Dex & Helming 1. Ein Psalm für die wild Schweifenden

Becky Chambers

Der Carcosa Verlag legt als handliche Hardcover die Duologie um den Teemönch Dex und seinen Roboterfreund Helming der Autorin Becky Chambers als deutsche Erstveröffentlichung in der Übersetzung von Karin Will vor. In den USA erschien die Geschichte auf der Internetseite des Verlages Tor als Erstveröffentlichung am 13. Juli 2021. Die Geschichte ist mit dem HUGO Award ausgezeichnet worden. Ein Jahr später erschien fast auf den Tag genau das zweite Abenteuer der beiden ungleichen Freunde.

 Die 1985 in Kalifornien geborene Rebecca „Becky“ Marie Chambers gehört zu den Senkrechstartern der Science Fiction nach einem nicht ganz so leichten Start. Als Tochter einer Astrobiologin und eines Luft-/ Raumfahrttechnikers wurde ihr das Genre fast in die Wiege gelegt. Vor ihrer literarischen Karriere arbeitete sie unter anderem in der Verwaltung eines Theaters und als freie Redakteurin für mehrere Magazine. Aber auch bei Tor.com ist die aktiv gewesen. Sie lebte in Schottland und Island. Inzwischen ist sie mit ihrer Ehefrau wieder in die Heimat Kalifornien zurückgezogen.

 2012 veröffentlichte sie im Crowdfunding mit „The Long Way to A Small, Angry Planet“ – in Deutschland im Fischer Tor Verlag erschienen – den ersten Band ihrer inzwischen als beste Serie mit einem weiteren HUGO ausgezeichneten und inzwischen vier Romane umfassenden „Wayfarers“ . Das Buch erschien 2014 zunächst im Eigenverlag, bevor es ein Jahr später sowohl in den USA wie auch Großbritannien erschienen ist. Der Roman wurde für den Arthur C. Clarke Award nominiert. Auch der zweite Teil wurde für den renommierten britischen Science Fiction Preis nominiert. Nach der „Wayfarer“ Serie verfasste sie mit „Record of a Space Born Few“ einen serienunabhängigen Roman. Einen Locus Award erhielt sie für die Novelle „A Prayer for the Crown- Sky“, ein Teil der „Wayfarer“ Trilogie wurde zusätzlich mit dem Kurd Lasswitz Preis als bestes ausländisches Werk ausgezeichnet.

 Tor.com gab die Duologie als einen Beitrag zum inzwischen als Subgenre anerkannten Solarpunk in Auftrag. Dabei handelt es sich um einen optimistischen Gegenentwurf zum in den achtziger Jahren entstandenen Cyberpunk. Ganz bewusst setzt sich der Begriff aus Solar, abgeleitet von erwärmender Sonnenstrahlung bzw. Sonnenenergie und Punk zusammen. Neben der angesprochenen deutlich positiveren Grundausrichtung ist der Solar Punk der Social Fiction deutlich näher als die meisten anderen gegenwärtigen Genreausrichtungen, da Kultur- und Nachhaltigkeitsbewegungen eine wichtige Rolle spielen. Die beiden Romane entstanden ausgerechnet während der Corona Pandemie, was den Leser zumindest literarisch wieder einen Blick in die Freiheit schenken sollte, welche sich der spätere Teemönch Dex auf dem Panga einfach nimmt, in dem sie sich von einem Tag auf den Anderen von seinen bisherigen Aufgaben  als Gärtner entbinden lässt, um den Menschen bei einer Tasse Tee zuzuhören und psychologisch- seelische Hilfe zukommen zu lassen. 

 Auf dem Mond Panga sind Roboter und vielleicht auch künstliche Intelligenzen wie auch eine auf dem technischen Niveau des 20. Jahrhunderts stehende Zivilisation eher etwas aus dem Bereich der Mythen. Vor langer Zeit haben sich die Roboter von den Menschen verabschiedet und in die Wälder zurückgezogen. Die Menschen haben ihnen zwar die Hand gereicht und ihnen eine jederzeitige Rückkehr angeboten, die Roboter haben es abgelehnt. Die Fabriken sind zerfallen, die Menschen haben sich in kleinere Siedlungen zurückgezogen und leben in erster Linie anscheinend vom lokalen Tauschhandel und der Agrarwirtschaft.

