Forever 56

Neil Clarke (Hrsg.)

Die Septemberausgabe vom “Forever” Magazine ist im Grunde eine Namensangelegeheit. Drei sehr starke Autoren mit ihren unterschiedlichen, aber auch sehr humanistischen Geschichten prrägen die Ausgabe, während Neil Clarke in  seinem Vorwort nur kurz auf den bevorstehenden Trip – zu Zeiten des Vorworts und nichts des Erscheinens der Ausgabe – nach Irland eingeht.

 Lavie Tidhars „The Memcordist“ spielt im gleichen Universum wie sein Episodenroman „Central Station“. Ursprünglich 2012 bei Night Shade Books veröffentlicht.

 Kaum sieben Jahre später wirkt die Grundidee nicht mehr so neuartig, wie es Lavie Tidhar beschrieben hat. Pym ist ein Memcordist, im Grunde ein Mensch, der seine ganzen Handlungen und vor allem auch Gedanken live und ohne Zeitverzögerung unter seinn zahlungswilligen Followern verteilt. Die sehr kompakt beschriebenen Reisen führen Pym erst mit seiner Mutter, später seiner Freundin Joy bis zu den Monden des Pluto.  

 Ignoriert der Leser Lavie Tidhars Technik und die Idee, zum entferntesten Himmelskörper des Sonnensystem zu reisen, dann könnte Pym auch ein gegenwärtiger Social Media Star sein, der aber zumindest weiß, was Content ist. Im Gegensatz zur „Truman Show“ weiß Pym, dass er kontinuierlich beobachtet wird. Interessant ist, dass Pym quasi das Ende der Parabel zu sein scheint. Die Gesellschaft wendet sich mehr und mehr vom fast morbiden Voyeurismus ab und versucht wieder, eine Art Privatleben zu finden. Auch wenn es zynisch erscheint, dass Pyms intime Momente die höchsten Zugriffszahlen erreichen, scheint klar, dass der Trend sich umkehrt.

 Tidhar versucht diese soziale Wandlung durch den Verzicht auf eine chronologische Erzählung, sondern manchmal ein wenig unübersichtlich erscheinende Zeitsprünge darzustellen und verfängt sich stellenweise in der eigenen Versuchung. Durch die fast ausschließliche Nutzung der intimen Perspektive kann er im Gegensatz zur „Truman Show“ eben nicht einen allgegenwärtigen und dadurch auch manipulierenden Erzähler einbauen. Er muss der Stärke seiner Hauptfigur vertrauen, was auf der intimen Ebene funktioniert, aber bei der Betrachtung der Gesamtsituation eher kontraproduktiv erscheint.   

 Die beste Geschichte dieser „Forever“ Ausgabe ist Maureen F. McHughs „Useless Things“. Wiee in ihren Romanen zeichnet sie ein dunkles Bild der Zukunft, dessen Lichtstrahl nicht selten zwischenmenschliche Beziehungen sind.

 New Mexico leidet unter der fortschreitenden Dürre. Viele menschen haben das Land inzwischen verlassen und die Zurückgebliebenen müssen mit immer härteren Umständen kämpfen. Die Protagonistin betreibt eine kleine Farm, die sie von ihrem letzten Geld gekauft hat. Um sich ein wenig Luxus zu gönnen oder auch nur Geld für die Steuern zu haben, verkauft sie kleine lebensechte Puppen über das Internet. Einer ihrer Kunden bestellt die gleiche Puppe zum dritten Mal, was die Protagonistin nicht nur nachdenklich stimmt, sondern nach einem versuchten Einbruch zu einer Änderung ihrer Geschäftsidee veranlasst.

 Die Autorin zeichnet keine Post Doosmday Zukunft. Natürlich Resourcen wie Wasser sind knapp, um die Ernte zu retten, aber man kann noch ausreichend im Laden kaufen, um nicht zu dürsten. Das Internet funktioniert genauso wie Handys. Kriminalität wird tatsächlich verfolgt, wobei es für die Protagonistin ein Schock ist, das ihre Dankbarkeit – Essen gegen kleinere Arbeiten – ausgenutzt wird.

 Die Geschichte könnte aus in der dritten Welt mit deren unwirtlichen Bedingungen spielen. Die Figuren sind ausgesprochen dreidimensional gezeichnet worden. Anstatt zu jammern suchen sie nach Möglichkeiten, sich den Herausforderungen zu stellen.

