Clarkesworld 156

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke berichtet in seinem Vorwort ausführlich über die Reise nach Irland und den Weltcon. 

 Eleanna Castroianni spricht über das Ende der Welt in der Science Fiction, wobei sie sich aus ökologische Katastrophen konzentriert. Die entsprechenden Werke werden kurz abgehandelt, Zwischenfazite gezogen und schließlich auf die Gegenwart auf die Klimadiskussion und mögliche Folgen Bezug genommen. 

 Seit vielen Ausgaben hat Neil Clarke zu Lasten eines zweiten Essays den Interviewbereich ausgebaut. Es finden sich zwei Interviews mit Künstlern bzw. Autoren in dieser Ausgabe. Vor allem das Gespräch mit Derek Künsken ist lesenswert, weil über den Tellerrand hinaus gesehen wird. L. X. Beckett dagegen spricht über ihre Entwicklung als Schriftstellerin, wobei nicht ganz klar ist, ob sich aufgrund ihrer Selbstbeschreibung hinter dem Pseudonym eine oder zwei Personen verbergen. Vielleicht spricht sie auch nur wegen ihrer sexuellen Orientierung von sich in der dritten Person. Grundsätzlich ist das Gespräch vor allem für Leser interessant, die schon mit ihren Kurzgeschichten und einem Roman literarisch in Kontakt gekommen sind. 

 Suzanne Palmer eröffnet den September mit "Dave´s Head". Die Autorin lebt von den exzentrischen und doch liebenswerten Charakteren in einer unbestimmten rezessiven Zukunft. Cassie nimmt ihre an Halluzinationen leidenden Onkel und vor allem den Kopf eines gigantischen Spielzeugdinosauriers - dank der Technik kann er reden und vor allem meckern - auf eine Art Roadtrip durch eine wirtschaftlich zusammengebrochene Stadt. Das Bild ist allerdings nicht wirklich einheitlich, denn ja nach Opportunität funktioniert entweder die modernste Technik oder sie geht in einfachen Aspekten nicht.

 Vor allem präsentiert Suzsanne Palmer kein zufriedenstellendes Ende. Wie bei der Büchse der Pandora wird der Konflikt zwischen Vater und Tochter um eine geheimnisvolle Nachricht extrapoliert, endet aber in einer Art Status Quo. Der Leser möchte aber gerne wissen, wie es weiter geht.

 Auch Cassies Boss Ted erinnert dank seiner Eindimensionalität eher an ein pragmatisches Klischee. Durch diese Zugeständnisse kommt neben der fehlenden Grundhandlung keine echte Spannung auf, so dass sich der Leser in erster Linie mit den Protagonisten treiben lassen sollte.  

 Von der Ausgangsprämisse her gehört "Malinche" von Gabriela Santiago zu den besten Geschichten der Ausgabe. Cortez überfällt Mexiko, das aber schon über Elektrizität verfügt. Er erhält ungewöhnliche Hilfe von einer jungen Sklavin. Dahinter verbirgt sich eine historische Figur. La Malinche ist in ihrer Heimat wegen dieser Hilfe umstritten. In der Geschichte lernt sie erst von Cortez spanisch, was die Beiden verbindet. In der Geschichte konnte sie schon die Sprache der Eroberer. In einem anderen Punkt hält sich die Autorin an die Geschichte. Sie war Cortez Geliebte und hatte ein Kind mit ihm. 

 Zumindest teilt die Autorin die Welt nicht in Helden oder Schurken auf. Die Atzeken und Spanier sind beide grausame Herrscher, die egoistisch vor allem das Volk unterdrücken und ausnutzen wollen. Am Ende zeigt sich Malinche nicht unbedingt als die bessere herrschaftliche Lösung, sondern als eine weitere Bedrohung des Volkes.

 Die phantastischen Elemente sind allerdings überzeugend. Menschen werden zu Strom verarbeitet, Roboter aus Ton geformt und belebt.  Allerdings nutzt Malinche ihr Wissen für die Eroberer und Montezuma scheitert wie in der Realität an der eigenen Naivität.

 Vielen Ideen werden ausgesprochen komprimiert präsentiert, auch wenn der historische Hintergrund eher opportunistisch genutzt wird. Die Figuren sind pragmatisch bis dreidimensional gezeichnet worden und der Point of no Return zu einer alternativen Geschichte ist schnell und entschlossen überschritten worden. Am Ende wünscht sich der Leser vielleicht in Form einer Fortsetzung mehr über Maclinches Herrschaft zu erfahren. Nichts gegen offene Epiloge, aber nicht zum ersten und leider auch nicht zum letzten Mal in dieser "Clarkesworld" Ausgabe bleibt der Leser in der Luft hängend zurück.