 Die durch die Lande ziehende Teemönche sind Psychologen, aber auch Quellen der Außenwelt. Eine technisch orientierte Fernkommunikation scheint es ebenso wenig zu geben wie klassisches Autos. So bewegt der Teenmönch Dex seinen Wohn- und Schlafwagen mittels eines Fahrrads. Es gibt allerdings noch Straßen, über die mehr Verkehr gelaufen ist. Ebenfalls gibt es in den Wäldern noch Überreste von Fabriken und die Menschen gewinnen ihr Wasser eher aus Filteranlagen denn aus der freien Natur.

 Becky Chambers beschreibt den Beginn einer sonderbaren, wunderbaren Freundschaft. Dex muss erst einmal ihre Aufgabe lernen und ihre erste Klientin tröstet eher den Mönch als das sie der Frau helfen kann, deren Katze gestorben ist. Die Katze ist das einzige Verbindungsglied einer eher von Gewohnheiten bestimmten Ehe gewesen. Nach und nach arbeitet sich Dex nicht nur in ihre Aufgabe ein. Als ehemalige Gärtnerin hat sie inzwischen eine kleine Plantage in ihrem Wohnwagen und zieht so von Dorf zu Dorf. Auch kommt sie besser mit den Menschen zurecht und schafft es, sich mit besonderen Teemischungen beliebt zu machen und inzwischen auch auf die Leute einzugehen.

Eines Tages beschließt sie, von der bekannten Route abzuweichen und in die Wildnis einzudringen. Dabei trifft sie auf den Roboter Helming, der sich freiwillig gemeldet hat, um zum ersten Mal nach einer unbestimmten Zeit – dabei müsste er es genau wissen – zu schauen, was die Menschen eventuell brauchen. Seine Aufgabe ist es, möglichst viele Menschen zu befragen und mit diesen Ergebnissen zu den anderen Robotern zurückzukehren, die allerdings kein Bestreben haben, wieder den Menschen zu dienen.

 Helming ist ein wacher Geist in einem alten, aus verschiedenen Modellen zusammengebauten Körper. Er wird mittels einer Batterie und Solarzellen betrieben. Becky Chambers beschreibt Helming erstaunlich menschlich. Er hat Humor, anscheinend kann er sein Gesicht auch zu einem Lächeln formen. Mehrere Programme gleichzeitig können in seinem Inneren nicht ablaufen. Lakonisch merkt er an, dass auch Menschen das nicht können. 

 Becky Chambers hat – so widersprüchlich es auf den ersten Blick auch erscheinen mag – eine Art Stillleben- Roadmovie mit zwei unvollkommenen Wesen erschaffen, die nur gemeinsam über eine sich im Laufe ihrer Reise mehr und mehr intensivierende Freundschaft zu einer Einheit werden. Sie gleichen ihre gegenseitigen Schwächen instinktiv und vor allem auch unaufdringlich aus.

 Am Anfang ihrer jeweiligen Missionen sind sie beide nicht auf die Welt vorbereitet, die sich draußen erwartet. Beide verbindet der Drang, etwas Anderes zu machen. Dex legt ihr Amt als Gärtnermönch von den dem einen auf den anderen Tag nieder, um unvorbereitet in eine Welt und vor allem auch über die Straßen zu reisen, von denen sie gar nichts weiß. Helming dagegen meldet sich fast überstürzt freiwillig, als die Robotergemeinde einen Freiwilligen sucht, der die Menschen befragen soll. Er kennt keine Menschen. Kein Roboter kennt mehr Menschen. Wie auf der menschlichen Seite werden bei den Roboter die alten Legenden von der Dienerschaft unter den aus ihrer Sicht eher zweitrangigen Menschen weiter getragen. Erstaunlich ist, dass sich weder die Roboter in ihrer Abgeschiedenweit weiterentwickelt und vielleicht die K.I. erschaffen haben; noch die Zivilisation der Menschen den Stand halten konnte, als die Maschinen noch die Arbeit gemacht haben. Von der Raumfahrt ganz zu schweigen. Irgendwann müssen Menschen und Maschinen ja auf Panga gelandet sein.

