Clarkesworld 193

Neil Clarke (Hrsg.)

Neil Clarke feiert mit seinem Magazin „Clarkesworld“ im Oktober 2022 nicht nur den sechzehnten Geburtstag, neben Suzanne Clarke für die beste Novelle hat Clarke den HUGO als bester professioneller Herausgeber erhalten. Nachdem er im Bereich des semiprofessionellen Magazins vor mehr als zehn Jahren mehrmals nominiert worden ist und gewonnen hat. Neil Clarke nutzt sein umfangreiches Vorwort daher auch als Rückblick, aber auch Blick voraus. Vor allem die Internationalisierung soll weiter vorangetrieben werden. In „Clarkesworld“ 193 findet sich eine Übersetzung aus dem Chinesischen, aber auch eine russische Geschichte.

Julie Novakova berichtet über das programmierte Chaos der Evolution beginnend bei den kleinsten Zellen.

Arley Sorg präsentiert bei seinem Interviews ein Novum. Duos hatte Arley Sorg schon, aber hier spricht er mit dem Trio Aleksandra Hill, Kanika Agrawal und Rowan Morrison, die gemeinsam ein Onlinemagazine mit dem Schwerpunkt asiatische Science Fiction, aber Kunst herausgeben. Die Antworten sind gut aufeinander abgestimmt und Arley Sorg bindet auch alle Onlinegesprächspartner gut ein. Marie Vibbert spricht über ihren langen Werdegang, angetrieben von einer Kindheit in Armut. Dabei geht sie auf die Erfahrungen ein, die sie bei mehreren Workshops gemacht hat, kann aber auch zwischen  den eigenen literarischen Unzulänglichkeiten wie auch den Erwartungen des Marktes an sie differenzieren.

Insgesamt acht Geschichten finden sich in „Clarkesworld“ 193. Dabei handelt es sich um eine Novelle, zwei Übersetzungen und fünf kürzere Arbeiten.

Bei Lavie Tidhar ist der Titel auch Programm. Die „Junk Hounds“ suchen den im Erdorbit herumfliegenden Mühl auf und recyclen bzw. verkaufen die wertvollsten Teile. Der Hauptprotagonist ist klassischer Durchschnitt, der zusammen mit seinem intelligenten Hund immer einen kleinen Schritt zu spät kommt. Zusammen mit einer Ex- Freundin sucht er den großen Wurf. Die Protagonisten sind für die Kürze des Textes gut gezeichnet, der Plot ist geradlinig und das Ende süßsauer. Stimmungsvoll und ein wenig melancholisch geschrieben handelt es sich um einen perfekten Herbstauftakt für diese Ausgabe.

Elaine Gao ist eine sehr junge Autorin. Englisch ist nicht ihre Muttersprache. Deswegen wäre es sinnvoll gewesen, wenn Neil Clarke „Coding Van Gogh“ stilistisch besser überarbeitet hätte. Unabhängig von den kleinen sprachlichen Holprigkeiten präsentiert Elaina Gao eine kurzweilig zu lesende Geschichte um die Restauration von Kunst mittels umfangreicher Programmsprachen. Die technischen Aspekte werden ausführlich behandelt, beginnen aber bald zu langweilen. Ein Restaurator stirbt und wird mittels eines  kypernetischen Körpers wieder erweckt. Allerdings will niemand glauben, daß sie noch lebt. So muss ihre Sterbeurkunde anulieren lassen.  In einer perfekten Welt kein einfaches Unterfangen, das sie umgehend ihren Job kostet.

Neben den sprachlichen Unebenheiten und vor allem den technischen Exzessen wirken die Charaktere eindimensional pragmatisch gezeichnet. Der Leser kann sich nur schwer mit ihnen identifizieren. Allerdings präsentiert Elaine Gao auch einige originelle Ideen hinsichtlich des Umgangs mit den alten Meistern, so dass dem Leser nicht langweilig wird.

Thomas Has „Sweetbaby“ ist ein erster Höhepunkt der „Clarkesworld“ Ausgabe. In den Bergen einer Kolonialwelt ziehen zwei Eltern ihre Tochter und ihren Sohn in völliger Isolation von den anderen Kolonisten auf. Der Sohn hat sich eine Krankheit zugezogen, die seinen Körper entstellt. Die Eltern halten ihn in einem Baum gefangen.

