Forever 78

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke spricht über die Hitzwelle, welche momentan die USA im Allgemeinen, aber auch seinen Heimatort überzieht.

 Wie immer besteht die „Forever“ Ausgabe aus einer Novelle und zwei Kurzgeschichten. Robert Reed leitet die „Forever“ Nummer mit seiner Novelle „Murder Born“ ein. Die Nveolle spielt nicht in seinem „Great Ship“ Universum und könnte auch wegen der sozialen Themen in der Gegenwart spielen.

Im Gegensatz zu seinen in der weiten Zukunft spielenden Texte bemüht sich Robert Reed von Beginn an, glaubwürdige und für den Leser auch zugängliche Charaktere zu entwickeln. Der Photograph mit seinem schließlich sehr morbiden Auftrag wird dreidimensional beschrieben. Seine Werke werden durch ausführliche Beschreibungen dem Leser plastisch gezeigt. Das Verhältnis des Mannes zu einer ehemaligen Frau, aber auch deren neuen Partnerin wird unspektakulär, aber emotional überzeugend beschrieben. Kein Kitsch, kein Bedauern und schließlich auch keine Schuldzuweisungen, sondern der Versuch, ein gemeinsames Schicksal aus der Vergangenheit zu verarbeiten und gleichzeitig vorsichtig mit dem Leben voranzugehen.

 Ursprünglich sollte „Murder Born“ ein Roman werden. Die Verleger baten ihn, wichtige Teile der Geschichte zu entfernen und damit den emotionalen Punkt im Grunde zu entkernen. Der Text erschien schließlich im Jahre 2012 in „Isaac Asimov´s Science Fiction Magazine“ in der vorliegenden Form. Neun Jahre später wäre es wahrscheinlich der perfekte Text für einen Kleinverlag gewesen.

 Das Science Fiction Element ist eher eine Art McGuffin. In einer näheren Zukunft wird eine Art Maschine entwickelt, die es ermöglicht, dass Mörder mit ihr hingerichtet werden und die Seelen/ das jeweilige Bewusstsein ihrer Opfer wieder belebt wird. Damit öffnet der Autor im Grunde die Büchse der Pandora, denn nicht jeder Mörder ist wirklich schuldig, nicht jede Tat möglicherweise so, wie es die Beweislage impliziert. Als roten Faden nimmt der Autor das Verschwinden und schließlich den Mord an einem jungen Mädchen. Der einzige in Frage kommende Schuldige ist ihr Freund. Es gibt kein wirkliches Motiv. Es gibt nur eine Augenzeugin, die Fragmente der Tat gesehen hat.

 Robert Reed will mit seiner Geschichte auf die Problematik aufmerksam machen. Er will keine Antworten geben oder gar eine Art Schuld befreiende Bestrafung, da ja die Opfer nach einer unbestimmten Zeit – es scheint sogar über Jahrzehnte zu gehen – wieder zu einem allerdings andersartigen Leben erweckt werden. Die Geschichte hat konsequenterweise auch kein Happy End.

 Der Autor verzichtet auf technische Erklärungen, sondern präsentiert die Geschichte fast ausschließlich aus der subjektiven Perspektive des Fotographen, der die Täter im Moment vor der Hinrichtung und damit indirekt auch das Wiedererwecken der Opfer fotographisch festhalten soll. Vieles bleibt vage, aber das macht den Reiz dieser dunklen, nihilistischen und teilweise ohne auf graphische Details zurückzugreifen auch emotional brutalen Geschichte aus.      

 „Under the Eavers“ von Lavie Tidhar ist später in seinen Fugenroman „Central Station“ eingeflossen. Central Station ist ja der Raumflughafen zwischen Jaffa und Tel Aviv in einer Zukunft, in welcher sich die Palästinenser und die Israelis auf eine friedliche Kooperation geeinigt haben. Interessant ist, dass sowohl Lavie Tidhar als auch Karl Schroeder mit der in dieser Ausgabe vertretenen Novellette „Jubilee“ das Romeo und Julia Motiv entweder für ihren speziellen Hintergrund weiterentwickelt oder als Aufhänger für eine andere Geschichte genutzt haben. In Lavid Tidhars Story liebt die Bewohnerin der auf der Erde befindlichen Station Isobel Chong den Robotnik Motl. Die Robotnik gelten als die neue Unterklasse und ihnen werden keine Bürgerrechte, aber wie der Text impliziert, auch keine Gefühle zugestanden.

