Clarkesworld 173

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke fasst in seinem Vorwort die besten Geschichten des Jahres 2020 zusammen.  Carrie Sessarego schreibt über Peter Pan und seine literarischen Epigonen. Arley Sorg fügt wieder zwei sehr umfangreiche wie unterschiedliche Interviews der Ausgabe hinzu. Karen Osborne und S.B. Divya gehören zu einer jungen Generation von Science Fiction Autoren, die sich ihren literarischen Namen noch verdienen müssen. Sie fassen ihre bisherigen Erfolge genauso zusammen mit die Misserfolge, die Ablehnungen und die gehen insbesondere auf die Lebensweise ein, die sie schließlich zu Schriftstellern gemacht haben.

 Insgesamt sieben Geschichten finden sich in „Clarkesworld 173“. Bei einem Text handelt es sich um eine Übersetzung. Ein roter Faden sind die Hintergründe der Texte. Viele der Storys spielen auf Kolonialwelten, welche den Menschen noch nicht wirklich Untertan sind.

 Monique Laban eröffnet die Ausgabe mit „The Failed Dianas“. 5 Klone eine Asiatin – der originalen Diana – treffen sich auf der Erde in einem Restaurant. Jeder Klon ist nacheinander erschaffen worden. Keine der Klons hat die Lebensziele erreicht, welche mit ihrer Schöpfung erwartet worden sind. Das Original trifft auf die Klone. Monique Laban versucht in dieser originellen und von guten Dialogen gekennzeichneten Geschichte im Grunde die Lebensgeschichte eines jeden Lesers oder sogar eines jeden Menschen nachzuzeigen. Die Chancen und Risiken, die Erfolge und Fehlschläge. Nur sind es hier insgesamt sechs sehr unterschiedliche Perspektiven, die aufeinander treffen und deswegen dieser auch humorvollen Geschichte eine besondere Note schenken. Leider kann die Autorin ihre originelle Grundidee nicht richtig abschließen und schleicht sich wie die erste Diana aus der Verantwortung. Im Gegensatz zu Diana nicht für ihr Leben, aber diese Kurzgeschichte.

 Anastasia Bookreyevas „Terra Rosa“ ist die einzige in diesem Fall von Ray Nayler übersetzte Geschichte. Die Zukunft ist dunkel. Ohne auf die politischen Kleinigkeiten einzugehen zeichnet die Autorin eine dystopische Welt, in welche Feuerwände die großen Städte in Russland bedrohen und das Klima durch die Brände aus den Fugen geraten ist. Eine junge Frau meldet sich freiwillig zu einer Rettungsstaffel. Ihre Reise ist aufwendig und nimmt einen Großteil der Geschichte ein. Dabei konzentriert sich die Autorin auf eine Reihe von Details, die wahrscheinlich eher Russen vertraut sind als dem durchschnittlichen amerikanischen Leser. Die Zukunftsaussichten sind düster. Rettung kommt nicht aus einer unvorhergesehenen Ecke. Die Menschen kämpfen um ihr Überleben und diesen Handlungsstrang führt die Autorin auch konsequent wie überzeugend bis zum nihilistischen Ende fort.

 K.H. Meridian „Obelisker Adrift in the Desert“ ist eine unterhaltsame Novelette. Auch hier ist die Menschheit zivilisationstechnisch zurückgefallen und lebt vor allem unter der Erde. Nur noch wenige Computer funktionieren. Eine dieser künstlichen Intelligenzen steht in Form eines Obelisken in der Wüste und wurde von der Zeit quasi vergessen. Ein Panzergrenadier, eine künstlich überzüchtete Soldatin, reist nicht nur in die Stadt um den Obelisken, in welcher Menschen wohnen, die verzweifelt auf Schutz durch die Maschine hoffen, sondern direkt zu einem der letzten funktionierenden Computer, der sich an die große Auseinandersetzung der künstlichen Intelligenzen zu Lasten der Menschen noch erinnern kann.

 Im Gegensatz zu vielen anderen Autoren entwickelt K.H. Meridian den Hintergrund der Geschichte nicht nur vielschichtig, sondern variiert eine Reihe von Klischees des Genres. Die Mission der Panzergrenadieren ist von Beginn an klar. Keine versteckten Fallen, keine Ausreden. Sie steht im Mittelpunkt der Geschichte und wird auch bis zum Ende konsequent fortgeschrieben. Hinzu kommt, dass K.H. Meridian auch wirklich seinen Plot abschließen möchte und nicht auf Fortsetzungen schielt. Die emotionalen Szenen sind nicht kitschig oder pathetisch. Sie sind für den Plot notwendig. Es gibt auch keine Schuldzuweisungen. Dazu ist alles zu lange her. Die vielen kleinen Ideen fügen sich zu einem überzeugenden Mosaik zusammen und verleihen der Novelette eine überzeugende wie auch angesichts der Handlungsdichte auch notwendige Tiefe.    

