Clarkesworld 158

Neil Clarke

Neil Clarke spricht über das Leben mit einem Herzschrittmacher und die kleinen gefährlichen Situationen wie die Annäherung an Magnetfelder. Interessanter ist der einzige sekundärliterarische Beitrag, in welchem Sessarego über die verschiedenen „Dracula“ Filme vor allem in einem direkten Vergleich mit Bram Stokers Vorlage schreibt.

Zwei Interviews runden die Ausgabe ab. Arley Sorg spricht mit Susan Palwick und Jacos Weisman. Im direkten Vergleich sieht man die individuelle Vorbereitung des Interviewers auf die Gesprächspartner. Beide Texte sind ausführlich und gehen nicht nur für Einsteiger auf die jeweiligen Arbeiten der Interviewten ein.

 Nach einigen Monaten präsentiert Neil Clarke auch wieder einen Nachdruck. „Perfect Gun“ von Elizabeth Bear stammt aus der Anthologie „Infinity Wars“.

John ist ein psychopathischer Söldner, der in der fernen Zukunft voller lokaler militärischer Konflikte sich ein interstellares Kriegsschiff kauft, die KI Kontrollinstanz hackt und beginnt, auf eigen Rechnung zu operieren. Die Autorin hat sichtlich Freude, ihren Protagonisten als paranoider, egoistischen Söldner zu beschreiben, der auf die einzelnen Aktionen reagiert, sein Verhalten aber niemals kritisch reflektiert. Es ist für den Leser schwer, einen kompletten Überblick über diese ganze Welt zu behalten. Am Ende wird er vor eine schwierige Entscheidung gestellt, die er opportunistisch dem einfachsten Weg folgend löst. Das Ende ist relativ offen. Zu den Stärken gehört neben der exzentrischen Zeichnung des Protagonisten der innere kontinuierliche Monolog, in dem sich John nicht nur für seine Taten, sondern vor allem auch ein wenig zu unschuldig tuend für deren Folgen vor einem imaginären Gesprächspartner rechtfertigt.

 Es schließen sich fünf qualitativ sehr unterschiedliche Geschichten an. Der längste Text ist „Operation Spring Dawn“ von Mo Xiong, aus dem Koreanischen übersetzt. Seit mehr als zwanzigtausend Jahren befindet sich die Derde unter einer Eiskruste. Roboter haben über die Entwicklung gewacht und sich entschlossen, einen genetisch modifizierten Menschen aus den Tiefkühlkammern zu erwecken. Ziel ist es, dass Mensch und Maschine einen Prozess starten, in deren Verlauf die langsame Erwärmung der Erde vorangetrieben werden soll.

 Die ganze Story ist ambivalent. Wie einige aus dem asiatischen Raum übersetzte Texte leidet der Plot unter dem Bedürfnis des Autoren, möglichst viele Informationen nicht nebenbei, sondern dem Leser förmlich aufzudrücken. Der Spannungsbogen wird unterbrochen. Hinzu kommt, dass die Ausgangsbasis der Idee absurd ist. Selbst wenn man eine Stelle zum Schmelzen bringt, setzt dadurch kein globaler Prozess ein. Auch den Treibhauseffekt kann man angesichts der Dicke des Eises nicht unbedingt nutzen, um auf eine absehbare Zeit eine Veränderung der Erdoberfläche herbeizuführen.

 Zu den Stärken der Geschichte gehören dagegen andere sehr gute Ideen. Die organisch elektronischen Hybride als das Beste aus beiden Welten funktionieren im Grunde nicht. Anstatt sich gegenseitig zu befruchten stehen sie sich bei vielen Ideen eher im Weg. Da das Ziel aber bekannt ist, kann sich der Leser auf die Beschreibung dieser exotischen und doch gefährlich verführerischen Erde in der fernen Zukunft konzentrieren.

 Warum die Roboter allerdings keinen erwachsenen Menschen gezüchtet haben, wird das Geheimnis des Autoren bleiben. Dadurch wirken einige der Aktionen und den daraus resultierenden Reaktionen stark konstruiert und nicht natürlich.

 „Sentinel“ von Chang – Gyu Kim ist die zweite aus Asien stammende Geschichte. Auch wenn die Prämisse konträr ist, gibt es auch Überschneidungen.

 In diesem Fall müssen sich die letzten  überlebenden Menschen mit dem stetigen Verlust von Energie auseinandersetzen und entsprechende Opfer bringen.  Die Grundidee ist global. Immer wenn Resourcen knapp sind, besteht die Möglichkeit, unorthodoxe, aber auch unmenschliche Wege zu gehen. Dabei spielt Logik nicht unbedingt eine wichtige Rolle.

