Year`s Best 5

Neil Clarke (Hrsg.)

Herausgeber Neil Clarke streift in seinem Vorwort nicht nur den Markt für Kurzgeschichten, sondern geht auf die Lage des Genres per se ein. So sind seine Year´s Best Bände nach dem Tod Gardner Dozois und der Einstellung einiger Reihen der letzte Mohikaner. Als Herausgeber versucht er deutlich zu machen, dass die Autoren und Autorinnen nicht unbedingt zwanghaft in den drei großen Magazinen publiziert werden müssen, aber es hilft auch ein wenig. Am Ende hebt Neil Clarke aus seiner Sicht wichtige Veröffentlichungen genauso heraus, wie er noch einmal die zum Teil viel zu früh verstorbenen Autoren/ Autorinnen und im Genre arbeitende professionelle Verlagsmitarbeiter besonders erwähnt.

Insgesamt achtundzwanzig Geschichten hat Neil Clarke hier gesammelt. Dabei streifen nicht selten einige der Texte bekannte Themen wie First Contact oder intergalaktische Konflikte; die Zeitreise nimmt in Alastair Reynolds Novelle „Permafrost“ eine Wendung, die ein wenig an Terry Gilliams Film „Twelve Monkeys“ erinnert, aber vor allem geht es Neil Clarke bei der Auswahl seiner Geschichten auch um Emotionen. Die Zeichnung der Charaktere stellt er wie in seinem eigenen Magazin „Clarkesworld“ vor die Handlung, was manchmal qualitativ fragwürdig ist, aber der roten Linie entspricht, die Neil Clarke seit inzwischen fast fünfzehn Jahren einhält.

Eröffnet wird der inzwischen fünfte von ihm herausgegebene Jahresband mit einer Geschichte aus seinem Magazin „Clarkesworld“.  Suzanne Palmers „The Painter of Trees“.  Die Menschen haben einen neuen Planeten für sich entschlossen und die halbintelligenten Ureinwohner genau wie die Flora/ Fauna unter ihre Kontrolle gebracht. Als eines der letzten verbliebenen Individuen hinter die hohen Mauern der Menschen schauen möchte, kommt es zu einem Eklat. Melancholisch traurig zeigt die Autorin auf, die arrogant sich die Menschen breit machen und alles zerstören, um unnötig ihren eigenen Lebensraum wieder neu auf einer anderen Welt zu erschaffen. Am Ende muss zumindest der absichtlich nicht heroisch beschriebene Erzähler erkennen, dass andere Wesen mindestens in einer Hinsicht den Menschen per se, aber auch besonders ihm überlegen sind. Eine bitterböse Botschaft, welche Suzanne Palmer nicht nur in dieser Geschichte den Lesern gerne deutlichst unter die Nase reibt, damit sie aus ihrer Selbstbeweihräucherung aufwachen und erkennen, dass man nur miteinander überleben kann.

„Emergency Skin“ von N.K. Jemisin erhielt den HUGO als beste Kurzgeschichte. Der kurze Text gehört zu einem Zyklus von insgesamt sechs Geschichten, die alle unabhängig voneinander zu lesen sind.  Ein Forscher kehrt nach vielen Jahren zur Erde zurück. Die menschliche Elite hat den von einer ökologischen Katastrophe heimgesuchten Planeten vor vielen Jahren  verlassen. Nur die Ärmsten der Armen sind zurückgelassen worden. Der Elite ist ihr Schicksal egal   gewesen und sie gehen davon aus, das die Menschheit sich entweder inzwischen selbst ausgerottet hat oder an den Folgen der ökologischen Katastrophe zu Grunde gegangen ist. Die Autorin baut ihren Plot nicht nur konsequent auf, sondern sie zeigt überdeutlich dem Protagonisten stellvertretend für den Leser, dass nur ein gegenseitiges Rücksicht nehmen dem Planeten Erde ein wenig Zukunft schenken kann. N.K. Jemisin greift aber nicht auf Klischees zurück, sondern entwickelt eine interessante Variation gängiger Themen, die sich in den bislang noch drei veröffentlichten Fortsetzungen intelligent extrapoliert. Das allgegenwärtige Thema in einer modernen und gleichzeitig auch zeitlosen „Verpackung“ hat neben der guten Charakterführung und vor allem auch dem überzeugend entwickelten Hintergrund den HUGO als beste Kurzgeschichte des Jahres mehr als verdient.     

Sehr viel intensive auf eine eher klassische Art und Weise ist „In the Stillness between the Stars“ von Mercurio D. Rivera. Der Autor fügt der Idee des Generationenraumschiffs mehrere gute Wendungen hinzu. Für den Tiefschlaf gibt es eine zeitliche Begrenzung von 300 Jahren. Mehr geht biologisch vom Körper her nicht.  Schon nach kurzer Zeit weckt die künstliche Intelligenz des Raumschiffes allerdings den Psychotherapeuten, weil ein Mitglied der Crew denkt, sie sieht an Bord des Raumschiffs Monster. Die K.i. kann natürlich keine logische Erklärung für dieses Verhalten aus ihren Datensätzen ableiten und greift mit dem erfahrenen Psychologen zum letzten Strohhalm. Dieser hat aber auf die Reise zum Alpha Centauri sein eigenes sehr schweres innerliches Gepäck mitgebracht.

Die Schwächen der Novelle sind eher wissenschaftlich technischer Natur. Die Störungen treten sehr  früh auf der Reise auf. Das Raumschiff hat noch nicht die Plutoumlaufbahn verlassen. Es wird aber kein nachvollziehbarer Grund aufgeführt, warum die Mission direkt fortgeführt werden muss, anstatt sich im „erdnahen“ Raum um die zunehmend auftretenden Probleme zu kümmern.

