Der Apex Verlag legt mit „New York ist himmlisch“ den zweiten Roman des vor allem durch seine Übersetzungen bekannt gewordenen Norbert Stöbe als E Book zum ersten Mal, aber auch als gedrucktes Exemplar zum zweiten Mal neu auf.
Ursprünglich ist diese satirische Dystopie 1988 im Fabylon Verlag veröffentlicht worden. Norbert Stöbe ist für den kurzweilig zu lesenden Roman mit dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet worden.
New York ist nicht das New York, an welches der Leser nicht nur wegen des originären Titelbildes der Fabylon Ausgabe denkt. Dieses New York kann im Grunde überall sein. Im Prolog beschreibt der Autor, wie ein gut bürgerliches Viertel über einige Jahre zu einem Ghetto werden kann, in dem niemand mehr wohnen will, aus dem die meisten aber nicht mehr wegziehen können.
Diese Beschreibung des städtischen Zerfalls ist zeitlos, inzwischen hat dieses negative Phänomen vor allem aus den USA kommend ja auch ganze Stadtteile in Städten wie Duisburg oder auch Berlin erfasst.
Der finale soziale Dolchstoß ist ein Chemieunfall in einem im Wohngebiet gelegenen Werk. Norbert Stöbe impliziert, dass die ganze Stadt zu einer Sperrzone geworden ist. Außerhalb der abgesperrten Zone scheint das Leben „normal“ weiterzugehen, während sich im Inneren eine Art Subkultur inklusiv dreier autarker „Länder“ gebildet hat. Eines dieser Länder ist „New York“. Innerhalb der Sperrzone müssen die Menschen mit der Gesetzlosigkeit einzelner Gruppen genauso leben wie mit der Lebensmittelknappheit und einer generellen Verwahrlosung, wobei zwei Faktoren eine Verbesserung der Lage versprechen könnten. Der Roman beginnt mit dem Wahlkampf des Sheriffs von New York, der gerne wiedergewählt werden möchte. Dazu verteilt er als zweiter Katalysator kostenlose Zahnpasta, die kein Wasser mehr benötigt. Nicht das einzige Geschenk ausgerechnet des Konglomerats, das für den Chemieunfall verantwortlich gewesen ist und jetzt in den Sperrzonen unfreiwillige Probanten rekrutiert, an denen sie ihre neuen Produkte ausprobieren können. Und der pragmatische Sheriff mit seinem Hang zum reinen Machterhalt ist ein ideales Mittel zum Zweck.
Die Idee einer isolierten, auf sich selbst gestellten Gesellschaft ist genretechnisch nicht neu. Das beginnt bei Goldings „Herr der Fliegen“ und endet im Grunde bei Ballards zynischen Büchern wie zum Beispiel „Die Betoninsel“ . Dazwischen steht bis auf die zugrundeliegende Handlung John Carpenters 1981 entstandener Thriller „Escape from New York“, in Deutschland besser als „Die Klapperschlange“ bekannt.
Verbindungsglied zwischen den Lesern und dem Geschehen ist mit Ralfd nicht nur die rechte Hand des selbsternannten Sheriffs von New York, sondern ein Weißer, der aufgrund seiner dunklen Hautfarbe überall als Farbiger gilt. Er ist im Viertel aufgewachsen. Er ist anfänglich ein klassischer Opportunist, der seine überdurchschnittliche Intelligenz vor allem vor seinem dummdreisten Vorgesetzten verbirgt. Er ist im Grunde der Mann für die besonderen Missionen, in denen es nicht auf Kraft oder Brutalität ankommt. Dem Leser gegenüber kommentiert er das Geschehen aus einer selbstironischen Position heraus.
Treu versorgt er seine fast blinde Mutter, die wie in Harrisons „Soylent Green“ im Grunde nur selbstbestimmt in einem der Euthanasiezentren sterben möchte. Dazu braucht sie Geld, das ihr Sohn auch nicht hat.
Zu Hause wartet auf Ralfd seine drogensüchtige Freundin. Es ist eine Hassliebe. Echte Freunde gibt es in dieser Zukunft nicht, höchstens Geschäftspartner aus dem Umfeld des Sheriffs, denen er nicht richtig trauen kann.
Das erste Drittel des Buches besteht aus der angesprochenen kurzen Einführung und dann einzelnen stimmungsvollen, mit pointierten Dialogen gespickten Szenen. Es ist kein Stillleben, sondern eher ein fragmentierter Überblick über diese sich selbst überlassene, von der Außenwelt nicht nur vergessene Gesellschaft, die vor allem auch ein wenig stolz auf ihren Außenseiterstatus und die mit den eigenen Händen erschaffene bizarre Welt ist.
