Synners

Pat Cadigan

Mit „Synners“ legt Apex den zweiten Roman Pat Cadigan neu als E Book auf. Ursprünglich im Heyne Verlag unter dem gleichen Titel publiziert ist das Buch für die Neuauflage noch einmal durchgesehen worden. Der Titel erschien 1991 in den USA, sechs Jahre nach „Mindplayers“. Im folgenden Jahr ist das Buch für den Arther C. Clarke Award nominiert worden. Wie „Mindplayers“ hat der Gollancz Verlag den Roman in seine Reihe von Science Fiction Meisterwerken aufgenommen.

 Aus heutiger Sicht muss sich ein Leser vorstellen, dass zwischen der Publikation der bahnbrechenden „Cyberpunk“ Romane William Gibsons oder Bruce Sterlings, der Erneuerung des Science Fiction Genres aus einer gänzlich neuen Richtung, einer kybernetischen „New Wave“ Welle der Science Fiction immer mit einem klaren Fokus auf einer grenzenlosen Kapitalismuspolitik fälschlicherweise symbolisiert am aufsteigenden und nicht aufzuhaltenden Japan sowie „Mindplayers“ als humanistischer Ansatz zum Subgenre und der Veröffentlichung von „Sinners“ sechs Jahre, aber auch ganze Welten liegen. Anfang der neunziger Jahre hat sich der Cyberpunk totgelaufen und wurde wieder von eher klassischer, aber auch klischeehafter Science Fiction abgelöst. Die ökonomischen Großmannsträume Japans brachen wie die Immobilienpreise zusammen. Eine Entwicklung, von der sich das Reich Nippon im Grunde niemals richtig erholt hat. Ohne die Konzentration der Probleme aufs Innere und den Versuch, wieder wirtschaftlich mitzuhalten könnte man fast von einer Parallelwelt sprechen, in welcher Japan die Dominanz, das Ruder der „westlichen“ Welt übernommen hat.

 Daher wirkt der Hintergrund von „Synners“ ein wenig klischeehaft, vielleicht sogar technologisch im Detail, aber nicht hinsichtlich der großen Idee überholt. Es ist wichtig, den Roman aus seiner Zeit heraus zu sehen und die damaligen Entwicklungen im richtigen Kontext zu betrachten. Viel interessanter ist, dass Pat Cadigan sich von der soziologischen Idee einer geistig von innen heraus beeinflussten Gesellschaft – die Mindplayers – verabschiedet hat und „Synners“ diese strukturellen Veränderungen aus der Perspektive eines technischen MacGuffins betrachtet. Diese im Original „Sockets“ genannten Interfacezugänge ermöglichen einen direkten Zugang zum Internet. Dabei geht es weniger um die reine Verschmelzung von Menschen und Maschine bzw. dem Computer, sondern um eine Art grenzenlosen Genuss der allgegenwärtigen Medien.

 Pat Cadigan stellt dar, dass die Menschen quasi in eine Art virtuelle Irrealität fliehen können. Dargestellt wird es nicht selten durch die Nutzung von Rock Videos, aber auch interaktiven Unterhaltungsprogrammen.  Dabei ist der Tenor immer noch modern. Auch wenn MTV an Glanz verloren hat, handelt es sich eher um einen Austausch, wie die Nutzerzahlen auf You Tube beweisen. Die Idee des Musikvideos ist weiterhin allgegenwärtig und das Downloaden schränkt sich ja nicht mehr nur auf den Sound, sondern eben auch auf das Bild Hinzu kommt die Idee der sozialen Medien wie Facebook oder Instagram, auf denen das Privatleben öffentlich einsehbar wird. Pat Cadigan ist hier noch einen Schritt weiter, aber die Tendenz der Gegenwart ist klar zu erkennen.

 Während die Autorin in „Mindplayers“ den Hintergrund ihrer Idee ausführlich an Hand der schrecklichen Folgen für zwei unterschiedlich sich entscheidende Menschen behandelt hat, wirft sie in ihrem zweiten, deutlich umfangreicheren und deswegen auch weniger überzeugend strukturierten Roman die Leser in diese Welt. Weitere Erklärungen für die Entwicklung, Funktionsweise oder Nutzung der „Sockets“ gibt es nicht. Sie sind da und die Gesellschaft unabhängig vom Alter nutzt sie, um ihr impliziert langweiliges Leben aufzufüllen. Wie einige andere „Cyberpunk“ Romane dieser Zeit scheint die zugrunde liegende Technik veraltet. Ohne die Autoren sind den eleganten Weg gegangen und haben ihr Werk „zeitlos“ gemacht, in dem sie die damalige Programmiertechnik, die Möglichkeiten der Speicherung von Daten und schließlich die Erschaffung von künstlichen virtuellen Welten einfach in einem technologischen Niemandsland abgeladen haben, auf dem sie ihre Plots aufbauten. Da viele „Cyberpunk“ Romane auch dem „Film Noir“ nahe gestanden haben, ist diese Vorgehensweise sogar opportun. Niemand fragt, wie das Verbrechen entstanden ist, es geht alleine um die Aufklärung der jeweiligen Tat.