Auch die Auflösung der Geschichte wirkt wissenschaftlich nicht nachvollziehbar. Auf diese Art und Weise können „Monster“ nicht mehr einer derartigen Geschwindigkeit an Bord des Raumschiffes transportiert werden.  Das Mittels Schwerkraftwellen im All relevante Informationen übertragen werden, erscheint ebenfalls ambitioniert. Die Ausrichtung auf einen winzigen Punkt im All wird ignoriert.

Ignoriert der Leser bei einer Science Fiction Geschichte allerdings diese wissenschaftlichen Prämissen, dann präsentiert sich Riveras Novelle als stimmungsvolle Unterhaltung.    Grundsätzlich ist die Geschichte als Horrorgeschichte angelegt. Wichtig ist in diesem Fall, dass der Leser sich mit den einzelnen Protagonisten identifizieren kann. Ohne diese Bindung funktioniert der Plot nicht. Daher gibt der Autor allen Protagonisten einen entsprechenden überzeugenden Hintergrund. Die Rückblenden halten das relativ hohe Tempo der Novelle nicht auf. Sie passen sich gut in die einzelnen Abschnitte ein, auch wenn sie alle verklärt subjektiv erzählt werden.

Die Schuld der Figuren ist vor allem emotionaler Natur. Was ist wichtiger? Die Familie oder der Drang, dort draußen etwas zu entdecken. Der Autor stellt zwar die einzelnen Positionen mittels seiner Charaktere gegenüber, er verzichtet aber auf eine abschließende Antwort.

Die emotionalen Szenen sind gut geschrieben, ohne pathetisch zu erscheinen. Der Psychotherapeut hat aus eigenem Willen seine Entscheidung getroffen, während das Crewmitglied Angie von „Monstern“ gejagt zwar durch ihre Affäre eine gewisse Schuld auf sich geladen hat, aber nicht für den Tod ihres Mannes und des gemeinsamen Kindes verantwortlich gewesen ist. Das hilft aber ihrem Gewissen nicht sonderlich.

Im Grunde spielen die „Monster“ auch keine relevante Hauptrolle in der Novelle. Wie bei Stephen King dienen sie als Katalysator, um sich mit anderen Themen auseinandersetzen und wie beim Amerikaner ist es wichtig, den Zugang zu den zerbrechlichen, aber nicht gebrochenen Protagonisten zu finden, damit die Novelle funktionieren kann.

Auf der emotionalen Ebene ohne Frage eine der besten Geschichten des Jahres 2019, während die wissenschaftliche Basis höflich gesprochen bemüht erscheint.

Auch Karin Lowachees „Sympathizer“ ist in ein größeres Universum eingebettet. Aber die Grundidee der Military Science Fiction wird von der Autorin auf eine interessante Art und Weise variiert. Bobbi Draper ist von einem Raumschiff zu einem Rohstoffreichen Mond gebracht  worden, der auch von Außerirdischen entdeckt worden ist. Die Admiralität nimmt in Kauf, dass ihre Handlungen einen militärischen Konflikt mit den Außerirdischen auslösen könnten.  Gleichzeitig ist es die erste Begegnung mit einer fremden Rasse. Wie viele Jahre vor ihr Barry Longyear reduziert die Autorin den Kontakt auf das Wesentliche. Eine menschliche Frau, ein dominanter Außerirdischer Krieger müssen lernen, miteinander zu kommunizieren, auch wenn sie im Grunde gar nichts verbindet und ihre originären Missionen konträrer nicht sein könnten.  Dieser Aspekt gerät mehr und mehr in den Hintergrund, auch wenn die ersten Kommunikationsversuche im Gegensatz zu Longyears ironischer Vorgehensweise ein wenig bemüht wirken.

 Marie Vibbert bekommt den Preis für die ungewöhnlichste Science Fiction Story des Jahres, auch wenn die technische Logik sich nicht unbedingt gleich erschließt. In „Knit Three, Save Four“ wird ein blinder Passagier an Bord eines wirklich brüchigen Raumschiffs gefunden, das wegen der mangelnden Hüllenintegrität nicht andocken darf. Anscheinend ist man auch nicht willig, die Leute von Bord zu holen. Zu aufwendig und zu teuer. Dank der Laden findet sie eine sehr ungewöhnliche Methode, um das Schiff zusammenzuhalten und macht später daraus ein Geschäftsmodell. Viele kleine Teile wirken unlogisch, aber in diesem Fall siegt die literarische Frechheit, in dem sie wirklich eine gute irdische Idee einfach extrapoliert. Außerdem ist der Text humorvoll frisch geschrieben worden, auch wenn die Zeichnung der Protagonisten bis auf die Hauptperson schematisch ist.

Cixin Lius "Moonlight" ist eine für diesen Autor fast klassische Geschichte. Ein zukünftiges Ich ruft den Protagonisten an und schlägt ihm nacheinander mehrere bahnbrechende, die Ökologie schonende revolutionäre Erfindungen - per E Mail direkt in sein Postfach - vor. Nur haben die auch negative Folgen für die Zukunft. Ohne Antworten zu liefern spielt der Autor mit Hilfe seines liebeskranken Protagonisten verschiedene Szenarien durch und scheint vor der absoluten Scheuklappenperspektive zu warnen. Eine abschließende Antwort wird dem Leser allerdings verwehrt.

