Cthulhus Ruf

H.P. Lovecraft

„Cthulhus Ruf“ ist der erst von inzwischen vier großformatigen  Hardcovern – da „Berge des Wahnsinns“ auf zwei Bände aufgeteilt worden ist, handelt es sich nur um drei Geschichten Lovecraft – des Heyne Verlags, in denen der Illustrator Francois Baranger die Geschichte Lovecrafts illustriert, aber nicht wie in einem Comic adaptiert hat. Der 1970 geborene Francois Baranger hat vor allem als Covergestalter und Concept Artist für Computerspiele, aber auch Filme wie „Harry Potter“, die Neuverfilmung von „Kampf der Titanen“ oder „Die Schöne und das Biest“ gearbeitet.

 Die Übersetzungen stammen aus den Suhrkamp Verlags Veröffentlichungen. „Cthulhus Ruf“ hat H.C. Artmann übersetzt. Der 2000 verstorbene Hans Carl Artmann gilt als einer der bedeutendsten Dichter der österreichischen Gegenwartsliteratur, der selbst neben Gedichten in Mundart fantastische Kurzgeschichten geschrieben und veröffentlicht hat.

In seinem ausführlichen Vorwort geht John Howe auf Lovecraft im Allgemeinen, aber auch die Schwierigkeit ein, seine Geschichten visuell darzustellen.  Lovecraft hat diesen Mangel an Interesse durch die Pulp Magazine auch in seinen zahlreichen Briefen kritisiert. Alleine Virgil Finlay genügte nicht nur seinen Ansprüchen. Lovecraft hat wenig mit dem jungen aufstrebenden Künstler kommuniziert, weil während Virgil Finlays Stern vor allem in „Weird Tales“ mehr und mehr zu strahlen begann, wandte sich der in Providende, Rhode Island lebende Lovecraft widerwillig vom Markt der Pulp Magazine ab und publizierte immer weniger. Er wollte sich nicht kommerziell verbiegen und die Herausgeber der verschiedenen Pulp Magazinen begannen immer öfter seine exzentrischen surrealistischen Geschichten abzulehnen. Verschiedene geplante Solo Anthologien mit seinen bisher veröffentlichten, aber auch in der Schublade liegenden Kurzgeschichten kamen zu seinen Lebzeiten nicht über die ersten Planungsstadien hinaus.

John Howe zeigt aber in einem etwas ironischen Unterton auch einige der Schwächen Lovecrafts auf.  In der Entwicklung seiner traumhaft- surrealistischen Alptraum Geschichten entwickelt der Amerikaner eine dunkle nihilistische Atmosphäre, wobei die nicht selten fremdartigen Kreaturen/ implizierten Wesen aus den Tiefen des Alls über unaussprechliche Kräfte verfügen, aber seltsame Wege gehen. So infiltrieren sie in einer der Geschichten einen harmlosen Narren, der schließlich durch einen einzigen Hund gestoppt wird. An einer anderen Stelle reicht der Griff in die Magie Trickkiste, damit ein aufgeklärter Wissenschaftler das unsagbare Böse stoppen kann. Diese Schwächen finden sich im vorliegenden Text nicht, wobei Lovecraft mit der Distanz zwischen dem Leser und dem Ich- Erzähler, der wiederum auf von dritter Hand geschriebene Notizen und Berichte zurückgreifen muss auch auf direkte Action verzichtet und vieles in der von Francois Baranger interessant illustrierten Geschichte der Phantasie seiner Leser überlässt.

Im Original heißt die Geschichte „The Call of Cthulhu“, bildet eine der Kernstorys des zukünftigen Lovecraft Mythos und wurde im Februar 1928 natürlich im „Weird Tales“ Magazin mit einer einführenden Illustration Hugh Doak Rankins publiziert. Sie wurde einmal von den Herausgebern des Magazins abgelehnt. Erst Lovecrafts Freund Wandrei hat mit seiner Intervention zu einem Umdenken bei den Herausgebern geführt. 

