Die Tyrannei des Schmetterlings

Frank Schätzing

2018 veröffentlichte Frank Schätzing seinen Science Fiction Thriller „Die Tyrannei des Schmetterlings“.  Ein Jahr vorher begann Andreas Brandhorst mit seiner Maschinenintelligenz Trilogie. Auf „Das Erwachen“ folgte im Kern der zweite Teilroman „Die Eskalation“, während „Mars Discovery“ aus dem Jahr 2021 den Handlungsbogen teilweise aus einer etwas anderen Perspektive erzählte, das Geschehen aber abschließend in kosmische Dimensionen, eines Arthur C. Clarkes würdig katapultierte.

Frank Schätzing konzentriert sich nur bedingt auf die Idee einer künstlichen Intelligenz als klassische Bedrohung der Menschheit. Mehr und mehr rückt diese Facette des Buches in den Hintergrund. Andreas Brandhorst dagegen spannt einen soziologischen, aber auch politischen Bogen von der Erschaffung der künstlichen Intelligenz bis zu deren Status als jegliche Freiheit des Menschen unterdrückende Institution mit der für sie logischen Vorgabe, Schaden von den Menschen fernzuhalten. In erster Linie, den Schaden, den sich Menschen gegenseitig unter fadenscheinigen Erklärungen selbst zu fügen.

Bei Frank Schätzing ist es unabhängig von der Idee der Parallelwelten rückblickend eher das Austreiben des Teufels (= Menschen) mit dem Beelzebub (Ares als künstliche Intelligenz).

Frank Schätzing schreibt aber für den Mainstream. Auch wenn Andreas Brandhorst Thriller die Spiegelbestsellerliste erstürmt haben und der Autor sich eine neue Leserschaft damit erschlossen hat, bleibt er dem Science Fiction Genre verbunden. Minutiös recherchiert und vor allem seinen epischen Space Operas folgend intelligent extrapoliert beschreibt Brandhorst eine Welt unter einer neuen Herrschaft. Die Herrschaft der Maschine per se ist weder bei Brandhorst noch Schätzing wirklich ein neues Thema, aber Brandhorst macht aus einem bekannten Sujet eine interessante dunkle, aber nicht nihilistische Vision. Die Ansichten seiner Maschinenintelligenz, dargestellt in pointierten Dialogen, sind eben nicht von der Hand zu wischen und Kontrolle inklusiv entsprechender Strafen reduziert die Macht der Minderheiten, die sich von kleineren Verbrechen bis zu Kriegen immer gegen die stoische Masse durchsetzen wollen. Ist das Recht auf ein zufriedenstellendes wie friedliches Leben auf einer angemessenen, aber nicht exzessiven Wohlstandsebene nicht mehr Wert als egoistisch und antisoziales Verhalten? Andreas Brandhorst findet eine erstaunlich salomonische Antwort auf diese Fage.

Auch Frank Schätzing konzentriert sich auf die breite Masse der Leser. “Der Schwarm” brauchte bis auf die ökologischen Exkursionen keine wirklich neuen Ideen hinsichtlich von Schwarmintelligenzen. Perry Rhodan hat da gute Vorarbeit geleistet, steht aber auch nicht für sich alleine. 

“Limit” war eine rasante Achterbahnfahrt von Science Fiction Versatzstücken, die gut zusammengesetzt worden sind. Dieses Prinzip sollte auch bei “Die Tyrannei des Schmetterlings” angewandt werden und versagt angesichts des Themas auf ganzer Linie. Die bittere Erkenntnis erscheint, dass die künstliche Intelligenz Ares menschlicher ist als die eindimensional charakterisierten Schurken. Abschließend hat Ares Plan James Bond Dimensionen. Das muss ein wenig finanziert werden und dazu nutzt nicht nur die künstliche Intelligenz eine zweite Idee, die in der Fernsehserie “Sliders”, aber auch der Serie um die lange Erde auf Fantasyniveau ausführlich durchgespielt worden ist. Unendliche Parallelwelten, viele auf dem gleichen Stand wie die Ursprungserde mit nur kleinen Abweichungen, einige zurückgebelieben und eine einzige Wunderkiste, welche sich auf unterschiedliche Art und Weise ausplündern lässt. Aber auch nur, weil diese moderne Piraterie auf dieser Parallelwelt geduldet, vielleicht auch sanktioniert wird. Die Idee der Parallelwelten ist ein wichtiger Bestand des die erste Handlungshälfte dominierenden Plots: Der Tod einer wichtigen Mitarbeiterin einer High Tech Silicon Valley Schmiede in den Wäldern Siera Countys. 

Undersheriff Luther Opoku ist eine Art Antiheld. Als Charakter wirkt er absichtlich ambivalent gezeichnet. Lange  Zeit ein Held der Drogenfahndung, der auf nichts Rücksicht nimmt. Er ist mit seiner Familie schließlich nach Sierra County gezogen, um abzuschalten. Aber sein Ehrgeiz und vor allem seine emotionale Starsinnigkeit treibt ihn auch in der kleinen Gemeinde immer wieder voran. So verabschiedet er sich nicht von seiner ausziehenden Frau. Mit tragischen Folgen, die Frank Schätzing in einer der wenigen emotionalen Szenen aufdeckt. Aber Luther Opoku steht nicht alleine. Das Konzept der Parallelwelten nutzend führt er einen zweiten Opoku ein, dessen Geschichte ein wenig anders verlaufen ist. Der muss sich mit dieser Realität auseinandersetzen. 