Wie eine Reihe anderer Geschichten dieser „Best Of…“ Ausgabe leitet Tobias S. Buckells „By the Warmth of their Calculus“  unter dem nur bedingt recherchierten Hintergrund. Warum die Killer Drohnen in den Ringen eines gigantischen Planeten Probleme haben, wird an keiner Stelle der Geschichte erläutert. Aber ohne die entsprechende Biegung würde der ganze Plot nicht funktionieren. Die Kolonie versteckt sich schon seit langer Zeit vor der Bedrohung. Aber die Gruppe von Kolonisten leben nicht autark in den Ringen des Planeten, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ein entsprechendes Team ausgeschickt werden muss. Die Mission stellt den Mittelpunkt der Geschichte dar.  Buckell verzichtet abschließend auf eine direkte Begegnung zwischen dem ausgesandten Raumschiff und den Killerdrohnen. Viel mehr geht es bei der gemischten Besatzung um klassische Seefahrerthemen wie Mut, Aufopferungsbereitschaft und schließlich auch ein wenig nautisch- mathematische Fähigkeiten, mit denen sich die Crew in einem ohne Frage exzentrischen, aber auch herausfordernden Universum bewegen kann und muss. Fiana als Kommandantin ist gleichzeitig eine Art Mutter, die ihre „Jungs“ weniger kommandiert und kontrolliert, sondern wie eine Mutter allerdings bis zum drohenden Exzess zu Lasten der ganzen Mission zu behüten sucht. Sie vertritt alle aus mancher Sicht antiquierten Werte und ist eher bereit, das alle Menschen beim Versuch der eigenen Rettung sterben als das sie zehn im Grunde aufgesammelte Feinde wieder ins All setzt und sie mit Sicherheit sterben lässt. Diese humanistische Aspekt gebt den Text aus der Masse vergleichbarer nach klassischen Space Opera Motiven zusammengesetzter Geschichten positiv hervor. Positiv ist, dass Buckell auf einen Schurken verzichtet und mit Audra eine Kontrahentin Fiana entgegenstellt, deren Interesse – ein erfolgreicher Abschluss der Mission – mit Fiana grundsätzlich übereinstimmt und doch ganz anders gelagert erscheint. 

 Wie bei einigen anderen Novellen und Kurzgeschichten dieser Anthologie ist das vorgestellte Universum Buckells aber schon in einer Reihe von Kurzgeschichten und Romanen vorentwickelt worden, so dass es sinnvoll ist, mit ein wenig Vorwissen diese besondere Reise an der Seite der lange Zeit ausschließlich reagierenden Crew zu unternehmen. 

Elizabeth Bear setzt sich in „Deriving Life“ ebenfalls mit einem alt bekannten Thema auseinander. Außerirdische bieten Menschen für eine parasitäre Symbiose und einem verfrühten Tod unglaubliche Möglichkeiten an. Marqs Freundin/ Liebes seines Lebens hat aufgrund ihrer Grunderkrankung dieses Angebot angenommen. Die Zeit nähert sich ihrem Ende und sie wird bald sterben. Marq muss mit diesem in der Theorie vorhersehbaren Verlust fertigwerden, auf der anderen Seite darf er aber nicht seine letzten Jahre wegschmeißen. Elizabeth Bear hat einige eindringliche und emotional ansprechende Szenen geschrieben, in denen sie sich allerdings mit leider eindimensional gestalteten Charakteren mit dem Thema Sterben auseinandersetzt. Leider kann die Autorin ihre Geschichte nicht zufriedenstellend zu Ende bringen. Dabei spielt es keine Rolle, das die Hintergründe so wenig entwickelt worden sind, die Protagonisten wirken zu eindimensional.

Auch Gwyneth Jones „The Little Shepherdess“ funktioniert nur bedingt. Eine Meeresbiologin und ein holländisch indonesischer Taucher finden eine Methode, eine seltene Tiefseeart vor der Ausbeutung durch die Bodenernten auf dem Meeresgrund eines Konzerns zu retten, in dem sie ein im Grunde perfektes System präsentieren, das dem Geld wie der Ökologie gerecht wird. Die Entwicklung kommt aus dem Nichts heraus, der Leser kann aber zumindest den Gedankengängen der Protagonisten folgen. Wahrscheinlich hat die Autorin versucht, zu viele Fakten auf zu wenig Raum zu präsentieren und als Novelle hätte die Geschichte besser funktioniert.

Rebecca Campbells setzt in Hinsicht auf Nihilismus mit „Such Thoughts are Unproductive“ ein klares Zeichen. In einem zukünftigen Kanada spricht eine junge Frau mit ihrer Mutter, die als politische Gefangene festgehalten wird. Die Hintergründe sowohl ihrer Taten als auch der Beschreibung des Landes sind eher ambivalent. Mehr und mehr hat sie den Verdacht, das sie nicht tatsächlich mit ihrer Mutter spricht, sondern einer Simulation auf höchstem Niveau. Der Polizeistaat wird genauso angesprochen wie die Tatsache, dass die Menschen nicht mehr zwischen den künstlichen Intelligenzen und ihrer Dominanz sowie echten Menschen unterscheiden können. Die Kontrolle scheint in dieser kargen wie futuristischen Welt perfekt zu sein.

 Die Tochter flieht am Ende in die Wildnis, wobei diese Reise möglicherweise ohne Rückkehr wie eine sinnlose Flucht erscheint. Ob sie dort wirklich „frei“ ist steht dank des zu offenen Endes in den Sternen.

Kali Wallace „The River of Blood and Wine“ nutzt im Grunde ein Westernmotiv. Der verlorene Sohn kehrt zwar nicht zum Sterben, aber zum Abschied nehmen zurück. Die Zusammenhänge sowohl seiner Flucht als auch seines abschließenden Verrats kann der Leser vorher erahnen, sie werden ihm aber drastisch am Ende vor Augen geführt. Die Zeichnung der meisten Figuren ist schwarzweiß und vor allem der Vater wirkt eher eindimensional, klischeehaft, aber handlungstechnisch absolut pragmatisch entwickelt.

 Sunan kehrt nach mehr als siebzehn auf den Kolonialplaneten zurück. Dieser wird gerade abgesiedelt. Da die Ureinwohner eine rudimentäre Grundintelligenz haben, müssen die wenigen Menschen ihre Kolonie abbauen. Das Geheimnis der Ureinwohner haben sie absichtlich vor der Konföderation verborgen.

