KOMMISSAR LAVALLE UND DER SEINEMÖRDER

Karla Weigand

Karla Weigand beginnt mit dem auf tatsächlichen Fakten basierenden Fall des Seinemörders eine neue vor geschichtsträchtigen Hintergrund spielende Kriminalserie. Wie ihre historischen Romane legt die Autorin auf einen authentischen, minutiös recherchierten Hintergrund Wert, der mit seiner manchmal unangenehmen Genauigkeit eher wie ein Tatsachenbericht als ein klassischer Unterhaltungsstoff erscheint. Der Lesefluss wird dadurch auch gehemmt und die Autorin verlangt von ihren Lesern ein gehöriges Maß an Geduld, das sich nicht immer hinsichtlich des ersten Falls auszahlt.

 

Die Geschichte spielt zu Beginn der französischen Revolution. Dabei wechselt Karla Weigand zwar zwischen dem dekadenten, krankhaften Pomp des Palasts und dem Elend der Massen hin und her, ihre Sympathie wie auch die ausführlicheren Beschreibungen liegen aber beim Volk, das sich schließend hungernd und angesichts der immer größer werdenden Steuerlast verzweifelt gegen den König erhebt, bis es schließlich zu einer Tyrannei der Massen kommen sollte. Einzelne Exzesse wie die Mutter mit der immer mehr verschwindenden Kindern oder die ausführlichen Beschreibungen innerhalb der Schlachthäuser, auf den dreckigen Straßen oder den sozialen Konflikten werden effektiv über den Spannungsbogen verteilt.

 

Im Mittelpunkt der Handlung steht der lange Zeit quasi nebenher sich abspielende Konflikt zwischen dem nach einer Beförderung strebenden Lavalle und dem für den Leser relativ schnell klar erkennbaren Seinemörder, der seit einigen Jahren junge Männer zwischen vierundzwanzig und dreißig brutal hinrichtet und ihre Leichen in die Seine wirft. Jetzt braucht Lavalles Vorgesetzter unbedingt einen Erfolg und will das Volk quasi ruhig stellen. Die Angst vor der Bestie ist förmlich greifbar, ein System anfänglich nicht zu erkennen. Lavalle ist sein bester Mann. Das liegt auch an seinen ungewöhnlichen Methoden. Karla Weigand beschreibt, wie Lavalle buchstäblich dem Volk aufs Maul schaut. Er ist kein Sherlock Holmes mit einem überlegenen Intellekt, aber auch kein Nero Wolfe, der selten sein Haus in New York verlässt, um komplizierte Fälle in der gehobenen Gesellschaft zu lösen. Lavalle mischt sich nicht nur in verschiedenen Verkleidungen unter das Volk, er kann mit den einfachen Menschen auf Augenhöhe sprechen. Das zeigt sich in einer Kneipe, die er gerne aufsucht. Alle wissen, das er bei der Polizei ist. Aber alle schätzen auch seinen ausgesprochenen Gerechtigkeitssinn. Dazu verfügt er noch über eine kleine Gruppe von Spitzeln, die ihm gegen faire Bezahlung Informationen zur Verfügung stellen.

 

Privat möchte Lavalle gerne seine langjährige Freundin heiraten. Nur reicht das Geld nicht, denn wie Karl Weigand ausführt, ist der Bräutigam dann auch für die Versorgung der restlichen Familie seiner Braut zuständig. Die Geldnot und damit auch der in seinen Augen fehlende Respekt nagt an dem jungen, intelligenten Kommissar, gleichwohl sieht er es in erster Linie als seine Pflicht an, den Mörder zu fassen.

 

Der Mörder gehört zur anderen Klasse. Karla Weigand verzichtet auf falsche Spuren oder Ablenkungen. Die zwei Handlungsebenen lassen schnell keinen anderen Schluss zu, das als Mörder nur eine Person in Frage kommt. Es gibt ausreichend Exzesse und vor allem auch Ausschweifungen am Hof des Königs, aber nur einer Person inklusive ihrer sexuell sadistischen Neigungen widmet die Autorin ausreichend Platz in ihrem Buch. Daher bezieht die Geschichte ihre Spannung auch nicht unbedingt aus der Frage, wer der Täter ist, sondern wie man ihn überführen kann. Bislang konnten nicht mal seine Opfer identifiziert werden, denen er unter anderem die Haut abgezogen hat.  Positiv ist, das sich Karla Weigand einem gänzlich „anderen Fall“ angenommen hat. Es sind keine jungen unschuldigen Mädchen, die bestialisch umgebracht werden, sondern junge Männer. Homosexuelle Beziehungen inklusive Vergewaltigungen und Erpressungen werden ausführlich beschrieben, wobei der Täter schlau genug ist, die Altersgrenzen zu beachten und sich so trotz des Schutzes vom König keine Blöße zu geben.