Auslöser der letztendlich fatalen Kette ist der Tod einer Angestellten der Silicon Valley Firma. Anscheinend wurde sie verfolgt, ihr Wagen gerammt. Sie ist einen Hang hinuntergestürzt und wurde von einem Ast aufgespießt. Die Spur führt zurück zur Firma, aber niemand will zugeben, das die Frau dort gewesen ist. Ein Stick mit verschiedenen Videos beweist, das natürlich die High Tech Firma dunkle Geheimnisse hat. 

Zusammen mit seinen Kollegen vertritt Opoku die aufrichtige amerikanische Mittelschicht. Die Geschehnisse inklusive der Doppelung der Ereignisse sind für die “einfachen”, aber grundsoliden Menschen schwer zu begreifen. In dieser Hinsicht sind Genreleser einen Schritt voran und können die Zusammenhänge besser erkennen. Am Ende ist es aber die Entschlossenheit der von einem Opoku angeführten Truppe, welche natürlich den perfiden Plot der James Bond Schurkenanhänger ins Wanken bringt. Gier ist hier eine wichtige Triebfeder und Frank Schätzing baut zumindest den an die “Predator” Filme erinnernden Prolog gut in die abschließend zahlreichen, aber nicht unbedingt logischen Erklärungen mit ein. 

Viele andere Figuren erscheinen eher pragmatisch gezeichnet. Von der Polizistenkollegin, die ein Auge auf Opoku geworfen hat bis zum an Ellen Musk erinnernden Firmenchef Elmar Nordvisk, der nicht nur über zahlreiche Spielzeuge verfügt, sondern den Missbrauch seiner Schöpfung “Ares” übel nimmt. Nichts ahnend, das nichts mehr so ist wie er es angedacht hat. Dabei will er vor allem spielen. Es geht ihm um die grenzenlose Erfindungslust zu Gunsten der Menschheit. Auch wenn einige seiner Ideen absurd erscheinen, ist Nordvisk zusammen mit seiner Partnerin - eine Biogenetik Spezialisten - das perfekte wie perfide Abbild einer superreichen narzisstischen CEO Schicht, die in den letzten Jahren nicht wirklich über die Grenzen von Silicon Valley in die Realität geschaut haben.  

 Im Laufe der Handlung begünstigt durch die verschiedenen Welten baut Frank Schätzing eine Reihe von Klischees in die laufende, rückblickend für ein Buch mit einem derartigen Umfang auch erstaunlich “magere” Handlung ein. Stilistisch elegant bis teilweise künstlich übersteigert eloquent streift er das Thema Nanobots als ultimativen Heilsbringer oder genmanipulierte Insekten als biologische Angriffswaffen. Wie schon angedeutet aus einer der Parallelwelten importiert. Während des Finals töten auch noch Sex- Roboter in diesem Fall nur ihre Herren, Frauen scheinen sich eher auf das natürliche Fleisch zu konzentrieren. Die außer Rand und Band geratene Technik mit einer globalisierten potentiellen Auslöschung der Menschheit wirkt so überdreht, das der Leser immer wieder auf “Kamera aus” hofft. Vielleicht nur eine weitere Slapstickparallelwelt? Das ist aber leider nicht der Fall. Frank Schätzing meint es ernst. 

Auch Ares mit einem Schmetterling gleichzusetzen wirkt bemüht. Vor allem in Parallelweltgeschichten wird immer wieder die Idee propagiert, daß der Flügelschlag eines Schmetterlings die Geschichte verändern kann. Opoku ist theoretisch einer dieser Schmetterlinge, denn durch einen Zufall oder vielleicht doch einen weiteren perfiden Plan der künstlichen Intelligenz Ares, welche weder der Autor noch der Leser durchschauen können, hat er die Chance, als eine Art radikales Element Veränderungen durchzusetzen. Er ist neben der Toten der einzige Mensch, dem das Gelingen könnte, wobei Frank Schätzing verschiedene Gesetze dabei vorsichtshalber ignoriert. Immerhin geht es ja nicht um Zeitreisen, sondern nur Parallelwelten. Aber Ares ist kein Schmetterling, er ist eher eine Art Raubvogel, der sich seinen Weg zu Ruhm und Ehre und Macht (inklusive Geld) ohne Gewissen und vor allem sehr pragmatisch konstruiert “frei frisst”. Das macht für den Mainstream die Geschichte zugänglich und für die Genrefans gleichzeitig doppelt enttäuschend. 

Ohne Frage hat Frank Schätzing die Fähigkeit des Erzählens nicht eingebüsst. Wie Michael Crichton oder Dan Brown kann er komplizierte Plots und vor allem technische Ideen sehr überzeugend darstellen. Auch Andreas Brandhorst muss in diese Kategorie gezählt werden. Im Gegensatz zu Brown oder Schätzing sind Crichton und Brandhorst aber bereit, den zusätzlichen intellektuellen Schritt zu gehen und selbst bekannte aus Versatzstücken bestehende Ideen originell und provokant aufzubereiten. Das macht den besonderen Reiz dieser Autoren aus und unterstreicht, wie trivial leider “Die Tyrannei des Schmetterlings” vor allem in Hinblick auf das immer aktueller werdende Thema der künstlichen Intelligenz geworden ist. Das ist wahrscheinlich die größte Enttäuschung eines Buches, das die Bestsellerlisten gestürmt hat und nur intellektuelle Leere anbietet.      

  

Die Tyrannei des Schmetterlings: Roman (Fischer Taschenbücher, Band 70403)

  • Herausgeber ‏ : ‎ FISCHER Taschenbuch; 6. Edition (25. September 2019)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Taschenbuch ‏ : ‎ 736 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3596704030
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3596704033