Grabratten

Robert E. Howard

Nach zwei Bänden mit Westerngeschichten und den ersten fünf Storys um den Seemann und Boxer Costigan präsentiert „Grabratten“ drei der insgesamt vier bislang professionell veröffentlichten Geschichten um den Detektiv Steve Harrison. Fünf weitere Geschichte, ein Fragment und ein Entwurf erschienen in den siebziger und achtziger Jahren in Taschenbüchern und Amateurmagazinen, in denen die literarische Wiederauferstehung des Texaners gefeiert worden ist.
Robert E. Howard hat mit anderen Protagonisten auch einige Texte in der Hard Boiled Tradition erstaunlicherweise lange bevor das Genre durch die Pulpmagazine richtig populär geworden ist verfasst.
Die erste Kriminalgeschichte erschien aus seiner Feder erst 1934 professionell. Verfasst hat Robert E. Howard viele dieser Texte viel früher. Sie stammen aus den zwanziger Jahren und Howard hat später seinen Agenten Albert Kline als Mentor beim Verfassen der Detektivstorys expliziert genannt.

Wie bei einigen anderen seiner Protagonisten sind die Hintergrundinformationen spärlich. Er ist Detektiv in einer amerikanischen Metropole, auch wenn ihn zwei der drei Fälle eher ins Hinterland Amerikas führen. Auch wenn er gerne zu einem Revolver greift, agiert er wie viele andere Pulpdetektive seinem ihn mehrfach zu spät warnenden Instinkt folgend. Es ist erstaunlich, dass er in den ersten beiden Geschichten zwar abschließend den Täter kennt, ihn aber nicht verhaften kann. Andere kommen der amerikanischen Justiz zu vor.

Es sind eher Weird Fiction Storys als klassische Detektivgeschichten. Auch wenn nicht selten übernatürliche Ereignisse entweder angedeutet werden oder der durchaus auch kranken Phantasie der Nebenfiguren entsprungen sind, findet sich kein klassisches nachweisliches übernatürliches Element. Die Atmosphäre entspricht eher den Horrorgeschichten nicht nur aus Howards Feder.

Die erste Geschichte „Grabratten“ entstand wahrscheinlich 1926, ist aber erst zehn Jahre später erschienen. Steve Harrison wird gebeten, seinen Mandanten zu schützen. Er fürchtet die Rache, nachdem sein Bruder ermordet worden ist. In der Nacht findet der Bedrohte den abgeschlagenen Kopf seines Bruders in seinem Haus. Steve Harrison macht sich in doppelter Hinsicht auf die Suche nach dem Täter. Die Geschichte ist dunkel, stellenweise brutal. Immer wieder gibt es Verweise auf Ratten, auf Grabratten. Nachts werden Gräber geöffnet, Menschen umgebracht und auch Steve Harrison scheint ein Opfer des psychopathischen Mörders oder des Geists eines Indianers zu sein, der vor vielen Jahren um das ölreiche Land gebracht worden ist. Die Auflösung ist dagegen fast schon simpel. Aber Howard hat nicht nur ein schauriges Ende in der Tradition Edgar Allan Poes im Sinn, vor allem ist er sich nicht zu schade, einige falsche Spuren zu legen. Für Steve Harrison schließt sich während des Finals quasi ein kleiner Kreis, auch wenn er den Täter nur stellen, aber weder klassisch verhaften noch ausschalten kann. Es sind vor allem die Eingangskapitel, in denen Robert E. Howard seine Klasse als Pulpautor noch einmal deutlich unterstreicht.
Steve Harrison stolpert desorientiert wie der Leser durch die Handlung, bevor er ab der Mitte der Geschichte beginnt, die einzelnen Elemente zu ordnen und nach einem logischen, dem Leser aber verheimlichten Ausschlussprinzip nach dem Täter zu suchen.

Erst sieben Jahre später mit einer allerdings früheren Veröffentlichung erschien „People of the Serpent“ oder besser bekannt als „Fangs of Gold“. Der deutsche Titel „Schlangenvolk“ symbolisiert das möglicherweise übernatürliche Element der Story.
Harrison soll einen Chinesen jagen, der nicht nur zehntausend Dollar gestohlen, sondern einen Mann ermordet hat. Die Spur führt in ein abgelegenes Sumpfgebiet. Er findet Unterschlupf bei einem dort lebenden Mann. Nur hat dieser anscheinend das Geld versteckt und möglicherweise den Chinesen ermordet. Im Laufe der Handlung findet Harrison eine attraktive junge Frau, die gefesselt gefangen gehalten wird. In der nicht selten sadistischen Tradition in Howards Storys Frauen gegenüber wird sie jeden Nacht gefoltert. Anscheinend ist sie die hohe Priesterin eines Schlangenkults, wobei nicht abschließend klar wird, ob es sich wirklich um eine religiös fanatische Gruppe von Schlangenbeschwörern handelt oder sich die gute Frau dem Wahnsinn verfallen ihre Anhänger nur einbildet.

