Axel Halbach muss leider am Ende von „Der Blick des Tetrapylon“ Ereignisse aus der Gegenwart heraufbeschwören. Palmyra ist vielen Menschen nur vor Augen, weil die Terrororganisation IS diese Weltkulturerbe während ihrer Schreckensherrschaft in Syrien fast völlig zerstört hat. Nicht ganz, aber nur noch vier Säulen zeigen, welch ein imposantes Bauwerk die Römer hinterlassen haben.
Wie bei Karl May sind die Fraktionen klar voneinander getrennt. Auf der einen Seite die Helden mit Halef, Karen Ben Nemsi und Sir David; auf der anderen Seite eine Verbrecherorganisation angeführt von einem Mann, der immer wieder anders aussieht und mit dem Gesetz buchstäblich auf „Du“ und „Du“ steht. Dazwischen stehen die wenigen zur Verbrechen gezwungenen Menschen, denen Kara Ben Nemsi mit seiner Großzügigkeit oder auch Hilfe wieder auf den rechten Pfad zurück hilft.
Der Plot ist geradlinig und von einem hohen Tempo. Viele Situationen kennt der Leser aus Karl Mays Originalwerk, ohne das Axel Halbach die Szenarien eins zu eins kopiert. Aber wie der sächsische Autor in seinem Gesamtwerk gibt es nur eine begrenzte Anzahl von Versatzstücken, die er anwenden kann. Die Hintergründe, die Details und manchmal auch die grundsätzliche Charakterisierung der Nebenfiguren kann variieren, aber seit „Durch die Wüste“ steht der Schutz von Unschuldigen und die Bestrafung vor allem von Mördern und Verbrechern im Mittelpunkt der Handlung. Dazu Entführungen und die eine oder andere Gefangennahme Halefs oder Kara Ben Nemsis.
Wie bei anderen fortlaufenden Serie im Fernsehen oder Buchform ist das Gefühl der Vertrautheit, sich gleich in diesem Universum auszukennen und die Details zu genießen wichtiger als eine sich überschlagende, vielleicht auch widersprüchliche Handlungsführung.
Halef wird Zeuge eines Überfalls. Ein Mann wird erschossen. Im Sterben gibt ihm der Mann eine Pergamentrolle und einen Hinweis. Da Halef sich sowieso auf dem Weg nach Basra befindet, wo er Kara Ben Nemsi und Sir David treffen soll, kopiert er vorsichtshalber das Pergament und will es mit seinem besten Freund besprechen. In Basra wird er überfallen, ihm wird das Pergament gestohlen. Kara Ben Nemsi und Sir David finden ihren Freund im Krankenhaus.
Axel Halbach beschreibt die surrealistischen Alpträume Halefs ausführlich und kann sich einige Seitenhiebe auf verschiedene Religionen nicht verkneifen. Vor allem der offensichtlich langweilige christliche Himmel schreckt den kleinen Halef ab, für die eigentliche Hölle fühlt er sich noch nicht „alt“ genug.
Das Pergament zeigt die die antike Stadt Palmyra im Süden der syrischen Wüste. Wie der Titel des Romans andeutet, ist „Der Blick des Tetrapylon“ , also der verdrehte Kopf einer der Säulen auf eine bestimmte Stelle gerichtet. Die Neugierde der Freunde ist geweckt. Der Gruppe schließt sich noch ein Junge an, den Kara Ben Nemsi vor der drakonischen Strafe des Handabschlagens bewahrt. Natürlich ahnen die Gefährten nicht, das der neue Begleiter direkt wie indirekt mit der Gruppe von Banditen verbunden ist, denen sie aufgrund des Pergamentdiebstahls zu folgen glauben.
