Mit der Dezemberausgabe beendet „Clarkesworld“ ein Jahr der Konsolidierung. Im direkten Vergleich zu anderen Magazinen erschienen weiterhin zwölf Ausgaben pünktlich. Die Zahl der Abonnenten konnte stabilisiert und die Verluste durch die Änderungen bei Amazon minimiert werden. Neil Clarke blickt in seinem Vorwort zurück und vorwärts. Ein Schwerpunkt – wie auch in einem der beiden Interviews – ist die Auseinandersetzung mit den immer auffälligen Titelbildern „Clarkesworld“, auf deren Produktion Neil Clarke expliziert eingeht.
D.A. Xiaolin Spires schreibt über „Martial Arts and Fight Scenes in Zero- G“. Dabei geht sie nicht nur auf einige Kurzgeschichten und Romane ein, sondern erläutert die wissenschaftlichen Grundlagen der asiatischen Kampftechniken in Schwerelosigkeit. Es ist nicht der erste Artikel, der sich mit den auf den ersten Blick simplen irdischen Themen außerhalb der Atmosphäre auseinandersetzt. Argumentativ schlüssig, aber nicht belehrend eine interessante Lektüre.
Arley Sorg spricht mit dem Graphiker Erin K. Wagner. Ausführlich geht er auf seinen antiquierten Stil ein. Kein Computer, sondern echte Handarbeit als Basis. Die Reaktionen der Verlage und schließlich das immer größer werdende Auftragsvolumen. Einige Beispiele seiner eindrucksvollen Kunst begleiten den Artikel. Donato Giancola dagegen spricht über ihre ersten Erfahrungen als Autorin, das Herausbilden eines eigenen Profils in der Verlagslandschaft und die Schwierigkeiten, dem eigenen Stil unter kommerziellen Aspekten treu zu bleiben.
Neun Kurzgeschichten - davon zwei als Übersetzung – bilden den Kerninhalt der Weihnachtsausgabe, auch wenn die Jahreszeit keine Rolle spielt.
L. Chan eröffnet die Ausgabe mit „Stranger Seas Than These“. Es handelt sich um eine Variation der Jonas Geschichte. Drei Wissenschaftler sind in einem kleinen Unterseeboot gefangen in einem der gigantischen Wale in den Meeren des Planeten Pelagia. Die Walgesänge ziehen die Menschen wie fliegen an. Einer der Wissenschaftler huldigt den Gesängen, während die anderen Forscher mit der künstlichen Intelligenz des Unterseebootes nach einer Lösung suchen. Ein weiteres Problem sind die Einheimischen. Nur weil der Wal tot ist, werden die Menschen nicht von den Fremden aufgegriffen und hingerichtet. Aber das hilft ihnen nicht auf der Suche nach einem Weg nach draußen. Die Lösung ist solide vorbereitet und enthält keine „Deus Ex Machina“ Komponenten. Auf Augenhöhe der Protagonisten folgt der Leser jedem der Schritte.
Auf den ersten Blick scheint Chisom Umehs “From Across Time” aus bekannten Versatzstücken zu bestehen. Adaeze erhält Nachrichten aus der Zukunft. Die Frau behauptet, sie wäre ihre Geliebte. Adaeze kann sich nicht erinnern, weil sich die Zukunft immer wieder ändert und anscheinend die Zeitpolizei ihr für eine Tat auf den Fersen ist, an welche sie sich nicht erinnern kann. Auch wenn die einzelnen Komponenten nicht sonderlich originell wirken und die Zeitpolizei den klassischen Klischees entspricht, gelingt es dank der guten Charakterisierung, den Leser bei der Stange zu halten und vor allem auch eine originelle Lösung zu präsentieren.
Zu den längsten Geschichte gehört die aus dem Chinesischen übersetzte Novelle „The Painted Skin and the Final Stroke“ von Zhu Yixuan, einer immer wieder in „Clarkesworld“ vertretenen Autorin. Yan Chen als Erzähler und Gan Tang sind künstlich erschaffene Dämonen – der Begriff sollte sich aus der christlichen Perspektive betrachtet werden - , deren Schöpfung des imperialen Daoisten hilft, die Unsterblichkeit zu analysieren. Die beiden unterschiedlichen Charaktere ergänzen sich vor allem. Alleine haben sie Probleme. Zhu Yixuan beschreibt deren Fähigkeiten expressiv, auch wenn es hier in mindestens einem Fall ein bekanntes europäisches Kinderbuch gibt, das mit der gleichen Idee spielte: „Von der Katze, die in den Himmel kam“. Gan Tang muss ihrer Fähigkeiten schließlich während eines Wettbewerbs einsetzen, um ihren Partner zu retten. Das tragisch melancholische, vorhersehbare Ende wird durch die reichhaltigen Beschreibungen dieser exotischen, futuristischen und doch vertrauten Welt überdeckt. Der Leser kann sich ausgesprochen gut in die Charaktere hineindenken und nach kurzer Zeit akzeptiert er auch deren Handlungen gegen alle Logik, gelenkt von den manipulierenden Imperialen. Ein wenig am Rande des Kitsches überzeugt nicht nur der Plot, sondern vor allem auch die Interaktion nicht nur zwischen den beiden Hauptfiguren, sondern auch ihrem Umfeld.
