Der Wandler Verlag präsentiert als ein auf 250 Exemplare limitiertes Hardcover zwei Kurzgeschichten und ein Essay von Frank Duwald. T.E.D. Kleins Wortkette in der Übersetzung von Joachim Körber ist die schwarze Seite dieses in der Tradition des ACE Doubles gestalteten Wendebuches. Das Titelbild stammt von W.H.J. Booth. Zynisch gesprochen die weiße Seite ist John S. McFarlands „Eine glückliche Familie“, das Titelbild ist Grant Woods „American Gothic“.
Es lohnt sich, mit Frank Duwald für diese Veröffentlichung überarbeiteten Essay anzufangen und dann erst Kleins Kurzgeschichte zu lesen. Frank Duwald fasst nicht nur das bisherige Leben und sehr schmale Werk des Amerikaners zusammen, er hangelt sich entlang verschiedener Zitate aus mehreren Interviews und lässt Klein selbstkritisch, aber auch ironisch erzählen. Frank Duwald agiert was als kommentierender Begleiter. Es ist noch nicht ganz ein Interview, der Artikel kommt nahe dran. Im Laufe der vier Abschnitte wird neben Kleins angesprochen Leben sein Werk ausführlicher vorgestellt. Als Fan der alten Meister wie Arthur Machen, aber auch H.P. Lovecraft ist der Amerikaner aus heutiger Sicht wahrscheinlich der am ehesten dem literarischen Horror zuzurechnende Autor, auch wenn seine letzten nebensächlichen Kurzgeschichten Veröffentlichungen auch schon einige Jahre her sind. Die Hommage an Arthur Machen und weniger H.P. Lovecraft spiegelt sich auch in der hier veröffentlichten Kurzgeschichte „Ladder“ wieder. Es handelt sich um eine Erstveröffentlichung. Joachim Körber hat auf Facebook über die Schwierigkeiten bei der Übersetzung dieser Lebensgeschichte geschrieben.
Gegen Ende der Geschichte und damit auch des Lebens des Protagonisten wird deutlich, dass viele seiner Entscheidungen auf einem Wortspiel basieren. Die Kurzgeschichte galt als unübersetzbar, aber Joachim Körber hat sich auf zwei Wegen an die Aufgabe gemacht. Es lohnt sich, dessen Facebook Beitrag als Ausgangsbasis einer Rezension hier fast komplett zu zitieren: „ Die Story basiert auf einem Wortspiel, bestimmten Worten in dem Text kommt ein Zusammenhang zu, der erst am Ende offenbart wird. Im Original ist das Wortspiel das titelgebende „Ladder“ - dabei nimmt man ein Wort, verändert einen Buchstaben und erhält so ein neues Wort. Beispielsweise kann man in vier Schritten aus einem Hund eine Katze machen: Man nimmt „dog“, ändert einen Buchstaben und bekommt „cog“ (Zahnrad), ändert einen Buchstaben und bekommt „cot“ (Pritsche) und ändert noch einen Buchstaben, und man ist bei „cat“. Das zugegeben ist im Deutschen praktisch nicht machbar, da die Worte in einer bestimmten Reihenfolge erscheinen und einen Sinn ergeben müssen. Ich dachte mir aber, dass es auch im Deutschen eine Möglichkeit geben müsste, Worte in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen, deren Zusammenhang sich am Ende offenbart. Also habe ich die Story erst einmal ganz normal übersetzt, ohne auf die Worte zu achten. Als ich damit fertig war, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, Synonyme zu finden bzw. den Text so hinzubiegen, dass sich wie im Englischen am Ende ein Zusammenhang erschließt. Danach habe ich nicht eine, sondern zwei „Übersetzungen“ gemacht, eine mit dem Spiel „Wortkette“ und eine mit „Scrabble“. Ich habe die Auflösung auf einem separaten Blatt aufgelistet und dem Verleger geschickt, er hat beide Varianten an den Autor weitergeleitet, und der hat sich zu meiner großen Freude für „Wortkette“ entschieden, die Variante, die mir auch besser gefallen hat, und die Veröffentlichung abgesegnet.“
Das Titelbild nennt der Künstler „Sweet North Countee”. „Ladder“ bzw. auf deutsch „Wortkette“ ist ursprünglich in der „Borderlands“ Anthologie publiziert worden. Sie ist nicht nur eine Hommage an die christlichen Motive, welche Arthur Machen in seinen Geschichten immer wieder in Frage stellte, sondern der Plot endet im Grunde in einer alltäglichen Situation, der kein Mensch entkommen kann. Fatalistisch, aber auch optimistisch betrachtet der Ich- Erzähler sein Leben vom Heranwachsen im ländlichen Schottland in den dreißiger Jahre über den Unfalltod der Eltern und seinen Erlebnissen in Übersee, die ihn irgendwann wieder zurück in die Heimat und zu einem Buch aus seiner Jugend geführt haben. Stoisch auf Gott vertrauend konzentriert sich T.E.D. Klein auf keine klassische Pointe, sondern zeigt die im Grunde weltfremde, skurrile Perspektive eines Highlanders, der niemals den langen Schatten seiner Heimat und damit auch die pragmatische Einstellung dem Schicksal gegenüber verloren hat.
