P. Machinery präsentiert den kurzweilig zu lesenden Zeitempfindungsroman Hans Jürgen Kuglers, der neben einigen Kurzgeschichten vor allem als Mitherausgeber der beiden „Exodus“ Anthologien zu aktuellen zeitkritischen Themen einen positiven Eindruck hinterlassen hat.
Schon 2001 erschien sein erster Science Fiction Roman „Godcula oder die Harmonie der Insekten“. Es folgten verschiedene aufgeführte Komödien, Kurzgeschichten für verschiedene Magazine und wissenschaftliche Beiträge. Vor allem die Komödien scheinen Hans Jürgen Kugler sehr geholfen zu haben, eine ausgesprochen lebendige, mit pointierten Dialogen gespickte und eine Handvoll sehr dreidimensionaler Charaktere repräsentierende Coming of Age Geschichte entwickelt zu haben, deren phantastische Elemente zu Beginn und ab der Mitte die Story zwar dominieren, aber die emotionale Ebene nicht erdrücken.
Die Lebens- und Liebesgeschichte zwischen Daniel Damberg und seiner alten Flamme Iris könnte auch ohne die phantastischen Elemente vor dem schönen Hintergrund der Bodenseeregion funktionieren. Hans Jürgen Kugler bewegt sich in dieser Hinsicht immer wieder an den Rand des Kitsches, fast des Klischees mit der scheuen sehr attraktiven Frau, aber mit einem lockeren Spruch, einem Gedankenblitz Daniel Dambergs oder einer kleinen historischen Exkursion sowie alltäglichem Klatsch & Tratsch aus Überlingen lockert Kugler gerade rechtzeitig die drohende Starre auf und vermeidet Stereotypen.
Daniel Damberg arbeitet inzwischen als freiberuflicher Kritiker und Lektor nicht nur von esoterischen Texten, sondern auch Erotik Literatur. Er ist Single, lebt in einer kleinen Wohnung und hat einen geordneten kleinen Freundeskreis von inzwischen angepassten Menschen. So staunt er, wie sein ein alter Freund an ein im Grunde bürgerlich langweiliges Leben auf einem gehobenen Niveau gewöhnt hat.
Iris ist sein Jugendschwarm. Die beiden haben sich aus den Augen verloren. Eine gemeinsame Freundin lädt Daniel und Iris auf eine Fahrradtour mit ihrem Mann und ihren Kindern ein. Nur springt der Mann in letzter Sekunde ab.
Auch wenn es beim Lagerfeuer genügend romantische Momente gibt, kommen sich die beiden nicht wirklich näher. Das liegt nicht nur an dem Erlebnis, das Daniel Damberg wenige Wochen vorher hat. Auf einem Kurztrip an den Bodensee möchte Daniel das ändern.
Hans Jürgen Kugler bemüht sich, Daniel und Iris als zwei nicht mehr ganz junge Menschen zu zeichnen, die sich mögen, vielleicht sogar lieben. Beide sind scheu, auch wenn sie eine wilde Zeit hinter sich haben. Sie haben sich zwar privat vor allem als junge Menschen in ihren jeweiligen Cliquen bewegt, aber inzwischen sind einige Mitglieder dieser Gruppen bürgerlich geworden, andere sind mit den Veränderungen nicht zurecht gekommen und haben zur Flasche gegriffen. Ohne Kitsch, mit mehr als einem Fünkchen Wahrheit beschreibt Hans Jürgen Kugler im Grunde die ewig unterschiedlichen Perspektiven zwischen Männern und Frauen. Daniel war immer eingeschüchtert, weil so viele Kerle um Iris herumschwebten und er Angst hatte, die Freundschaft zu zerstören, in dem er seine Gefühle offenbarte. Iris dagegen möchte Daniel, sah aber das Balzverhalten der Männer als eine Art sozial notwendigen Standard an, dem sie aber keine tiefergehende Beachtung schenkte.
Für manche Leser wird sich diese Liebesgeschichte mit scheuen Gesten, aber einem erstaunlich tiefen inneren Verständnis zu langsam, zu phlegmatisch und zu beider entwickeln. Aber sie stellt den Mittelpunkt, das Herz dieser Geschichte dar. Lange Zeit ist nur Händchenhalten angesagt, nicht einmal der obligatorische Kuss.
Die fragile, aber spürbare Verbindung zwischen den beiden Charakteren wird im zweiten Teil des Buches, dem Überlebenskampf, auf eine harte Probe gestellt.
Der Leser ist dank Daniel Dambergs ersten Erlebnisses im Gegensatz zu Iris ein wenig vorbereitet.
