Wie in der Oktober „Clarkesworld“ Ausgabe geht Herausgeber Neil Clarke auf den Tod seines Verwandten ein und weist die Leser noch einmal darauf hin, regelmäßig zu den Kontrolluntersuchungen zu gehen.
Die Aufteilung der Ausgabe folgt den bekannten Mustern. Eine Novelle und zwei Kurzgeschichten. Nur John Chus „Close Enough for Jazz“ aus der Anthologie „the Mythic Dream“ ist dabei schwer zugänglich.
Emily und Hock entwickeln ein neues Körperanpassungsprogramm. Erstaunlicherweise schränken sie die Zielgruppe dem Plot geschuldet stark ein. Nur reiche Menschen sollen es nutzen, die einen perfekten Körper haben wollen.
John Chu kennt sich anscheinend mit der Suche nach dem Geld der Private Equity Investoren aus. Emilys Bemühungen, ihre Idee zu präsentieren und die entsprechenden Finanzierungsgelder zu erhalten wirkt authentisch und verleiht der Geschichte aus einen sehr realen Rahmen.
Auf der anderen Seite schränkt der Autor die Nutzung dieser Entwicklung zu stark ein. Anscheinend fokussiert er sich unnötig auf die reichen Menschen, obwohl das implizierte Nutzungsfeld sehr viel größer sein kann und sein sollte. Erstaunlich ist, das vor allem die potentiellen Investoren in dieser Hinsicht auch sehr beschränkt argumentieren.
Weiterhin unrealistisch erscheint, dass die potentiellen Kapitalgeber zu sehr in einem engstirnigen Denken verharren, anstatt die Möglichkeiten zu sehen. Alle Ansätze wirken nicht nur kleingeistig, vor allem versucht John Chu einen Konflikt zu entwickeln, den es in der Welt des schnellen Risikoinvestments hinsichtlich der Hautfarbe, des Geschlechts oder gar der Herkunft des präsentierenden Erfinders so nicht gibt. Dadurch nimmt der Autor seiner Story die Effektivität und verschenkt ausgesprochen viel Potential.
Aus dem Onlinemagazine „Lightspeed“ stammt die zweite Kurzgeschichte „Selfie“ von Sandra McDonald. Es wird sich vielen Käufern von „Forever“ nicht erschließen, warum sie quasi eine Kurzgeschichte jetzt erwerben sollen, die es weiterhin frei im Netz gibt. Diese Vorgehensweise macht vor allem auch in Kombination mit der nachgedruckten Novelle sehr wenig Sinn.
In Sandra McDonalds Geschichte können die Menschen Klone von sich selbst machen lassen. Sie werden Selfies genannt. Anscheinend sind auch die Identitäten so deckungsgleich, dass sie im Grunde auch zu einer Art selbst lernenden, aber auch sehr teuren Ersatz für Menschen werden können, die vorzeitig zum Beispiel bei einem Unfall gestorben sind.
Susan macht eine Kopie, weil sie zwischen ihren Eltern steht. Sie selbst fliegt zu ihrer Mutter auf den Mond. Für ihren Vater hat sie einen Selfie angefertigt, der für sie mit dem Vater durch die Zeit zum Beispiel ins Jahr 1899 reist.
Der Handlungsverlauf könnte vorhersehbar sein. Aber souverän, fast provokativ lässt Sandra McDonald die Geschichte aus im Grunde zwei Perspektiven erzählen, die eine sind. Mitten im Text wechselt sie vom Original zum Selfie. Die inneren Stimmen erscheinen gleich, die Auswirkungen auf das Umwelt könnten aber nicht unterschiedlicher sein.
Hier liegt auch die Tragik der Story. Im Grunde ist es eine Art Abschiedsgeschenk. Mehr und mehr überlappen sich die einzelnen Momente, weil der Erhalt eines Selfies nicht nur ungeheure Energie verschlingt, sondern auch extrem teuer ist. Geld, das die getrennt lebenden Eltern für etwas Anderes benötigen.
