Clarkesworld 161

Neil Clarke (Hrsg)

 Neil Clarke eröffnet den Februar 2020 mit einem Rückblick auf seine Operation, sowie die ersten Ergebnisse der Leserbefragung hinsichtlich der besten Geschichten und vor allem auch der besten Titelbilder des Jahres 2019. Hinzu kommt eine sekundärliterarischer Artikel, der sich mit leider zu wenigen wissenschaftlichen Romanzen aus Jules Vernes umfangreichen Werk vor allem im direkten Vergleich mit der jeweiligen Technik auseinandersetzt.

Arley Sorgs sehr unterschiedliche Interviews mit Ken Liu sowie Tochi Onyebuchi unterstreichen den mehr und mehr internationalen Blick Neil Carkes. Während Ken Liu viel über das Ende seiner Seidenpunk Trilogie spricht und erläutert, wie er als Kurzgeschichtenautor ein gigantisches Epos erschaffen hat, ist Tochi Onyebuchis Werdegang vor allem nicht nur als Autor, sondern auch als Mensch eindrucksvoller. Immer wieder zeigt sich, das neben Talent vor allem Durchhaltewillen wichtig ist, um als Schriftsteller erfolgreich zu sein.

 Sechs ausschließlich neue Kurzgeschichten bilden das Herzstück der Ausgabe. Hollis Joel Henry greift ein brisantes Thema in „Outer“ auf. Der Protagonist und andere „September“ genannte Menschen werden wegen ihrer Herkunft diskriminiert. Erst als sie besondere Kräfte erhalten und sich zur Wehr setzen können, werden sie nicht mehr geärgert, sondern gefürchtet. Im Grunde gibt es laut der Autorin keine Alternative als sich gegen dieses Mopping zu wehren und den eigenen Standpunkt mit Gewalt klar zu machen, um die im Grunde naiven und dummen Täter zu beeindrucken oder notfalls zu töten. Eine fatalistische, aber nicht einmal der heutigen Zeit unangemessene Botschaft, ohne das die Kurzgeschichte über die weiteren Folgen der Taten spekuliert. Unterstrichen wird die Nachhaltigkeit der Botschaft durch die Tatsache, dass neben dem gut gezeichneten Toozen seine Mitleidensgenossen dreidimensionaler und interessanter gezeichnet werden als die Täter. Dadurch empfindet der Leser automatisch Sympathie für sie. Das wirkt auf den ersten Blick manipulierend, vor allem weil es impliziert auch als Rechtfertigung ihrer Taten genommen wird.

 Die beste Geschichte ist „Generation Gap“ von Thoraiya Dyer. Auch wenn die Autorin einzelne Aspekte zu wenig nachhaltig ausbaut oder sich gerne Klischees bedient, überzeugt der Plot aufgrund seiner Emotionalität und vor allem wie auch Henrys „Outer“ durch die dreidimensionale Zeichnung der Protagonisten. Der Stamm Wipwai hat sein vielen Generationen ihre Nachbarn bekämpft. Im Grunde weiß niemand mehr richtig, worum es bei diesen Auseinandersetzungen wirklich geht. Wipwai nimmt Kontakt mit den Feinden auf und versucht eine Basis der zukünftigen Zusammenarbeit abseits von kriegerischen Auseinandersetzungen zu finden.

 Die Autorin nimmt sich sehr viel Zeit, den Hintergrund der Geschichte zu entwickeln. Wipwais Stamm ist eher primitiv, aber grundsätzlich nicht arm. Auf der anderen Seite gibt es eine modernere Stadt mit Menschen, die im Grunde im Überfluss leben und nicht auf die Ein-Kind-Politik von Wipwais Stamm angewiesen sind. Wipwai hat nicht viele Möglichkeiten, da vor allem auch das traditionelle, wenn nicht sogar von Scheuklappen dominierte Denken ihrer Älteren jegliche Eigeninitiative unmöglich macht.

 Erschwerend kommt hinzu, das die schwindenden Rohstoffe im Grunde den Stamm zu einem weiteren Konflikt zwingen, um auf dem Gebiet der Anderen überleben zu können. Diese Ausgangsprämisse zeichnet sich erst ab Mitte der Geschichte ab, dient wahrscheinlich zusätzlich dazu, um die Spannungskurve hoch zu halten und Wipwai auch zeitlich unter Druck zu setzen. Bitter ist, dass die Autorin eine evolutionstechnisch logische, aber der Zeichnung der Pro- und Antagonisten widersprechende Lösung anbietet und so jegliche Hoffnung auf eine Änderung von innen heraus hinterfragt. Grundsätzlich handelt es sich aber um die ohne Emotionen betrachtet effektivste Lösung dieser sehr gut durchdachten Geschichte.

