Befreiung

Peter F. Hamilton

“Befreiung” ist der erste Band der “Salvation” Serie von Peter F. Hamilton. Wer mit dem umfangreichen Werk des Briten nicht vertraut ist, der findet hier eine exzellente Chance, um neu zu beginnen. „Befreiung“ ist die Basis für eine gänzlich neue Serie, die in einem eigens geschaffenen Universum spielt. Hinzu kommt, dass Peter F. Hamilton den vorliegenden ersten Band als Basis nutzt, um eine Reihe interessanter dreidimensionaler Charaktere zu entwickeln. Der Leser darf sich aber nicht von dem Klappentext oder einer kurzen Zusammenfassung des Plots mit heimlich auf der Erde lebenden Aliens, entführten Menschen und einem aufgefundenen Raumschiff täuschen lassen. Diese Elemente sind auch vorhanden, aber was auf den ersten Blick wie ein Klischee erscheint, wird bei Peter F. Hamilton zu einem Teil einer umfangreichen Saga.

Wie in einigen seiner anderen Bücher ist der menschliche Fortschritt kein staatliches Monopol. Es sind nicht selten private Firmen, die mit ihren Forschungen und vor allem einer Portion Eigeninitiative, immer gefordert von einer starken CEO Persönlichkeit, das Alltagsleben der Menschen verändert haben.

Connexion Corp hat basierend auf den Quantentheorien Portale entwickelt, mit denen die Menschen im Grunde ohne Zeitverlust gewaltige Entfernungen überwinden können. Auf einem abgeschieden gelegenen kleinen Asteroiden findet man die Reste eines abgestürzten Raumschiffs, der erste Beweis für intelligentes Leben im All. Natürlich ist das Raumschiff nicht durch die Portale zu erreichen, so dass auch spannungstechnisch irgendwo zwischen opportun und konstruiert angesiedelt ein kleines Team ausgeschickt werden muss, um das Wrack zu untersuchen. Das geschieht unter dem Deckmantel, die Portale und damit die Menschheit zu schützen, da man nichts von den möglichen Gefahren ahnt.

  Der lange Flug in den abgeschieden gelegenen Raum gibt dem Leser die Möglichkeit, die nicht nur für „Befreiung“ relevanten Charaktere kennenzulernen. Yuri Alster ist der Sicherheitschef von Connexion. Callum Hepburn ist ein früherer Spezialist für Entgiftungen bzw. feindlichen Umgebungen. Die Portale haben ja nicht nur Möglichkeiten in den Tiefen des Alls erschaffen, sondern auch entsprechende Gefahren geweckt. Inzwischen lebt er in einer auf dem Papier utopisch kommunistischen Gemeinschaft. Alik Monday ist FBI Spezialisten und Kandara Martinez eine ehemalige Söldnerin und inzwischen die Frau für grobe, illegale Kommandomissionen innerhalb des Konzerns. Loi ist nicht nur ein Assistent für Yuri, er ist der Großenekl des Firmengründers. In der Theorie eine sehr interessante Zwitterstellung, aus welcher Peter F. Hamilton aber abschließend viel zu wenig macht.  Edlund hat das utopische Ideal schon erreicht. Er ist ein genetisch manipulierter Mensch, sowohl Frau als auch Mann. Peter F. Hamilton geht auf die Entstehung dieser nur noch bedingt menschlich zu nennenden Wesen über einen tausend Tage andauernden Zyklus sehr lange ein.

In einer komplexen, aber auch meisterhaft geführten Struktur von Rückblenden und Überblendungen erfährt der Leser nicht nur viel über diese Protagonisten und ihre Stärken wie Schwächen, der Autor hält das Tempo hoch. Dabei erweist sich Peter F. Hamilton teilweise auch al sein unzuverlässiger Erzähler, der absichtlich wichtige weitere Informationen seinen Leser vorenthält, sie aber an keiner Stelle im Gegensatz zu anderen Autoren zu täuschen sucht.  

Während der Flug zu dem unbekannten Raumschiff aus vielen Rückblenden besteht, hat der Autor über diesen Handlungsbogen noch eine weitere Erzählebene gestellt, in welcher sich alles eher als geschichtliche Ereignisse darstellt. Dellian und seine Klassenkameraden leben viele Jahrtausende in der Zukunft. Die Menschheit befindet sich auf der Flucht. Dellian und seine Mitstreiter werden als zukünftige Soldaten gezüchtet,. Ihre Ausbildung verfolgt der Leser, ohne auf den ersten Blick die Zusammenhänge mit der Gegenwart lange erkennen zu können.

Erst mit dem letzten Viertel des Romans als Überleitung zu den nächsten Büchern wird deutlicher, welche Verbindung es zwischen der fernen Zukunft und der Gegenwart der Expedition geben könnte.   

Schlüssel könnte der Prolog sein, in welchem die Außerirdischen Neana eine kleine Gruppe der Ihren zur Erde schicken, nachdem sie ein elektromagnetisches Signal empfangen haben. Diese Zivilisation befindet sich im Grunde auch auf der Flucht. Sie halten sich versteckt, ihre Botschafter haben wenig Ahnung über ihre Herkunft. Der Autor impliziert, dass eine Entwicklung in Richtung Selbstvernichtung nicht im Sinne der Verbündete suchenden Neaner ist. Auch das ist auf den zweiten Blick keine überraschende oder originelle Prämisse.   