Die Zeichnung der Protagonisten ist beginnend mit der wie ein Teenager sprechenden, aber sehr viel reiferen Erzählerin dreidimensional und überzeugend. Das Element der Zeitreise wirkt fast zu stark aufgesetzt, zumal die Hintergründe nicht erläutert worden sind und zweitens dem Vater die relative Chance ja eingeräumt wird, seine Tochter in der vergangenen Realität immer wieder zu besuchen. Ein Faktor, den die Autorin von Beginn an ignoriert. Wahrscheinlich wäre die Story ohne dieses Element noch überzeugender, noch emotional ansprechender, aber generell verfügt der Text über eine lesenswerte Ausgangsbasis, aus welcher Sandra McDonald viel, aber nicht alles herausholt.
Gord Sellars „Winter Wheat“ erschien in der Herbst 2019 Ausgabe von „Asimov´s Science Fiction“. Daher erscheint der Nachdruck nicht unbedingt notwendig. Hinzu kommt, dass Neil Clarke schon in den letzten „Forever“ Ausgaben auf eine Reihe von Novellen aus diesem Magazin zurückgegriffen hat, die in den Jahren 2018 und 2019 publiziert worden sind.
Über elf Jahre wird aus einem Farmerjungen in Kanada ein junger Mann mit einer eigenen Familie. Eine neue Saattechnologie beginnt seine Welt zu verändern. Maßgeblich verantwortlich ist auch sein Vater, mit dem er seit vielen Jahren keinen direkten Kontakt mehr hat.
Jim ist dabei ein sehr schwacher Protagonist. Er steht am Rande als Zeuge. Er greift nicht in das Geschehen ein. Das ist vielleicht nicht unbedingt notwendig, aber die Konsequenz, mit welcher Gord Sellar ihn quasi ins Abseits stellt und doch alle implizierten Auswirkungen an ihm zu „testen“ sucht nimmt der Novelle einen wichtigen Teil des Spannungsbogens.
Die Ausgangsidee mit der neuen Saat wird auch zu eindimensional umgesetzt. Es gibt keine Opposition von der Politik oder den anderen Konzernen. Das ist aber auch die einzige Schwäche. Gord Sellar setzt die Entdeckung, Anwendung und schließlich auch den Durchbruch sehr realistisch an. Es sind kleine Schritte, die sich nicht nur multiplizieren, sondern die stetig an Tempo gewinnen, welche die Story ausgesprochen realistisch erscheinen lassen. Auch die Grundidee wirkt solide entwickelt und steht in keinem Widerspruch zu der Umgebung, in welcher Jim aufwächst.
Gord Sellar konzentriert sich vor allem auf die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entwicklung und will damit nicht gleich die Welt verbessern. Durch den fokussierten Hintergrund mit dem kanadischen Hinterland hat der Autor es auch leichter, die einzelnen vor allem zwischenmenschlichen Konflikte zu beschreiben. Allerdings lässt sein sehr distanzierter Schreibstil es kaum zu, dass der Leser in die Charakter eindringen kann. Vor allem die Begegnung zwischen Vater und Sohn mit ihren unterschiedlichen Ansichten hätte ein Höhepunkt der Novelle sein müssen. Die Dialoge enden schließlich im Nichts und der Autor nimmt den sehr locker gespannten roten Faden ohne ein zusätzliches Tempo oder eine weitere inhaltliche Dynamik wieder auf.
Das Ende ist optimistisch offen, ohne das der Leser sich ein abschließendes Bild vom Geschehen machen kann.
Es ist eine solide, ruhige Story mit guten Ansätzen, die allerdings wenig konsequent umgesetzt worden ist.
So ist die Herbstausgabe des „Forever“ Magazins unabhängig von der Auswahl der Geschichten hinsichtlich ihrer einfachen Verfügbarkeit eher eine durchwachsene Nummer. Keine der Storys ragt wirklich heraus. Sie haben alle erstaunlich viele Schwächen in einem direkten Vergleich mit den durchaus vorhandenen Stärken.
Aber es wäre schön, wenn Neil Clarke wieder auf die Suche nach älteren, selteneren und vielleicht noch nicht im Netz verfügbaren Storys ginge, um den Lesern/ Käufern einen besseren Mehrwert anbieten zu können.
E Book, 112 Seiten