue Variationen aufsetzen. Der Leser ahnt schon nach kurzer Zeit, welche alte und leider nicht mehr originelle Idee hinter den ersten Szenen steckt. Alexander Roeder zeigt in "Wer schreibt denn da?" auf, dass die künstliche Intelligenzen sich nicht hinter den Menschen verstecken müssen. Jobbeschreibungen sind humorvoll satirisch, aber sie erreichen das Herz des Lesers. Thomas le Blanc führt mit der letzten Story dieser Miniatur "Menschen gibt es keine mehr" den Ausblick in die "Morgenwelt" auf einen einsamen, aber konsequent logischen Höhepunkt. Wer sagt denn, dass die Maschine der letzte Schritt der Evolution ist? 
 
"Morgenwelt" bietet nur wenige rein humoristische Texte. Friedhelm Schneidewind mit seiner zweiten, deutlich besseren Arbeit zeigt auf, dass der technologische medizinische Fortschritt made in Germany vielleicht doch nicht unbedingt die ganze Welt, aber relevante Länder erobern kann. Höhepunkt der ganzen Miniatur ist ohne Frage Ansgar Schwarzkopfs ebenfalls zweite deutlich hintergründere Kurzgeschichte "Meeting Dr. Mett oder Currywurst für alle Kassen" . Sehr gute Dialoge, eine überdrehte Ausgangssituation und Seitenhiebe in alle Richtungen haben den Text aus der Masse der dunklen Miniaturen positiv heraus.
 
Beginnend mit dem schönen Titelbild dieses Mal von Thomas Lingelbach ist "Morgenwelt" als zwölfter Band der phantastischen Miniaturen ein zweischneidiges Lesevergnügen. Zu viele Texte nutzen bekannte Ausgangselemente zu wenig experimentell und zu koservativ, während nur eine Handvoll anderer Schriftsteller mit wirklich originellen, humorvollen oder provozierenden Teten über den Schleuklappenhorizont blicken und wirklich überdurchschnittlich gut unterhalten. Das Herausgeber Thomas le Blanc absichtlich oder zufällig einigen Autoren mehr Raum eingeräumt hat, tat den längeren Texten gut und der Fokus lag nicht nur auf den meistens allerdings positiv treffenden Pointen, sondern auch bei der Entwicklung der entsprechenden Hintergründe.
 
 

Phantastische Bibliothek Wetzlar Band 12

Din A 5, 76 Seiten

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