Der dritte und vierte Teil der Anthologie „Evil Earths“ werden in „Titan 23“ abgedruckt. Für jedes der vier Kapitel hat Brian W. Aldiss eine kurze Einleitung verfasst. Das Herz der ursprünglichen Geschichtensammlung und damit auch des vorliegenden Taschenbuches nimmt Henry Kuttners Pulpnovelle „The Time Trap“ ein, die 1939 veröffentlich sogar für den Retro HUGO nominiert worden ist. Während sie beim Erscheinen der ursprünglichen Anthologie 1975 noch nicht nachgedruckt worden ist, liegt sie inzwischen auch als in den USA als gesonderte Taschenbuchausgabe vor.
Aus heutiger Sicht ist die ganze Geschichte eher ein feuchter Teenangertraum, in deren Verlauf immerhin verschiedene sehr attraktive Frauen entweder dem Helden Mason – einem Archäologen und eines der möglichen Indiana Jones Vorbilder – verfallen, wobei sie nicht selten nackt ausgezogen, von den Tentakeln der Roboter befummelt und schließlich auf Altäre gefesselt werden.
Wie Brian W. Aldiss in seiner Einleitung richtig formuliert, hat Henry Kuttner aus dem Vollen geschöpft. Zweimal nahm er Anleihen bei H.G. Wells, dessen Werk in der Anthologie allgegenwärtig erscheint. Die Zeitmaschine in dieser technisch, latent allerdings auch magischen Form ist eine Extrapolation der H.G. Wells Schöpfung. Die Reise ans Ende der Zeit und die Begegnung mit den kaum noch erkennbaren Nachkommen der Menschheit ist eine Anspielung auf die Schlussszene aus diesem Buch. Auch die Experimente Dr. Moreaus spielen eine wichtige Rolle, wobei aus der Pantherfrau im Roman des Briten die perfekte Leopardenfrau geworden ist. So perfekt, dass man es ihr nicht ansieht.
Aber Henry Kuttner hat auch bei anderen Autoren kräftig Anleihen genommen. Der Mann, der in eine für ihn fremde Welt in diesem Fall auch durch die Zeit fällt, ist ein Ausgangsmomentum sowohl bei Robert E. Howards „Almuric“ als auch den Mars/ Venus Geschichten Burroughs. In allen drei Arbeiten ist der Held nicht nur ein Intellektueller, sondern ein kraftvoller, attraktiver, sportlicher und entschlossener Mann. Die zweidimensionalen Schablonen sind ohne Probleme austauschbar.
Aus Haggards umfangreichen Werk stammt die geheimnisvolle Stadt in der Wüste mit einer einst glorreichen Vergangenheit. Mason fällt ja nicht nur durch die Zeit aufgrund eines parallel laufenden Experiments, er kann auch in die Zukunft sehen. Daher ähnelt das Buch inklusiv der metallenen Monster auch Abraham Merritts Science Fantasy Geschichten.
Natürlich wird auf dem Weg jedes Pulpklischee gestreift. Die technischen Erklärungen sind rudimentär und das alleine aufgrund von Beobachtungen ein Zeitraumschiff nachgebaut werden kann, ist genauso unlogisch wie die Tatsache, dass der Antagonist schließlich mittels Unterdruck trotz eines unangreifbaren Schutzschirms getötet werden kann.
Das Ziel ist nicht die Weltherrschaft, sondern eine kleine Fuge zu kontrollieren, aus der zufällig auch Mason stammt. Kein Wunder, dass er ein doppeltes Interesse daran hat, den Erzschurken zu stellen. Alasa als Königin der ewigen strahlenden Stadt verliebt sich umgehend in diesen aus den dreißiger Jahren stammenden Helden. Nicht als einzige.
Brian W. Aldiss spricht es an. Nackte gefesselte vollbusige Frauen müssen damals die vor allem jugendlichen Leser mehr als die Technik in ihren Bann geschlagen haben. Henry Kuttners Stils ist expressiv, das Tempo der ganzen Geschichte ist mit der Jagd durch die Zeiten so hoch, das kleinere Behelfsbrücken oder inhaltliche Brüche einfach niedergewalzt werden. Der Leser muss sich im Klaren sein, dass er hier eine Geschichte liest, die mehr als achtzig Jahre alt und für den Magazinmarkt hektisch niedergeschrieben worden ist.
Auf der anderen Seite präsentiert der Autor auf einer Seite mehr Ideen als viele der gegenwärtigen Schriftsteller. Wo findet man einen in einem See ruhenden Dinosaurier; eine wiedererweckte dunkle Zauberin, ein Herr von lebenden Toten in der fernen Zukunft; eine magische Stadt mit zahllosen Gesichtern, einen dunklen Schurken mit magischen Kräften; einen Sumerer als tapferen Begleiter und schließlich eine Jagd durch die Zeit und bedingt auch durch den Raum beginnend im vorderen Orient und durch die Erdachse endend in Lateinamerika, wo indianische Ureinwohner wie die späteren Maya „Götter“ nicht unbedingt von den Sternen, aber aus der Zeit anbeten und entsprechende Opfer bringen.
