Das Strahlen des Herrn Helios

Meike Stoverock

„Das Strahlen des Herrn Helios“ ist nicht nur der erste Roman der in Berlin lebenden Autorin Meike Stoverock, sondern wahrscheinlich auch der erste einer ganzen Serie von in der Überstadt spielenden Abenteuer um den Hase Skarabäus Lampe. Bislang hat Meike Stoverock im Trpopen Verlag das Sachbuch „Female Choice- vom Anfang und Ende der männlichen Zivilisation“ publiziert.

Meike Stoverock orientiert sich ganz bewusst an den Sherlock Holmes Geschichte mit einem deutlichen Schuss Agatha Christie oder besser noch Nero Wolfe integriert. Skarabäus Lampes junger Helfer und Freund Teddy ist ganz wild auf die Entlarvung der Schurken in einer direkten Konfrontation aller Verdächtige gegen Ende der jeweiligen Ermittlungen. In dieser Hinsicht dienen wahrscheinlich Agatha Christies Poirot und eben Rex Stouts   Nero Wolfe eher als Vorbild. Sherlock Holmes hat diese Methode auch genutzt, aber nicht zu einer statischen Notwendigkeit extrapoliert.

Die Autorin hat für ihre Überstadt einige interessante Prämisse entwickelt. Die Tiere leben wie Menschen. Körperliche Defizite wie der Fisch außerhalb des Wassers werden mit an das Steampunk Genre erinnernder Technik ausgeglichen. Während sich die Zivilisation chronologisch auf Augenhöhe mit dem für Holmes so typischen viktorianischen Zeitalter bewegt und der Leser die Gaslaternen in den engen Gassen förmlich riechen kann, gibt es immer wieder kleinere für die Handlung weniger als für den Hintergrund interessante Exkurse, welche die Überstadt eher in die Bereich der Phantastik schieben.

Skarabäus Lampe ist nicht nur ein Hase, sondern auch klassisch deduzierender Detektiv, der als Mieter bei einer manchmal mit seinem Wesen überforderten Haushälterin lebt. Er ist nicht nur inzwischen eine bekannte der Polizei hilfreich zur Seite stehende Persönlichkeit, sondern auch ein Hobby Entomologe. Er hat keinen Doktor Watson an seiner Seite. Diese Rolle übernimmt der junge Straßenkater Teddy, wobei seine Lebensart auch denen der Baker Street Boys entspricht. Skarabäus Lampe versucht Teddy die Feinheiten und vor allem die Geduld beizubringen, die ein guter Detektiv für seinen Beruf braucht.

In einem kleinen Wanderzirkus wird der Direktor ermordet. Es handelt sich um den Löwen Helios. Seine Mähne wird geschoren, dem gefesselten Löwen wurde ein Spiegel vors Gesicht gesetzt und schließlich wurde er erdrosselt. Der wichtigste Verdächtige ist sein Partner, ein Gorilla. Der Rechtsanwalt von Oben bittet Skarabäus Lampe um Hilfe. Er ist als Pflichtverteidiger verpflichtet worden. Skarabäus Lampe ist schnell der Ansicht, dass jemand den Gorilla zum Sündenbock machen möchte.

Der Kriminalfall wird relativ geradlinig erzählt. Klassisch gesprochen ist die Person der Täter, die vordergründig kein Motiv hat und deren Vergangenheit im Dunklen liegt. Der die Ermittlungen von Skarabäus Lampe auf Augenhöhe verfolgt, wird schnell auf den Täter kommen. Schneller als es der Autorin vielleicht lieb ist.  Das Motiv ist ebenfalls in der Vergangenheit verborgen. Auf dem Weg dahin gibt es einige fast klischeehafte Wendungen mit der Entführung Teddys und der Ermordung einer Polizisten; einer Reihe von falschen Spuren und wie angesprochen sehr vielen Verdächtigen. Dabei baut die Autorin auch schon sehr viel Material für weitere Romane in die Handlung ein.

Aber während der Kriminalfall vielleicht  ein wenig zu simpel gestaltet worden ist, überzeugt der Roman in vielen anderen Punkten und macht die Lektüre zu einem Genuss. Meike Stoverock hat eben nicht eine Kriminalgeschichte in eine Welt übertragen, in welcher Tiere stellvertretend für Menschen agieren. Sie hat sich sehr viele Gedanken gemacht.

So gibt es ein Gesetz, das den Genuss von Fleisch unter Strafe stellt. Daher kann ein Löwe mit Tieren interagieren, die in der freien Natur ihre Opfer wären. Oder eine Katze auf Vögel treffen. Ein Hund spricht offen mit den Vierpfötern und Lampes guter Geist zu Hause ist eine Henne, die sich liebevoll um Teddy kümmert. Wie schwer ein Verstoß gegen dieses allgegenwärtige Gesetz auch auf den Gewissen der Tiere lastet, beschreibt die Autorin eindringlich in einer der besten Sequenzen des Buches. Insekten sind allerdings von diesen Gesetzmäßigkeiten ausgeschlossen, wie Skarabäus Lampe gleich zu Beginn und im Verlauf der Handlung ein zweites Mal demonstriert.