 Auch hier überzeugen aber die Kleinigkeiten nicht. Anscheinend stirbt niemand mehr eines natürlichen Todes. Auf der anderen Zeit wird die statische Populationsentwicklung aufgezeigt, die dieser These widerspricht.

 Politisch erscheint die Idee, dass statt einer politischen Diktatur Anarchie eine Alternative wäre fragwürdig, da es um das Überleben einer Gruppe von Menschen in einer extremen Situation geht und dieses so hart es klingen mag andere Regeln benötigen als es jeglicher rechtsfreier Raum ihnen anbieten könnte.

 Es wäre schön gewesen, wenn der Autor eine oberflächliche Lösung angeboten hätte, als einen Standpunkt zu vermitteln, dem selbst seine wichtigsten Protagonisten im Laufe der Geschichte direkt oder indirekt widersprechen.

 „Antarctica“ von D.A. Yialon Spires ist ein weiterer Text, in dem es um das Überleben in extremen Situationen geht. Interessant ist, dass dieser Text einen guten Begleiter zu „Operation Spring Dawn“ darstellen könnte, da hier eine wissenschaftlich absurde, aber in der Story erfolgreiche Art und Weise beschrieben wird, um die gigantischen Eismassen los zu werden. Nur bedrohen die Mikroben in Spires Geschichte die schon sich kontinuierlich aufwärmende Erde, während die Wissenschaftler zusammen mit einem ebenfalls auf der Station arbeitenden Künstler vor allem die Pinguine zu retten suchen.

 Alleine für ihre Aktionen verdienen die Protagonisten Lob. Technisch ist die Story in der Gegenwart angelegt, so dass ihr Handeln auch heute im noch ewigen Eis vonstatten gehen könnte.

 Der Erzähler ist erstaunlich passiv. Auch wenn er sich in den Mittelpunkt stellt, findet er weder die Lösung noch kann er anfänglich den entsprechenden Ansatz verstehen. Die multiglobale Truppe wird erst am Ende vorgestellt, so dass der Leser keinen Zugriff auf die Protagonisten hat und viele zwischenmenschliche Situationen erst rückblickend einen Sinn machen.  

 Gregory Feeleys „Cloud- Born“ nimmt eine alte Idee auf und versucht ihr neue Flügel zu verleihen. Ein Kolonistenraumschiff erreicht nach achtzehn Jahren den Neptun. Eine so lange Reise im Sonnensystem ist schon ungewöhnlich genug. Die an Bord geborenen Kinder sind voller Erwartung, was die Zukunft auf einem Planeten für sie bringen könnte.

 Der Autor hat ein gutes Gefühl, Jugendliche und teilweise Kinder überzeugend ohne Kitsch oder Pathos zu beschreiben. Er ersetzt durch sie weder allwissende Erwachsene noch geht er den einfachen Weg, sie als Helden des Chaos zu beschreiben. Dadurch verzichtet der Autor allerdings auch auf einen Plot und konzentriert sich ausschließlich auf die Protagonisten. Ob der Neptun wirklich als Koloniewelt in Frage kommt, wird genauso wenig erörtert wie der Hintergrund dieses Universums entwickelt wird. Durch die enge Fokussierung auf das Raumschiff und seine Kolonisten werden dem Leser wichtige Informationen vorenthalten, so dass die ganze Geschichte ein wenig eindimensional erscheint.

 Matthew Kessels „Your Future is Pending“ ist eine Cyberpunkgeschichte. Die Reichen und Schönen verbringen ihre Zeit in der virtuellen Realität, während die meisten Arbeiter kaum genug Geld verdienen, um zu überleben. Martha muss für ihren aggressiven und senilen Vater sorgen. Sie versucht einem Straßenhund zu helfen.

 Zynisch erscheint, wie das ganze System sich zu einer Quadratur des Kreises entwickelt, das nicht helfen, sondern die Menschen entmutigen will. Sie sollen zur Aufgabe ihrer Rechte quasi gezwungen werden, in dem sie sich immer zwischen den Telefonschleifen einer Behörde und den immer wieder sie zurückweisenden Terminen der Beamten hin und her bewegen. Matthew Kessel schildert dieses Hase-Igel Rennen sehr intensiv. Auch das Schicksal des Welpen wird insbesondere Tierschützer berühren. Martha ist eine tragische Protagonistin, die weniger hinsichtlich ihrer Liebe zu ihrem Vater als ihrem Pflichtbewusstsein förmlich zermahlen wird.

 Auch wenn nicht alle Antworten des Systems nachvollziehbar sind, handelt es sich um eine lesenswerte provozierende Geschichte, die zusammen mit dem wirklich originellen Titelbild den Höhepunkt dieser Ausgabe bildet, die leider wie die letzten Nummern über sehr viel Durchschnitt verfügt.  

E Book, 112 Seiten

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