Der Herrscher der Tiefe

jacqueline Montemurri

In den beiden von Thomas LeBlanc betreuten Anthologien ist es schon zu verschiedenen Cross Overs mit anderen fiktiven Figuren gekommen. Im siebenten Band der Magischer Orient Reise fügt die Autorin im Grunde sogar drei Begegnungen auf einmal hinzu, wobei sie ihrer schriftstellerischen Phantasie nicht nur immer positiv die Sporen gibt.

Der Titel und der Covertext zeigen deutlich auf, dass Kara Ben Nemsi und seine Getreuen Kapitän Nemo begegnen. Im Roman findet dieses Treffen erst in der zweiten Hälfte des Buches statt. Nicht nur durch dieses immer wieder hinausgezögerte Treffen leidet die erste Hälfte des Romans unter einem starken Spannungsabfall. Die Autorin reiht eine Reihe von Klischees aneinander.

Auf dem Weg zu Hadschi Halefs Heimat erfahren die Gefährten, dass Lord Lindsay anscheinend auf Kreta verschwunden ist. Er wollte den britischen Truppen helfen, ein schwer zugängliches Labyrinth zu untersuchen. Es ist das einzige Argument, dass Kara Ben Nemsi dazu verleitet, schließlich selbst auf die Insel im Mittelmeer zu kommen. Offene Versuche der britischen Armee hat er genauso abgelehnt wie der Entführung auf hoher See lange Zeit wiederstanden. Er sieht sich als unpolitisch an, wobei die Autorin eine gewisse Naivität in seine Worte legt. Zumindest äußert er sich Dritten gegenüber als Skeptiker hinsichtlich der Belange des britischen Empires. Auch die Idee, dass erst die Briten ihn als Führer in einem Höhlenlabyrinth und später Kapitän Nemo als Ingenieur beim Bau einer Unterwasserwerft für eine U Boot Flotte anheuern sollten, erscheint weniger logisch als literarisch konstruiert.

Auf dem Weg dahin verzweigt die Autorin die Handlung ein wenig. Mystische Kreaturen aus den vier Alexander Röder Büchern haben Gastauftritte, wobei wieder das Verschwinden/ die Entführung Halefs inzwischen ein ermüdendes Füllmaterial geworden sind. Niemand glaubt wirklich, dass derartige Hauptfiguren sterben können. Auf der anderen Seite ist sich die Autorin nicht zu schade, dreidimensionale Nebenfiguren im Kampf gegen das Böse zu opfern und dadurch die Leser auch zu schockieren. Es wäre also effektiver gewesen, diesen Nebenfiguren etwas anzutun und sie verschwinden zu lassen als zum Beispiel Hadschi Halef Omar. Old Shatterhand hätte jeden seiner Gefährten auch unter der Opferung des eigenen Lebens gesucht und natürlich gefunden. Aber die Spannungskurve wäre nachhaltiger etabliert worden.

Die Begegnung mit Nemo steht in einem engen Zusammenhang zum Einen mit dem Minotaur, dessen Legende die Insel beherrscht, zum Anderen mit einer zweiten „fiktiven“ Figur, die einen längeren Auftritt hat. Doktor Frank Stein arbeitet nicht nur als Leibarzt an Bord der Nautilus, er ist auch für einige Experimente verantwortlich, mit denen sich Nemo nicht mehr an allen zivilisierten Menschen oberhalb des Wasserspiegels rächen will, sondern vor allem  an den Briten. Auch wenn die Autorin diesem Dr. Frank Stein im Laufe der Handlung neben einem Gewissen auch eine eigene Persönlichkeit gibt, ist die Ähnlichkeit zu Shelleys Vorbild erstens zu groß und zweitens hat hätte er ja viele Jahre früher „gelebt“.

Mehrfach tritt auch Wolfgang Thadewald auf. Die Figur ist dem sympathischen Sammler und Jules Verne Experten aus Hannover nachempfunden. Alexander Röder hat den nicht unbedingt liebenswerten, aber sehr vielseitig interessierten Experten in seiner Tetralogie eingeführt. Jacqueline Montemurri und vor allem Bernhard Hennen in seinem eher aus verkaufstechnischen Gründen hinzugefügten Epilog gehen noch einen Schritt weiter und vermischen Thadewald mit einer anderen historischen Persönlichkeit. Das wirkt überambitioniert und hat schon in Thomas Ostwalds im Blitz Verlag veröffentlichten „Nemo“ Trilogie nicht richtig funktioniert.

Kapitän Nemo ist der bekannte Exzentriker, der unter dem Meer an Erfindungen bastelt, welche die Menschheit niemals in den Händen halten darf, die aber das Instrument seiner Rache sein sollen. Manchmal charmant, manchmal brutal und narzisstisch. Die Zeichnung der Figur wirkt ein wenig extremer als bei Jules Verne, was wahrscheinlich konsequent ist. Kapitän Nemo ist ja inzwischen Allgemeingut. Ein großes Problem ist der Handlungsverlauf, denn unterstellt der Leser, dass die beiden Roman „20.000 Meilen unter den Meeren“ und „Die geheimnisvolle Insel“ wirklich korrekt und selbst in Karl Mays magischen Orient real sind, dann verhält sich Jules Vernes charismatischer Held am Ende erschreckend naiv.