Aber die Tiere agieren nicht nur auf Augenhöhe miteinander, ihre natürlichen Fähigkeiten zeigen auch ihre Grenzen auf. So dienen zu neunzig Prozent Hunde in der Polizei. Andere Tiere sind auch zugelassen, fühlen sich aber da nicht unbedingt wohl. Mit ihren Spürnasen sind sie die perfekten Ordnungshüter. Aber Skarabäus Lampe zeigt gleich zu Beginn stellvertretend für Meike Stoverock auf, wie schnell und wie leicht diese Nasen auch zu täuschen sind.  Dabei spielt die bekannte Naivität des Lestrade Alter Egos Stutton nur bedingt eine Rolle. Viel mehr geht die Autorin in die Details und zeigt auf, das eine  gute Nase eben nicht alles ist.   

Der Roman lebt von den dreidimensionalen Protagonisten. Skarabäus Lampe ist ein genialer Ermittler, ein natürlich nach Sherlock Holmes gezeichneter exzentrischer Charakter, den das Leben allerdings auch geprägt hat. Seine liebevolle Seite versucht er lange Zeit mit Strenge und vor allem auch Disziplin gegenüber Teddy zu verheimlichen. Er ist sich seiner körperlichen Defizite inklusiv des Hinkens bewusst und gleich diese mit einem überlegenen Intellekt aus. 

Im Wanderzirkus trifft er auf eine Reihe von Aussätzigen. Das beginnt mit dem opportunistischen, aber auch toten Helios. Ein charismatischer Tierfänger im übertragenen Sinne, der sein Umfeld für sich einnehmen, es aber auch gleichzeitig ausnutzen kann. Über seine Vergangenheit erfährt der Leser in erster Linie aus zweiter Pfote mit dem Pfau und dem Gorilla, die Helios nach zu Kriegszeiten kannten. Vor allem der Pfau hängt einen Groll gegen den Löwen, wird aber auch wie verzaubert im Umkreis des Wanderzirkus gehaltenen. Die bärtige Dame und der gefährliche Silberfink mit einer eigenen Vergangenheit runden genau wie der Fuchs ohne Fell das Sammelsurium von Kuriositäten ab, denen nur das Leben und Überleben im Wanderzirkus bleibt. Helios hat unmittelbar vor seinem Tod diese dunkle Idylle verkaufen wollen. Natürlich ein klassisches Motiv, um ihn umzubringen. Und natürlich eine falsche Spur. 

Neben der Haushälterin mit ihrem gutmütigen Wesen und dem bei Skarabäus Lampe scheiternden Ordnungssinn ragen noch Teddy als junger Straßenkater mit einem fehlenden Instinkt für Gefahren, aber der Entschlossenheit, sich Lampe zu bewiesen sowie der naive Stutton an dem Szenario heraus. Stutton weiß, das er auf Lampe angewiesen ist. Der Hase ist seiner Nase immer einen Schritt voraus. Wie Lestrade versucht er eigenständig, den Fall schnell zu den Akten zu legen und wehrt sich dagegen, als Skarabäus Lampe die von Beginn an eher dürftigen Beweise zerlegt. Der Fisch und Rechtsanwalt von Oben ist ebenfalls eine liebevoll gezeichnete Figur. Die körperlichen Defizite eines an Land lebenden Flosslers werden gut beschrieben. Sie sind jederzeit nachvollziehbar. Vielleicht nicht unbedingt die Faszination, außerhalb des eigentlichen Elements leben zu wollen, aber alle tierischen Bewohner der Überstadt agieren nicht in ihren natürlichen Lebensräumen. 

“Das Strahlen des Herrn Helios” ist der kurzweilig zu lesende Auftakt einer hoffentlich erfolgreichen Serie, deren Potential die Autorin vor allem in der charismatischen wie gefährlichen Figur des Silberfinken deutlicher skizziert als während des ein wenig zu schematisch gestalteten Kriminalfalls. Pointierte Dialoge; wie angesprochen überzeugend dreidimensionale dem Leser irgendwie vertraute und doch exotisch fremdartige Figuren sowie ein guter entwickelter Hintergrund machen den Debütroman zu einer ansprechenden Lektüre.        

Das Strahlen des Herrn Helios: Ein Fall für Skarabäus Lampe

  • Herausgeber ‏ : ‎ Klett-Cotta; 1. Auflage 2022 (23. Juli 2022)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 272 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3608986669
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3608986662
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