Japan sinkt

Sakyo Komatsu

Der 1973 erschienene und zweimal verfilmte Roman " Wenn Japan versinkt"  erhält nach den Ereignissen um Fukushima eine unangenehme Brisanz. Im Roman selbst werden zwar die drastischen Folgen der stetig zunehmenden Abfolge an Naturkatastrophen eindrucksvoll in Hinblick auf die Bevölkerung und die stolze japanische Zivilisation beschrieben, die Zerstörung der Umwelt allerdings ausgeklammert. Mit "Wenn Japan versinkt" und dem ebenfalls in Deutschland veröffentlichten Roman "Der Tag der Auferstehung" wurde Komatsu zu einem der populärsten Science Fiction Autoren Japans. Auch andere Werke aus seiner Feder sind allerdings ohne das der Westen auf sie aufmerksam wurde, in seiner Heimat verfilmt worden. 

Die drei in Ost- und Westdeutschland veröffentlichten Fassungen basieren allerdings nicht auf dem Originaltext, sondern sind Übersetzungen der auf laut unterschiedlichen Quellen auf dreißig Prozent gekürzten amerikanischen Version. Wie bei zahlreichen Filmen hat der Rotstift in erster Linie die emotionalen Szenen weggekürzt, so dass die vorliegende Fassung auch in ihrer Struktur angegriffen erscheint. Es dauert insbesondere in der Moewig- Taschenbuchausgabe fast siebzig Seiten - die Hälfte des Buches -, bis insbesondere auch die wichtigen Protagonisten - alles Wissenschaftler im Vergleich zu den engstirnigen Funktionären . begriffen haben, dass das Meer Japan verschlingen wird. Die Rettungsaktionen - als größte vaterländische Bewegung seit dem Zweiten Weltkrieg beschrieben mit einem überschaubaren, aber zumindest mutigen Einsatz - werden fast Zweidrittel aller Japaner retten und wirken auf wenigen Seiten zusammengefasst. Im Gegensatz zu den Verfilmungen, die im Schlussdrittel auf der persönlichen Ebene auf dramatische und dramaturgisch interessante Rettungsaktionen zurückgegriffen haben, wirkt das vorliegende Ende des Buches melancholisch, aber auch in einer Hinsicht bemüht. Entgegen dem Fatalismus der japanischen Bevölkerung hat der Autor nicht den Mut, einen der sympathischen wie wichtigen Protagonisten als Held sterben zu lassen. Seine "Wiedererweckung" auf den letzten Seiten wirkt seltsam bemüht und versucht dem ansonsten nihilistischen Plot - im Gegensatz zu den Japanern, in denen der Roman in mehrfacher Hinsicht Urängste vom Untergang der eigenen Identität weckt, verfolgt der westliche Leser das unterkühlt geschriebene Geschehen aus einer voyeuristisch neutralen Position - eine optimistische Schlussnote zu geben.  

Onodera trifft im Roman auf seinen Freund Go. Obwohl ihre Missionen unterschiedliche Wurzeln haben, werden sie am Ende zusammenhängen. Gemeinsam mit dem verschrobenen Wissenschaftler Tadokoro  soll Onodera im einzigen Unterseeboot für die Tiefen des pazifischen Grabens gebaut eine Forschungsarbeit unterstützen. Über Nacht ist vor der Küste eine winzig kleine Insel untergegangen. Go dagegen soll untersuchen, warum die Arbeit an den Gleisen des neuen Superexpresses angeblich wegen Vermessungsfehlern unterbrochen werden mussten. Der erste Tauchgang scheint schon Tadokoros Theorie zu bestätigen. Der Erdmantel ist wieder in Bewegung geraten und das an einer der Reibstellen liegende Japan droht unterzugehen. Und zwar nicht in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten, sondern innerhalb des nächsten Jahres.  