Die Science Fiction Idee ist eine Art Zeitverzögerungsfeld. Der Roman beginnt mit einer Art Alptraum. Daniel Damberg wacht auf. Alles um ihn herum scheint stillzustehen oder sich extrem langsam zu bewegen. Was in der Science Fiction nicht selten als Komödie genutzt wird, extrapoliert Hans Jürgen Kugler in diesem Roman mit einem ernsten Hintergrund. Für Daniel Damberg bedeutet das, mit Alltäglichem konfrontiert zu werden. Türen gehen so gut wie gar nicht auf, zeitverlangsamtes Wasser lässt sich kaum trinken, auf dem See droht er unwiderruflich einzusinken wie in einem Sandmeer. Was isst man, wenn selbst ein Müsliriegel hart wie Stein ist? Eine Kommunikation mit der Außenwelt findet so gut wie gar nicht statt. Das Schreiben von Botschaften auf Flipcharts ist für Daniel eine Warnung an die aus seiner Sicht esoterischen Spinner dort draußen.
Fast alle Szenen werden aus Daniel Dambergs subjektiver Sicht geschrieben. Erst am Ende des Romans öffnet Hans Jürgen Kugler die Perspektive. Damit versucht der Autor fast unnötig von außen die dramaturgischen Elemente noch mehr zu betonen. Auch der Klappentext stellt diese finale Szene in einem nicht im Verhältnis zum Plot stehenden Maße heraus, zumal die Bedrohung nur akut wird, wenn plötzlich die Zeitverzögerung aufgehoben werden würde. Solange sich Daniel und Iris „normal“ bewegen können, könnten sie alle bekannten Gefahren locker ausweichen. Auch Feuer und durch die Luft geschleuderte Gegenstände unterliegen ja der Zeitverzögerung.
Viel spannender ist, wie Daniel Damberg vor allem beim ersten Mal mit dem ihn überraschenden Phänomen der Zeitverzögerung klarkommt. Die alltäglichen Gefahren wie auch die natürlichen Herausforderungen werden ausführlich, aber auch positiv sehr pragmatisch beschrieben. In diesem Punkt öffnet der Autor eine fast simple Flanke, welche andere Science Fiction Autoren mit ihren großspurig vorgetragenen Ideen übersehen haben. Die Grundprämisse des Plots ist nicht neu, wird aber originell und sehr detailliert immer mit einem Auge für die Bodenständigkeit in einem sehr fließenden, locker zu lesendem Stil präsentiert.
Mit dem Aufbrechen der Handlung im letzten fünftel Des Plots verliert sich der Autor allerdings auch in seiner eigenen Dramaturgie. Auf der einen Seite sucht er eine Erklärung, die von dritter Hand präsentiert wird, aber keine abschließende überzeugende Erklärung ist, auf der anderen Seite will Hans Jürgen Kugler sein Buch nicht auf einer dunklen Note enden lassen und präsentiert zwei Variationen. Für die zweite Wendung braucht Hans Jürgen Kugler aber wieder eine Art „Deus Ex Machina“ Lösung, die angesichts des zweimal aus dem Nichts auftauchenden Phänomens konstruiert und dem bisherigen Handlungsverlauf auch ein wenig widerspricht. Zusätzlich impliziert der Autor, dass nur Daniel und Iris nicht unter dem Phänomen leiden. Eine Erklärung gibt es nicht. Vielleicht ist sein bei einer Zeitreiseromanze auch nicht notwendig, aber wenn der Autor anschließend einen gänzlich anderen Aspekt aktiv nutzt, um eine neue Realität zu erschaffen, bleiben zu viele Fragen unnötig offen.
Über weite Strecken ist „Von Zeit zu Zeit“ eine überzeugende zu lesende, von großartig menschlich zugänglich gestalteten Hauptpersonen gelebte Geschichte, die sich auch mit einigen im Grunde alltäglichen zwischenmenschlichen „Dingen“ auseinandersetzt, während das phantastische Element den Spannungsbogen unterstützt, aber nur bedingt relevant ist. Auf den letzten Seite versucht Hans Jürgen Kugler den Plot allerdings nicht nur für eine Erklärung, sondern einer Variation abzuschließen, die genauso unvorbereitet kommt wie der erste Alptraum der Zeitverzögerung, aber in der präsentierten Form keinen überzeugenden Sinn ergibt.
- Herausgeber : p.machinery; 1. Edition (30. Mai 2021)
- Sprache : Deutsch
- Broschiert : 182 Seiten
- ISBN-10 : 3957652448
- ISBN-13 : 978-3957652447