 Ohne zu belehren oder den Leser zu erdrücken eröffnet die Autorin den Hintergrund der Geschichte sehr effektiv. Aus Sunans persönlicher Perspektive mit der ganzen Ablehnung fast aller Menschen wird dessen nachvollziehbares Motiv nach und nach überzeugend herausgearbeitet. Am Ende kann die Autorin sowohl den jungen Protagonisten als auch den Lesern einen Kompromiss anbieten. Einen Moment der Ruhe; die Chance, Erinnerungen aufzusaugen und mit sich zu einem neuen Planeten zu tragen.

 Xiva ist ein unwirtlicher, herausfordernder Planet. Die Beschreibungen erinnern an Alaska, die ersten Siedler an die von der Zivilisation verstoßenen Jäger und Traber, die sich vor allem Abgeschiedenheit und Einsamkeit wünschen.

 Wie in Michael Coneys „Der Sommer geht“ überzeugt der Hintergrund. Ohne Kitsch, ohne Pathos muss Sunan sich von einer Welt verabschieden, die er selbst „zerstört“ hat, um im Grunde Rache zu nehmen. Er war sich der Folgen bewusst, aber er wollte einem anderen Menschen wehtun. So wehtun, wie er es selbst erlebt hat.

 Sein Handeln ist in vielerlei Hinsicht konsequent, auch wenn die Intelligenz der Ureinwohner mehr indirekt betont als aktiv gezeigt wird. Stimmungsvoll, intensiv und spannend hat Kali Wallace einige Versatzstücke der Kolonisten Science Fiction absichtlich auf den Kopf gestellt und mit dreidimensionalen Charakteren eine intensive Familientragödie geschrieben, die den Leser über das Ende der Geschichte trotz einiger kleinerer Klischees nicht mehr loslässt.       

Der lustigste Titel des Jahres gehört „One thousand Beetles in a Jumpsuit“ von Dominica Phetteplace. Es ist allerdings die erste Geschichte einer fortlaufenden Serie und viele der grundlegenden Ideen werden nicht abgeschlossen. Konglomerate haben die Kontrolle übernommen und scheuen sich auch nicht, alle relevanten System- bzw. Kapitalismusgegner umzubringen.

Die Protagonistin Isla bringt mit ihren teilweise flotten Sprüchen ein wenig mehr Leben in einen teilweise doch stereotypen Plot. So soll sie einen gigantischen Ort namens „Robot Country“ aufsuchen, um etwas wahrscheinlich in den nächsten Geschichten zu extrapolierendes zu untersuchen. Sie weiß nicht, was genau ihre Mission ist. Der Leser kann es am Ende nicht erkennen. Es sind die kleinen Details wie ihre Begegnung mit einem der dortigen Roboter, welche in einer Reihe von kleinen Dates gipfelt. Isla findet auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise eine neue berufliche Erfüllung in Robot Country, ohne das es konstruiert oder affektiert wird. Jede ihre Nachfolgehandlungen ist konsequent, auch wenn sie sich überzeugend auch davor fürchtet, von den Robotern aktiv  um Hilfe gebeten zu werden. Das könnte einen Verstoß gegen ihre allgegenwärtigen, aber immer präsenten Chefs bedeuten. 

Die einzige ausgereifte Novelle dieser anthologie ist „Permafrost“ von Alastair Reynolds. Auf knapp originär 180 Seiten weicht der Brite von seinen bisherigen barocken Space Operas ab und kehrt in den Bereich der humanistischen Ökologie zurück. Vieles erinnert an Terry Gilliams „Twelve Monkeys“. Die Zeitreisenden laufen wie die Ratten in ihren Zeitströmen hin und her, verändern manchmal etwas, aber finden schnell heraus, dass jede ihrer geplanten Änderungen irgendwie von oben, vielleicht aus einer weiter als dem Jahr 2080 entfernten Zukunft überschrieben werden. Jede im Grunde gute Idee endet in einer Katastrophe und muss rückgängig gemacht werden. Dabei steht die Menschheit im Jahre 2080 am Abgrund und versucht die ökologische Katastrophe durch eine gute Tat im Jahre 2028 zu verhindern.  Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat sich im Jahre 2080 in der Nähe des Polarkreises auf russischem Gebiet quasi im ewigen Eis auf einer kleinen Flotte von Schiffen niedergelassen. Im Permafrost. Warum dieser abgeschiedene Ort erläutert Alastair Reynolds während des furiosen Finales.  Wie erwähnt wollen sie in der Vergangenheit quasi einen Dominostein metaphorisch umfallen lassen, damit sich die Menschheit in den folgenden fünfzig Jahren bis in die Gegenwart der Geschichte anders, positiver und vor allem ökologisch sensibler entwickelt. Durch diesen ganz kleinen Stein sollen Zeitparadoxe verhindert werden. 

Aber nicht der Körper wird in der Zeit versetzt, sondern quasi das Bewusstsein der Freiwilligen in dann allerdings unfreiwillige und ahnungslose Wirt in der Vergangenheit. Valentina Lidova ist die Tochter einer der besten, aber auch exzentrischen Quantenmathematikerin der Erde, welche die Grundlage für diese Art der Zeitreise theoretisch entwickelt hat. Valentina ist eigentlich Lehrerin, aber einige hervorstechende Eigenschaften machen sie wie eine kleine andere Gruppe von Freiwilligen zu perfekten Piloten, um in das Bewusstsein des Vergangenheitsmenschen zu reisen. Eine Reise in die Zukunft ist mit dieser Technologie nicht möglich. 