Die Atmosphäre ist zwar nicht so dunkel und nihilistisch wie in „Graveyard Rats“, dafür ist die Handlung deutlich komplexer und weniger dem Zufall geschuldet aufgebaut. Das Finale ist effektiver, auch wenn wieder Harrison einen Moment zu spät kommt. Es ist erstaunlich, dass einem derartig erfahrenen Mann das sogar zweimal passiert. Seinen eigentlichen Täter kann Harrison allerdings nicht nur stellen, sondern fast nebenbei verhaften. Anscheinend diente der Diebstahl und Mord nur als eine Art MacGuffin, um den Detektiv in dieses unwegsame Gelände zu locken.
Wieder sind es die Eingangsszenen, welche den stärksten Eindruck hinterlassen. Sie erinnern eher an die Hard Boiled Detektive Romane, wobei Howard den Großstadtdschungel durch den tödlichen nebligen Sumpf ersetzt hat.

Die dritte und letzte Geschichte „Names in the Black Book“ ist eine unglückliche Wahl. Ein Jahr vorher verfasste Howard „Lord of the Dead“, die erste Story, in welche Steve Harrison auf den Mongolen Erlik Khan getroffen ist. Howards Variation von Sax Rohmers „Dr. Fu Man Chu”. Es gibt auch zu Beginn der Geschichte einige Hinweise auf diese erste Begegnung. „Lord of the Dead“ ist erst Jahre später publiziert worden. Es wäre sinnvoll, diese beiden Storys zu kombinieren, wobei auch die ehrenwerte Delphi Edition sich vor allem auf die Texte konzentriert, die von Robert E. Howard professionell erschienen sind.

Eine seltsame Mordserie verblüfft Steve Harrison. Es ist auch der einzige Text dieser Sammlung, der in einer Stadt spielt. Durch eine Bekannte Joan, die bei der ersten Konfrontation mit Erlik Khan anwesend gewesen ist, erfährt er, dass dieser asiatische Erzfeind wahrscheinlich nicht ums Leben gekommen ist. Der entsprechende Beweis wird in der ersten direkten Gegenüberstellung von Howard nachgeschoben. Es ist nicht unbedingt eine originelle Pulpidee, aber sie unterstreicht Erik Kahns diabolisch gefährliches Wesen. Normalerweise differenziert Howard in den Gegenwartsgeschichten nur bedingt zwischen den Mitgliedern asiatischer Rassen. In diesem Fall schließt sich aber das Afghane Khoda Khan Joan und Steve Harrison an. Khoda Khan wird selbst von der Justiz gesucht, Joan versteckt ihn. Sie ist er eher ein vorsichtig ambivalenter Helfer, dessen Treue zu Joan ihn überzeugt, auch indirekt Steve Harrison bei der Bekämpfung des Erzfeindes zu helfen.

Es ist eine durchaus spannende Geschichte, in welcher Robert E. Howard aber einige Elemente seiner Heroic Fantasy Geschichten vorweg genommen hat. Weniger das Ambiente oder die modernen Waffen, auch kein körperlicher Überheld ermittelt, aber der geheimnisvolle Kult kaum versteckt mit einem anscheinend übernatürlich begabten psychopathischen Anführer, der einige Züge Ming, des Grausamens genauso in sich trägt wie die berühmteste Schöpfung Sax Rohmers. Die Actionszenen sind gut geschrieben.

Das geheimnisvolle schwarze Buch mit den Namen aller Feinde, die automatisch auch tot geweiht sind, gibt dem Plot eine innere Spannung. Das Buch wird zwar eher zu einer Art MacGuffin, nicht unbedingt für den komplexen Verlauf der Handlung nachhaltig relevant genug, aber allgegenwärtig.
Dazu einige handgreifliche Auseinandersetzungen und die Androhung von Folter zumindest der attraktiven Joan. Eine Rettung in letzter Sekunde nicht durch Steve Harrison schließt die bekannten Elemente in Howards Detektivgeschichten ab.

Erik Khan erreicht zwar nicht das Charisma des dominierenden Fu Man Chu mit seinen Weltherrschaftsgelüsten, es ist aber eine solide Inkarnation einen gefährlichen Verrückten, der weniger wieder auferstanden als nur noch abschließend während der ersten Begegnung getötet worden ist. Wie in allen anderen Detektivgeschichten belässt es Robert E. Howard bei Implikationen und liefert keine nachhaltigen Beweise für Magie. Da hatte es Conan schon leichter.

Im Gegensatz zu den ersten routiniert und sich manchmal zu stark wiederholenden Boxergeschichten um Steve Costigan wechselt Robert E. Howard gut die Ausgangsprämissen, auch wenn sich die okkulten Elemente zu sehr ähneln. Steve Harrison ist noch nicht der dominante Überheld seiner Fantasygeschichten, sondern ein intelligenter, körperlich ohne Frage auch kräftiger und mutiger Mann, der aber in allen drei Texten kaum Zeit hat, um selbst beim Erkennen des Täters aktiv zu handeln.

Im Rahmen der Werkschau Robert E. Howards ist es schön, eine weitere Facette seines umfangreichen, heute in einigen Punkten fast vergessenen semirealistischen Werks entweder das erste Mal auf deutsch oder generell neu zu entdecken. Es sind solide bis gute Pulpdetektivgeschichten, in denen Howards dynamischer Stil, seine Fokussierung auf ausgesprochen stringente Plots und die Fähigkeit, aus dem Nichts heraus eine bedrohlich nihilistische Atmosphäre zu erschaffen herausragen.

 

Blitz Verlag

166 Seiten

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