Die besten Stories von 1942

Isaac Asimov (Hrsg.)

Wieder leitet Isaac Asimov die 1942er mit einem kurzen Überblick über die irreale Welt - die Gegenwart des Lesers - und die reale Welt des Fandoms ein. Ein laufender Gag ist, dass Mel Brooks auch in diesem Jahr noch unter seinem normalen Namen in den USA lebte. 

 Der Zweite Weltkrieg machte es für die Autoren immer schwieriger, Texte zu veröffentlichen. Magazine sind zwar nicht eingestellt worden, aber auch keine neuen Publikationsmöglichkeiten hinzukommen. 

Eine originelle Mischung aus utopischen Roman und tierischer Fabel ist Fredric Browns "Die Sternenmaus". Mitkey, die graue kleine Maus, lebt in dem Haus des aus Deutschland geflohenen Professors, einem unscheinbaren, grauen Mann. Der Professor entwickelt seinen Raketentreibstoff weiter, während sich der kleine Mitbewohner um seine Familie und den Käsevorrat kümmert. Durch einen Zufall entdeckt der Professor seinen Mitbewohner, fängt ihn vorsichtig in einer Mausefalle und zwangsrekrutiert ihn für sein Projekt, den Start einer kleinen Rakete mit dem neuen Treibstoff, die auf dem Mond landen soll. Der Start gelingt, doch das Geschoß landet nicht auf dem Erdtrabanten, sondern auf einem kleinen Asteroiden, der von einer fremden Rasse bewohnt wird. Die kümmern sich um die kleine Maus, heben ihre Intelligenz auf das menschliche Niveau und nach längeren Konversationen schicken sie sie mit dem Raumschiff und einem anderen Treibstoff wieder zurück zur Erde, in die Nähe der Abflugstelle. Intelligent findet sie den Weg zurück (dabei kuriert sie einen Alkoholiker, der der Ansicht ist, daß sprechende Mäuse endgültig beweisen, daß Alkohol gesundheitsschädlich ist) und offeriert dem Professor ein phantastisches Angebot, das die Rattenplage für alle Zeiten beseitigt.

„Star Mouse“ ist eine Mischung aus pulpiger SF (das Raumschiff im Vorgarten, die private Expedition ins All, der schrullige Professor) und Fabel (Tiere fabulieren ihre eigenen Gedanken, sind auf ihrer Ebene intelligent, nehmen den Menschen als Begleiter war) mit einer märchenhaften Verbindung (die Maus wird auf das Intelligenzniveau der Menschen angehoben und beginnt wie ein erfahrener Politiker den Standpunkt seiner Rasse neu zu verhandeln) auf den letzten Seiten. Dabei geht Fredric Brown sehr routiniert vor. Stilistisch geschickt erzählt er sein Märchen, paßt sich den Gepflogenheiten dieses Genres an, am Anfang stehen sehr kurze, sehr präzise Beschreibungen der beiden Charaktere (Maus und Professor), dann folgen kurze episodenhaften Abläufe, bevor mit dem Start ins All die Story mit einem Schuß Humor versehen Fahrt aufnimmt. Brown verzichtet auf lange Dialoge, viele Ereignisse werden in der indirekten Rede beschrieben, das gibt der Story eine gewisse Zeitlosigkeit und macht die einfache Handlung auch noch mehr als sechzig Jahren gut lesbar. Interessant ist die Kombination dieser beiden Genres auf jeden Fall, sie unterstreicht den schriftstellerischen Mut und die Experimentierfreude, die die ersten Arbeiten Browns auszeichnet.

Aus heutiger Sicht ist interresant, dass zwei der Kurzgeschichten - Isaac Asimov und Alfred Bester - nicht nur in dieser Anthologie nebeneinander erscheinen, sondern ursprünglich im gleichen Magazin veröffentlicht worden sind. Weiterhin bearbeiten sie ein vergleichbares Thema aus unterschiedlichen Perspektiven. In Alfred Besters Geschichte sollen Katastrophen der Zukunft durch Eingriffe mittels Wahrscheinlichkeiten in der Gegenwart verhindert werden, während Isaac Asimov ja als Historie den Niedergang einer galaktischen Zivilisation und eine Verkürzung der Phase der Dekadenz von mehreren Jahrzehntausenden auf nur tausend Jahre im Fokus hat.   

