Nach zwei von Thomas le Blanc betreuten und im Orient spielenden Anthologie Bänden präsentiert Volker Kringel mit „Old Shatterhand- Neue Abenteuer“ insgesamt acht teilweise längere, an Novellen heranreichende Geschichten aus Karl Mays Wilden Westen. Der Old Shatterhand Titelbezug grenzt unnötig das Spektrum der Storys ein, denn manchmal tritt der Sachse erst spät in der Handlung auf und überlässt nicht nur Winnetou das Feld.
Volker Kringel geht in seinem Vorwort nicht nur auf die zeitlose Faszination der ewigen Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand und Karl Mays besonderen Westen abseits der Realität ein, als Herausgeber stellt er seine Mitstreiter und deren Geschichten kurz vor. Richtig bemerkt er, dass aus der Jungslektüre inzwischen ein geschlechtsneutrales Phänomen geworden ist. Wie bei Thomas le Blanc finden sich einige Frauen unter den Autoren und wahrscheinlich auch nicht wenige unter den Lesern.
Jutta Laroches „Kriegsbeil oder Friedenspfeife“ fasst den Plot der Geschichte sehr gut zusammen. Winnetou befindet sich auf einer Art Rundreise unter den Stämmen seines Volkes. Bei den Jicarillas trifft er nicht nur auf den reisenden weißen Händler Doc Mule, sondern die Tochter des Häuptlings macht sich nächtens aus dem Staub, weil sie nicht zwangsverheiratet werden möchte. Winnetou macht sich zusammen mit einigen Kriegern auf die Suche. Dabei stößt er auf einen schwelenden Konflikt zwischen verschiedenen Indianerstämmen mit dem immer noch nach Rache geiferden Tangua, aber seinem auch inzwischen als Häuptling agierenden Sohn Pida.
Der Plot folgt Karl Mays Pfaden. Die einzelnen Indianerstämme versuchen sich mit Gewalt, aber weniger List und Tücke selbst zu schwächen. Im Hintergrund droht der weiße Mann mit seiner stetigen Expansion. Tangua ist weiterhin eine allerdings verkrüppelte falsche Schlange, die sein Gesetz auf eine eigenwillige Art und Weise interpretiert. Der Romeo und Julia Aspekt gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Das Tempo der Geschichte ist hoch, die wechselnden Perspektiven erhöhen vor allem in der zweiten, deutlich mehr stringenten Hälfte der Geschichte auch die Spannung, aber Jutta Laroche folgt in großen Teilen den etablierten Bahnen und nutzt die anfänglich interessante Idee einer modern denkenden Frau; dem aufgeklärten Winnetou als Ratgeber und schließlich dem schwelenden Konflikt zwischen den Stämmen mit ihren alten, vielleicht auch antiquierten Traditionen in einer herausfordernden Zeit zu wenig, um einen inhaltlichen Schritt weiterzugehen. Es ist ein neues, grundsätzlich aber leider altes, allerdings auch gut geschriebenes Abenteuer.
Peter Wayands “Detective Old Shatterhand- der Fall Douglass” greift eine im zweiten Winnetou Band erwähnte Begegnung zwischen Old Shatterhand und dem Chef einer New Yorker Detective Agentur Joshua Taylor. Dazwischen werden nicht nur zwei, sondern im Grunde drei historische Kämpfer gegen die Sklaverei mit eingebaut. Dadurch muss allerdings der erste Auftrag Old Shatterhands in die Zeit vor bzw. während des Amerikanischen Bürgerkriegs verlegt werden. Fast mittellos heuert Old Shatterhand auf Vermittlung eines Bekannten bei Taylor an. Sein erster Auftrag ist es, den ehemaligen Sklaven und Publizisten Frederik Douglass zu suchen. Als Detektiv folgt Old Shatterhand eher den vagen Hinweisen, als das er wirklich überzeugend ermittelnd tätig wird. Hinzu kommt, dass er im Grunde übertölpelt wird und gerettet werden muss. Natürlich ist dieser sehr junge und unerfahrene Old Shatterhand noch nicht die spätere Persönlichkeit aus Karl Mays Büchern. Viele neuere Kanongeschichten versuchen als Gegenbewegung zu Karl Mays Lichtgestalten in Reinkultur, insbesondere Old Shatterhand/ Kara Ben Nemsi wieder auf ein normales Niveau zu reduzieren. Axel Halbach hat das in zahlreichen seiner Hommage Romanen mehr als einmal durchexerziert. Trotz der relativ einfach gestrickten Handlung präsentiert Peter Waynand mit Douglass Übersetzerin oder der rührigen Pension Mutter Mother Dodd sympathische, dreidimensionale und originelle Frauenfiguren, welche die inhaltlichen Schwächen der Geschichte ausgleichen.