Dass die Reise nur bedingt erfolgreich ist, macht Reynolds gleich im ersten Satz dieser Novelle klar. Ab diesem Moment durchbricht er eine lineare Erzählstruktur und zeigt teilweise parallel Ursache und Auswirkungen der Zeitreise. Dabei bleibt es den Piloten nur übrig, auf die von ihnen initiierte Zeitreise und damit auch die Samen aus der Zukunft zu reagieren. Bis auf die Idee der im Grunde geistigen Zeitreise präsentiert Reynolds keine weitere Technik. Viel mehr hat der Leser das Gefühl, als wenn die Welt fünfzig Jahre nach dem Schicksalsjahr 2028 buchstäblich im ewigen Eis und angesichts der ökologischen Katastrophe auf einer zum Stillstand gekommenen Technik eingefroren ist.

Interessant ist Reynolds Vorgehensweise.  Die Wissenschaftler wollen die Zukunft aus der Vergangenheit heraus minimal verändern. Es gibt aber nur einen Zeitstrang, es bilden sich keine parallelen Linien heraus. Die Veränderungen egal in welcher Form bedingen Paradoxe, die als „Lärm“, eine Art weißes Rauschen bis in die Gegenwart das Jahres 2080 immer kräftiger und unerträglicher werden. Die Piloten werden quasi zu Beobachtern ihrer eigenen Veränderungen. Sobald der Lärm ein bestimmtes Niveau überschritten hat, kann man nicht mehr durch diese „Zeit“ sich bewegen und damit in der Vergangenheit Manipulationen rückgängig machen. Daher wird jede Reise inzwischen zu einem Wettlauf mit der Zeit.

Auf der persönlichen Ebene hat Alastair Reynolds insbesondere mit Valentina eine perfekte, dreidimensionale und emotional zugängliche Person erschaffen. Sie ist Lehrerin und unterrichtet eine im Grunde zum Sterben verurteilte Generation in Geschichte. Ein schwieriges Unterfangen. Sie selbst hat in ihrer Jugend unter der Genialität ihrer Mutter gelitten. Aber ausgerechnet diese Genialität soll genauso wie Valentinas geschichtliches Wissen die Menschheit retten. Wie die Zeitreisen sammeln sich in Valentinas Charaktere so viele Widersprüche im positiven Sinne, dass der Leser aufgrund dieser Zusammenfassung die Komplexität der ganzen Geschichte nur erahnen kann.

Auch wenn die Rettung der Menschheit aus ihrer eigenen Klemme heraus ein fast klischeehaftes Thema ist, bringt es Alastair Reynolds durch die Fokussierung auf Einzelschicksalen auf einen interessanten Höhepunkt und präsentiert eine packende, atmosphärisch dichte und teilweise verstörend aktuelle Novelle von ungeahnter Tiefe und trotzdem einer überzeugenden Mitmenschlichkeit. 

Tegan Moores „The Work of Wolves” ist eine dieser Kurzgeschichten, welche unabhängig von ihrer Erstveröffentlichung in Asimov´s Science Fiction Magazin aufgrund der fehlenden wissenschaftlichen Basis enttäuschen. Nicht jedes tierische Gehirn lässt sich intellektuell „aufblasen“. Wer vielleicht Hunde noch generell wegen der angeblich vorhandenen Grundintelligenz akzeptiert, sollte spätestens bei einer Ratte zweifeln, welche intellektuell nach der Manipulation den Menschen so gewaltig überlegen ist.

Sera ist ein hervorragender Spürhund, der vor allem für Suchaktionen eingesetzt wird. Ihr Bewusstsein ist quasi aufgepumpt worden.  Ihr Betreuerin hat damit Probleme. Dieser Aspekt wirkt schon wenig glaubwürdig, aber als Sera und ihre menschliche Begleitung vom Militär für eine besondere Mission angeheuert werden, brechen diese Konflikte offen aus.  Interessant ist, dass Seras Versuch, das Vertrauen ihrer Betreuerin zu gewinnen, während des Finals aus einer schockierenden anderen Perspektive gezeigt werden. Ist es menschlicher Instinkt, obwohl diese Basis höchstens impliziert wird. Der Hintergrund einer unter den Spätfolgen der ökologischen Katastrophe leidenden Welt sind allerdings gut beschrieben. Der Konflikt mit der intelligenten Ratte wirkt ein wenig aufgesetzt, aber generell spielt Tegan Moore mit einigen Klischees, die er allerdings positiv gesprochen während des im Grunde Epilogs absichtlich relativiert und damit einen nachhaltigeren Eindruck hinterlässt als es der zugrundeliegende Plotverlauf verdient.

In A Ques „Song Xiuyun“ reist eine Mutter in die Hauptstadt, weil sie Angst um ihren Sohn hat. Auf der Heimreise spricht sie mit dem Taxifahrer über ihre Erfahrungen.  Die Grundprämisse ist im Grunde unlogisch und es erscheint unwahrscheinlich, dass die Mutter auch aus der Ferne nicht gemerkt hat, was eventuell mit ihrem Sohn nicht stimmen könnte. Hinzu kommt, dass der Sohn gar nicht wie  von der Mutter gewünscht in dem kleinen Dörfchen hätte arbeiten können.

Wissenschaftliche Ungenauigkeiten lassen sich eher verzeihen, wenn die Charaktere dreidimensional und überzeugend sind. Die Autorin spricht den Generationenkonflikt an, der in diesem Fall schon durch das fehlende Verständnis für die Arbeit des Jungen entsteht. Vor allem in China mit dem rasanten Wirtschaftswachstum haben sich die Generationen deutlich voneinander entfernt. Die Mutter versucht ein wenig naiv ihrem Sohn zu helfen, obwohl es bis auf die distanzierte Art keine überzeugenden Motive für diese auch erdrückend erscheinende Art der Hilfe zu geben scheint.

