Erz der Engel

Detlef Kewer

Zusammengestellt und illustriert von Detlef Klwer ist „Das Erz der Engel“ die neuste Ausgabe des Story Centers, das vor vielen Jahrzehnten im Science Fiction Club Deutschland als Magazin begonnen hat. Gleichzeitig ist es auch mit acht Geschichten die dünste Ausgabe seit Jahren. Ob das an dem grundsätzlichen Thema gelegen hat, erläutert der Herausgeber nicht, aber auch wenn in allen acht Geschichten Erzengel in unterschiedlichen Inkarnationen relevanten Rollen spielen, wie nur zweimal und dann auch sehr ambivalent auf „Das Erz der Engel“ verwiesen.    

 In den meisten der hier gesammelten Geschichten wird Uriel alleine oder im Team auf eine Mission geschickt, an deren Ende entweder ein Erfolg oder zumindest ein emotionaler Pyrrhussieg steht. Es kommt auf die einzelnen Autoren an, wie sie mit dieser freiwillig gewählten Prämisse umgehen.

 Gard Spirlins „Nur ein Schritt nach links“ vermischt neben den göttlichen Aspekten Anspielungen auf einen Klassiker der Science Fiction Literatur und natürlich eine der schönste Rockopern des 20. Jahrhunderts. Uriel muss in einem Nachtclub vor Ordnung sorgen, wo einer seiner Miterzengel gegen Gottes Gebote verstößt. Eine grelle Atmosphäre, bizarre Gestalten und schließlich auch eine doppelte Pointe heben die Geschichte aus den insgesamt acht Storys dieser Anthologie sehr positiv hervor.

 „Aizong 3“ von Celin Aden ist inhaltlich im Grunde das Gegenteil. Während Spirlin mit Genreelementen wunderbar spielt, klammert sich Celin Aden an einen Spannungsbogen aus „Aliens“, ein wenig abgewandelt, aber klar erkennbar. Es sind die Protagonisten, welche den Reiz dieser Geschichte ausmachen. Wer für die Organisation G.O.T.T. arbeiten und damit in der Galaxis Gutes tun will, muss erst einmal „sterben“ und sein bisherige Leben hinter sich lassen. Während der stringente Plot trotz der beklemmenden Atmosphäre enttäuscht, agieren die Protagonisten trotz der Erzengel entlehnten Namen nur selten wie die echten Gesandtschaften Gottes, sondern wie Machos allerdings mit einem weichen Kern unter der rauen Schale.

 „Der größte Feind“ von Michael Edelbrock beginnt auch mit einer Mission Uriels an Bord seines Raumschiffs zu einem Planeten der Gottlosen, dem er quasi Gottes Segen bringen möchte. Allerdings haben sich die Atheisten selbst Verstärkung geholt. So kommt es zu einer direkten Konfrontation zwischen dieser eher dem Cyberpunk entsprungenen Erzengeln. Während der Dialoge streift der Autor eine Reihe von kirchlich relevanten Themen, allerdings kann er die Geschichte nicht abschließend auf den Punkt bringen und verheddert sich ein wenig in dem zu Beginn sehr viel interessanteren Konflikt.

 Marina Heidrichs „Flügel und Flamme“ leidet unter ihrer Kürze. Die Erzengel ziehen nicht unbedingt direkt gegen die Schurken in die Schlacht, sondern bestrafen absichtlich als Gottes Wunsch auch Unglaube, um in den Überlebenden den Glauben zu festigen und so gegen die Feinde vorzugehen. Stilistisch gut komponiert bleiben zu viele inhaltliche Facetten offen und der Leser kann sich nur schwer in das Gesamtbild ein denken.

 Uriel als Drogensüchtiger. C.M. Dyrnberg zeigt in „Helden“ auf, welche Folgen Gottes Missionen bei seinen Erzengeln hinterlassen könnten. So strandet Uriel auf der Erde und flieht in die Drogenwelt. Ein ehemaliger Kamerad versucht ihn zu retten. Aber es ist eine Geste, die den beiden Erzengeln zeigt, das sie mit ihrer Macht auch Gutes bewirken können. Dyrnberg stellt die Aussichtslosigkeit des Großen/ Ganzen in Form der nur rudimentär in Rückblicken erzählten Mission einer kleinen, durchaus der „Twilight Zone“ entnommenen Szene gegenüber, um Macht und Ohnmacht zu gleich zu symbolisieren. Durch diese Abkehr von klassischen handlungstechnischen Versatzmustern ragt zum Beispiel Dyrnbergs Geschichte mehr aus der Breite dieser Anthologie heraus, während Edelbrock und Celin Aden auf der emotionalen Ebene sehr viel mehr investiert und gewagt haben. 

