Clarkesworld 164

Neil Clarke (Hrsg.)

In seinem Vorwort berichtet Neil Clarke von den Veränderungen, die Corona meistens eher negativ für die Menschen bringt, die nicht nur für sein Magazin arbeiten.

Die beste sekundärliterarische Arbeit ist Mark Coles Streifzug durch die Science Fiction Spielzeugwelt beginnend mit der Buck Rogers Serie. Wundervoll unauffällig recherchiert und gut geschrieben versetzt der Beitrag einige Leser in seine Jugendzeit zurück.

Arley Sorg führt wieder zwei sehr ausführliche und persönliche Interviews. Lois McMaster Bujold berichtet aus der notwendigen altersweisen Distanz über die Beginne ihrer Schriftstellerei, ihre Inspirationen und schließlich auch über ihre Liebe zu Anime Serien.  Tamsyn Muir ist ein Name, der eher Insidern bekannt ist. Die junge Frau scheint aber ihre Ängste in ihren Geschichten auszudrücken. Ihre Antworten sind sehr persönlich und stehen dadurch in einem Kontrast zu McMaster Bujold, die vieles zu leicht relativiert und dadurch manchmal einen an Interviews fast wenig interessierten Eindruck hinterlässt.

Sechs Geschichten ohne Nachdrucke präsentiert Neil Clarke. Ashleigh Shears eröffnet mit „What  happens in Solarium Square 21“  für den angloamerikanischen Raum. 

Eine Gruppe von Robotern versucht ihren Verkauf zu verhindern, indem sie die Illusion erschaffen, dass ihr Besitzer noch lebt. Die Nachbarn sind aber neugierig, so dass sich die Maschinen einiges einfallen lassen müssen, um allzu neugierige Nachbarn abzuwimmeln.

Der Leser muss allerdings die Grundprämisse akzeptieren, das emotionale künstliche Intelligenzen erschaffen worden sind, die über ihre Grundprogrammierung hinaus schauen können. Dann müssen die Menschen aber auch mit den entsprechenden Folgen leben und sie quasi auf eine Art zwischenmenschliche Stufe stellen.

Die Charaktere sind ausgesprochen gut gezeichnet worden. Die künstlichen Intelligenzen wirken „menschlich“ und die Geschichte wäre noch überzeugender, wenn ihre Herkunft nicht von Beginn an offenbart wird. Die Konfrontation mit dem Hectorbot als Antagonist ist gut vorbereitet. Sein Auftreten ist überzeugend. Dadurch wirkt der Spannungsbogen sehr viel effektiver und abschließend die Pointe vielschichtiger. 

Mehrere Geschichte setzen sich mit gefährlichen oder gefährdeten Ökosystemen auseinander.  „Albedo Season“ von Ray Nayler spielt auf dem Mond eines gigantischen Planeten. Die Siedlung lebt von den riesigen Bäumen, die von einem Pilz befallen werden und abzusterben drohen.

Der Autor konzentriert sich auf die exotische Biologie. Allerdings leidet die Geschichte in einem stark konstruierten Aufbau. Sonay berichtet sehr umständlich. Sie kommt nicht auf den Punkt und der Protagonistin fällt es schwer, die Dramatik in einfache Worte zu fassen. Vor allem spricht sie vor der Ratsversammlung.

Das Ökosystem wirkt allerdings sehr stark konstruiert. Natürlich kann sich jeder Autor künstlerische Freiheiten nehmen, aber unterstellt man, das der Pilz in regelmäßigen, mehrere hundert Jahre umfassenden Zyklen auftritt, dann wirkt es bei einer Welt, die vollständig von Wald von den Polen bis zum Äquator bedeckt ist, wie eine Bedrohung auf dem Reißbrett.  Der Pilz kann sich ja ohne Gefahr global ausbreiten, es gibt nichts, was ihn aufhält. Aber Feuchtigkeit/ Niederschlag kann in dieser Konzeption nicht den Boden erreichen und irgendwann haben die Wälder wirklich alles überwuchert und müssten angesichts der knappen Resourcen absterben.    

Der Titel ist großartig. Jy Yangs „A Stick of Clay, in the Hands of God, is infitive Potential“ bietet aber eine doppelte Ironie, den Stick ist der Name eines der Charaktere und nicht nur ein Haufen. Er führt die Phoenix im Kampf gegen Apostaten. Stick ist ein ambivalenter Charakter, der sich zwar auf die finale Schlacht freut, aber nicht unbedingt wie ein Mensch agiert.  

Der Charakter wirkt allerdings nicht dreidimensional genug, um zu überzeugen. Manche seiner Emotionen erscheinen konstruiert, um der Geschichte eine aufgesetzte Tiefe zu geben.  

Wie die Roboter in der Auftaktgeschichte sieht sich Stick als menschlich an. Dabei bleibt seine Beschreibung frustrierend ambivalent. Auch das Geschlecht will er nicht definieren. Diese Unentschlossenheit zieht sich durch die ganze Geschichte.