Die komplexe, teilweise sogar komplizierte Struktur arbeitet aber nicht immer für den Plot.- Peter F. Hamilton muss mit zwei Problemen kämpfen. Auf der einen Seite ist es unstrittig der erste Band einer Serie und soll im Grunde nur den Boden ebenen. Mit dem in der fernen Zukunft spielenden Handlungsbogen muss er aufpassen, keine Fragen aus der Gegenwart zu beantworten und vor allem diesem Plotteil nicht die Spannung zu nehmen. Selbst für einen Routinier wie den Briten keine leichte Aufgabe, so dass sich einzelne Passagen des Buches unabhängig von der sehr guten Zeichnung der Protagonisten und individuellen Höhenpunkten teilweise schwerfällig lesen.  

An Bord des Raumschiffs sind es die „sozialen“ Hintergründe, welche den Roman von anderen Space Operas positiv abheben. Von Beginn an macht Peter F. Hamilton deutlich, dass die Expedition kommerziell und kapitalistisch ausgerichtet ist. Der Schutz der Menschheit durch die Untersuchung des potentiellen Wracks steht in einem engen Zusammenhang mit der Hoffnung, fremde Technologie zu bergen und entsprechend auch auszunutzen. Dagegen wirken die Mitglieder des utopischen Ideals absolut gruppenorientiert und grundehrlich. Natürlich muss die Handvoll Menschen in den Tiefen des Alls eher zusammenarbeiten als egoistische Ziele verfolgen, aber die lange Reise durch die Einsamkeit des Alls gibt allen Mitgliedern die Möglichkeit zu lernen. Die Zwittergesellschaft mit ihrem freien Geist, aber strengen Regeln hinsichtlich der im Grunde Züchtung der nächsten Generation bleibt positiv deutlich länger im Gedächtnis als einzelne Aspekte der Reise durch das All.    

Spätestens mit dem Auftreten der Olyix als weitere außerirdische Rasse auf der Reise zu ihrem Gott am Ende der Zeit kommt ein weiterer interessanter Aspekt hinzu. Sie haben ihr Wissen, ihre medizinischen Kenntnisse im  Tausch für die Reise notwendige Antimaterie zur Verfügung gestellt. Was anfänglich als Segen für die Menschheit angesehen worden ist, könnte sich als Damoklesschwert erweisen. Auch das ist keine neue Idee und folgt eher der „V“ Strategie.  

Nicht nur die Zusammenfassung macht deutlich, dass Peter F. Hamilton bis auf die angesprochenen sozialen Strukturen auf eine Reihe von Ideen kritisch gesprochen zurückgreifen könnte, welche der Leser beginnend mit dem furchtlosen Anführer Alex in der Zukunft als Hommage an den Terminator; das Teambuilding in der fernen Zukunft ja nach Stimmung als Extrapolation von Heinleins „Sternenkrieger“  oder passender Orson Scott Cards „Ender“ Serie angesehen werden kann. Die Entführungen von Menschen im Austausch gegen Aliens sind aus „Die X Akten“ bekannt. Aliens, die Geschenke bringen, sind ein alter Hut, TV technisch in „V“ auf eine einsame Spitze getrieben. Ein Team auf Flug ins Unbekannte deckt sowohl „2001“ als auch unzählige andere Science Fiction Kinofilme ab. Hinzu kommt möglicherweise ein Fremder in der Gruppe, welcher die Identität eines Menschen angenommen hat.

Zusammen mit dem Ehrgeiz, eine breite Basis für die weitere Serie zu legen und weniger die von ihm selbst aufgeworfenen Fragen zu beantworten wird diese Vorgehensweise viele nicht mit Peter F. Hamilton vertraute Leser abschrecken können. Auf der anderen Seite erweist sich der Brite wieder als zuverlässiger Entertainer mit dem Mut, markante Charaktere zu erschaffen und sich trotz der Vertrautheit der Handlung Zeit zu nehmen, um einzelne bekannte und markante Versatzstücke auch auf den Kopf zu stellen und dem Leser zu demonstrieren, dass er selbst mit den Vorlagen sehr gut vertraut ist.

„Befreiung“ ist schwer als Einzelroman einzuschätzen. Anhänger Peter F. Hamiltons brauchen keine zusätzliche Motivation, sich in den Roman zu stürzen. Es ist wegen der verschiedenen Ebenen keine einfache, auch keine immer zufriedenstellende Lektüre, aber es ein klassisches Epos, in dem alles auf den Kopf gestellt werden kann und  muss, damit es so bleibt, wie es ist. In dieser Hinsicht ist der Brite einer der besten momentan im Genre schreibenden Autoren.      

Befreiung: Die Salvation-Saga 1

  • Broschiert: 656 Seiten
  • Verlag: Piper; Auflage: 2. (4. Dezember 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3492705057
  • ISBN-13: 978-3492705059
  • Originaltitel: Salvation