Die Glasfalle

Herbert W. Franke

Im Rahmen der Herbert W. Franke Werksausgabe legt p. machinery mit “Die Glasfalle” als Band 4 einen interessanten, experimentellen Roman aus der Frühzeit des Franke Schaffens vor. Auch wenn der Roman alle klassischen Themen wie Unterdrückung des Individuums durch ein unmenschliches System oder eine durch einen Atomkrieg unbewohnbare gemachte Erde streift, ist “Die Glasfalle” wenn auch ein wenig belehrend beschrieben heute aktueller denn je. 

Zum ersten Mal hat herbert W. Franke auch einen übergeordneten Erzähler in die laufende Handlung eingebaut. Dieser “spricht” nicht nur am Ende mit dem Leser, wenn er die beiden Handlungsstränge nicht nur zueinander, sondern vor allem in einem Gesamtkontext einordnet, sondern gleich zu Beginn des Buches. Da weist er darauf hin, dass der Schwenk vom Soldaten Abel zu einem gewissen Abelsen, der nach einer schwersten Verwundung in den Händen eines Arztes wieder zu Bewusstsein kommt, vielleicht auf den ersten Blick für den Leser zu krass sein könnte. Am Ende bastelt Herbert W. Franke die beiden Spannungsbögen während des Epilogs auch zusammen, aber seine zeitlose Botschaft, dass “nur wer weiß, was Unterdrückung ist und was Freiheit bedeutet, darf sich unserer Gegenwart freuen und auf die Zukunft hoffen” (Seite 164 der p. machinery Werksausgabe). Es ist ein gewichtiger zeitloser Satz, der allerdings nur handlungstechnisch bedingt zu beiden Bögen passt. In einer Gegenwart, die deutlich macht, daß Machtgier und Diktatur nicht durch freien Handel befriedigt werden kann, sind diese Wort im Grunde eine klare Ansage an die Menschen im Allgemeinen. 

Unter den Umständen, die Herbert W. Franke zumindest auf dem Abelsen Handlungsbogen beschreibt, gelten Einschränkungen. Es lohnt sich, mit diesem zweiten Bogen anzufangen. Abselsen ist schwerverletzt. Im Grunde muss sein Körper neu hergestellt werden. Alleine sein Gehirn ist funktionstüchtig.  Er befindet sich an Bord eines Raumschiffs. Das Schiff ist in letzter Sekunde vor dem Ausbruch des Dritten Weltkriegs aufgebrochen. Mehr als eintausend Männer befinden sich im Tiefschlaf, nur vier Frauen sind an Bord, auf welche der dominierende Arzt Anspruch erhebt. Natürlich weiß er, dass er später zum Erhalt der Kolonie die “Frauen” irgendwie freigeben muss, aber in diesem an Dr. Seltsam erinnernden Szenario braucht Herbert W. Franker einen Charakter, an dem sich nicht nur die Leser, sondern auch der langsam zu Kräften kommende Abelsen reiben kann. Der Ausgangspunkt der Handlung macht nur wenig Sinn. Abelsen ist keine wichtige Persönlichkeit. Weder der Kommandant des Schiffes noch eine Frau, von denen ja an Bord Mangelware herrscht. Hier macht es schon einen Unterschied, ob vier oder fünf gebährfähige Frauen an Bord sind. Der Aufwand, der betrieben wird, um Abelsen wieder zu rekonstruieren erscheint angesichts der Resourcen an Bord des Schiffes unerklärlich und wird auch nicht erklärt. Am Ende der Reise landet das Raumschiff schließlich auf einem Planeten. Herbert W. Franke greift als Zusammenfassung der beiden Handlungsarme auf die Berichtsform zurück und fasst die Schwierigkeiten arg knapp zusammen. Dabei bietet sich zynisch gesprochen hier das meiste Potential des Buches, denn die Kolonisten kommen quasi vom Regen in die Traufe. Unter diesen Umständen ist sogar eine Führung durch eine “Primus Inter Pares” Gruppe für eine gewisse Zeit akzeptabel, um die Resourcen zu optimieren und vor allem den Zusammenhalt der einzelnen Gruppen sicherzustellen. 

Dagegen ist der Soldat Abel ein kleines Glied einer Einheit, die unter der Erde in einer Art Bunkersystem mittels Tabletten ruhig gestellt und stetig mit Drills und Übungen abgelenkt wird. Warum Abel plötzlich auf den Gedanken kommt, die schwarze Tablette nicht mehr zu nehmen und dadurch seine Entscheidungsfähigkeit wiederzuerlangen, kann weder der Leser noch abschließend der Major ergründen. Alleine Abels Wunsch ist dominant, den Major zu töten. Gleichzeitig animiert er einen zweiten Soldaten, ebenfalls die Tabletten nicht mehr zu nehmen. Anfänglich mit einem Trick, dann agiert dieser eigenständig. Er will im Gegensatz zu Abel fliehen. 