So wird nicht beantwortet, warum nicht fast endlos mehr Wesen produziert werden können oder welche Wurzeln der Konflikt hat. Das Ende ist solide, aber auch nicht inspirierend, so dass der Leser eher frustriert angesichts des verschenkten Potentials mit einem großartigen Titel zurückbleibt.      

Vajra Chandrasekeras "The Translator at Low Tide" handelt vom Unrtergang Sri Lankas durch die steigender Meeresspiegel und vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass die meisten Menschen die Insel inzwischen verlassen haben. Wie bei vielen dieser Texte bleibt dem Erzähler nur übrig, die Tatsachen festzustellen und die Entwicklungen zu kritisieren, anstatt aktiv gegen zu steuern. Das Bild ist erschreckend realistisch und unterstreicht, wie stark die sozialen Komponenten auch von einer aktiven Umwelt abhängig sind. Die Nebenfiguren sind allerdings eher schematisch und dem Plot unterworfen pragmatisch gezeichnet worden. 

Um Sprache geht es auch in der koreanischen Geschichte "The Language Sheath" von Regina Kanyu Wang. Ein Teenager kehrt nach Hause zurück. Er hat Schwierigkeiten, mit ihrer Mutter auf Augenhöhe zu sprechen, obwohl diese gerade an einem automatischen Übersetzungssystem arbeitet, mit dem es möglich ist, mehrere Sprachen zu sprechen und vor allem auch die Brücken zwischen den Einheimischen und im Grunde der großen technokratischen Welt zu schließen.

Der technische Hintergrund der Geschichte ist ausgesprochen gut. Die Autorin dankt Ken Liu für seine Unterstützung und vor allem gelingt es ihr, dem Leser die Schwierigkeiten, die zu transferierenden Datenmengen und schließlich die notwendigen Ansätze sehr gut darzulegen. 

Während die Mutter aufgrund ihrer Arbeit sprachlich auf einer gänzlich anderen Ebene agiert als ihr Sohn, kann sie die Brücke zu ihm nicht mehr aufbauen und sieht in seiner zu simplen Sprache und seinem begrenzten Wortschatz eine Art Minderwertigkeit. Es ist erstaunlich, dass der Protagonistin angesichts der Komplexität ihrer Arbeit der emotionale Schlüssel fehlt, um den Sohn zu verstehen und ihn als Beispiel für andere Menschen zu nehmen. Der Sohn rebelliert über seine Ausdrucksweise gegen die Mutter. Hinzu kommt, dass der Hintergrund der Story mit den Ureinwohnern ambivalent beschrieben worden ist. Die Autorin versucht im Grunde unnötig die Science Fiction Elemente zu verstärken und unterminiert damit ihre emotionale Botschaft.

Um das Stammeserbe geht es auch in Bo Balders "Quantum Fish". Havi kehrt nach vielen Jahren und aufgrund eines Erlebnisses in einem Fischrestaurant auf ihrem Heimatplaneten zurück. Sie will herausfinden, warum die Fischer keine Fische mehr fangen und damit ihre eigene Existenz zerstören. 

Der größte Teil der Geschichte nimmt Havis Suche nach Erklärungen ein, wobei sie nicht unbedingt nett von den Resten ihrer Familie aufgenommen wird. Ihre Schwester zeigt sie unter anderem auch wegen Diebstahl an.  Vage Hinweise schlagen den Bogen nicht nur zu einem besonderen Bauwerk, sondern den Katabiotics, die vor vielen Jahren immer wieder Menschen angegriffen haben. Dann gibt es wieder Menschen, die Havi nicht nur helfen, in dem sie ihr Ausrüstung leihen, sondern sie auf den Weg zur Lösung bringen, obwohl die Folgen unabsehbar sind. Die einzelnen Positionen arbeitet die Autorin zu wenig überzeugend heraus. 

Darüber hinaus versucht die Autorin aber eine weitere Science Fiction Schiene in den Text mit einem Quantum System einzuziehen, bei dem sie den Lesern nicht genug Raum zur eigenen Spekulation gibt. Dabei ignoriert sie gegenwärtige Forschungen und versucht mit viel Willen zur Konstruktion eine Bedrohung zu erschaffen, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat.

Unabhängig vom wieder sehr schönen Titelbild beibt die Mai Ausgabe eher ambivalent. Viele Ideen treffen auf eher durchschnittliche Ausführungen und nicht selten wirken die einzelnen Protagonisten zu sehr entwickelt als natürlich beschrieben. Einige Texte erscheinen auch in der bearbeiten Form von Neil Clarke ausgesprochen sperrig. Positiv ist weiterhin, dass sich in "Clarkesworld" mehr und mehr die Welt trifft und der Herausgeber Wert legt, die verschiedenen Kulturen mit einem asiatischen Schwerpunkt von der Zukunft erzählen zu lassen. In dieser Hinsicht gibt es kein zweites Magazin auf dieser Erde. 

 

cover

E Book 122 Seiten

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