 Grace Chan präsentiert in „Jiogsaw Children“ keine unbedingt gute, aber eine interessante Lösung für ein soziales Problem. In einhundert Jahren werden die Kinder quasi aus den Genen nicht nur der Eltern, sondern im Grunde eines Genpools geplant und schließlich auch ausgebrütet. Der Staat übernimmt die Erziehung.

 Die Autorin macht aber zu wenig aus der Prämisse und konzentriert sich auf die Beschreibung der Emotionen ihrer Protagonisten, ohne Lösungen oder gar Alternativen anzubieten. Anscheinend sind aber die Europäer und Amerikaner außen vor. Ob es sich um politische Kritik am chinesischen System der Planwirtschaft handelt, wird nicht deutlich.

 Malena Salazar Macias „Eyes of the Crocodile“ schwankt thematisch zwischen zwei Szenarien hin und her. Die Protagonistin Mandisa muss ihren Stamm verlassen, als bekannt wird, das die Nanobots sie auch infiziert haben. Diese sind für den Untergang der bekannten Zivilisation verantwortlich. Interessant ist, dass Mandisa im Grunde auch wie Grace Chans Protagonistin oder auch Wipwai aus den anderen Storys der Ansicht ist, dass das gegenwärtige soziale Verhalten in diesem Fall den Bots gegenüber falsch ist. Anstatt sich vor ihnen zu verstecken, was technisch schon absurd ist, sollte man sie nutzen. Ohne weitere hintergründige Erklärung verändern sie durch ihr Eindringen Mandisas Körper, schenken ihr aber auch das Wissen der Vorfahren.

 Aus einer anderen Perspektive betrachtet Cooper Shrivastava in „Mandoria“ die Kommunikation zwischen zwei im Grunde fremden „Wesen“. Eine alte Pflanze denkt sehr langsam und nimmt deswegen ihre Umgebung subjektiv wahr. Auf dem Planeten haben sich auch Menschen angesiedelt, deren Zivilisation aber durch die Flora und Fauna bedroht ist. Auch wenn alles aus der „fremden“ Perspektive erzählt wird, kann der Leser relativ schnell die Zusammenhänge erkennen und wird als Ganzes zu wenig überrascht. Das Ende ist pragmatisch und der Autor nimmt im Grunde seiner ökologisch wichtigen Botschaft die Schärfe, in dem er eine absolute Gefahr aus dem Nichts heraus konstruiert.

 Der bekannteste Autor dieser „Clareskworld“ Ausgabe ist Neal Asher mit einer weiteren im Polity Universum spielenden Geschichte. Ivebek ist ein charismatischer Gauner, der schließlich von einer künstlichen Intelligenz überführt und gefangen genommen wird. Natürlich richtet man ihn nicht hin, sondern er wird auf eine gefährliche wie einzigartige Mission geschickt. Am Ende muss Ivebek zwar literarisch durch die Hölle gehen, wird aber zu einem besseren Menschen. Auf der anderen Seite überfrachtet Neal Asher die Geschichte nicht nur mit beiläufigen Informationen, er macht abschließend einen entscheidenden Fehler. Der Leser soll glauben, das eine technische Ausrichtung möglich, aber eine andere grundsätzliche Idee ihnen nicht gekommen ist, um den Kern ihrer Zivilisation zu retten. Zumindest Ivebek muss sie bekannt vorkommen. Es sei denn, er hat sich wie in diesem Fall der Autor eher blind durch das Polity Universum bewegt, in dem dieses Thema mehrmals auch in Form der Drachen angesprochen worden ist.

 Die Februar Ausgabe von „Clarkesworld“ besteht auch vier interessanten, wenn auch nicht immer gänzlich zufrieden stellenden, aber thematisch indirekt auch zusammenhängenden Geschichten, die vor allem auch von der sehr guten Zeichnung der Protagonisten profitieren. Auf der anderen Seite fallen zwei Texte stark ab, obwohl sie grundsätzlich sogar über mehr Potential verfügen als die anderen vier Storys. Es sind vor allem zusätzlich die ausführlichen und vielschichtigen Interviews, welche die Ausgabe überwiegend zufrieden stellend abrunden. Mit Autoren aus den USA, Afrika, China und schließlich auch der Karibik hat Neil Clarke im Grunde eine internationale Ausrichtung erreicht, welche „Clarkesworld“ von den anderen drei großen Magazinen unterscheidet. Vielleicht ist es für die Zukunft sogar hilfreicher , auf längere Übersetzerkooperationen wie mit Südkorea zu verzichten und die Nummern wieder individueller und dadurch auch qualitativ wieder vielschichtiger zusammenzustellen. Die Nummer 161 macht auf jeden Fall Mut für diesen Weg. 

          

www.wyrmpublishing.com

E Book, 112 Seiten