Jerry Carbon - Bomben, Gangster und Mutanten

Kurt Kobler

Kurt Kobler legt mit “ Bomben, Gangster und Mutanten” eine Hommage an Jerry Cotton - der Bastei Verlag bestand allerdings auf einer Umbenennung der markanten Protagonisten der Serie - und die frühen Perry Rhodan Romane vor. 

Noch mehr als “Perry Rhodan” ist Jerry Cotton ein Dauerbrenner und gleichzeitig wie der Autor in seinem Nachwort schreibt deutsches Kulturgut.  1953 in einer Küche verfasst erschien 1954 das erste Jerry Cotton Romanheft “Ich suchte den Gangster- Chef” noch nicht in einer eigenständigen Reihe, sondern als Nummer 68 der Bastei Kriminalromane. 

Der Serienerfinder ist Delfried Kaufmann gewesen, um dessen Identität der Bastei Verlag jahrelang ein großes Geheimnis machte.  Neben dem “ich” in jedem der frühen Jerry Cotton Titel war es dem Verlag wichtig, die Heftromane als persönliche Aufzeichnungen des G-Man zu deklarieren und deswegen erschien ursprünglich Jerry Cotton auch als Autor. Später verzichtete der Verlag auf die Nennung der Autoren. 

Angeblich wollte Delfried Kaufmann nur die amerikanischen Krimis persiflieren und wählte deswegen mit Cotton, sprich Baumwolle einen wenig heldenhaften Namen. Später relativierte der Autor diese Gerüchte, in dem er gegenüber Martin Compart in einem Interview klarstellte, das eine andere deutsche Ikone mit zwei entsprechenden Helden sein Vorbild gewesen ist: “„Es gibt diese Geschichte, ich hätte amerikanische Krimis, die Hard-boiled Krimis, ironisieren wollen. Diese Geschichte stimmt nicht. … Meine Ur-Inspirationen waren Old Shatterhand und Winnetou. Ironie werden Sie bei Karl May kaum finden.“ 

Nach etwa zwanzig Heften wurde die Jerry Cotton Reihe ausgegliedert und erschien ab “Ich jagte den Diamanten-Hai” als eigenständige Serie. Kaufmann schrieb vor allem in den späteren Jahren noch die jeweiligen Jubiläumsbände. 

In Jerry Cotton 500 - einer von zwei Bänden im Überformat - fügte der Verlag einen Stadtplan von New York bei. Einer der einflussreichsten Autoren der später hinzugefügten Jerry Cotton Taschenbücher Heinz Werner Höber erläuterte zwei für die Serie wichtige Komponenten gegenüber seinem Chronisten Jan Eyck in dem fälschlich betitelten Buch “Der Mann, der Jerry Cotton war”: Ein Jerry Cotton Heftroman sollte von einem durchschnittlich begabten Leser innerhalb einer Stunde gelesen werden können und Jerry Cottons Routen innerhalb von New York sollten stimmig sein. So konnten die Fans wie Höber den Verfolgungsjagden im Großstadtdschungel Manhattans folgen. The Big Apple ist Ausgangspunkt von fast allen Jerry Cotton Abenteuern. Mit Band 3000 ist dessen Vorgesetzter für knapp 200 Hefte nach Washington versetzt worden und hat seine besten Männer mitgenommen. Mit Jubiläumsnummer 3200 folgte die glorreiche Rückkehr nach New York. 

Seit 1954 sind bislang mehr als 3380 Hefte (Stand Anfang April 2022) in der Erstauflage erschienen. Wie Perry Rhodan gab es mehrere Neuauflagen, wobei nicht immer in der chronologischen Reihenfolge nachgedruckt worden ist. Jerry Cotton Taschenbücher und im Gegensatz zu Perry Rhodan nicht nur eine Verfilmung, sondern eine populäre Reihe von Jerry Cotton Abenteuern mit George Nader, aber auch eine hoch budgetierte Parodie oder vielleicht auch Neuinterpretation mit Christian Tramitz als Jerry Cotton und dem anderen Christian Ulmen als sein ewiger Freund und Partner Phil Decker. 

Wie “Perry Rhodan Neo” versuchte der Bastei Verlag mit der E Book Reihe “Cotton Reloaded” auch seinen Agenten für die Neuzeit fitt zu machen. Zu den größten Unterschieden gehörte eine weibliche hochintelligente Decker und ein vom Anschlag auf das World Tradecenter noch traumatisierter Heißsporn Jerry Cotton, der beim Einsturz der Türme Teile seiner Familie verloren hat. 