Japan wird aber nicht über Nacht versinken. Es ist viel mehr ein modernes Atlantis, das von Vulkanausbrüchen und Tsunamis naturtechnisch förmlich reif "geschossen" wird, bevor es wie ein Schiff über die nördlichen Inseln immer schneller in den Tiefen des Meeres verschwindet und immer noch unzählige Millionen von Menschen mitreißt. Aus unterschiedlichen Perspektiven schildert der Autor die Katastrophe und rückt dabei sehr geschickt die Leser durch die wichtigen Protagonisten immer mehr in den Mittelpunkt des Geschehens. Anfänglich sind die Zeugen, die über moderne Nachrichtenmedien und ihre Bildschirme frühe Stadion der Katastrophe verfolgen können. Der nächste Schritt ist, dass sie die Naturveränderungen und der Folgen aus einer gewissen Entfernung und zeitlichen Distanz beobachten, bevor sie dank Opferbereitschaft und Rettungsaktionen in den Mittelpunkt des Geschehens rücken. Die Beschreibungen dieser unterschiedlichen Phänomene sind intensiv und gehören auch in der deutlich gekürzten vorliegenden Fassung zu den besten Passagen des Romans. Die Bilder der letzten Erdbeben sind dem Betrachter noch vor Augen. Zwischen dem Erscheinen des Romans und der Gegenwart ist unter anderem in den achtziger Jahren ja auch die Stadt Kyoto dem Erdboden bei einem der schwersten Erdbeben des 20. Jahrhunderts gleich gemacht worden. An diese Ereignisse wird der Leser immer wieder erinnert. Sakyo Komatsu extrapoliert aber das Undenkbare auf einer rein wissenschaftlichen Ebene. Ohne Pathos werden die naturwissenschaftlichen Prämissen den überforderten Wissenschaftlern und dem stoisch fatalistisch seinem Schicksal entgegen dämmernden Volk erläutert. Diese Distanz auf der theoretischen Ebene macht das Geschehen erträglicher. Erst durch die Einbeziehung der wichtigsten Protagonisten in Kombination mit einigen Nebenfiguren, die tragisch emotional geopfert werden, wird das Grauen noch deutlicher erkennbar. Die Perspektive wird immer enger, bevor der Autor sie auf den letzten Seiten als Abschied von Japan wieder erweitert.

Zu den Schwächen des Romans gehören vielleicht die Nebenfiguren. Die Hostess mit dem Herz aus Gold, die eher widerwillig in den Bars arbeitet ist genauso eindimensional wie auch männlicher Hinsicht "perfekt" beschrieben wie die reiche Tochter, die sich Hals über Kopf in den überforderten Onodera verliebt, mit ihm schläft und ihn dann durch ganz Japan sucht. Interessant ist, dass am Ende dieses emotionale Dreieck auf einer sozial verträglichen das Gesicht wahrenden Stufe aufgelöst wird. Die Frauen erscheinen in unmittelbarer Gegenwart der Protagonisten zu devot. Und wenn am Ende des Buches sich die langjährige Dienerin einmal vor ihrem hundert Jahre alten "Herren" entblösst, um ihm noch einmal die Perfektion japanischer Frauen vor Augen zu halten, dann beginnt ein westlicher Leser vielleicht die Nase zu rümpfen. Bei den Männern sind es der Taucher/ techniker Onodera, der eher wie ein williges Blatt im Wind hin und her getrieben wird und der exzentrische, aber sehr gut beschriebene Professor Takodor, welche die Szenerie beherrschen. Onoderas Freund Go ist eher eine Ablenkung, um die menschliche Ebene zu erweitern. Mit dem angesprochenen hundertjährigen reichen Industriellen, der als Abschied vom alten, impliziert kaiserlichen Japan mit den Inseln untergeht, wird der Bogen zu einem Nippon geschlagen, dessen Rückrad noch nicht im Zweiten Weltkrieg mittels der Atombomben gebrochen worden ist. An einer Stelle vergleicht einer der Nebenprotagonisten - rechnerisch müßte er allerdings mit zwanzig Jahren während des Zweiten Weltkriegs inzwischen zu alt für seine Tätigkeit sein - die Feuerstürme der amerikanischen Bombenangriffe insbesondere auf die Hauptstadt mit den Verwüstungen der gegenwärtigen Naturkatastrophen.

Auf der politischen Ebene mit den Verhandlungen gegenüber anderen Nationen hinsichtlich der Aufnahme von japanischen Bürgern zeigt der Autor, was er insbesondere von den Vereinten Nationen als eifersüchtige Vertreter der eigenen Interessen hält: gar nichts. In Australien können sich die Japaner nur mit entsprechendem Technologieexport einkaufen, die Mongolen legen nur auf Bauern wert und alleine die Chinesen wollen mehrere Millionen Japaner aufnehmen, um das eigene Bildungsniveau zu erhöhen. Im Grunde sind die Japaner auf sich selbst angewiesen und schaffen es, zumindest genetisch ihre Kultur zu erhalten, während eine jahrtausende alte Tradition im meer versinkt.   

Zusammengefasst ist "Wenn Japan versinkt" selbst in der vorliegenden stark gekürzten Fassung eine interessante aufrüttelnde Lektüre, die als Vorläufer zu Stephen Baxters Doppelroman "Flut" angesehen werden kann. Viele Aspekte extrapoliert der Brite auf einer globalen Ebene - nur steigt in seinen Bücher das Wasser unaufhörlich, bis alles Land verschwunden ist, während es "Wenn Japan versinkt" nur eine Insel betroffen ist - mit den gleichen Auswirkungen. Nur verfügt er über dreidimensionalere Charaktere, während Komatsus Roman angesichts der neueren Geschichte unangenehm realistischer ist.  

 


Übersetzung aus dem Amerikanischen: Schultz, Klaus, Volk & Welt, Berlin 1987, ISBN 3-353-00119-0

153 Seiten