 Ester Geißlingers „Die Berufung“ fällt positiv aus dem Rahmen. Eine neu erschaffene Kolonie ruft einen der Erzengel, um eine Art Gottesurteil zu fällen. Die Kolonie wird plötzlich von gigantischen Würmern bedroht. Es erscheint ein alter kranker Mann, der nur in seiner Rüstung und seinem flammenden Schwert zu dem Bild wird, das die Kolonisten aus den Heiligen Schriften kennen. Der Leser ahnt das Ende der Geschichte lange vor der Protagonistin, aber nicht nur die gelungene Zeichnung der beiden Protagonisten, sondern die pointierten, aber realistischen Dialoge sowie das optimistische Ende heben die Kurzgeschichte aus den anderen acht Storys dieser Anthologie sehr positiv heraus.

 Christoph Frischer versucht in „Das Schrödinger- Protokoll“ fast zu viel des Guten. Er ist der einzige Autor, der intelligent und emotional empfindende Androiden einführt und damit grundsätzlich den Konflikt zwischen Mensch und Maschine im Anblick nicht nur Gottes, sondern der Erzengel andiskutiert. Einer der Erzengel rettet ein Androidenmädchen und tötet zwei Angreifer. Anstatt diese für die anderen Erzengel schwer verständliche Entscheidung zu extrapolieren führt der Autor die Leser an den Hort alles Androidenwissens, das in einer Art Übercloud gespeichert wird. Eine fatale Versuchung insbesondere nicht nur für Menschen, sondern auch Maschinen. Hinzu kommt eine Verschwörung, welche die paranoide Haltung der Menschen den Maschinen gegenüber unterstreicht. In einer Novelle wären diese einzelnen Aspekte effektiver über einen längeren Text verteilt einsetzbar und würden nicht wie Versatzstücke vor allem nach dem interessanten Auftakt erscheinen.

 Alvar Bogdans „Der dritte Exodus“ leidet auch unter zu viel Inhalt auf zu wenigen Seiten. Ein Pärchen verabschiedet sich, der Mann soll durch ein Transmittertor auf eine Mission geht. Allerdings scheint etwas schief zu gehen und die Erzengel versuchen mit Scharen die Situation unter Kontrolle zu bringen. Hinzu kommen immer wieder Anspielungen auf eine neue unbefleckte Empfängnis, was die Protagonistin provoziert. Die grundlegende mit den bisherigen zwei und jetzt drei Exodus ist interessant. Auch das Ausgangsszenario spannend und vor allem die abschließende Wendung mit der wahren Identität eines der Erzengels faszinierend, aber der Autor packt zu viele Ideen auf wie angesprochen zu wenig Raum zusammen, lässt die Handlung sich mehrmals um die eigene Achse drehen und endet quasi auf einer interessanten, aber gerne weiterzuführenden Note. Auch hier empfiehlt es sich, aus der Kurzgeschichte irgendwann eine Novelle oder vielleicht einen kurzen Roman zu machen, um den zahlreichen interessanten Charakteren auch gerecht zu werden.

 Detlef Klewer hat jede der acht Geschichten illustriert und auch das Titelbild hinzugefügt. Die acht Autoren konzentrieren sich bei dem Thema auf Science Fiction Geschichten, teilweise mit klassischem Hintergrund, aber auch Cyberpunk Aspekten. Auch wenn die Erzengel „menschlich“ erscheinen, zeichnen alle acht Schriftsteller insbesondere Uriel mit einer breiten extravaganten charismatischen Feder und spielen gleichzeitig mit den klassischen biblischen Motiven. Auch ein Augenzwinkern können sie sich an einigen Stellen nicht verkneifen.

 Wie die letzten thematisch interessanten Story Center Anthologien zeigt auch „Das Erz der Engel“ eine inhaltliche Bandbreite und vor allem stilistisch überzeugende Arbeiten. Sie reiht sich nahtlos in die letzten qualitativ überdurchschnittlichen Anthologien ein. Der Leser sollte vom verminderten Umfang im Vergleich zu den teilweise an Telefonbücher erinnernden ersten Story Center nicht enttäuscht sein, sondern jede der acht Geschichten so nehmen, wie sie präsentiert werden. Schwungvoll, ein wenig provokativ und für es sich für Erzengel gehört auch selbstverliebt. 

DAS ERZ DER ENGEL: Story Center

  • Herausgeber ‏ : ‎ p.machinery (20. September 2021)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 144 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3957652588
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3957652584