Ebenfalls direkt auf einen “Leerraum” zwischen dem ersten und zweiten “Winnetou” Teil zurückgreifen, präsentiert “Spuren am James Rivers” (Lennard M. Arndt) die Jagd auf Santers Spießgesellen Rollins. Old Shatterhand begleitet eigentlich den verletzten Old Firehand und seinen Sohn in dessen Heimat. Dabei bittet ihn ein unscheinbarer Holländer, nach seinem Freund zu suchen. Dieser befindet sich in Begleitung eines Mannes, dessen Beschreibung auf Rollins passt. Old Shatterhand nimmt mit Sam Hawkens die Verfolgung auf.
Auch wenn Leonard M. Arndt den Gesetzmäßigkeiten Karl Mays folgt, präsentiert der Autor eine Abfolge von interessanten Szenen, welche diese neuen, aber im Geiste “alten” Abenteuer mit Leben erfüllen. So werden Old Firehand und Old Shatterhand mit Vorurteilen und Rassismus gegenüber den Indianern, ausgehend von einem Armeeangehörigen und seiner Frau, konfrontiert. Sie sind gegen alle schlüssigen Argumente der erfahrenen Westmänner immum. Die Absurdität der beiden Rassisten ist zeitlos und könnte unter leicht anderen Prämissen auch in die Gegenwart passen.
Während die Jagd auf Rollins einige tragische Züge in sich trägt, aber nicht sonderlich spannend ist, überzeugt die Überführung des Verbrechers inklusive der Nachstellung seiner letzten Tat im Beisein des örtlichen Sheriffs deutlich mehr. Old Shatterhand zeigt hier Züge Sherlock Holmes, die schmerzlich in “ Detective Old Shatterhand- der Fall Douglass” vermisst worden sind. Leonard M. Arndt orientiert sich wie viele andere Autoren dieser Anthologie an Karl Mays originärem Text und versucht, seine Geschichte nahtlos in die Lücken zu integrieren. Das gelingt sehr gut.
„Starker Wind gegen Rinder“ Jacqueline Montemurris ist eine der Geschichten, in denen sich die Autoren nicht nur mit dem Verhältnis zwischen Winnetou und Old Shatterhand auf einer deutlich moderneren Ebene auseinandersetzen, sondern das von Karl May am Ende seiner Geschichten immer zuckersüßer gemalte Bild des Wilden Westen demontieren.
Winnetou will für sein hungerndes Volk Rinder kaufen. Der Winter steht bevor. Er kann mit Gold bezahlen. Andere Indianerstämme konzentrieren sich eher auf Diebstahl. Auf der kleinen Farm einer weißen Familie, die selbst nicht mehr viel für den Winter hat, weil die Armee alles konfisziert hat, kommt es erst zu einer Konfrontation mit einem latenten Julia und Romeo Einschlag, dann aber auch zum Schmieden eines waghalsigen Plans.
Die Autorin lässt die Geschichte auf einer bitteren Note enden. Betrug selbst an Betrügern ist ein neues Verbrechen. Old Shatterhand und Winnetou positionieren sich in dieser Geschichte eindeutig. Streng genommen schädigen sie sogar mittelbar Betroffene, keine Verbrecher wie in den originären Geschichten. Der Leser kann allerdings nicht nur ihren Argumenten folgen. Indianer und die einfachen weißen Siedler sitzen inzwischen in einem Boot, das über die Hungerklippe zu stürzen droht. Der Plan ist waghalsig, basiert auch ein wenig auf dem Faktor Zufall und die zeitlichen Zusammenhänge wirken stark konstruiert. So muss die „Beute“ in Sicherheit gebracht werden, während das „Opfer“ schon präpariert wird.
Das Ende der Story ist allerdings konsequent und Jacqueline Montemurri scheut sich nicht, auch sympathische Protagonisten in im Grunde ausweglose Situationen zu bringen. Am Ende gibt es keine strahlenden Sieger, höchstens einen Pyrrhussieg, an dessen Ende auch Winnetou und Old Shatterhand auf drastische Art und Weise lernen, dass selbst die besten Pläne durch die Ungeduld der Jugend unterminiert werden können. Die Autorin präsentiert einen sehr interessanten Ansatz, welcher die Gutmenschenmanier der Karl May Helden positiv erdet.