„Basis“ von Isaac Asimov – im Original „Foundation“  - fasst die Ausgangslage der bekannten Serie gut zusammen.  Wie mit John W. Campbell abgesprochen sollte es sich um den ersten Teil einer ganzen Serie handeln und deswegen sicherte sich Isaac Asimov mit einem sehr offenen Ende ab.  Fast fünfzig Jahre sind seit der Gründung der Forschungseinrichtung auf einem öden abgeschiedenen Planeten vergangen. An der anderen Seite der Galaxis befindet sich der Gegenpol. Die Öffnung der ersten Zeitkapsel steht bevor, als eines der kriegerischen Königreiche diese neutrale Welt gerne annektieren möchte. Das Ende ist ein Paukenschlag. Isaac Asimov hat nicht nur die Leser ein wenig an der Nase herumgeführt, auch der Psychohistoriker das von ihm zusammengestellte Team. Auf den ersten Blick wirkt der vorgezeichnete Weg eher wie eine Reise nach Absurdistan, erst in den  mehr nuancierten und komplexeren Storys wird Isaac Asimov  den Hintergrund erläutern.

Alfred Besters „Ein Fingerdruck“  zeigt die exzentrische stilistische Verspieltheit seiner späteren Romane und Kurzgeschichten. Die Grundidee ist simpel, aber unwahrscheinlich gut.  Es gibt eine Art Wahrsagermaschine, die ungefähr fünfzig Jahre in die Zukunft schauen kann. Durch eine neue Hochenergiephysik droht das Universum in den darauf folgenden tausend Jahren kommt zerstört zu werden.

Ein Reporter erfährt durch Zufall von dieser Maschine und ihrer Prognose.  Wie bei einigen anderen Geschichten ist die Pointe nicht so überraschend wie der Autor und die Protagonisten denken. Aber der mathematische Ansatz mit dem Ausschalten von Wahrscheinlichkeiten nach einer fiktiven Formal wird interessant beschrieben und die Figuren sind überzeugend charakterisiert worden.

Die längste Geschichte- wie einige andere Texte entweder in den fünfziger Jahren zu einem Roman erweitert oder wie bei Asimov oder Van Vogt in einen Roman eingebaut - ist Lester del Reys "Nerves" aus den vierziger Jahren. Aus der Sicht eines Arztes auf einem atomaren Versuchsgelände werden die drastischen Folgen eines Unfalls beschrieben. Immer mehr Verletzte werden gebracht, die Anlage wird hermetisch durch das Militär von der Außenwelt abgeschlossen und den Arbeitern werden für die damalige Zeit gigantische Summen geboten, um den verschütteten verantwortlichen Ingenieur aus den Trümmern zu bergen. Er alleine kann die atomare Kettenreaktion verhindern. Wissenschaftlich ist die Geschichte inklusiv der abschließenden zeitweiligen "Rettung" eher abenteuerlich konstruiert und entspricht nicht einmal dem technischen Wissen der vierziger Jahre. Darum geht  es Lester del Rey auch weniger. 

Auf der einen Seite zeigt er vor allem auch den Mut der Ärzte, die sich freiwillig in Gefahr begeben, um Menschen zu retten. Auf der anderen Seite beschreibt Lester del Rey die Hilflosigkeit der Politiker, die technisch überfordert mit Maßnahmen aus der Steinzeit reagieren. Die Geschenke der Industrie im Vorwege bei der Planung der Anlage erweisen sich als trojanische Pferde, da die Risiken an keiner Stelle einschätzbar sind. 

Lester del Rey nimmt sowohl den Leichtsinn in Tsernobyl wie auch die katastrophale Kettenreaktion vor allem in "Three Miles Island" vorweg. Positiv, vielleicht sogar naiv ist, technischen Fortschritt alleine als Heilsbringer zu sehen und auf die Intuition Einzelner zu hoffen, die im richtigen Moment den entscheidenden Einfall haben, um eine Art China Syndom zu verhindern. 

In "Nerves" funktioniert diese Erzählstruktur so ausgezeichnet, weil der Ablauf der Katastrophe aus der Sicht eines technisch Unbeteiligten erzählt wird. Mit Kurare steht eines der bekanntesten Gifte als eine Art Heilmittel zur Verfügung, wobei der Arzt auch nicht alle retten kann und die Zahl der Toten dramatisch steigt. 