Der Sohn versucht die Mutter mit einem Trick zu täuschen. Der Trick erscheint ausgesprochen kompliziert, auch wenn er auf den ersten Blick die Mutter glücklich macht. Ob tatsächlich ein solcher Weg beschritten werden kann oder sollte, steht auf einem anderen Blatt.

Die beste Eröffnungszeile präsentiert Vandana Singhs „Mother Ocean“. Paro vergisst im Meer, das sie ein Mensch ist. Sie ist zwar teilweise körperlich verändert worden, damit sie im Wasser sich besser bewegen kann, aber ihre Bindung zu den Meerestieren ist deutlich intensiver als zu den Menschen, welche diesen Lebensraum systematisch zerstören. Die Geschichte erschien das erste Mal in der „Current Future“ Anthologie, welche auf die Zerstörung der Umwelt hinweisen, aber auch alternative Wege suchen. Vandana Singh gehört in dieser Hinsicht zu den Vorreitern, in dem sie in ihrer vorliegenden Arbeit nicht nur den menschlichen Zerstörungsdrang kritisiert, sondern gangbare alternative Wege, welche die Schraube nicht auf Jahrzehnte zurückdrehen. Diese Lösung sind aber aus der Wut hinsichtlich der Vergangenheit geboren worden.

„Cratered“ von Karen Osborne reiht sich in eine kleine Phalanx von Geschichten ein, in denen Menschen etwas Unbegreiflichen begegnen. Die Protagonistin sieht einen Kamin aus dem Haus, in dem sie aufgewachsen ist. Nur auf dem Mond. Ein Astronaut hat eine ähnliche Begegnung. Aus diesen Erscheinungen werden plötzlich „Menschen“, die vor Jahren gestorben sind. Anscheinend bewegen sich die Protagonisten in einer von außen gesteuerten virtuellen Realität. Die Auflösung ist solide. Sie greift zwar auf bislang nicht erklärte oder erkennbare Technologie zurück, aber der Leser kann den Erklärungen zumindest auf Augenhöhe folgen. Die Charaktere sind überzeugend gezeichnet worden. 

 „The Justified“ von Ann Lecki folgt den Strukturen ihrer Trilogie. Im Mittelpunkt steht eine im Grunde herausfordernde oder ehrlich gesagt fast unmögliche Mission, für die Het vom unsterblichen Herrscher ihrer Welt aus dem Exil geholt wird. Hets Fähigkeiten bleiben zwar ambivalent, aber sie scheint über derartige zerstörerische Kräfte zu verfügen, das sie mächtiger als der Herrscher ist. Erklärungen gibt es leider keine. Het ist im Grunde eine Art Monster, das unkontrollierbar ist. Daher muss sie bei dieser Mission erfolgreich scheitern. Ann Leckie ist sich nicht zu schade, eine unsympathische Antiheldin zu kreieren, die allerdings den nicht von ihr aufgestellten Regeln konsequent bis zum bitteren Ende folgt. Es stellt sich die Frage, ob alleine die ausführende Hand das „Monster“ ist oder der ein wenig eindimensional gezeichnete unsterbliche Herrscher. Wie in allen ihren Geschichten lässt die Autorin diese Flanke offen, auch wenn sie wieder in die Legendwelt Ägyptens abtaucht und Herrscher sowie Götter einfach durch futuristische Inkarnationen oder kybernetische Krieger ersetzt. Trotzdem ist die Geschichte spannend und vor allem sehr dynamisch geschrieben überzeugend.

Auch Annalee Newitz möchte eine alte und zeitlose Geschichte in einem neuen Gewand erzählen. Es ist die Lebensgeschichte zwischen einem entflohenen Sklaven in einer dunklen diktatorischen zukünftigen Gesellschaft und einem Roboterprofessor. Sie versuchen sich beide klar zu machen, was wahre Liebe ist. Dabei schauen sie alte Anime Filme aus dem 21. Jahrhundert. Die Autorin hat die Charaktere schon in mehreren aufeinander aufbauenden Novellen und Kurzgeschichten verwandt. Herausragend ist dabei Autonomous, welche auch den bizarren Hintergrund dieser Welt erläutert. Darum leidet die Charakterisierung in dieser Kurzgeschichte trotz des emotional allgegenwärtigen Themas. Annalee Newitz scheint auf weitere Fortsetzungen zu setzen. So endet der Plot nicht, der Handlungsbogen läuft quasi nur aus. Das macht die wenigen guten Szenen zu Beginn der Geschichte in dieser auf diese Kurzgeschichte fokussierten Version im Grunde bedeutungslos.

In „At the Fall“ beschreibt Alec Nevala- Lee die verzweifelte Mission eines kleinen Roboters in einer möglicherweise und nicht vollständig von einem EMP Impuls zerstörten Zivilisation. Der Roboter hat wichtige Informationen für ihren „Schöpfer“. Der Roboter muss sich aus einer besonderen Lage befreien. Die einzelnen Stätten befinden sich am Grunde des Meeres und der tapfere Bote kann quasi nur von einer Schlucht sich zur Nächsten arbeiten. Alleine die Reise mit ihren vielen kleinen Details ist lesenswert. Mit zwei Hintergrundhandlungen versucht die Autorin sowohl die Wichtigkeit der Mission zu unterstreichen als auch zu demonstrieren, wie sehr sich die kleinen im Grunde künstlichen Intelligenzen von ihren Schöpfern entfernt und weiterentwickelt haben. Am Ende muss der Roboter allerdings erkennen, das der Mensch nicht die Krone der Schöpfung ist. Eine bittere Erkenntnis, welche diese über weite Strecken sehr spannende Geschichte mit gut gezeichneten Charakteren so lesenswert macht.

