Clarkesworld 163

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke geht natürlich in seinem Vorwort auf die persönlichen Auswirkungen des Corona Virus ein.  Carrie Sessarego geht auf den möglichen Zusammenhang zwischen spekulativer Science Fiction und dem Tarotspiel ein.

Arley Sorgs zwei Interviews mit Martha Wells und Lavie Tidhar sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Während Martha Wells nicht nur über den holprigen Start ihrer Karriere spricht, geht Lavie Tidhar auf seine letzten Arbeiten ein. Beide Gespräche sind ausführlich und führen auch Leute in deren Werk ein, die höchstens mit einzelnen Kurzgeschichten oder Romanen vertraut sind. Hinzu kommt immer ein Exkurs in den persönlichen Bereich.

Insgesamt sechs Kurzgeschichten und Novellen bilden den Kern dieser Ausgabe. Wieder greift Neil Clarke auf keinen Nachdruck zurück.

„Distant Stars“ von P.H. Lee ist eine für das Autorengespann typische Geschichte. Die Grundlage mit dem wissenschaftlichen Experiment ist fragwürdig, weil auch eine unbemannte Sonde es hätte ausführen können.   Sarah Levy ist eine interessante Figur. Neben ihrem Research setzt sie sich mit ihrer Familie auseinander. Dabei ist Sarah Lwevy eine Frau, die zwar weiß, dass Familie und Liebe sehr wichtig ist, sie aber zu ihnen keinen Zugang findet. Die ganze Geschichte wird aus ihrer subjektiven Perspektive erzählt, wobei der Leser nicht an allen Stellen einen Zugang zu dieser Figur findet.

Mehrere Geschichten fallen auch in den Bereich des Science Fiction Horrors. Chen Qiufan „Debtless“ greift dabei auf eine eher bekannte Prämisse zurück. Menschen mit zu vielen Schulden können sich quasi als moderne Sklaven bei der harten Arbeit in Asteroiden verdingen und so ihre Schulden abbauen. Für diese Zeit wird ihr Gedächtnis gelöscht. Natürlich beginnt sich einer der Protagonisten zu erinnern und beginnt seine Situation zu hinterfragen.   Viele Facetten kommen dem Leser vertraut vor. Vor allem das Ende mit der Rückkehr zu Erde scheint alle nebensächlichen Informationen nachholen zu wollen und bremst den bis dahin solide Plot deutlich ein. 

Auch die zweite SF/ Horror Geschichte ist nicht vollkommen nachvollziehbar. „The ThoughtBox“ von Tlotlo Tsamaase impliziert, dass es sich entweder bei der Protagonisten um eine junge Frau oder eine Androiden mit künstlichen Erinnerungen handeln könnte. Die angesprochen Box soll den Menschen helfen, ihre Gedanken aufzuzeichnen und dadurch besser miteinander zu kommunizieren. Ein schwieriges Unterfangen, wenn es sich bei einem Partner um einen Sadisten handelt, der seine „Frau“ gefangen hält und quält. 

Der Aufbau ist interessant, auch die Pointe gut. Das Ende wirkt ein wenig überstürzt, zumal es keinen Hinweis gibt, warum der „Mann“ plötzlich so unachtsam sein sollte. Aber generell hat der Leser das unbestimmte Gefühl, als wenn bis auf die Gedankenbox einiges ihm vertraut vorkommt.

„Airbody“  von Sameem Siddique ist eine interessante, aber nicht ganz zufriedenstellend umgesetzte Idee. In der nahen Zukunft kann man für eine Zeit einen Körper wie bei Air B&B mieten. Arsalan rechnet nicht mit Problemen, als er seinen Körper an eine pakistanische Frau mittleren Alters vermietet. Nur ist sein Profil bei Airbody nicht ganz korrekt und die Frau beginnt ihn unbewusst an die ganzen Chancen in seinem Leben zu erinnern, welche er nicht ergriffen hat. 