Die Novelle besteht aus einer Reihe von grotesken Bildern, begleitet von erstaunlich dreidimensionalen Protagonisten. Auch wenn ihre Handlungen für die Leser nicht unbedingt gleich nachvollziehbar sind, enthält sich der Autor einer Wertung. Für die Leser ist es schwer, in die Haut der Eltern zu schlüpfen und vor vergleichbare Entscheidungen gestellt zu werden. Thomas Ha verlangt von seinen Lesern Geduld. Am Ende präsentiert der Autor für einzelne Aspekte seiner Geschichte eine überzeugende Erklärung, allerdings der Weg dahin ist höflich gesprochen steinig und erfordert die ganze Aufmerksamkeit des Lesers.

M. L. Clark präsentiert nicht zum ersten Mal in „Clarkesworld“ die längste Geschichte. Wie einige andere Arbeiten aus Clarks Feder verlangt der Autor mit „Lost and Found“  sehr viel Geduld, in dem er die Story oder besser Novelle vor allem zu Beginn mit Informationen förmlich überfrachtet. Dazu kommen verschiedene Handlungsebenen, die ohne Tempo parallel nebeneinander herlaufen. Thomas Ha schrieb seine Story auch in einem sehr gemäßigten Tempo, aber M.L. Clark will zu Beginn zu viel auf zu wenig Raum. Auch die Ausgangsprämisse mit dem Kontaktoffizier Essen, der nach einigen Jahrhunderten im Tiefschlaf, vor Antritt seiner Mission auf dem Planeten Drasti Prime aufwacht, wirkt anfänglich nicht besonders originell. Arachnoide Biocomputer haben den Planeten übernommen und die verbliebenen Menschen nach dem Absturz eines Siedlungsschiffs sollen den Planeten verlassen. Essen soll die Evakuierung koordinieren.

Die zweite Hälfte ist deutlich interessanter und die einzelnen Probleme, mit denen Essen während seiner Mission konfrontiert wird, sind teilweise nicht nur originell, sondern detailliert ausgearbeitet. M.L. Clark verfällt nicht in „Deus Ex Machina“ Szenarien, allerdings fehlt auch der zweiten Hälfte die notwendige Dynamik.

Aus dem Russischen stammt „Fly free“ von Alan Kubatiev. Es ist ein Tiermärchen, in welchem die Menschen gelernt haben, mit den Vögeln zu sprechen. Ohne weitere Erklärungen haben auch die Vögel die Kontrolle über die Welt, wahrscheinlich die Erde übernommen. Vieles bleibt unausgesprochen, das Ende ist sehr offen. Aber Neil Clarke verfolgt die Strategie weiter, Phantastik aus anderen Ländern zu präsentieren.-

Aus dem Chinesischen stammt „Giant Fish“ von Chu Shifan. Ein gigantischer Fisch wird an Land gespült. Aus dem Kadaver können die Bewohner sich für einige Zeit ernähren. Deutlich makabrer hat James Ballard in „The Drowned Giant“ diese Idee extrapoliert. Chu Shifan versucht einige Erklärungen hinterher zu schieben, allerdings misslingt das. Ballard präsentierte sein Szenario ohne weitere Erklärungen und überzeugte mit der auch mehrfach auf deutsch veröffentlichten Story deutlich mehr.

Gregory Feeley verzichtet in „The Secret Strength of Things“ auf menschliche Figuren und überzeugt damit deutlich. Eine kleine künstliche Intelligenz flieht unter die Eiskappe eines der Neptunmonde, um der Überwachung durch eine andere künstliche Intelligenz zu entkommen. Feeley zeichnet die beiden künstlichen Intelligenzen menschenähnlich, kopiert aber nicht deren Verhalten. Die Spannungskurve inklusiv eines subversiven Endes ist zufriedenstellend, das Tempo im direkten Vergleich zu einigen anderen Geschichten dieser Sammlung hoch.

Mit der Miniatur „Rondo for Strings and Lasergun“ von Jared Oliver Adams schließt der Oktober. Eine Cellistin erleidet Unterkühlungen an den Händen und wird zwangsrekrutiert, die Erde gegen Außerirdische zu verteidigen. Als Laserlance Pilotin, da sie als Musikerin ein feines Gespür für die Zwischentöne hat. Kurzweilig zu lesen, mit einem eher bekannten Plot, aber einer sympathischen Protagonisten.

„Clarkesworld“ 193 ist eine zufriedenstellende Ausgabe. Das Themenspektrum ist breit, wobei die beiden übersetzten Geschichten zu den schwächeren Beiträgen gehören. Die längeren Storys leiden unter dem langsamen Tempo, aber ideentechnisch sprechen sie den Leser an, während die Miniaturen als eine Art Beiwerk am meisten unterhalten.   

  

cover for issue 193

E Book

www.wyrmpublishing.com

112 Seiten