Grundsätzlich beschreibt die Autorin noch einmal die Wunder der Nautilus, das Leben unter dem Meer und schließlich die persönliche Schatzkammer des Kapitäns. Alle Szenen sind unterhaltsam geschrieben worden, alleine es springt der Funke nicht über. Es wirkt so vertraut, auch wenn Kara Ben Nemsi dem Geschehen vielleicht eine etwas andere Note gibt. Es wäre sinnvoller gewesen, den Fisch aus dem Wasser zu nehmen und Nemo vielleicht ohne seine Nautilus in die Handlung einzubauen. Das wäre im Anschluss an „Die geheimnisvolle Insel“ auch sehr gut gegangen.

Das Nemo ohne Skrupel Menschen tötet, in dem er ihre Schiffe rammt und versenkt, ist ebenfalls wenig überraschend. Immerhin hat Kara Ben Nemsi Jules Vernes Romans gelesen und weiß, dass Nemo ein rücksichtsloser Mensch ist.

Die magischen Elemente sind ein wenig schwierig. Alexander Röder hat sie behutsam eingebaut und meistens bis auf die wenigen Funde wie die besondere Kugel oder das Zelt, in dem die Zeit anders vergeht diese Elemente behutsam eingesetzt. Selbst die zaubernden Antagonisten sind auch ohne ihre fliegenden Pferde oder Blitze schleudernden Klauen immer gefährlich gewesen. Scheich Haschim vertritt die Magie und in einer Szene versucht er Nemo zu töten. Diese Sequenz bildet auch das ein wenig steif wirkende Titelbild des Romans. An einer Stelle setzte Nemo schließlich Kara Ben Nemsi aus seiner Sicht sogar berechtigt auf einem sehr kleinen Eiland im Meer zusammen mit Djamila zum Sterben aus.  Es gibt keine Überlebenschance und eine Rettung von dritter Seite ist auch eher unwahrscheinlich. Mittels Magie und in Anlehnung an eine alte griechische Legende gelingt ihnen nicht nur die Flucht, sie kommen wieder an Bord der Nautilus, was Nemo fast stoisch hinnimmt, obwohl Kara Ben Nemsi und Djamila Kräfte an Bord geholfen haben müssen.

Jules Vernes Nemo hätte vor allem angesichts des Ungehorsams und der kontinuierlichen Agitation der Ausgesetzten sie umgehend verschnürt, mit Ketten beschwert und auf dem Meeresgrund versenkt. Sowohl der Bogenschlag zur Magie wie auch die Art der Rettung unterminieren mehr und mehr die Autorität Kara Ben Nemsis, der in Anlehnung an Karl May sich meistens dank seiner Intelligenz und seinen Instinkten aus allen gefährlichen Situationen retten oder von seinen engsten Vertrauten befreit werden konnte. Letzteres ist im übertragenen Sinne auch hier der Fall, aber die Aussichtslosigkeit der Szene wird wie an einigen anderen Stellen des Romans zu einfach, im Grunde auch zu simpel mit einer Art magischen Kniff aufgelöst.

Dem Minotaurus als künstlich erschaffenes Monster fehlt die Tragik, die Tiefe, um mehr als ein Werkzeug zu sein. Dafür ist der Aufwand allerdings zu schade. Es wäre sinnvoller gewesen, die lange und teilweise auch ein wenig langweilige Anreise inklusiv der mehrfache Begegnung mit dem kretischen Widerstand entsprechend zu kürzen und während des finalen Showdowns eine emotionale Komponente einzubauen. So bleibt die Begegnung mit Jules Vernes charismatischen Schurken eher eine Momentaufnahme, die deutlich hinter dem zum Beispiel überzeugenderen Fugenroman „Sklavin und Königin“ zurücksteht.

Wie Alexander Röders Romane leidet „Herrscher der Tiefe“ ein wenig unter dem Drang, Karl Mays belehrenden Exkursen zu folgen und zu viele Nebeninformationen in die Handlung einzubauen. Interessant ist weiterhin, dass die Autoren aber Karl Mays Fähigkeit scheuen, einen Plot auch durch viele Dialoge voranzutreiben. Stattdessen verharren sie in zu langen erklärenden Exkursen und unterminieren den Erzähler, die Identifikationsfigur des Lesers Kara Ben Nemsi zu stark. Die Begegnung mit einer anderen die Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts prägenden Gestalt ist in der Theorie interessant und stellt für die Autoren eine Herausforderung dar, die Jacqueline Montemurri in der vorliegenden Form aber nur pragmatisch bis schematisch, aber leider nicht wirklich innovativ oder überraschend bewältigt. Zu viel Potential wird verschenkt und zu wenige inhaltliche Überraschungen bietet die Autorin vor allem älteren Lesern mit einer gewissen Abenteuerliteraturerfahrung an.

„Herrscher der Tiefe“ ist ein solider Beitrag in die Reihe „Karl Mays magischer Orient“. Als Neueinstieg nur bedingt zu empfehlen, auch wenn das Thema mit den Sklavenhändlern aus dem fünften und sechsten Teil abgeschlossen worden ist. Zu viele nicht unbedingt nachhaltig genug erläuterte Querverweise finden sich vor allem im ersten Drittel des Romans, so dass es sich empfiehlt, mit ein wenig Geduld und Muße die Serie mit dem ersten Buch „Im Banne des Mächtigen“ zu beginnen.   

Der Herrscher der Tiefe: Karl Mays Magischer Orient, Band 7

  • Broschiert: 480 Seiten
  • Verlag: Karl-May-Verlag (19. März 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3780225077
  • ISBN-13: 978-3780225078
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