„The Time Trap“ spricht die ältere Lesergeneration an, die sich an ihre eigene Jugend und den nicht selten verbotenen Glanz der Pulpmagazine erinnern werden. Wer sich diese Freude an kindischer, aber von einem hohen Einfallsreichtum geprägter Unterhaltung bewahrt hat, wird mit Henry Kuttner einen idealen Begleiter für die Dauer der Lektüre finden.
Brian W. Aldiss spricht in der Einleitung zum vierten und letzten Abschnitt von den dunkelsten und finalen Storys dieser geteilten Anthologie. John W. Campbells „Nacht“ entspricht am ehesten auch von der Struktur her H.G. Wells Bild der letzten Tage einer sterbenden Erde. Ein Astronaut hat vielleicht durch einen Sommerstoffmangel Visionen einer erkalteten Erde mit degenerierten menschlichen Nachkommen. Wie er in diese „Zukunft“ geschleudert worden ist, ist ebenso wenig klar wie das „Erwachen“ oder die „Rückkehr“ in die Gegenwart, wo ihn seine Kameraden wieder auf der gegenwärtigen Erde zu retten suchen. John W. Campbell zeichnet aber auch ein sprachlich ausgesprochen intensives Bild dieser erkalteten Erde und kommt damit H.G. Wells Visionen vielleicht am Nächsten.
Jack Vance biegt in letzter Sekunde mit „Die Menschen kehren zurück“ ab. Er beschreibt eine exotische, von der ausufernden Flora und Fauna dominierte Erde, auf welcher die Menschen in die Primitivität zurückgefallen sind. Sie kämpfen täglich ums Überleben. Am Ende erklimmen sie die erste kleine Stufe zur Dominanz gegenüber der Tierwelt. Es handelt sich aber um einen schwächeren Text Jack Vances, die Handlung kommt eher schwerfällig in Gang und die Beschreibungen sind im Gegensatz zu Henry Kuttners breitem Pinselstrich oder John W. Campbells düsteren Extrapolationen eher für einen Meister wie Jack Vance eher bodenständig.
Arthur C. Clarke müsste normalerweise die Anthologie mit „Wenn ich Dich je vergesse, Erde“ abschließen. Der Mond wird gerade kolonisiert, als sich die Menschen auf der Erde atomisieren. Ein Vater nimmt seinen Sohn an die Mondoberfläche, damit er zwischen den verharrenden Versorgungsraketen auf die glühende Erde zurückschauen kann. Dabei ist nicht sicher, ob die Menschen auf dem Mond langfristig überleben können. Arthur C. Clarke ist ja wie John W. Campbell ein eher distanzierter, wissenschaftlich orientierter Autor. Trotzdem gelingt es ihm, ein melancholisch wehleidiges Bild der Erde zu zeichnen. Die Mondbewohner wissen die Hintergründe nicht, sie sehen nur die Folgen. Lange Zeit versucht Arthur C. Clarke mit dem seltenen „Aufstieg“ zur Oberfläche den Hintergrund der Geschichte zu verbergen, damit sie den Leser im Gegensatz zu den Protagonisten mit voller Wucht trifft. Diese Vorgehensweise ist aber eher unnötig, da sie den Blick auf die Erde durch die längere Vorbereitung sehnsuchtsvoller erscheinen lässt.
Die frechste Geschichte steuert der Herausgeber Brian W. Aldiss selbst bei. „Die Häresien des riesigen Gottes“ wird aus der als Chronik aufgebauten Perspektive eines erzkonservativen Gläubigen einer neuen Kirchenbewegung beschrieben. Auf der Erde ist anscheinend ein riesiger außerirdischer Astronaut – mehr als 4500 Meilen – gestrandet oder gelandet. Aldiss bleibt vage. Um dieses Gulliver Ereignis herum platziert der Brite einzelne Szenen beginnend vom Glaubenskrieg in mehreren Etappen bis zur Gründung neuer religiöser Gemeinschaften. Am Ende „verschwindet“ der Riese wieder und die Menschen beginnen auf archaische Rituale zurückzugreifen, um diesen Heiland zur Rückkehr zu bewegen. Es ist eine dunkle, brutale Satire auf die verschiedenen religiösen Bewegungen, die in Brian W. Aldiss so sachlich distanzierten Chronikstil nachhaltig die Verdummung der Menschen und ihre blinde Sehnsucht nach irgendeinem ordnenden Element als Manipulation von Priestern oder Predigern entlarvt. Überdreht, fest in den New Wave eingebaut und damit sich von den anderen aus den dreißiger bis fünfziger Jahren stammenden Texten absetzend.
„Evil Earth“ – damit sind die beiden Bände gemeint – ist eine heute in Vergessenheit geratene Anthologie, die von Brian W. Aldiss mit einem Blick auf längst vergessene Texte sorgfältig und qualitativ überzeugend zusammengestellt worden ist. Die jeweiligen Einleitungen zeugen von einer großen Sachkenntnis und einer gewisse Selbstironie.
Originaltitel/Verlag: Evil earths [1975] Weidenfeld & Nicolson [GB]
Herausgeber: Brian W. Aldiss & Wolfgang Jeschke
Verlag/Jahr/Seiten: Heyne / 1985 - 235 Seiten
Reihe: Heyne SF 4171 - Titan 23
ISBN: 3-453-31133-7 ISBN13: 978-3-453-31133-6