Forever Magazine 55

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke präsentiert ein längeres Vorwort, in dem er auf seine Worldconpläne in Europa eingeht. Bei den Nachdrucken greift er dieses Mal zweimal auf „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ zurück.

 Im Mittelpunkt steht C.C. Finlays „The Political Prisoner“  aus dem Jahr 2008. Dabei handelt es sich allerdings um die direkte Fortsetzung zu „The Political Officer“, welche der jetzige „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ Redakteur sechs Jahr vorher im gleichen Magazine veröffentlicht hat. Beide Geschichten basieren aufeinander. Zwei werden entsprechende Informationen nachgeholt, aber vor allem die kommunistisch ausgelegte Diktatur einer kleinen Gruppe von Oligarchen lässt sich aus dem vermeintlichen Blickwinkel der Täter besser verfolgen als aus dem der Opfer.

Es wäre effektiver gewesen, die bisher sehr starre Aufteilung zwischen einer Novelle und zwei längeren Kurzgeschichten zu durchbrechen und die beiden für den HUGO und Nebula nominierten Novellen in einem „Forever“ Magazine nachzudrucken. So bleibt einer neuen Lesergeneration im Grunde nichts übrig, als den ersten Teil zu suchen und ihn vor allem zuerst zu lesen.

 Die Menschheit hat zwar die Tiefen des Alls erobert und ist auch in der Lage, mit ihren Raumschiffen schneller als das Licht neue Planeten zu erreichen und zu besiedeln. Trotzdem ist der politische Geist genau wie der Hass auf die Außerirdischen mit zu den Sternen gewandert. Der Planet ist zwar kolonisiert, aber noch nicht gänzlich der menschlichen Zivilisation angepasst worden. Einzelne Gegenden sind herausfordernd, wobei C. C. Finlay auf extreme klimatische Zonen verzichtet und diese Fortsetzung in einem Gebiet spielen lässt, dass an die Wüsten der Erde erinnert.

Im Grunde spielt der Hintergrund der Storys auch keine wichtige Rolle. Sie könnten immer und überall spielen, wo anders denkende Menschen unterdrückt, versklavt und hingerichtet werden.

Sowohl die sowjetische Vergangenheit als auch die teilweise extreme chinesische Gegenwart  - von Nordkorea gar nicht zu sprechen – dienten als Vorlage dieser Geschichte. Maxim Nikomedes steht in beiden Geschichten im Mittelpunkt. Er ist ein Spion, ein im ersten Teil williger politischer Offizier, der sich nicht zu schade ist, auf der einen Seite Gefangene zu brechen und auf der anderen Seite mit seiner Untergrundarbeit irgendwo zwischen reiner Spionage aber auch Sabotage den Gegner zu unterminieren und von ihnen heraus zu zerstören.

In der ersten Geschichte war er ein Mann der Tat. Zurückgekehrt nach Jerusalem – Finlay impliziert die Idee einer orthodoxen konservativen Regierung und lenkt damit ein wenig von den nicht offensichtlich religiösen kommunistischen Machenschaften ab – wird er verhaftet. Man schickt ihn in eines der Arbeitslager, in denen die Menschen weniger umerzogen, sondern langsam zum Wohle der Gemeinschaft sterben sollen.

Maxim oder besser Max ist ein Mann mit Vergangenheit. Er weiß genau, wann es sich lohnt, Widerstand zu leisten und wann schweigen besser ist. Ihm bleibt nur übrig, lange Zeit auf die Umgebung zu reagieren, seinen eigenen Willen zu unterdrücken und verzweifelt zu überleben.

Die Grausamkeiten gegenüber nicht nur den Außerirdischen Gefangenen, sondern allen Menschen beschreibt Finlay in einem drastischen, aber positiv auch teilweise distanzierten Stil. Wie Max kann der Leser die Geschehnisse verfolgen, aber sie nicht wirklich verarbeiten. Finlay hat wahrscheinlich auf eine Reihe von Beispielen der irdischen Geschichte zurückgegriffen.

Das Ende ist bedingt zynisch. Vielleicht wird es dem Protagonisten abschließend wieder zu einfach gemacht. Da immer eine Distanz zwischen dem Leser und dem Protagonisten besteht, ist nicht zu erkennen, ob er aus den Vorfällen für sich persönlich gelernt hat oder es ihm egal ist, das jetzt eine andere Gruppe betroffen ist. Seine Anweisungen lassen das Zweite befürchten.

C.C. Finlay verzichtet auf eine abschließende Auflösung. Eine weitere Fortsetzung hätte der Serie gut getan. Über die einzelnen politischen Hintergründe erfährt der Leser so gut wie nichts. Wie mit einem Vorschlaghammer werden ihm beginnend mit der Hinrichtung eines angeblichen Rädelsführers gleich zu Beginn die politischen Irrealitäten um die Ohren gehauen. Der Autor verweigert seinen Lesern ein Gesamtbild und Max „vertraut“ als Identifikationsfigur seinen passiven Begleitern zu wenig, um mehr als nur einen Blick in sein Inneres frei zu geben.