 Mit pointierten Dialogen und feinen kleinen Gesten – Helming beginnt nachts Tee zuzubereiten – gehen Mensch und Maschine behutsam, vorsichtig, auch ein wenig ängstlich immer wieder einen kleinen Schritt aufeinander zu. Dabei ist es Helmings Logik, welche Dex Hemmungen überwindet. Helming verfügt über einiges an Wissen, das er pragmatisch anbringt. Dex degegen ist anfänglich das Herz dieser symbiotischen Gemeinschaft. Immer wieder baut sie mit ihren Fragen Helming auf. Mit ihrer Ängstlichkeit macht sie den Roboter zu einem perfekten Beschützer und mit ihrem Drang, eine Mission zu vollenden, die ins Nichts führt, verblüfft sie ihren Begleiter. Menschen sind nun einmal nicht logisch, wobei auch der Roboter Helming erstaunlich emotional, humanistisch und vor allem nicht frei von Fehlern ist.

 Am Ende dieser kleinen Novelle haben Dex und Helming noch nicht ihren Platz in dieser von der Autorin allerdings sehr fragmentarisch, manchmal ein wenig zu pragmatisch entwickelten Welt gefunden. Sie sind – wie viele Leser – noch auf der Suche. Das macht den Reiz dieser Geschichte aus. Der Weg ist in diesem Fall tatsächlich das Ziel und je weiter sich Dex und Helming in die Einsamkeit bewegen, desto wichtiger sind sie sich gegenseitig. Der Inhalt der Novelle lässt sich vielleicht in einem einzigen Satz zusammenfassen und könnte ungeduldigere Leser auch enttäuschen. Nicht umsonst hat Becky Chambers ihre Geschichte auch „Einen Psalm für die Wild Schweifenden“ genannt. Die Wild Schweifenden – entschlossen in ihrer jeweiligen Mission und unentschlossen hinsichtlich ihrer Ziele – durchbrechen auf ihrem Weg das enge Korsett ihrer jeweiligen Gemeinschaften, wobei interessanterweise Helming sehr viel näher an seiner ursprünglichen Mission verblieben ist als Dex, die sich nicht nur von den Siedlungen, sondern ihren eigentlichen Aufgaben entfernt. Helming ist der Ansicht, das er möglichst viele Menschen fragen um, um die richtigen Antworten zu erhalten. Am Ende der Geschichte könnte es nur ein Mensch sein, der über den Schlüssel zur (gemeinsamen) Zukunft verfügt.

 „Ein Psalm für die Wild Schweifenden“ ist ein Roadmovie ohne Fahrzeuge; auf zerfallenden Straßen und in der Unwegsamkeit einer fremden Welt. Es gibt nicht einmal echte Gefahrenmomente oder Gewalt/ Action. Aber gleichzeitig ist es auch eine erstaunlich optimistische, vielleicht sich sogar hinsichtlich ihrer Figuren an den Rand der gutmütigen Naivität bewegende Geschichte, die von den sehr gut durch Karin Will übersetzten pointierten Dialogen und der manchmal nur in einem Satz mitschwingenden Weisheit lebt. Ganz bewusst hat Becky Chambers die Personalpronomen verändert, irgendwie gegendert, um die Fremdartigkeit der Bewohner Pangas und ihre sozialen Strukturen auffälliger zu gestalten. Der Leser gewöhnt sich an diese Vorgehensweise, entfremdet wahrscheinlich auch einen Teil des Publikums von der ansonsten sehr geradlinig, ausgesprochen ruhig und eher auf die „inneren Werte“ konzentrierten Handlung.  

 

Ein Psalm für die wild Schweifenden: Dex & Helmling 1 (Carcosa)

  • Herausgeber ‏ : ‎ Memoranda; 1. Edition (15. Januar 2024)
  • Sprache ‏ : ‎ Deutsch
  • Gebundene Ausgabe ‏ : ‎ 188 Seiten
  • ISBN-10 ‏ : ‎ 3910914101
  • ISBN-13 ‏ : ‎ 978-3910914100
  • Originaltitel ‏ : ‎ A Psalm for the Wild-Built