Auch Nadine Schmengers „Neumond“ geht auf die im Grunde absurde Idee ein, im Kleinen immer wieder Frieden stiften zu wollen; die Augen vor dem bösen großen Ganzen zu verschließen und nicht vor der bitteren Realität zu kapitulieren. Winnetou und Old Shatterhand sind auf einer Besuchsreise zu den einzelnen Indianerstämmen. In diesem Punkt könnte der Plot direkt nach „Kriegsbeil oder Friedenspfeife“ spielen. Ein junger Krieger, der gerade seine ganze Familie durch die amerikanische Armee verloren hat, greift Winnetou bei seiner Ankunft im Lager an. Später retten Winnetou und Old Shatterhand eine junge Frau vor Vergewaltigung. Sie bringen die weißen Täter in nächste Gefängnis, wo sie allerdings nicht lange bleiben. Sie überfallen den Planwagen der Familie, nehmen Old Shatterhand und Winnetou gefangen. Die Gangster machen dem Häuptling der Apachen ein verhängnisvolles Angebot. Er soll gegen den kräftigsten Mann kämpfen… allerdings betrunken.
Von Beginn an beschreibt Nadine Schmenger in dem stoischen Winnetou eine unterschwellige Wesensveränderung. Er ist ruhiger, seine Gesichtszüge wirken härter. Die erneute Begegnung mit König Alkohol- hier verweist die Autorin auf eine Sequenz aus Winnetou I – lässt sein Wesen verändern.
Fatalistisch erkennt er, dass der Kampf gegen die Weißen mit friedlichen Mitteln im Grunde sinnlos ist und sie auch ihn, den Häuptling der Apachen, immer wieder hinters Licht geführt haben.
Starke Wesensveränderungen in etablierten Kanonfiguren sind immer eine besondere Herausforderung für Autoren. Die Veränderung kann nur zeitlich begrenzt sein. Entweder durch einen Schlag auf den Kopf, ein besonders schockierendes Ereignis oder wie in diesem Fall das Feuerwasser. Am Ende der Geschichte muss entweder alles wieder beim Alten sein oder absichtlich/ unabsichtlich wird eine Parallele Ebene etabliert. Die neuen Star Trek Filme von J.J. Abrams mit ihrem Rückgriff in die Zukunft seien hier beispielhaft genannt. Auch Sherlock Holmes operiert ja in verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Partnern. Aber selbst provozierende Serien wie „Elementary“ sind sich den Grundregeln des Sherlock Holmes Kanon bewusst und führen die Figur an einer deutlich längeren Leine, aber noch unverkennbar als Sherlock Holmes. Nadine Schmenger lässt ihren zumindest in der Theorie moralisch enthemmten Winnetou zynisch, verbittert sehr viel Wahres aussprechen, aus das Old Shatterhand auch nur bedingt und vielleicht auch ein wenig falsch reagieren kann.
Der auf der kleinsten Ebene geführte Kampf gegen die Ungerechtigkeit und für ein im Sterben liegendes Volk, das die Weißen immer weiter zurückdrängen, ist deutlich präsenter in den hier gesammelten Geschichten als bei Karl May, dessen naiver Schreibtisch Optimismus die damals schon vorherrschende Realität ignoriert. Nicht nur aus diesem Grund wirken die hier gesammelten Geschichten deutlich moderner, zeitloser und regen die Leser zum Nachdenken, aber nicht mehr zum bedingungslosen Träumen an. Mit der vom Alkohol initiierten Auseinandersetzung zwischen Old Shatterhand und Winnetou fügt die Autorin diesen Themen eine neue, originelle und vor allem auch interessant extrapolierte Note hinzu, so dass „Neumond“ nicht nur, aber auch wegen der komplexen Handlung zu den besten Arbeiten dieser Anthologie gehört.
Alexander Röders „Das Phantom der Chisos“ wird hinsichtlich eines wichtigen Aspektes erst in „Das schwarze Herz des Erlen Kagan“ in „Tochter der Wüste“ abgeschlossen. Beide Texte lassen sich unabhängig voneinander lesen und sind auch in sich abgeschlossen. Wobei „Das Phantom der Chisos“ erzähltechnisch auf den ersten Blick unbefriedigend endet. Alexander Röder weckt in der vorliegenden Anthologie mit einem Hinweis die Neugierde seiner Leser, wobei sein Protagonist – Tood Root oder ehrenvoll das im Titel erwähnte Phantom oder von den Mexikaner gefürchtet als Der Rote bezeichnet – ein charismatischer Charakter ist, der eine eigene Geschichte, vielleicht sogar einen eigenen Roman verdient hätte.