Auch wenn die Namen der Autoren niemals genannt worden sind, gehören zu den inzwischen mehr als einhundert an den Abenteuern beteiligten Schriftstellern illustre Namen wie Wolfgang Hohlbein oder Kai Meyer. Aus der Perry Rhodan Riege haben Kurt Brand, Wolfpeter Ritter aka Peter Terrid und schließlich Christoph Differt alias Christian Montillon an “Jerry Cotton” mitgeschrieben. 

Es gibt auch einen Heftroman, in welchem Jerry Cotton in der Nähe von Roswell angeblich Außerirdischen  begegnet. Allerdings hat der Autor sich einen Spaß daraus gemacht, weniger das Science Fiction Genre per se, sondern die populären “X- Akten” auf die Schippe zu nehmen. 

Aber Kurt Kobler geht bei seinem Crossover Roman weit in die Vergangenheit der beiden Serien zurück. Der Punkt der Begegnung ist - im Anhang hat Kurt Kobler den Inhalt noch einmal präsent gemacht - der ebenfalls teilweise in New York spielende am 03. November 1961 veröffentlichte neunte Perry Rhodan Roman “Hilfe für die Erde” aus der Feder W.W. Shols. Die Ereignisse dieses Bandes werden nicht nur im Anhang zusammengefasst, zweimal geht Kurt Kobler im Laufe von “Bomben, Gangster und Mutanten” noch einmal auf den von Perry Rhodan schließlich abgewehrten Angriff der Individual- Verformer ein. 

Der Jerry Carbon setzt fast ein Jahr nach den Ereignissen ein. Carbons Partner Dekker - hier reichte ein einfaches zweites K zum Identitätstausch - ist seit einiger Zeit anscheinend mit einem  besonderen Auftrag verschwunden. 

Während Jerry Carbon noch an die Ereignisse von vor einem Jahr denkt, wird New York plötzlich von einem unerklärlichen, all umfassenden Stromausfall heimgesucht. Carbon soll den Bürgermeister aufsuchen und seine Hilfe anbieten. Auf dem Weg dahin wird er plötzlich von einer Polizeistreife angegriffen. Es ist, als wenn der Mann von einem Augenblick zum Nächsten seine Identität gewechselt hat. 

Der Weg wird über die Mitglieder des Allschrott Syndikats schließlich in die Wohnung des Finanzgenies Homer G. Adams, wo ein Unsichtbarer auf Jerry Carbon wartet. 

Kurt Kobler hat sich sehr viel Mühe gegeben, beide Universen miteinander zu verbinden. Die Jerry Cotton Romane sind in erster Linie aus der Ich- Perspektive des Protagonisten geschrieben worden. Diese eingeschränkte Art der Erzählung bedeutet allerdings auch, das sich der ganze Plot auf Augenhöhe des Protagonisten abspielt und außerhalb seines Sichtkreises liegende Ereignisse mühsam verbal dem Agenten, aber auch dem Leser berichtet werden müssen. Das macht nicht nur aufgrund der vergangenen Zeit die Lektüre der ersten Bücher relativ sperrig. 

Diese Vorgehensweise funktioniert in dem Abenteuer nicht. Ab der Mitte des Heftomans teilt Kurt Kobler zu Gunsten des Tempos und zu Lasten der klassisch statischen Jerry Cotton Struktur den Plot auf und erzählt auf zwei später vor einem Wahrzeichen New Yorks zusammenlaufenden Handlungsebenen die Geschichte weiter. 

Aus dem Jerry Cotton Universum übernimmt Kurt Kobler neben den Markenzeichen wie dem klassischen Jaguar (niemand weiß, wie sich Cotton einen solchen Wagen vom Gehalt eines Bundesbeamten überhaupt leisten kann) auch die Tommy Gun, das in den fünfziger bis siebziger Jahren noch populäre Kettenrauchen sowie das ambivalente Verhältnis zu den Clans. Verbrechen in Ehre, Mord an den richtigen Personen ist opportun, auf ihre Stadt lassen weder Agenten noch Mafiamitglieder was kommen. Und schon gar nicht von insektoiden Außerirdischen mit einem Machtkomplex. 

Das hohe Tempo mit einigen Verfolgungsjagden, mindestens einer oder zwei Schießereien, aber selbst einem Ko Schlag des Protagonisten sowie dem angesprochenen langgezogenen Finale vor oder in einer Touristenattraktion sind alle vorhanden und Kurt Kobler selbst aus den eigenen Worten folgend nicht Stammleser der wöchentlich erscheinenden Jerry Cotton kann diese Klaviatur erstaunlich souverän spielen.