Lovecraft hat die Geschichte im Sommer 1926 geschrieben. Teile des ersten Kapitels stammen aus Lovecrafts eigenen Alpträumen, von denen er seinem Freund Reinhart Kleiner in Briefen aus dem Jahr 1920 berichtet hat. Lovecraft besuchte das örtliche Museum in Providence und wollte den Kurator überzeugen, dass er eine Skulptur für das Museum ankauft, die Lovecraft selbst geschaffen hat. Der Kurator lehnt die Figur als neu ab, während Lovecraft auf die Träume verweist, welche die Menschen seit Jahrtausenden haben. In der vorliegenden Geschichte gibt Henry Anthony Wilcox dem Onkel und damit auch ersten Chronisten des Ich- Erzählers gegenüber zu, dass es sich zwar um eine neue Figur handelt, aber sie aus seinen eigenen Träumen stammt, die wiederum in Wurzeln teilweise im alten Babylon haben.

Die eigentliche Geschichte besteht aus drei eng miteinander verbundenen Teilen. Die eigentliche Handlung besteht aus kommentierten Aufzeichnungen, die Francis Thurston gehören. Er folgt  nicht freiwillig, sondern mehr vom eigenen Forscherdrang angetrieben er der vor ihm ausgelegten Spur der antiken und seit Äonen eigentlich unter dem Meer schlafenden Gottheit Cthulhu. In den Hinterlassenschaften seines plötzlich an einem herzinfarkt verstorbenen Großonkels Professor Angeli findet der Erzähler Hinweise auf eine seltsame Tonskulptur, die Henry Wilcox im März 1925 geformt hat. Die Inspiration erreicht ihn in seinen Träumen. Auch anderen Künstler haben zeitgleich an unterschiedlichen Orten ähnliche Alpträume gehabt, die sie in ihren Bildern oder Skulpturen verarbeitet haben. Es handelt sich in erster Linie um Künstler oder Architekten. Schriftsteller lässt Lovecraft vielleicht absichtlich aus. Angeli stellt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Wilcox Skulptur und einer Figur fest, welche Polizisten bei einer Razzia in den Sümpfen New Orleans im Jahre 1907 beschlagnahmt haben. Dieser Fund ist Teil des zweiten Berichts, den der Erzähler in den Hinterlassenschaften seines Onkels findet. Der Polizist Legrasse hat ihn geschrieben. Hier finden sich auch die ersten Hinweise auf den archaischen Gott  Cthulhu und eine bestimmte Sternenkonstellation, die ihn erwecken wird. 

Im letzten Abschnitt erfährt der Erzähler vom norwegischen Seemann Gustaf Johansen, der einzige Überlebende eines aufgefundenen Schiffes ist. Es gelingt seinen Kameraden und ihm, einen Piratenüberfall abzuwehren, sie müssen aber die Schiffe wechseln und landen schließlich an den Gestaden einer ihnen unbekannten Insel mit bizarren Felsformationen, aber auch einer gigantischen Treppe und einem entsprechenden Steinportal. 

Das in der Geschichte beschriebene Erdbeben  ist wahrscheinlich das  Charlevoix- Kamouraska Erdbeben aus dem Jahr 1925.

Literarisch finden sich in dieser kurzen Story sehr viele Anspielungen beginnend von Lord Dunsays frühen Geschichten, die Lovecraft sehr stark beeinflusst haben und dessen Götterwelt jenseits der menschlichen Vorstellungskraft. Dieser Bildband ermöglicht auch einen sehr guten Vergleich zwischen Lovecrafts teilweise kargen beschreibenden Stil und den kraftvollen Bildern. Sowohl die Beschreibung der Tonfigur als auch die abschließende Erscheinung des antiken Gottes sind nur bedingt aussagekräftig. Vieles überlässt Lovecraft absichtlich der Phantasie seiner Leser. So ist auch die finale Flucht des Norwegens fast mystisch verklärt, aber in der vorliegenden Form nicht rational erklärbar.  Guy de Maupassants “Die Horla” und Alfred Tennysons “The Kraken” fließen in dem über Äonen abgeschieden auf dem Meeresgrund schlafenden Gott zusammen.  Die Fragmenttechnik mit aufgefundenen Berichten ist ebenfalls nicht neu. Lovecraft ist ein Bewunderer Arthur Machens gewesen, so dass die  Möglichkeit besteht, dass sich der Amerikaner hier bedient hat. 