 

Diese Vorgehensweise offenbart Stärken und Schwächen zu gleich. Autorin und Leser kann sich voll und ganz auf den Ermittler und den Täter konzentrieren. Bis in die Mitte der Handlung kommt es auch zu keiner direkten Begegnung zwischen den beiden Personen. Dazu baut Karla Weigand mit einem jungen Verwandten Lavalle schließlich eine notwendige Brücke ein. Der Vorteil ist, das die Autorin den Lesern diese geschichtsträchtige wie unruhige Zeit ausführlich ohne Ablenkung durch klassische, vielleicht auch klischeehafte Kriminalsujets lebhaft und dreidimensional beschreiben kann. Eine weitere Stärke als Auftakt einer Reihe ist, das der Leser die Lebensumstände des Kommissars ausführlich kennen lernt und Fortsetzungen auf diesen Aspekt verzichten können. Beim Antagonisten sollte der Leser die letzten Tage der Königsherrschaft einfach zynischen gesprochen „genießen“, bevor die Revolution erst den König und später auch ihre eigenen Kinder frisst. Auch wenn immer wieder kleinere Aufstände in Paris auflodern oder Gefangene aus der Bastille befreit werden, mit den nächsten Romanen sollte die französische Hauptstadt zu einer Art Käfig werden, in dem sich jeder selbst der Nächste ist. Unabhängig von der Seite, auf welcher er agiert oder agieren möchte. Der Nachteil ist, das alles Zeit und auf den Roman bezogen auch Umfang kostet. Es dauert, bis die Handlung Geschwindigkeit aufnimmt.

 

Während des lang gestreckten Finals hat Karla Weigand sicherlich Schwierigkeiten, den Plot wirklich überzeugend zu beenden. Lavalle zweifelt zu sehr in seiner Rolle an den eigenen Ermittlungen. Vieles, im Grunde fast alles spricht dafür, das er sich dem Täter anvertrauen muss, um ihn während des finalen Aktes zu überführen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat Karla Weigand die Figur des Kommissars Lavalle aber derartig umfangreich aufgebaut, das der Leser keine Sekunde an dessen Erfolg zweifelt. Eine Niederlage, vielleicht sogar das letzte Opfer des Seinemörders zu werden, wäre schockierend, würde aber auch die bestehenden Muster des Kriminalromans provozierend durchbrechen. Am Ende benötigt die Autorin zusätzlich ein oder zwei fast überdrehte erscheinende Klischees wie das verzögernde Eingreifen der Backup Truppe oder den verrückten Verwandten, der genau weiß, was in seinen Räumen abgeht und der verzweifelt wie nutzlos versucht, seine Haut noch zu retten. Alles wird routiniert niedergeschrieben, es wirkt aber nicht wirklich spannend genug.

 

Vielleicht wünschen sich einige Leser nach der ganzen brutalen Wirklichkeit, die ausführlich und minutiös beschrieben wird, einfach weniger Realismus und dafür ein packendes, cineastisches, aber auch nicht überzogenes Finale. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen, um die Kriminalelemente zufrieden stellend abzuschließen.

 

Hinsichtlich des Hintergrunds der französischen Revolution baut die Autorin neben den wie eingangs erwähnt auf Fakten basierenden Fall einzelne historische Figuren ein. Da schwingt ein Danton eine aufrührerische Rede in der Gegenwart Lavalles, der still schweigend unabhängig von seinem Status als Beamter des französischen Staates ihm zu diesem Zeitpunkt der Aufstände nur zustimmen kann. Die Realität wird der realen Danton und den fiktiven Lavalle eines Besseren belehren.

 

„Kommissar Lavalle und der Seinemörder“ ist eine herausfordernde Lektüre. Es ist kein klassischer, oberflächlicher Kriminalroman, wie es in den letzten Jahrzehnten hunderte nicht selten mit einem Heimatbezug des Autoren gegeben hat. Es ist kein gänzlich zufrieden stellender Roman. Dazu entwickelt sich der Plot zu statisch und wie angesprochen auch stellenweise zu klischeehaft. Da müsste in den folgenden Büchern mehr Esprit von der Autorin kommen. Es ist eine Art Sozialstudie aus der Zeit vor der Revolution, die aber nicht unbedingt Frankreich spezifisch ist, sondern sich vor und nach der französischen Revolution mit der Ausbeutung und Erniedrigung der Massen durch Könige oder auch nur Tyrannen egal mit welchem Titel immer wieder abgespielt hat. Karla Weigand gibt in ihrem Roman dieser Zeit mehr als ein Gesicht, sondern vermittelt dem Leser ein möglichst umfassendes Gefühl, wie es Ende des 18. Jahrhunderts in Paris wirklich gewesen sein könnte. Basierend auf umfangreichen Recherchen in Kombination mit ihrer Erfahrung als Autorin historischer Roman. Daher sollte der Leser den Kriminalfall eher als eine Art Beigabe  ansehen, als Faktenbasierter Bestandteil dieser historischen Studie und weniger als simple Genreunterhaltung. Dann wird er die Lektüre befriedigender abschließen als vielleicht nur auf der anfänglich sehr kurzen Suche nach dem Täter und schließlich der etwa zu langen Überführung.

Karla Weigand
KOMMISSAR LAVALLE UND DER SEINEMÖRDER
Historischer Roman aus der Zeit Ludwigs XVI., nach einem wahren Kriminalfall
Zwischen den Stühlen 2
Zwischen den Stühlen @ p.machinery, Winnert, April 2022, 332 Seiten
Paperback: ISBN 978 3 95765 273 7 – EUR 14,90 (DE)
Hardcover: ISBN 978 3 95765 274 4 – EUR 26,90 (DE)
E-Book-ISBN 978 3 95765 825 8 – EUR 6,99 (DE)

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