Die Beziehung zwischen Arsalan und seiner Mieterin Meena wird vorsichtig aufgebaut. Sie beginnt mit den Sprachbarrieren und endet auf einer gleichberechtigten Ebene. Nach und nach demontiert sie dessen Weltbild und rückt seine angebliche muslimische Lebenseinstellung zurecht.

Am Ende erlebt Arsalan Meevas Liebe zu einer anderen Frau hautnah mit, während Arsalan überlegt, wieder mit seiner Freundin zusammenzukommen.  Arsalan ist allerdings ein sehr unsympathischer unzugänglicher Charakter, so dass seine Wehleidigkeit eher abschreckt. Zumal er seine Fähigkeiten als Gastgeber gnadenlos überschätzt hat.

Henry Szabrankski “Angel Pattern” ist eine von zwei längeren Texten. Die beiden Protagonisten Skink und Percher suchen in einer postapokalyptischen Zukunft nach dem Geheimnis der Weave Technologie in einer legendären untergegangenen Stadt. In deren Bücherei soll es einen Schlüssel geben. Natürlich ist die Stadt nicht verlassen.

Wichtig ist, es handelt sich um die dritte in diesem Universum spielende Geschichte. Relevante Vorinformationen werden in einer Art Schnelldurchgang für die Leser nachgeholt, die die ersten beiden ebenfalls im „Clarkesworld“ Magazin veröffentlichten Texte nicht kennen.  Die beiden Protagonisten werden aber nicht weiter vorgestellt, so dass es auf der charakterlichen Ebene sinnvoll ist, mit den ersten beiden Texten zu starten.

Der Autor folgt dem klassischen Horrormuster. Die Herausforderungen in der verlassenen Stadt werden immer größer, bevor es schließlich zu einer finalen Konfrontation natürlich unter der Erde kommt. Gegen Ende überspannt der Autor aber den Bogen, in dem er Skink zu mächtig erscheinen und damit die Herausforderungen als zu simpel erscheinen lässt.   

Skink ist lange Zeit nur Perchers Helfer, die im Mittelpunkt der Handlung steht,. Zusammenfassend dient sie auch als Mittler zum Leser, in dem es neben Anspielungen auf eine Reihe klassischer Werke auch eine Art indirekte erklärende Kommunikation bis kurz vor dem angesprochenen Höhepunkt gibt.

Zusammengefasst handelt es sich bei „Angel Pattern“ um eine grundsolide, kurzweilige Novelle, deren ganzes Potential aber vom Autoren nicht gehoben werden kann.

Kyle E. Millers Geschichte “A System for Investigating Recapitulation and Evolutionary Novelty” kann an den Titel nicht heranreichen.  In seiner Vision ist die Welt eine Art gigantische Pflanze und jeder Mensch hat quasi eine Art gigantisches Blatt als Heim. Kommunikation findet nur online statt, aber natürlich kann sich die Protagonistin „L“ damit nicht abfinden und geht neue Wege. 

Dabei schreckt die Autorin auch nicht vor Selbstverstümmelung zurück, was anfänglich provozierend wie schockierend ist. Die Idee eines finalen Ausbruchs aus einer auf den ersten Blick idyllischen Welt ist nicht unbedingt neu, wird aber sehr überzeugend dargestellt.

Aus der Entfernung machen die Szenen aber keinen nachhaltigen Sinn und lassen die Protagonistin sogar verrückt erscheinen. Hinzu kommt ein anderer Aspekt. Die heilende Wirkung der Pflanze wird ambivalent eingesetzt, um den Plot entweder voranzutreiben oder Hindernisse aufzubauen, die eher theoretischer Natur sind.

Diese Uneinheitlichkeit mit einigen weiteren um ihrer selbst willen provozierenden Szenen unterminieren die Absicht des Autoren nachhaltig.

Zusammengefasst präsentiert sich der April wie das sprichwörtliche Wetter. Einige gute Texte stehen einigen eher durchschnittlichen Geschichten gegenüber. Alleine das ansprechende Titelbild ist wieder ein Blickfang. 

 

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E Book, 112 Seiten