 In technischer Hinsicht wird viel angedeutet, aber viele Hintergründe wie die Datenlinien oder die grenzüberschreitenden Punkte hinsichtlich der Verfügbarkeit von Informationen im Netz erscheinen in einer perfektionierten wie globalisierten Welt altbacken. Zu Beginn führt die Autorin zu viele Handlungspunkte ein. Sie will zu viel in einem dafür nicht ausgerichteten Roman erzählen und verwirrt den Leser mehr als das sie ihn an die Hand nimmt und durch ihre Welt führt. Die Eröffnung in einem Tatoo Studie scheint klassischer Cyberpunk zu sein. Die äußerliche Verfremdung einer Generation von Menschen, die sich innerlich in ihren virtuellen Welten schon vom Establishment abgekoppelt haben. Anstatt diesem Handlungsarm zu folgen – immerhin beginnt „Mindplayers“ auch mit einem kriminellen Coup – springt die Autorin von einem Handlungsbogen zum Nächsten. Versucht diese zu etablieren, ohne den grundlegenden Plot – die Übernahme des Videokonglomerats Eye Traxx durch einen Mediengiganten – ausreichend zu entwickeln.

 EyeTraxx ist eine im Grunde unbedeutende kleine Firma aus dem medizinischen Bereich. Allerdings ist sie auch die Quelle der Sockets. Wirtschaftlich ist es in dieser Form angesichts der Verbreitung der Geräte nicht möglich. Auch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Öffentlichkeit von diesem Hersteller so wenig gehört hat. Schon in den achtziger und neunziger Jahren muss die Idee des geheimnisvollen, natürlich privat finanzierten Herstellers absurd erschienen sein, aber Pat Cadigan spielt die Idee mit einer fast an Ignoranz der Tatsachen erinnernden stoischen Plotentwicklung bis zum „bitteren“ Ende durch. Im Grunde spielt es auch keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass die übernehmende Firma in den Sockets einen Milliardenmarkt sieht. Sie geht einen Schritt weiter als die gegenwärtigen Möglichkeiten der Computeranimation mit ihren Fähigkeiten, Menschen in fast alle Szenarien zu projizieren. Die Übernahme von EyeTraxx hätte allerdings schlimme Auswirkungen auf die ominösen Datenlinien.

 Wie eingangs erwähnt hat die Autoren den Plot auf verschiedenen Handlungsebenen mit zu vielen Protagonisten entwickelt. Stellenweise scheint sie eher durch den Spannungsbogen zu fliegen, immer wieder neue nicht immer notwendige Informationen einzustreuen, bevor sie plötzlich aus dem Nichts heraus einen weiteren Bogen schlägt und eine neue Facette ihrer Zukunftswelt immer aus einer subjektiven persönlichen Perspektive ins Spiel bringt.

 Dadurch wirkt vor allem der Auftakt schwerfällig. Zu viele Geschichten wollen durch das Nadelöhr der Ploteröffnung. Weniger wäre in diesem Fall nicht nur mehr gewesen. Mit ein bisschen mehr Routine hätte man aus der Geschichte positiv gesprochen eine Trilogie machen können, in welcher pro Roman ein Aspekt dieser aus heutiger Sicht greifbaren Zukunftstechnologie inklusiv der entsprechenden Wechselwirkungen hinsichtlich des sozialen Umfelds untersucht werden könnte.

 Als Klischee erweist sich der Hinweis, dass die Rebellen, die Nachkommen der Cyberpunks sich vor allem in der Musikvideoszene versammelt haben. Es gibt dafür keine Argumente. Hinzu kommt, dass die Abläufe bei den Drehs den anarchistischen Idealen dieser Rebellen eher widerstreben. Es ist auch keine Diktatur in Sicht, welche Meinungsfreiheit nur noch in Form von Musikvideos garantiert. Daher macht diese Vorgehensweise keinen wirklichen Sinn. Positiv ist, dass „Synners“ viele Ideen, viele Variationen ausprobiert und die klassischen Klischees von der Errettung der modernen, aber doch maroden Welt durch die Cyberpunkrebellen einer nuancierten Weltanschauung gewichen sind. Qualitativ stilistisch steht „Synners“ an keiner Stelle dem allerdings deutlich dynamischeren „Mindplayers“ nach.  Die Autorin hat sich vielleicht ein wenig zu sehr überstreckt hinsichtlich der verschiedenen Handlungsteile, aber positiv gesprochen hat sie es wenigstens versucht. Und herausgekommen ist in technischer Hinsicht ein Roman, der näher der Gegenwart steht als in den neunziger Jahren der prophezeiten auch angeblich nicht so weiten Zukunft.        

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  • Taschenbuch: 556 Seiten
  • Verlag:  Apex Verlag
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3748510721
  • ISBN-13: 978-3748510727