Sowohl die Einführung als auch im Grunde die „Ausreise“ des inzwischen zum Mann gereiften Protagonisten nehmen in diesem Roman einen breiten Raum ein. Norbert Stöbe verändert auch die Struktur des Buches, in dem er auf Tagebuchform/ Aufzeichnungen zurückgreift. Dadurch distanziert er allerdings den Leser auch vom Geschehen und die selbstironischen Kommentare seines Protagonisten fallen weniger gewichtig aus. Sie wirken nicht mehr so spontan die Ereignisse kommentierend.
Auf den letzten Seiten versucht Norbert stöbe dann abschließend, zu viele Informationen auf zu wenigen Seiten zusammenzufassen. Der angesprochene Auszug erst in die im Grunde falsche Richtung mit der entsprechenden Enttäuschung; der Zerfall New York nach den Ereignissen im mittleren Abschnitt und ein wenig Fatalismus lassen den Leser abschließend im Regen stehen. Auch die Idee, auf den „Schriftsteller“ zurückzukommen, der mit nichts als ein wenig altem Papier und einem Kopierer sein bisheriges Epos unter die Leute zu bringen sucht, wirkt halbherzig. Es sind vor allem diese exzentrischen, aber auch irgendwie durch ihren Willen, dem Schicksal zu trotzen und zu überleben geprägten Nebenfiguren, welche „New York ist himmlisch“ ist die Idee einer Sozialsatire hinaus zu einer interessanten wie auch zeitlosen Lektüre machen.
Die meiste Action findet sich im mittleren Abschnitt. Nicht nur wegen der abschließend abgebrochenen Mission Rafdl, die auf der einen Seite in einem Fiasko endet, auf der anderen Seite ihm aber auch einen der wenigen noch funktionierenden Virtual Reality Anzüge bringt, sondern der Sheriff wird entführt. Zusammen mit zwei Vertrauten macht sich dessen rechte Hand auf die Suche nach dem selbsterklärten Heiland der kleinen Kolonie und findet ihn schließlich in einem improvisierten Fernsehstudio, wo er die Wahrheit nicht nur über die Situation in der Provinz, aber auch die Testprodukte sagen soll.
Wie bei John Carpenters „Escape from New York“ oder einigen Werken frühen Werken Matt Ruffs oder Charles Platts ist die Reise der beste Teil des Buches. Nicht jedes Klischees kann Norbert Stöbe auf dieser Rettungsmission umschiffen, aber vieles wird interessant, dreidimensional, zeitlos und vor allem mit einem sarkastischen Augenzwinkern beschrieben. Dazu zieht sich der Titel des Buches „New York ist himmlisch“ immer wieder an den Hauswänden entlang. Bis es selbst Rafdl zu seinem Abschiedssatz nicht vom Leser, aber seinem Viertel macht.
„New York ist himmlisch“ ist keine reine dystopische Satire. Positiv ist der minutiös mit einem Hang zu bizarren Details entwickelte Hintergrund weitab vom Big Apple, dem es laut dem Erzähler in dieser Fiktion so viel besser als der Zone gehen soll. Phasenweise macht aber Norbert Stöbe zu wenig aus diesem Szenario und verliert sich in ausführlichen, aber den Plot wenig beeinflussenden Beschreibungen. Einen reinen klassischen Spannungsroman hat der Autor nicht als Ziel gehemmt. Nicht selten überdecken Stimmungen und Strömungen klassische Handlungsverläufe, deren manchmal rudimentär entwickelte Ansätze der Autor dann allerdings überraschend und stellenweise auch mit einem boshaften Augenzwinkern auflöst.
Stilistisch ist der Tonfall uneinheitlich. Eine überzeugende Einleitung, dann eine gute Einführung in den atmosphärischen Hintergrund und die plötzlich durch die Wahl von Aufzeichnungen statt direkter Erzählung viel zu gekünstelte wirkende Struktur werden von einigen entweder durch Drogen oder durch halluzinogene Gase Alptraumsequenzen eingerahmt. „New York ist himmlisch“ ist ein auch dreißig Jahre nach der Erstveröffentlichung interessanter, aber nicht mehr so provokativer Roman, wie er es wahrscheinlich gerne einmal gewesen sein wollte. Die Neuauflage vor allem auch als E Book ist aber überfällig gewesen.
- Herausgeber : Apex Verlag (9. September 2019)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 324 Seiten
- ISBN-10 : 3750201935
- ISBN-13 : 978-3750201934