 „Under the Eavers“ ist ein elementarer Bestandteil des Fugenromans, in dem es Lavie Tidhar um ein breites Spektrum ging. Daher leidet der Text im Grunde unter einem fehlenden Handlungsaufbau. Das Ende ist vorhersehbar. In die Fuge integriert wirkt dieses Manko nicht so dominant, da Lavie Tidhar gleich auf das Schicksal anderer Menschen überblendet. Für sich allein stehend ist es aber auffällig. Der Hintergrund mit der gigantischen „Central Station“ wird besser beschrieben. Da leidet der Fugenroman durch die Verfugung unterschiedlicher, gesondert publizierter Texte unter den Wiederholungen.

 Wie schon erwähnt ist auch Karl Schroeders „Jubilee“ eine Romeo und Julia Geschichte. Es ist auch Teil eines später veröffentlichten Romans. Allerdings kann der Text auf seine alleine gestellt besser bestehen. Die Menschheit in einer fernen Zukunft hat tausende von Welten besiedelt. Der Schlüssel zu diesem Erfolg ist ein gigantisches, synchronisiertes Hibernationssystem, das die Menschen in lange in die Zukunft festgelegten Zeiträumen schlafen lässt. Auf der einzelnen Welten ist die Zivilisation aber teilweise auf ein primitives, der Shakespeare Vorlage entsprechendes Niveau zurückgefallen.

 Die Basis der Geschichte sind zwei verfeindete Familien, die viele Jahrtausende konträr schlafen. Die Zeit zwischen ihrem jeweiligen Erwachen wird immer kürzer. Irgendwann werden sie eine Zeit gemeinsamen in ihren jeweiligen Festungen wach sein, was die alten Konflikte, deren Wurzeln niemand mehr kennt, aufflammen lassen wird. Natürlich verliebt sich platonisch die Tochter des einen Stammes/ der einen Familie in den Sohn der Anderen. Sie hatten nur wenige gemeinsame Treffen während der letzten Wachperiode und schreiben sich in der Zwischenzeit bis zum nächsten Zyklus Briefe, welche Boten überbringen. Diese Boten haben ein gutes fast an einen Beamten erinnerndes Leben.

 Neben der bekannten, aber nicht abgeschlossenen Handlung überzeugt die Novelle vor allem durch Karl Schroeders Fähigkeit, eine im Grunde unmögliche technisch fortgeschrittene Zivilisation so überzeugend zu entwickeln, dass der Leser den dreidimensionalen Charakteren mit ihren klassischen zwischenmenschlichen Problemen unabhängig von der Romeo und Julia Geschichte gut folgen kann. Im Gegensatz zu Lavie Tidhars Kurzgeschichte steht dieser Abschnitt auf eigenen Füßen und lädt die Leser förmlich ein, den ganzen Roman kennen zu lernen. Die Novelle unterstreicht, was für ein phantasiereicher und vor allem exzentrische Ideen plausibel präsentierender Autor Karl Schroeder ist, der sich eben nicht scheut, seine Romeo und Julia Romanze eben nicht zu beenden, sondern offen zu lassen.        

 Zusammengefasst verfügt „Forever“ Magazine 78 über drei ausgesprochen gute Kurzgeschichten bzw. Novellen. Dabei handelt es sich einmal um einen schließlich als Novelle veröffentlichten Roman, auf der anderen Seite um zwei längere Texte, die Bestandteil von einem Fugenroman oder wie bei Karl Schroeder in einen in sich abgeschlossenen Roman eingebaut worden sind. Alle drei Geschichten überzeugen vor allem auf der emotionalen Ebene mit mindestens solide gezeichneten Protagonisten, wobei Tidhar und Schroeder mit ihren „Romeo und Julia“ Motiven das klassische Thema unterschiedlich angegangen sind. Höhepunkt ist ohne Frage allerdings Robert Reeds Novelle „Murder Born“, die zeigt, dass der Autor wenn er sich Zeit lässt und ein Thema intensiv bearbeitet zu einem der besseren Kurzgeschichtenautoren des Genres gehört, während seine „Great Ship“ Texte manchmal von der allgegenwärtigen Atmosphäre handelstechnisch eher erdrückt werden. 

Forever Magazine Issue 78 ebook by Neil Clarke,Robert Reed,Lavie Tidhar,Karl Schroeder

E Book, 98 Seiten

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