Es ist eine zeitlose, kraftvolle und brutale Parabel auf die zahlreichen Regime, die immer noch auf der Erde ihr Unwesen treiben und eine Warnung an die „freie“ Welt, davor die Augen zu schließen. Finlay bietet keine abschließenden Lösungen an, er macht ein klein wenig Hoffnung, in dem er auf den natürlichen inneren Zerfall dieser Diktaturen hinweist.

 „The Political Prisoner“ ist eine würdige Fortsetzung des deutlich kraftvolleren und ambitionierten „The Political Officer“ gewesen, ein kombinierter Nachdruck der beiden Novellen allerdings in einer „Forever“ Ausgabe hätte diese Reihe auf ein gänzlich neues Niveau gehoben.

 Andy Duncan hat für „Close Encounters“ – die Geschichte stammt ebenfalls aus „The Magazine of Fantasy & Science Fiction“ des Jahres 2012 – den Nebula erhalten.  

Die Geschichte basiert auf den letzten Jahren Buck Nelsons, der mit seinen Berichten von Besuchern aus dem All – Männer, Frauen und Hunde – sowie seiner Reise zu den verschiedenen Planeten eine gewisse, kurzzeitige Berühmtheit errungen hat. Die Besucher sind gegen alle wissenschaftlichen Erkenntnisse angeblich vom Mars und der Venus gekommen. Zu einer Zeit, als Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ für Furore sorgte, besuchte eine Reporterin Buck Nelson in seiner abgeschieden gelegenen Hütte. Nach jahrelangem Spott will sich Buck Nelson nicht mehr äußern und der Besuch eines Treffens von UFO Gläubigen in seiner Nähe wird zu einem Fiasko.

Vor allem Buck Nelsons Charakter kann überzeugen. Auch wenn sie Handlung bis zum süßsauren Ende ein wenig vorhersehbar erscheint, ist es die Zeichnung der agierenden Personen sowie eine authentische Beschreibung der damaligen Zeit mit den populären George Lucas und Steven Spielberg Filmen, die auch heute noch überzeugt.

Andy Duncan liefert wie Buck Nelson keine überzeugenden Argumente, nicht einmal erdachte Beweise. Alleine der Rückgriff auf einen für dieses Subgenre so typischen Trick könnte unterstreichen, dass tatsächlich Besucher aus dem All nicht nur Buck Nelson, sondern auch andere literarische Populisten besucht haben. Beweise gibt es nicht und wird es auch nicht geben.

 Elizabeth Bear präsentiert mit „Skin in the Game“ die kürzeste Arbeit dieser „Forever“ Ausgabe. Neon White ist eine populäre Sängerin, deren Ruhm in der nahen Zukunft zu verblassen beginnt. Ihre Shows sind zu stereotyp. Der nächste Schritt wäre eine Art Maschinenempathie, ihre Fans könnten mittels ihre Emotionen direkt teilen. Interessant ist, dass Elizabeth Bear lange Zeit eine absichtlich falsche Spur legt. Der Leser erwartet, dass beim ersten Auftritt etwas schief und sich Neon Whites Skepsis bewahrheitet. Auf der anderen Seite ist sie schon aus heutiger Sicht hinsichtlich der Interaktion mit ihren Fans weit, so dass ihre zeitlich auf die Konzerte beschränkte intime Kommunikation mit ihren Fans nur folgerichtig, aber nicht gänzlich neu wäre.

Das kriminalistische Element inklusiv der entsprechenden Auflösung wird zu spät in die Handlung eingebaut. Der Leser wird ein wenig überrumpelt. Hinzu kommt, dass die Autorin zwei Punkte ignoriert. Ein Mord bleibt ein Mord und wird unabhängig von der sozialen Klasse von der Polizei untersucht werden, da er sich durch das Verhalten der Protagonisten auch nicht mehr vertuschen lässt. Die andere Frage wird nicht gestreift. Wie weit darf die Software die Persönlichkeit ihres Trägers beeinflussen und gibt es bei legal erhältlichen System nicht eine moralische Grenze? Diese beiden Punkte hätten wahrscheinlich in Form einer Novelle bessere und nuancierter abgehandelt werden können und müssen.

So bleibt eine interessante Kurzgeschichte allerdings voller unsympathischer Charaktere, die am Ende ihren roten Faden verliert und zu den eher durchschnittlichen Arbeiten der so begabten Autorin gehört.

 Zusammengefasst präsentiert sich „Forever“ Magazin weiterhin in starker Form. Mehr und mehr werden diese Art der Nachdrucke im Hauptmagazine „Clarkesworld“ vermisst. Allerdings wäre es eine perfekte Ausgabe gewesen, wenn Neil Clarke manchmal die zu starren selbst auferlegten Grenzen ignoriert und mit zwei Finlay Novellen eine wahrlich einzigartige Ausgabe erschaffen hätte.    

Forever Magazine Issue 55 ebook by Neil Clarke,C.C. Finlay,Elizabeth Bear,Andy Duncan

E Book 112 Seiten

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