Herbert W. Franke zeigt auf beiden Handlungsebenen auf, wie Menschen verzweifelt und abschließend nur bedingt erfolgreich versuchen, aus unmenschlichen und erniedrigenden Systemen auszubrechen. Dabei ist der Versuch, die bestehenden Bande zu lösen, wichtiger als die eigentlichen Ziele. Abelsen will gesund werden und die Krankenschwester wieder haben, in welche er sich verliebt hat. Abel dagegen will den Major töten.  Das System ist ihm im Grunde egal. Er weiß, dass er nicht viel ändern wird. 

Interessant erscheint, dass Hebert W. Franke die beiden dominanten Gegenspieler - den Major und den Arzt - im Grunde als Psychopathen beschreibt. Der Arzt weiß um seine Verantwortung und um die Aussichtslosigkeit der Lage. Natürlich hat er eine Reihe von medizinischen Ideen, um den Genpool allerdings aus seiner Perspektive aufzufrischen und die Entstehung von Kolonien zu fördern. Der Major lebt in der Vergangenheit, als Soldaten noch Soldaten und Generäle noch Schlachten schlagen konnten. Er ist wie seine Soldaten eingesperrt, hat aber den Vorteil, dass er sich ein wenig Luxus gönnen kann. Auf welchen Ernstfall sich die Soldaten noch vorbereiten, wird von Herbert W. Franke nicht geklärt. Dagegen ist die Kolonisation des Planeten zumindest vom Autoren skizziert worden. Die Abel Handlung mit dem  nicht aufgeklärten Schicksal des Soldaten versandet schließlich in einer Variation, die an Burgess “Uhrwerk Orange” erinnert.  Beide Bücher erschienen zeitgleich im Jahre 1962. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass Hebert W. Franke den Text kannte.  Im gleichen Jahr erschien auch Alfred Elton van Vogts einziger Roman “The Violent Man”, der keine Science Fiction ist. Mit “The Manchurian Candiate” erschien drei Jahre früher ein von John Frankenheimer verfilmter Roman, der sich wie die angesprochenen Romane ebenfalls mit dem Thema einer Gehirnwäsche auseinandersetzte. Franke kann diesem Thema keine neuen Aspekten abgewinnen, alleine die Idee einer Gruppe von Soldaten, die sich immer noch auf einen inzwischen eingetretenen Ernstfall vorbereiten, wirkt vor allem für Science Fiction aus Deutschland innovativ.

Dem zweiten anfänglich zum langen Spannungsbogen mit der langen Genesungszeit des handlungstechnisch im Grunde eher unwichtigen Abelsen geht vor dem wie schon beschrieben wie zu gerafften Endes das Tempo aus. 

Auch wenn die angesprochenen Thema Freiheit, Recht auf Individualität und vor allem eine menschliche Behandlung zeitlos sind, wirkt “Die Glasfalle” stellenweise im Vergleich zu einigen anderen Herbert W. Franke Büchern aus dieser Zeit zu bemüht, zu statisch. Die eindimensionalen pragmatischen Charaktere unterstreichen ohne Frage die Intention des Autoren, aber die abschließend präsentierten Szenarien hinterlassen im Leser die unbeantwortete Frage, ob in einigen wenigen Fällen zu Gunsten der Allgemeinheit nicht das Recht des Einzelnen eingeschränkt werden kann. Nicht auf eine derartig drastische Art und Weise, aber zumindest ein wenig. 

Wie alle anderen Bände der Herbert W. Franke Werksausgabe finden sich im Anhang die Titelbilder und die bibliographischen Hinweise auf die bisherigen Veröffentlichungen. Auf dem Titel prangt wieder ein eindrucksvolles Bild von Thomas Franke, das sich ausklappbar im Inneren in seiner vollen Pracht zeigt.            

Herbert W. Franke
DIE GLASFALLE
Science-Fiction-Roman
SF-Werkausgabe Herbert W. Franke, Band 4
hrsg. von Ulrich Blode und Hans Esselborn
AndroSF 58
p.machinery, Murnau, Dezember 2015, 172 Seiten, Paperback
Softcover – ISBN 978 3 95765 054 2 – EUR 10,90 (DE)
Hardcover (limitierte Auflage) – ISBN 978 3 95765 055 9 – EUR 17,90 (DE)