Aus dem Perry Rhodan Universum hat Kurt Kobler neben den schon angesprochenen Individual- Verformern als eine der ersten außerirdischen Bedrohungen der jungen Erde nicht nur die arkonidische Technik wie den Kugelraumer oder Roboter übernommen, sondern greift quasi im Off auch zum Beispiel auf den gewieften Geldbeschaffer der neu gegründeten Dritten Macht Homer G. Adams zurück. Aus dem Mutantencorps haben Betty Toufry, Anne Sloane der Seher Son Okura ebenfalls die Jagd auf die IV und ihren Anschlag auf New York aufgenommen. 

Die Fähigkeiten der Mutanten stehen im Vordergrund der Geschichte. Auch wenn die Mitglieder des Gangstersyndikats schließlich die Drecksarbeit übernehmen müssen. Carbon und Dekker staunen nicht selten mit offenen Mund, wenn Toufry, Sloane und schließlich Okura jeweils ihre fünf Minuten des Ruhm auskosten. Dabei bewegt sich Kurt  Kobler natürlich auch ein wenig am Randes Klischees und das feurige Finale setzt sich teilweise aus Versatzstücken zusammen. Aber eine Hommage kann auch nicht gegen die damaligen Gesetzmäßigkeiten und die teilweise gerne immer wieder benutzten Versatzmuster der Serien arbeiten, sondern muss sie respektvoll wie modern neu erzählen. Das gelingt Kurt Kobler ausgesprochen gut. 

Perry Rhodan Leser werden angesichts der liebevoll wieder zum Leben erweckten Figuren aus der Frühzeit der Serie schmunzeln. Neben den drei angesprochenen Mutanten hat Kurt Kobler noch einige weitere Nebencharaktere genauso in die laufende Handlung integriert wie er die Wechselwirkung der aufkommenden und schnell dominierenden Dritten Macht den politischen Ereignissen der Kalter Krieg Zeit mit dem Atomraketen Angriff auf New York gegenübergestellt hat. Sie bilden eine interessante Symbiose beider Serien. Natürlich bietet sich W.W. Shols Roman - teilweise in New York spielend - auch gut als Ausgangsbasis an. Aber wie Kurt Kobler in seinem kurzen Nachwort schreibt, der Schlüssel zu beiden Universen muss auch erst einmal gefunden werden, damit alles funktioniert. 

Auch einige wenige Persönlichkeiten des Fandoms werden kurz erwähnt. Neben dem Mohlberg Clan inklusive der Druckerei erscheint ein gegenwärtiger Zeitungs- und Romanheftverkäufer und zukünftiger Verleger zu Beginn und am Ende der Geschichte. 

Grundsätzlich wird “Bomben, Gangster und Mutanten” vor allem die Perry Rhodan Fans ansprechen. Carbon und Dekker kommen nicht selten einen kleinen Schritt zu spät und sind auf die Hilfe der Mutanten angewiesen, welche den G-Men allerdings auch entsprechenden Respekt entgegenbringen. Es reicht auch zu einigen humorvollen Dialogen. Aber vor allem hat Kurt Kobler einen durch das Jerry Cotton Universum ergänzten frühen Perry Rhodan Roman verfasst,  

Crossover sind aus allen populären Genres bekannt und erfreuen sich erstaunlicher Beliebtheit. Je schräger diese Begegnungen fiktiver Figuren sind, um so anspruchsvoller müssen die Autoren mit den fiktiven Protagonisten beider Universen umgehen. Sherlock Holmes ist hier ein klassisches Beispiel. Philip Jose Farmer hat diese Kunst inklusiv des entsprechenden Stammbaumes auf eine literarisch eindrucksvolle Spitze getrieben. Kurt Kobler hat positiv gesprochen den kleinsten gemeinsamen Nenner beider Serien - eine Bedrohung New Yorks und darüber hinaus ein zweites Mal die ganze Menschheit - gesucht und daraus einen kurzweiligen Smöker erschaffen, der ein wenig augenzwinkernd innerhalb der von Heinz Werner Höber angesetzten Stunde mit einem Straßenplan New Yorks inklusiv der Sehenswürdigkeiten auf den Knien gut zu lesen ist.         

Bomben Gangster und Mutanten - Wir gegen die Individualverformer

Autor: Kurt Kobler

Herausgeber TCS

DIN A 5 Format, 65 Seiten

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www.terrannischer-club-eden.de

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