Zu den schwächsten besten Geschichten des Jahres gehört Ray Naylers „The Ocean between the Leaves“. Ein junger Mann kümmert sich liebevoll um seine Schwester, die im Koma liegt. Der Hintergrund ist semifuturistisch, alleine die Androidenkörper bereit für die menschlichen Bewusstseins geben der Story einen Science Fiction Hintergrund. Die Pointe ist allerdings eine Überraschung und lässt den Leser die bisherige Handlung nicht nur komplett überdecken, sondern zwingt ihn, alles aus einer gänzlich anderen Perspektive zu sehen. Man sollte die Geduld aufbringen und den Plot bis zum Ende lesen, bevor man die anfänglichen Versatzstücke zu früh abschreibt.

Die Pointe in Ray Naylers Geschichte ist einer der besten dieser Sammelanthologie. Bei Aliette De Boards „Rescue Party“ macht die Pointe oder besser der ganze Epilog keinen Sinn. Er trifft den Leser unvorbereitet, viel schlimmer ist, er kommt buchstäblich aus dem Nichts. Bis dahin konzentriert sich die Autorin auf eine Gesellschaft auf einer Kolonialwelt, welche die „Nutzlosen“ aussortiert und quasi in eine Art künstliches Koma versetzt. Giao versucht sich mit Geschick dagegen zu wehren. Die Geschichte spielt zwar im Xuya Universum, könnte aber auch vor jedem anderen Hintergrund ablaufen. Je weiter allerdings die Autorin den Hintergrund quasi öffnet, desto mehr Fragen ergeben sich. Das ganze politische System scheint auf der Manipulation der Bewohner zu basieren. Allerdings wirken einzelne Querverweise derartig konstruiert, das selbst die gute Zeichnung der Protagonisten nicht wirklich weiterhilft.

Die dritte ein wenig technisch ambivalente Geschichte ist John Chus „Close Enough for Jazz“.  Emily und Hock entwickeln ein neues Körperanpassungsprogramm. Erstaunlicherweise schränken sie die Zielgruppe dem Plot geschuldet stark ein. Nur reiche Menschen sollen es nutzen, die einen perfekten Körper haben wollen.

 John Chu kennt sich anscheinend mit der Suche nach dem Geld der Private Equity Investoren aus. Emilys Bemühungen, ihre Idee zu präsentieren und die entsprechenden Finanzierungsgelder zu erhalten wirkt authentisch und verleiht der Geschichte aus einen sehr realen Rahmen.

 Auf der anderen Seite schränkt der Autor die Nutzung dieser Entwicklung zu stark ein. Anscheinend fokussiert er sich unnötig auf die reichen Menschen, obwohl das implizierte Nutzungsfeld sehr viel größer sein kann und sein sollte. Erstaunlich ist, das vor allem die potentiellen Investoren in dieser Hinsicht auch sehr beschränkt argumentieren.

 Weiterhin unrealistisch erscheint, dass die potentiellen Kapitalgeber zu sehr in einem engstirnigen Denken verharren, anstatt die Möglichkeiten zu sehen. Alle Ansätze wirken nicht nur kleingeistig, vor allem versucht John Chu einen Konflikt zu entwickeln, den es in der Welt des schnellen Risikoinvestments hinsichtlich der Hautfarbe, des Geschlechts oder gar der Herkunft des präsentierenden Erfinders so nicht gibt. Dadurch nimmt der Autor seiner Story die Effektivität und verschenkt ausgesprochen viel Potential.

Carolyn Ives Gilman unterstreicht, das Phantasie jeder Logik ersetzen kann. „On the Shores of Ligeia“ impliziert, dass Milliarden von Forschungsgeldern sich besser in den Händen von Kindern befinden sollten. Hinzu kommt, dass Seth quasi seinen Boss in letzter Sekunde ersetzen soll, um eine Liveschaltung zum Titan zu moderieren. Seths Boss hat sich das Bein gebrochen, aber nicht den Mund. Interessant ist allerdings, das die Autorin herausarbeitet, das künstliche Intelligenzen dem Menschen in vielen Punkten überlegen sind, aber sie hinsichtlich ihrer Instinkte und vor allem auch ihrer Improvisationsgabe scheitern müssen. Aber die technischen Unzulänglichkeiten lassen diesen interessanten Aspekt förmlich untergehen.

Neben „Permafrost“ ist „The Empty Gun“ von Yoon Ha Lee die zweite Geschichte, die sich intensiv mit Zeitreise auseinandersetzt. Im Gegensatz zu Reynolds Novelle sollte der Leser bei „The Empty Gun“ den Zeitparadox Verstand ausschalten, damit die kurzweilig und vor allem rasant geschriebene Kurzgeschichte auch wirklich funktioniert. Kestre möchte ihr ermordetes Volk rächen und besorgt sich eine ganz besondere Waffe. Der Leser muss akzeptieren, dass Kestre diese besondere Waffe erworben hat, ohne sie auszuprobieren. Das wirkt schon unglaubwürdig. Am Ende beschließt sie, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. An ihrer Seite ist eine der zahlreichen künstlichen Intelligenzen dieser Anthologie. Die künstliche Intelligenz sucht eine Erklärung, an welcher die Wissenschaftler in Reynolds nicht nur in dieser Hinsicht überlegenen Novelle abschließend gescheitert sind. Zwar fühlt sich Kestre befreit, der Leser sich aber auch nach dieser in sich unlogischen Achterbahn frustriert. 

Aus der Anthologie „The Mytic Dream“ stammt ursprünglich „Kali_ Na“ von Indrapramit Das. Im Gegensatz zu Ann Leckies Anspielungen auf das alte Ägypten erzählt die Autorin mit indischen Wurzeln direkt eine alte Sage nach. Die Verwandlung der warmherzigen Göttin Durga zu Kali passt vielleicht nicht direkt in eine Science Fiction Anthologie und die Hinweise auf ein überbevölkertes Indien der nahen Zukunft sind nicht handlungstechnisch entscheidend, aber die Idee, das selbst künstliche Intelligenzen die alten Götter befragen, ist eine interessante Prämisse bei einer grundsätzlich seltsamen, fast bizarren Geschichte, deren bitterer sozialer Realismus die wenigen phantastischen Idee fast erdrückt.