Volker Kringel stellt in seinem Vorwort die Frage, ob sich ein Autor Karl May und seinen Figuren mit Ironie, vielleicht auch der Idee einer Persiflage nähern kann und darf? Alexander Röder mit seinem absichtlich gestelzten Stil kommt dieser Variation der klassischen Abenteuergeschichte in dieser Anthologie auf der einen Seite am Nächsten, auf der anderen sehr viel gewichtigeren Seite schraubt er an einem anderen Mythos: dem Vigilanten.
Es ist keine Überraschung, dass Old Shatterhand und Winnetou routiniert, aber rückblickend auf falsch auf eine vertraute Situation reagieren. Ein Wagenkonvoi von Mexikanern ist in einen Hinterhalt geraten. Geschickt im Boden installierte Fallen haben die Räder der Wagen zerstört. Aus den Felsen werden sie anscheinend von Banditen beschossen. Winnetou und Old Shatterhand versuchen ihnen zu helfen. Beim Überfall passt nicht alles zusammen. Es gibt nur einen Angreifer, den Old Shatterhand verwundet. Die potentiellen Opfer sind auf der Flucht.
Bei der Verfolgung mit einem überlebenden Verwundeten des überfallenen Trecks stoßen sie auf eine Skurrilität. Ein Sanitätswagen mit weißem Kreuz, betrieben von einem Kanadier. Dort wird ihnen auch vom einem gebildeten Farbigen die Situation erklärt. Instinktiv richtig gehandelt und doch alles falsch gemacht. Kein großer Unterschied zu den zahlreichen Situationen, in denen sich Old Shatterhand mehr als Winnetou in den neuen Kanongeschichten in ausgesprochen gefährlichen Situationen leichtsinnig bis überheblich begeben hat. Volker Kringel schreibt in seinem Vorwort von einer an den Filmklassiker „In der Hitze der Nacht“ angelehnten Szene. Der Leser muss sie nicht erkennen. Wenn er es macht, ist die humorvolle, vielleicht ein wenig überspitzte, aber niemals respektvolle Geschichte noch lesenswerter. Alexander Röder liebt es, solche Hinweise in seinen Texten zu verstecken. Seine Romane aus dem magischen Orient lassen grüßen. Aber es ist die rückblickend über die Handlung weilende Inkarnation des Tood Root, von welcher der Leser mehr wissen will. Sehr viel mehr, als sein passiver Auftritt in dieser interessanten, stringenten, aber viele Schemata bei Karl May auch hinterfragenden Story zeigt.
In Katrin Ebels „Nachtgedanken“ steht die Freundschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand im Mittelpunkt der Geschichte. Es ist nicht die einzige Story, in welcher das Verhältnis zwischen den beiden Blutsbrüdern in den Vordergrund gerückt wird, aber es ist die einzige Story dieser Sammlung, in welcher die Autorin bis auf einen kleinen Exkurs in die unterschiedlichen Religionen sich wirklich nur auf die beiden Männer konzentriert.
Eine Wildkatze und die Expedition zum ehemaligen Versteck einer begabten Schamanin – Howahkans Schicksal zeigt, dass die Ansichten der Indianer und der Hexenjäger in Europa nicht sonderlich weit auseinander liegen, wenn es um die Heilkräfte und vor allem die Mitmenschlichkeit von alleinlebenden Frauen geht – bilden den handlungstechnischen Hintergrund.
Old Shatterhand rettet Winnetou das Leben. Dieser ist verwundet. Er pflegt ihn. In der Nacht vorher hat er heimlich Winnetou gelauscht, als dieser mit den Göttern sprach und die Freundschaft zu Old Shatterhand noch einmal manifestierte.
In einem ruhigen Stil geschrieben, fokussiert auf die beiden Charaktere und die seltsam belebte Figur handelt es sich bei „Nachtgedanken“ nicht nur um eine Freundschaftsgeschichte, sondern es ist die Beschreibung zweier Menschen, die nicht inzwischen auf eine (platonische) Art und Weise lieben. Das grenzt an den Rand des Kitsches und könnte zwischen den Zeilen gelesen auch falsch verstanden werden. Zumindest betont Katrin Ebel, dass sowohl Old Shatterhand als auch Winnetou ihre wahren Liebsten verloren haben.