 Die zweite längere Geschichte stammt aus der Feder M. L. Clarks. „Mercy and the Mollusc“ spielt auf einer Kolonialwelt. Maia ist seit vielen Jahren dem Menschen angepasst worden. Vor allem die Atmosphäre musste gereinigt werden. Nur wenige Plätze der alten Welt existieren noch auf dem Planeten. Interessant ist, dass der Protagonist wieder aus dem militärischen Bereich kommt. Ihre Aufgabe ist es, die Spuren des ursprünglichen Planeten für die Nachwelt zu konservieren und entsprechende Beispiele einzusammeln. Sein Begleiter ist eine Molluske. Anstatt die Leser von dieser seltsamen Paarung abzulenken, konzentriert sich der Autor darauf, den Hintergrund beider Figuren entsprechend zu entwickeln und vor allem sie dreidimensional, wenn auch exotisch bizarr zu beschreiben. Dabei fließen diese Beschreibungen in die Handlungsverläufe sehr konsequent, aber nicht konstruiert erscheinend ein. Es geht vor allem darum, dass sowohl der Planet seine Vergangenheit offenbart wie auch die Protagonisten über ihre eigenen Leben indirekt sprechen. Leider schafft es der Autor abschließend nicht, seinen Figuren vor allem in der Gegenwart Leben einzuhauchen. Wie exotisch die Welt auch sein mag und die „Freundschaft“ zwischen „Mann“ und Molluske sich auch entwickeln könnte, abschließend bleiben sie dem Leser in den entscheidenden Szenen der Gegenwart fremd. Die größte Schwäche dieser zu Beginn sehr lesenswerten Story ist allerdings das fehlende zufrieden stellende Ende. Die Reise könnte endlos weitergehen. Es gibt immer noch ausreichend Material, das eingesammelt werden kann und werden müsste. Aber es baut sich eine Erwartungshaltung im Leser auf, die mangels fehlender Grundkonzeption des Plots nicht befriedigt wird.

 Jeff Reynolds „Remember the Washington“ They Said as They Feed the Ugoxli“ verfügt über einen Titel, der gleich den militärischen Hintergrund unterstreicht. Die Alamo Festung kommt dem Leser in den Sinn. Der Protagonist muss die eingefrorenen Körper an Bord der zerstörten Washington bergen, die im Krieg gegen die eher ambivalent beschriebenen Aliens zerstört worden ist. Das Raumschiff stürzte über einem unbekannten Planeten ab. Wie bei M.L. Clark gibt es einen exotischen Hintergrund die Protagonisten bleiben trotz ihrer militärischen Hintergrunds beginnend mit den Bezeichnungen statt Namen im Grunde Chiffren. Die beiden Protagonisten bleiben unsympathisch. Sympathie ist eine Grundvoraussetzung für eine gute Story, aber ihre Handlungen sollten in beiden Geschichten konsequenter und vor allem hinsichtlich der Pointe auch zielführender entwickelt werden, damit der Leser sich nicht in den Hintergründen verliert und den eher rudimentären Spannungsbogen aus den Augen lässt. Während M.L. Clark einen interessanten exotischen Planeten entwickelte, wirken die Beschreibungen der außerirdischen Wesen aus der subjektiven Perspektive ihres Feindes eher bemüht und überzeugen zu wenig. Es ist schade, dass Jedd Reynolds dem charismatischen Titel seiner Kurzgeschichte leider nicht gerecht wird. 

 Zwei sehr kurze Arbeiten schließen die zweite „Clarkesworld“ Ausgabe des Jahres 2021 ab. Dominica Phetteplaces „We´ll Always Have Two Versions of Pteros“   zwingen Außerirdische den Protagonisten, seine Zeitlinie zu wechseln. In der fremden Zeitlinie lernt er unter anderem eine perfekte Frau für sich kennen. Darauf aufbauend verändert sich sein ganzes Liebesleben, bevor es zu einer pragmatischen, aber die bisherigen Ereignisse auch negierenden Wendung kommt.

 Beth Goders „History in Pieces“ nimmt sich ebenfalls des Themas der Kolonisierung an. Allerdings wird der Plot aus der Perspektive eines der Außerirdischen beschrieben, der gleichzeitig Archivar seines Volkes ist. Die Fragmente menschlicher Geschichte sind trotz der Verfremdung erkennbar, was dem Text eine zusätzliche Note gibt. Humorvoll erzählt handelt es sich um einen zufrieden stellenden Abschluss.

 Zusammengefasst sind die Februargeschichten „Clarkesworld“ eine Runde Sache. Viele Themen werden nicht immer zufrieden stellend abgeschlossen mindestens gut angerissen. Die Plots zeichnet ein überzeugender Hintergrund oder bei den kürzeren Texte zumindest eine solide Pointe aus. Das Titelbild wirkt weniger dunkel und nihilistisch als bei den anderen Ausgaben. Insgesamt eine zufrieden stellende, aber leider keine herausragende Ausgabe dieses Magazins.   

  

cover

E Book, 122 Seiten

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