Die Schwierigkeit ist, dieses Leben wieder literarisch zu zähmen und nichts als Zufall darzustellen. Joachim Körber ist das überzeugend mit seiner guten Übersetzung gelungen. Natürlich empfiehlt es sich, die auch in „Reassuring Tales“ nachgedruckt Geschichte im Original zu lesen, um T.E.D. Kleins sprachliche Souveränität in Kombination mit seinem atmosphärisch dichten Stil in der jetzt zugänglichen Fassung zu verfolgen. Klein hat für jede Wiederveröffentlichung seine Geschichten immer wieder überarbeitet. Anscheinend fällt es dem Amerikaner leichter, Altes neu aufzubereiten als Neues zu erschaffen. Aber „Wortkette“ gehört zu den besten unter T.E.D. Kleins wenigen Geschichten. Von dem einen Roman und den fünf Novellen ganz zu schweigen.
„Eine glückliche Familie“ von John S. MacFarland erschien zwei Jahre nach der Originalpublikation in der Anthologie „Dämmerlicht“ im Heyne Verlag. Michael Schmitt hat die Übersetzung von Rolf Jurkeit bei seiner Nueübersetzung einbezogen. „Eine glückliche Familie“ ist eine der ersten Veröffentlichungen von John S. MacFarlands gewesen. Sie erschien 1985 im Magazine „Twillight Zone“, dessen Herausgeber / verantwortlicher Redakteur T.E.D. Klein zu dieser Zeit noch war. T.E.D. Klein hat die Geschichte gekauft und veröffentlicht.
Ein Hausarzt macht einen nächtlichen Besuch bei einer Familie. Eine Hausgeburt steht an. Das vierte Kind. John S. MacFarland hat sich für den Plot durch die Hausgeburt seiner Tochter inspirieren lassen. Über der Geschichte steht die Frage, was eine Mutter machen muss, um ein normales, gesundes Baby auf die Welt zu bringen. Im Umkehrschluss kommt die Frage auf, was passiert, wenn sie sich nicht an die ungeschriebenen Regeln hält? Der Leser ahnt den Verlauf der Handlung. Die Pointe ist zwar eine perfide wie morbide Überraschung, aber die erdrückende Atmosphäre im kleinen Haus der bislang dreifachen Eltern weist schon den Weg. Die Geschichte verfügt aber über eine interessante Verbindung zu T.E.D. Kleins frühem Werk. Bei MacFarland ist der Mann ein Kräutersammler. Diese verkauft er auf dem Markt. Er verkörpert im Grunde den alten ländlichen Geist, aus Sicht der Städter inzwischen antiquiert und überholt. Keine Technik, keinen Wohlstand. Dagegen wünscht sich der Hausarzt zurück in sein Haus mitten in der namenlosen Stadt. Abends in teure Restaurants gehen, in die Oper, vor dem Fernseher einschlafen. Möglichst weit weg vom Landleben.
MacFarland konzentriert sich auf Stimmungen, der Plot ist sehr stringent und läuft quasi im Augenblick der Geburt zusammen. Vergangenheit und Gegenwart vereinen sich. Der Titel der Geschichte ist aus Sicht des Arztes eine blanke Ironie, aber vielleicht steckt ein Körnchen Wahrheit darin.
„Wortkette“ /“Eine glückliche Familie“ ist neben der wunderschönen Aufmachung ein literarisches Kleinod, das zwei ungewöhnliche Weird Fiction Geschichten kombiniert, die auf den zweiten Blick sehr viel mehr miteinander zu tun haben, als es auf den ersten Blick erscheint. Die Gestaltung des kleinen Hardcovers ist außergewöhnlich gut mit zwei optisch auffälligen Titelbildern.
T. E. D. Klein
Wortkette
(Ladder, 1990)
Übersetzung: Joachim Körber
Titelbild: W. H. J. Boot
und
John S. McFarland
Eine glückliche Familie
(One Happy Family, 1983)
Übersetzung: Michael Schmitt
Titelbild: Grant Wood
Wandler, 2023, Hardcover (Wendebuch), 102 Seiten, 23,00 EUR