Die letzte Geschichte „Die Reisegesellschaft- ein Fragment“ (Katharina Maier) ist vielleicht die bizarrste Episode dieser Sammlung. Winnetou und Old Shatterhand beobachten einen seltsamen Wagentreck, der keiner Spur folgt. Sie haben Angst, dass der Führer die Ahnungslosen in eine Falle lockt, wo sie ausgeraubt werden sollen. Kein neues Szenario in Karl Mays Geschichten. Old Shatterhand schleicht sich als Charley zu den Menschen und schließt sich ihnen als deutschstämmiger Journalist an, während Winnetou die Umgebung beobachtet.
Die Geschichte lebt von den Nebenfiguren. So wird sie anfänglich aus der Perspektive Lavinia Richardsons präsentiert, deren Figur laut Volker Kringel an die Dichterin Emily Dickinson angelehnt ist. Alle Figuren dieses seltsamen Trecks – mehrere Deutsche, eine Handvoll Engländer und schließlich auch Japaner – wirken stilisiert, irgendwie unecht, aber nicht unsympathisch. Sie befinden sich auf dieser beseelten Reise durch die wahre Natur auf der Suche nach einem legendären Schamanen, später wollen sie eine perfekte Kolonie gründen. Ihr Utopia. Sie wirken teilweise naiv, auch wenn ihre Gespräche gehaltvoll sind. Der Leser hat immer das unbestimmte Gefühl, als wenn er etwas versäumen könnte.
Das Ende ist bis auf eine Erzählung Winnetous, um einen Rotfuchs als Schlüssel zu einem noch zu interpretierenden Fortgang, offen. Nicht umsonst nennt es die Autorin ein Fragment. Alexander Röder hat in seiner Novelle deutlich drastischer viele Informationen in den Epilog gepackt. Beide Auflösungen wirken nicht gänzlich zufriedenstellend, auch wenn bei Katharina Maier die Reise wichtiger wird als die Ankunft. Es gibt immer wieder Komponenten, die für Spannung sorgen können, aber nicht gänzlich zufriedenstellend aufgelöst werden. So gibt es an Bäumen versteckte klare Reisehinweise in deutscher Sprache, welche dem sympathischen Scout helfen sollen, den nächsten Tag Reisetechnisch zu gestalten. Aber auch dieser Hinweis verliert sich im offenen Ende.
Mit Emily Dickinson verfügt die Story allerdings über eine ausgesprochen sympathische und scharfsinnige Protagonistin, die immer wieder Charleys Geschichte hinterfragt. Ein wenig irritiert, dass sie sowohl Charley als auch später Winnetou als junge Männer bezeichnet. Sie wirken in dieser Form der Formulierung fast wie unschuldige Knaben, während die aus Sicht Winnetous und Old Shatterhands erzählte Passage klar macht, dass sie zu dieser Zeit schon viele Abenteuer erlebt haben.
Die Idee der Suche nach einem perfekten wie friedlichen Ort – die Autorin weist in einer Fußnote noch einmal auf die wahre Bedeutung von Utopia hin – gibt dem Plot eine gewisse interessante wie grundlegende Naivität und rückt die Geschichte auch näher an die allgegenwärtige, fast beseelte Natur heran, die Katrin Ebel beschreibt. Und trotzdem fühlt sich der Leser abschließend aus der Handlung gedrängt, als wenn er diese kleine Welt, diese in sich geschlossene Reisegesellschaft als stiller Beobachter auf ihrem Weg in das persönliche Shangri- La stört.
Der Herausgeber Volker Kringel hält das gegebene Wort. Die in „Old Shatterhand – Neue Abenteuer“ (andere Abenteuer wäre ebenfalls ein passender Untertitel ) gesammelten Geschichten unterhalten respektvoll entweder Karl May positiv gesprochen imitierend oder modernisierend. Das Spektrum reicht von klassisch bis leicht experimentell, mit Alexander Röders Hang zur persiflierenden Übertreibung. Wobei Alexander Röder noch ganz anders kann, wie seine exzentrischen Jules Verne Miniatur Geschichten in der Reihe der „Phantastischen Bibliothek“ aus Wetzlar unterstreichen. Stilistisch sind alle Geschichten mindestens ansprechend, wobei die Autoren und Autorinnen nicht sklavisch Karl Mays so markanten Stil interpretieren, sondern ihre Geschichten mit teilweise flotten, manchmal ein wenig kitschig pathetischen Dialogen –in erster Linie zwischen Old Shatterhand und Winnetou – relativ modern und trotzdem das Patina der Zeit treffend niedergeschrieben haben.

- Herausgeber : Karl-May-Verlag; 1. Edition (22. April 2024)
- Sprache : Deutsch
- Taschenbuch : 448 Seiten
- ISBN-10 : 3780205785
- ISBN-13 : 978-3780205780