 M.L. Clarks "To Catch All Sorts of Flying Things" ist eine interessante Space Opera mit einer dunklen Prämisse. Das letzte Mitglied einer außerirdischen Rasse ist getötet worden und Greysi muss für eine von Menschen geführte Gruppe das Verbrechen untersuchen sowie den Täter stellen. Da viele außerirdische Rasse in Frage kommen, sind die Ermittlungen sehr interessant und vor allem exotisch.  M.L. Clark nimmt sich nicht nur sehr viel Zeit, sondern präsentiert viele Ideen hinsichtlich möglicher Täter, aber es sind keine offensichtlichen Motive erkennbar. Rachsüchtige psychopatische Außerirdische wären eine Erklärung, aber so weit möchte der Autor dann doch nicht gehen. Die Antwort ist pragmatisch und nachdenklich stimmend zugleich. Vor allem ist sie aus sich selbst heraus betrachtet stimmig. Während Clark sich mit den Fremden sehr gut auskennt, wirkt sein menschlicher Protagonist unsympathisch und eindimensional gezeichnet, so dass ein wichtiger Teil der Wirkung wieder verlorengeht. 

 Aus China kommt mit "Amorville" eine lesenswerte Geschichte einiger jungen und vor allem auch neuen Autorin Bella Han. Eine junge Frau mit einem stupiden Job versucht sie in ihrer kargen Freizeit mit dem Internet abzulenken und beginnt sich in einen Online Jungen zu verlieben, der zu dreidimensional ist, um eine Simulation zu sein.  Vor allem handelt es sich um die Geschichte einer Süchtigen, die lange Zeit ihr karges Leben im Griff hat und ihr kleines Gehalt gut einteilen kann. Vor allem, weil die Autorin Eva auch keine echte Alternative präsentiert. Ihre Verabredung mit Mr. Qiao läuft lange Zeit zu gut als das sie ebenfalls wahr sein könnte. Am Ende möchte er gerne eine offene Ehe, lange nbevor diese Frage überhaupt gestellt werden sollte. Kein Wunder, dass sie wieder in die virtuellen Arme des perfekten Mr. Right getrieben wird. Ihre Bekannte Seb dagegen hat ihren echten Freund verloren, weil er nicht gegen einen virtuellen Partner konkurrieren wollte und später konnte. Warum sie allerdings sich ein illegales Upgrade besorgt, wird nicht weiter erläutert. Zusammengefasst betrachtet die Autorin ein auch gegenwärtiges Problem, unnötig fast einhundertfünfzig Jahre in eine eher gegenwärtig wirkende Zukunft verlagert mit solide, aber nicht unbedingt dreidimensional oder charismatisch gezeichneten Protagonisten.  

 Sara Saabs "Lapis" ist eine der schwächsten Geschichten dieser "Clarkesworld".  Die Protagonistin betritt anscheinend eine Art virtuellen Raum von ihrer Realität, das nicht nur ein Virus enthält, sondern ihr die Möglichkeit gibt, mit einem ehemaligen Geliebten zu "sprechen".  In Zwischenkapiteln wird die Liebesgeschichte zwischen Szanna und Nouri inklusiv ihrer Trennung aufgrund einer gefährlichen Behandlung für eine Art Unsterblichkeit dank Nanobots ausführlich beschrieben. Die Seuche könnte den Behandelten den Verstand kosten und damit auch die gemeinsamen Erinnerungen auslöschen.  Sara Saab agiert sehr unentschlossen. Nouri wird unsterblich und lässt seine ehemalige Freundin hinter sich, die anscheinend ihn nur stalkt, aber keinen Annäherungsversuch unternimmt. Auf der anderen Seite werden die Gefahren der Behandlung immer wieder angesprochen, aber sie bleiben distanziert und wenig griffig. Letzt endlich sind die Protagonisten eher klischeehaft entwickelt, so dass der Leser sich mit ihnen nicht wirklich identifizieren kann.  

 Beginnend mit dem eindrucksvollen Titelbild handelt es sich bei der Septemberausgabe von "Clarkesworld" um eine der besten Zusammenstellungen seit vielen Monaten. Die Geschichten wirken auch stärker lektoriert und sind thematisch bis auf die immer wiederkehrenden offenen Enden deutlich zugänglicher als die teilweise experimentellen und unbefriedigenden Texte der letzten Zeit.  

 

E Book 

Wyrm Publishing

112 Seiten