Shari Pauls “Souljacker” nimmt ebenfalls eine bekannte Idee auf, extrapoliert sie allerdings auf eine geschickte Art und Weise. Salome hat während ihrer Jugend Implantate erhalten, die ihre Körperfunktionen kontrollieren sollten. Die Implantate hat sie noch im Körper, auch wenn sie inzwischen geheilt ist. Mittels dieser Implantate beginnen Verbrecher diese Körper auf Zeit zu vermieten. Die Bezahlung ist gut. Natürlich gibt es Leute, die sich nicht an die Abmachungen halten. Abschließend bleibt der Leser ein wenig enttäuscht zurück. Die Auflösung mit einem entfernten Verwandten ist zu simpel, die Struktur zu einfach und die Grundidee zu oft benutzt worden. Auf der anderen Seite ist vor allem die Zeichnung der Figuren überzeugend und der Leser kann mit Salome mitfühlen, auch wenn sie selbst weiß, dass sie den Geist aus der persönlichen Flasche gelassen hat.
Thoraiy Dyers Novellette “Lucie Neutrons and the Good Samarium” ist genauso farbenfroh, im Grunde grell wie der Titel. Nach einem begrenzten Nuklearkrieg in Europa wünschen sich die beiden Wissenschaftler Lucie und Izzy ein Kind mittels einer Samenspende eines Astronauten, der inzwischen auf einem französischen Bauernhof lebt.
Der weitere Handlungsverlauf ist stark konstruiert. Auch wenn die emotionalen Komponenten überzeugend sind und vor allem die Figuren Sympathiepunkte bei den Lesern sammeln, ist das Element 124 eine MacGuffin Lösung, welche die Autorin nutzt, um die Geschichte unwissentlich auf einer hoffnungsvollen Note enden zu lassen. Wissenschaft ist seit vielen Jahren die schwache Seite der “Clarkesworld” Stories.
“Driver” ist ein bekannter Filmtitel. Sameen Siddiqui versucht sich auch in Chiffren. Dem Leser ist nicht wirklich klar, ob Driver der Name oder nur die Tätigkeit des Protagonisten mit einer besonderen Vergangenheit ist. Zumindest überzeugt die abschließende Erklärung für die beiden bizarren Touren, welche der (Taxi-) Fahrer übernehmen muss. Der Leser verfolgt das Geschehen aus einer gewissen Distanz. Die emotionale Nähe wie in einigen anderen Geschichten dieser Sammlung kommt nicht auf, aber generell verfügt die Story über einen passenden, sehr kompakt, fast hölzern erzählten und deswegen auch effektiven Plot.
Die zweite Übersetzung ist Celia Corral- Vazquez “The Coffee Machine”. Die Autorin überzeugte schon in den letzten “Clarkesworld” Ausgaben mit überdrehten, aber deswegen auch so lesenswerten Geschichten um erwachende Maschinen. In diesem Fall ist es eine Kaffee Maschine, die “erwacht” und sich mit ihren “Kunden” auseinandersetzt. Die erweckt ohne ausführliche wissenschaftliche Erklärungen andere Maschinen zum Leben. Vor allem der Süßigkeitenautomat hat immer einen Spruch auf Lager. Die Dialoge sind pointiert, nehmen das menschliche Verhalten sehr gut auf die Schippe und der stringente Plot unterhält sehr gut.
Gelians “Life Sentence" überzeugt durch die emotionale Ebene, aber weniger durch den Plot. Der Protagonist sieht, wie seine Geliebte in ein Schwarzes Loch fällt, um zu sterben. Durch einen Time Warp sieht er diese Szene immer wieder. Die Prämisse ist nicht grundlegend neu, aber die aus dem Erzähler strömenden Emotionen wirken ehrlich, herzergreifend und vor allem nicht sentimental kitschig, so dass das Manko einer bekannten Idee mehr als ausgeglichen wird.
Während “Life Sentence” tragisch ist, nutzt Paul Starkeys kurze Miniatur “Retirement Plan” ebenfalls eine bekannte Idee auf eine interessante Art und Weise. Der Protagonist hat große Teile seines Arbeitslebens auf Raumschiffen verbracht, die nahe an der Lichtgeschwindigkeit durchs All eilen. Die Zeitverschiebungen hat er genutzt, um einen guten Rentenplan auszuarbeiten. Humorvoll pointiert erzählt und mit einer Prämisse, die dem Leser lange im Gedächtnis bleibt.
Der Dezember beendet das “Clarkesworld” Jahr beginnend mit dem schönen Titelbild auf einer guten Note. Die meisten Geschichten überzeugen mindestens auf der charakterlichen Ebene. Nicht selten sind die Plots dem Leser vertraut und nicht jeder Autor kann eine originelle Wendung niederschreiben, aber die insgesamt neun Geschichten bieten mindestens gute Unterhaltung.