Wahrscheinlich wird die neue Geschäftsidee ihr sogar mehr helfen als das Konstruieren von Puppen. Erfahrung hat sie durch ihre Arbeit für eine Comicfigurenproduktionsfirma genug mit ungewöhnlichen Formen.

Unauffällig, intim und doch interessant entwickelt die Autorin auf eine ausgesprochen interessante Art und Weise ihr Szenario, bevor sie auf eine makabre Art und Weise deutlich macht, dass Dankbarkeit nicht immer erwidert wird und zukünftig die Falschen drunter leiden werden.   

  Die längste Geschichte ist eine zeitlose Parabel, in welcher der Autor James Patrick Kelly seinen Lesern auch einiges an Wissen abverlangt. „the Wreck oft he Godspeed“ begingt bedeutungsschwer mit dem Namen des gigantischen Raumschiffs. Die Godspeed hat als erstes britisches Schiff Männer in die neue Welt gebracht, die schließlich Jamestown gegründet haben.

 Der Anspruch ist dieser Novelle ist deutlich höher.  Ein gigantisches Raumschiff mit einem besonderen Passagier an Bord sucht nach für Menschen bewohnbaren Planeten. Adle Santos vertritt dabei die religiösen Ansichten. Er hat bei einem Kirchenessaywettbewerb die Reise an Bord des Raumschiffes gewonnen.

 Für Adle trefffen hier zwei Welten aufeinander. Erzogen in einer christlich konservativen Familie muss er auf der Suche nach neuen Paradiesen, im Grunde auch neuem Leben seine bisherigen fast dogmatischen Vorstellungen über Bord werfen und wird gleichzeitig durch das sehr freizügige Leben an Bord des Raumschiffs in Versuchung geführt.

 Bei einem Weltraumspaziergang werden ihm die Widersprüche vor Augen geführt. Der letzte Schritt zum „Untergang“ des Raumschiffs, wobei James Patrick Kelly mit den Erwartungen nicht nur seines Protagonisten, sondern vor allem auch der Leser spielt. Nicht jeder Untergang ist gleichzeitig das Ende des Seins.      

 Die religiösen Aspekte dominieren, wobei Kelly im Laufe des Plots deutlich macht, dass sein Text näher zu Aldiss „Starship“ oder Gene Wolfes „Buch der langen Sonne“ als normalen Generationenraumschiffgeschichten. Die Protagonisten sind sich ihrer ursprünglichen Aufgabe klar. Je mehr Adle aber über die Vergangenheit des Schiffes und der bisherigen Passagiere – sie erscheinen wie Geister – erfährt, je mehr bricht sein bisheriges religiöses Weltbild zusammen. Aldiss und Wolfe gehen einen ähnlichen Weg, wobei bei Aldiss es eher Traditionen und Rituale sind, die nicht mehr mit der noch funktionierenden Technik harmonieren. Unabhängig von dem zynischen Ende. Am Ende von Gene Wolfes Roman wird eine Art christliche Religion als dominierend bestätigt, weil es in dem Raumschiff keine griffigen Alternativen gibt.

 Kellys Texte leben von den durchaus exzentrischen Charakteren, in diesem Fall nicht nur die andere Freigeister an Bord des Raumschiffs, sondern vor allem dem AI Kapitän, der stoisch die Mission über die einzelnen Schicksale stellt, auch wenn ein Erfolg der Mission nicht garantiert werden kann. Kelly versucht seiner Allegorie eine erstaunliche Tiefe zu geben, während er gleichzeitig eine spannende Space Opera zu entwickeln sucht.

 Er will keine Antworten geben, sondern den Leser wie Adle zum Nachdenken überreden. Dabei bleibt er freigeistig und setzt verschiedene Kontrapunkte. Der Leser muss sich erst an das immer surrealistisch werdende Szenario gewöhnen, da Kelly zu Beginn die fiktive und im Grunde auch „falsche“ Legendenbildung voranstellt, bevor er auf die eigentliche Kernfrage eingeht. Wird der Mensch Gott gleich, wenn er nach Paradiesen in den Tiefen des Alls suchen soll?

 Wie die letzten Ausgaben überzeugen die drei sehr unterschiedlichen Geschichten vor allem durch Originalität selbst bei bekannten Themen wie Generationenraumschiffen oder ökologischen Post Doosmday Plots. Weiterhin ist „Forever“ in einem direkten Vergleich mit dem Muttermagazin die stärkere monatliche Publikation.

Forever Magazine Issue 56 cover - click to view full size

Wyrm Publishing 

85 Seiten