Das Ende ist ein wenig kontraproduktiv. Nach einigen Diskussionen wird ein natürlich letzter Versuch gestartet, den Atombrand zu löschen. Viel intensiver und erschreckend realistischer ist der Versuch, in die brennenden Gebäude zu kommen. Immer nur für drei oder vier Minuten in Spezialanzügen und trotzdem das Leben aufs Spiel setzend. Hier zeigt Lester del Rey seine eigentliche Stärke als packender Erzähler, wobei in der Romanfassung von "Nerves" einige der schwächeren Teile dieser Geschichte deutlich geglättet und nicht nur extrapoliert worden sind.  

George O. Smith eröffnet mit „Qrm Interplanetary“ eine Sammlung von Geschichten um eine Relaisstation zwischen Venus, Mars und Erde. Sie soll den Funkverkehr leiten.  Der eigentliche Inhalt mit einer erfahrenen Crew und einem neuen, der Aufgabe nicht gewachsenen Chef wirkt eher wie eine Mischung aus Klischees. Positiv ist, dass der Leser die Station und die pragmatische Crew dank der einzelnen Katastrophen genauso kennenlernt wie die technischen Abläufe. Das Ende eröffnet gleichzeitig  den Bogen für die weiteren Geschichten, die vor einigen Jahren als TERRA Taschenbuch gesammelt veröffentlicht worden sind.

Genau wie George O. Smith mit einer für sein Werk typischen Geschichte debütierte im Jahre 1942 Hal Clement mit der Story „Beweis“ („Proof“), die für seine Arbeiten signifikant ist.  Ein Bewohner der Sonne berichtet einem Mitglied einer anderen Spezis von seinem Absturz auf dem Planeten. Es stellt sich heraus, dass der Planet die Erde ist. Der Solarianer kann gar nicht verstehen, wie ein Planet aus fester Materie existieren kann. Auch wenn die Wissenschaft insbesondere für Hal Clement ein wenig konstruiert erscheint, handelt es sich um eine ansprechende Story. Erzählt aus der Perspektive der Fremden ist es weniger der Plot, sondern die Zeichnung der „Charaktere“, welche den Text aus der Masse heraushebt und die Grundlage von Hal Clements Romanwerk darstellt.    

Alfred Elton van Vogt konzentriert sich in „Asylum“ auf ebenfalls einen Außerirdischen, der einen unterentwickelten Planeten vor der Invasion durch eine fremde intellektuell überlegene Rasse schützen soll. Das ist eine der vielen Aufgaben des galaktischen Beobachters. Natürlich ist der Planet die Erde. Wie alle Texte van Vogts expressiv geschrieben mit vielen vordergründig interessanten Ideen, die aber irgendwie abschließend in die Leere führen.  Ein Jahrzehnt später hat der Amerikaner diese Novelle in einen seiner Fugenromane eingebaut und die vorhandenen Ecken/ Kanten geglättet.  Van Vogt ist einer der Autoren, der aus klischeehaften Ideen  immer etwas Originelles erschafft. Wie bei einigen anderen Texten springt van Vogt von einem Einfall zum Nächsten, bevor er sich auf den zugrundeliegenden Plot konzentriert. 

Eine der kürzesten, aber auch besten Horror Geschichten schließt das Jahr 1942 ab. Bekannt ist sie vor allem durch die stimmungsvolle Adaption im Film „Mimic“ von del Toro, aber Donald A. Wollheim bringt auf wenigen Seiten unter dem gleichen Titel das unheilvolle Grauen vor einer unbekannt unter den Menschen lebenden Kreatur – dabei kann es sich auch um eine Mutation der Natur handeln und ist nicht zwangsläufig ein Außerirdischer – auf den buchstäblichen Punkt. 

1942 ist eine weitere empfehlenswerte Anthologie dieser Reihe. Isaac Asimov und Martin Greenberg zeigen repräsentativ auf, wie sich die Science Fiction in dieser wichtigen Ära immer mehr emanzipierte. Viele der Geschichten sind aus den „Best of“ Anthologien der einzelnen Autoren oder als Bestandteile später veröffentlichter Romane – Lester del Rey, Asimov, van Vogt und George O. Smith – zumindest oberflächlich bekannt,  aber in dieser konzentrierten Form sollten die Anthologien Pflichtlektüre für Genre Beginner genauso sein wie für die Routiniers ein Wiedersehen mit literarischen Freunden in einer entspannten Atmosphäre.

 

picture