Abraham Merritt hat zu Beginn seiner Karriere Lovecraft mit seiner Novelle “Der Mondsee” begeistert. Die Romanfassug hat Lovecraft gehasst. In beiden Geschichten gibt es “Tore”, welche die jeweiligen Charaktere in unirdische Welten voller Wunder - bei Merritt - und tödliche Gefahren - bei Lovecraft - führen. 

Das Ende der Geschichte ist eine klassische, prophetische Warnung vor den uralten Gefahren, welche die Menschheit bedrohen und die nur einen Schlaf/ eine geeignete Sternenkonstellation entfernt lauern. Ihr Ziel ist nicht nur in dieser Geschichte die Vernichtung der Menschheit. 

Eine Augenweide sind Francois Baranger großformatige Bilder. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern, die gerne mit verzerrten Perspektiven arbeiten, um im Leser ein Gefühl des Schreckens zu erzeugen, nutzt Baranger die Weite seiner Perspektiven, um die Dimensionen Cthulhus und seiner in stürmischer See liegenden Insel aufzuzeigen, welche immer wieder auf den Meeresgrund wie Atlantis sinkt. An anderen Stellen zeigt der Maler wichtige Situationen aus einer Halbfroschperspektive, aber bleibt auf Distanz gegenüber den Protagonisten. Vieles an seinen Bildern ist gestochen scharf, nur Teile von Lovecrafts Kreaturen - und die Tonfigur - wirken absichtlich verschwommen dargestellt, als wenn das finale scharfe Bild sich erst im Verstand der Leser manifestieren soll. Die grossformationen Zeichnungen  unterstreichen kongenial Lovecrafts lesenswerte Geschichte, die unabhängig von der auf Distanz basierenden Strukturen der verschiedenen aufgefundenen Berichte den Leser mehr und mehr in seinen Bann zieht. Auch wenn der Plot aus heutiger Sicht ein wenig simpel strukturiert erscheint und sich Lovecraft nicht nur in dieser Geschichte relevanten Antworten auf die von ihm selbst mittels seiner forschenden Figuren aufgeworfenen Fragen verweigert.  So bleiben zwei plötzliche Todesfälle durch einen Herzinfarkt unaufgeklärt. Wahrscheinlich haben die Götter ihren langen Atem übers Land ziehen lassen oder ihre Jünger ausgeschickt, Aber solche offenen Flanken gehören zu den Spannungsszenarien, mit denen Lovecraft immer wieder gespielt oder sie trotz seiner minutiösen Arbeitsweise - erst handschriftlich und dann widerwillig mit Schreibmaschine - einfach vergessen hat. Fast einhundert Jahre nach der Erstveröffentlichung spielt das auch keine Rolle mehr. “The Call of Cthulhu” gehört zu den ersten Meisterwerken Lovecraft in seiner literarischen zweiten Phase, in welcher er den Einfluss Lord Dunsanys abgestreift und sich als Schriftsteller abseits der damaligen öffentlichen Meinung in erstaunliche wie zeitlose Richtungen entwickelt hat.  



Cthulhus Ruf: Durchgängig farbig illustrierte Ausgabe im Sonderformat (Illustrierte Ausgaben, Band 1)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Heyne Verlag; Deutsche Erstausgabe Edition (12. Oktober 2020)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 64 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3453534980
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3453534988
  • Originaltitel ‏ : ‎ Call of Cthulhu
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