Bis zum deutlich zynischen, aber eher der Realität entsprechenden Ende folgt Axel Halbach den vertrauten Mustern. Sir David wird zweimal von der Schurkenbande gefangen. In beiden Fällen verhält er sich entsprechend naiv und prallt mit seinem Reichtum, was zu einem geforderten von einer Millionen Pfund führt. Axel Halbach lässt selbst den kleinen Halef sich entwickeln und wie bei der Kopie des Pergament auf die Ratschläge Kara Ben Nemsis hören. Nur bei Sir David herrscht nicht nur in diesem Roman, sondern immer wieder in dieser Reihe auch von unterschiedlichen Autoren erzählt Stillstand.
Kara Ben Nemsi gerät auch in eine aussichtslose Falle. Dieses Element ist dem Karl May Fan aus unzähligen Abenteuern vertraut. An einem dunklen Ort und im Grunde einer aussichtslosen Situation findet er Helfer, die er mit wenigen Worten von deren Situation überzeugen kann. Das wirkt konstruiert, entspricht aber dem guten Geist, den Karl May in alle seine Geschichten gewebt hat.
Das Trennen und Zusammenführen von Familienmitgliedern – manchmal nur für den kurzen Moment der gemeinsamen Freude – zieht sich wie ein dicker roter Faden nicht nur durch Karl Mays Werk, sondern auch unzählige Kanongeschichten. Aber sowohl der Sachse als auch zum Beispiel Axel Halbach brauchen diese Momente, um die Suche nach den Schurken, das Wiederauffinden einer Spur entweder wieder aufzunehmen, nachdem man sie in den endlosen Wüsten verloren hat oder in Richtung Finale zu beschleunigen. Das ist auch bei „Der Blick des Tetrapylon“ der Fall.
Die vielleicht größte Enttäuschung in einem generell allerdings sehr frisch und spannend zu lesenden Roman ist Palmyra. Die Reise dahin, die Beschreibung der Wunder ist länger als der eigentliche Aufenthalt. Natürlich gibt es Zweifel, ob das Pergament der Wahrheit entspricht, nachdem sich kein offensichtlicher Hinweis finden lässt. Die Lösung wird durch den Zufall bedingt, ist aber von Axel Halbach überzeugend beschrieben worden.
Am Ende fügt der Autor noch einen Exkurs in das eigentliche Versteck der Schurken hinzu. Auch hier erhalten Kara Ben Nemsi und Halef Hilfe von neugierigen in der Umgebung lebenden Menschen. Aber trotz des offensichtlichen Ausgangs beschreibt Axel Halbach diese Szenen mit sehr viel Atmosphäre und wieder vor einem exotischen, aber auch nicht aus dem Nichts heraus entwickelten Hintergrund.
Am meisten überzeugt bei seinen hier nachgedruckten Romanen, dass Axel Halbach die richtige Mischung zwischen Karl Mays von Seitenlangen Dialogen getragenen euphemistischen Schreibstil und einer modernen Interpretation gefunden hat. Auch wenn Kara Ben Nemsi seine Mitreisenden und damit auch die Leser immer wieder mit Exkursen am Rande der Belehrung aufklären muss, wechselt Axel Halbach im Gegensatz zum ausschließlich als Ich- Erzähler agierenden Karl May auch die Perspektive und verleiht seinen Geschichten dadurch mit Tiefe, aber auch inhaltlich mehr Tempo.
Alle Versatzstücke sind im positiven Sinne vorhanden. Aber wie eingangs erwähnt ist diese Vertrautheit nicht nur mit den Figuren, sondern den Schemata des Plots auch die Grundlage für die angenehme, zeitlose Lektüre.
Da die im Eigenverlag von Axel Halbach veröffentlichten Texte selbst antiquarisch kaum bis schwer zu erhalten sind, ist die Neuauflage im Rahmen der neuen Abenteuer Kara Ben Nemsis nicht nur für Karl May Enthusiasten eine Pflichtanschaffung, sondern gibt einer breiteren Leserschicht die Möglichkeit, den wieder gefundenen respektvollen Flair der Originalgeschichten in einem etwas modernen Gewand vielleicht zum ersten Mal zu erleben.