Rich Larson spielt die Terminator Karte in einer dunklen Zukunft. Mars ist eine Art Supersoldat mit überdurchschnittlichen regenerativen Kräften. Er muss einen bestimmten Gefangenen retten. Die Mission nimmt den wichtigsten Handlungsabschnitt der Geschichte ein, wobei die Kampfszenen die seltsame Pointe überdecken. Rich Larson versuchte aus einer stringenten Military Science Fiction Geschichte etwas Existentielles zu machen und scheitert bei diesem Versuch, da er die Hintergründe ignoriert und vor allem die Protagonisten zu eindimensional charakterisiert.

  „Give the Family my Love“ von A.T. Greenblatt verfügt über eine für diese Sammlung einzigartige Ausgangsprämisse. Die Protagonistin und Erzählerin – der Text ist als Monolog, als Botschaft an ihren Bruder Saul aufgebaut – berichtet von ihrem Besuch in einer Art intergalaktischer Bücherei, die mehr als dreißig Lichtjahre entfernt von Fremden errichtet worden ist. Hazel hofft, dort Informationen zu erhalten, aus denen sie Hilfe gegen den drohenden ökologischen Kollaps der Erde ableiten kann. Interessant ist, dass tief in ihrem Wesen Hazel im Grunde eine Pessimistin ist, die sich auf eine Selbstmordmission begibt, um die Menschheit zu retten, mit der sie eigentlich nichts wirklich anfangen kann. Dieser emotionale Widerspruch macht sie zu einer erstaunlich dreidimensionalen Figur, über welche der Leser ausschließlich aus der Ich- Perspektive sehr viel selbstkritisches erfährt. Viele andere Wissenschaftler hätten sich mehr in den Mittelpunkt gestellt. Genauso sind ihre Neugierde und ihre Besessenheit überzeugende Aspekte ihres Wesens, während der Hintergrund mit dem langen Marsch – ein Kilometer – in fremder Umgebung nach einer Reise von mehr als dreißig Lichtjahren dramaturgisch aufgesetzt erscheint und abschließend für den Plot plötzlich keine Bedeutung mehr hat.

Zusammenfassend ist der Jahrgang 2019 Kurzgeschichten technisch ein gutes Spiegelbild des Genres. Stilistisch gut ausgebildete Autoren bemühen sich, gegenwärtige Themen wie Umweltzerstörung, aber auch ökologisches Bewusstsein mehr oder minder überzeugend in nahe oder fernere Zukünfte zu übertragen. Interessant ist dabei, dass vor allem die sozialen Folgen wie auch die technologischen Entwicklungen nicht dominieren, sondern fast ausgesetzt erscheinen. Sie sind nicht unbedingt notwendig. Nur wenige Geschichten versuchen aber alternative Wege aufzuzeigen. In dieser Hinsicht ragt Alastair Reynolds „Permafrost“ unabhängig vom gescheiterten Versuch aus der Masse positiv heraus. Während ökologisch keine Antworten gegeben werden, entspricht auch die politische Richtung eher einem Flexitarier als einer Meinung, an welcher sich Leser wie Rezensenten auch positiv gesprochen reiben könnten. Fast alle die Gegenwart betrachtenden Autoren versuchen eine Art Quadratur des Kreises mit dem Einfühlungsvermögen eines kleinen Elefanten in einem globalen Porzellanladen. An diesen Geschichten kann der Leser teilweise ablesen, wie leicht es ist, polemisch zu attackieren, aber wie schwer es auch fällt, zukunftsorientiert zu argumentieren. Hinzu kommt, dass viele Autoren Science Fiction mit Fantasy verwechseln und sich um naturwissenschaftlichen Hintergründe nicht wirklich kümmern. Natürlich lässt sich argumentieren, dass ein starker Plot auch vor einem nicht logischen Hintergrund funktionieren kann oder muss, aber wenn wichtige Aspekte der Handlung auf naturwissenschaftlichen Grundlagen basieren sollen, müssen diese auch stimmen. 

Die Geschichten sind nicht alphabetisch nach Autoren geordnet. Auffallend ist aber, dass nach der Bruchstelle „Permafrost“ von Reynolds ungefähr in der Mitte der Anthologie die Qualität deutlich nachlässt und viele der unterdurchschnittlich langen Kurzgeschichten nur bedingt funktionieren.

Als Überblick über die Science Fiction Kurzgeschichtenmarkt generell ist die letzte momentan verbliebene „Year´s Best“ Anthologie von Neil Clarke existentiell. Neil Clarke kann sich auch keine kontinuierlich überdurchschnittlichen Geschichten aus den Rippen schneiden und die Qualität der Sammlung ist hoch, aber für ein „Year´s Best“ teilweise auch herausfordernd und vor allem die Inhalt übergreifend betrachtet „Clarkesworld“ lastig. Damit soll nicht zum Ausdruck gebracht werden, dass Neil Clarke sehr viele Geschichten aus seinem Magazin genommen hat. Das Gegenteil ist der Fall, aber die „Analog“ und „Asimov´s Science Fiction Magazine“ Fiction wird doch stellenweise schmerzlich vermisst.

The Year´s Best Science Fiction Band 5

Herausgeber Neil Clarke

 

  • Herausgeber ‏ : ‎ Night Shade (27. Oktober 2020)
  • Sprache ‏ : ‎ Englisch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 624 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 194910222X
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-1949102222
  • The Best Science Fiction of the Year Volume 5