Die 1938 entstandene Kurzgeschichte „They found my Grave“ von Majorie Brown alias Joseph Shearing – unter diesem Pseudonym erschien der Text – bzw Margaret Campbell – ihr Geburtsname – ist ein perfektes Beispiel für einen Stimmungswechsel innerhalb eines Textes. Von hell zu dunkel, von leichter Ironie zu einer bitterbösen Horrorgeschichte.
In seinem ausführliche Nachwort, das wegen der unnötigen inhaltlichen Zusammenfassung der vorliegenden Geschichte auch unbedingt erst im Anschluss gelesen werden sollte, geht Heiko Postma – er hat den Text auch übersetzt – ausführlich auf das bewegte Leben der Autorin ein, die zu Lebzeiten mehr als einhundertfünfzig Bücher von Biographien über Reiseführer/ Landschaftsbeschreibungen bis zu historischen und phantastischen Romanen geschrieben hat. Heiko Postma stellt in seinem lesenswerten Nachwort die wichtigsten Werke kurz vor.
Unter verschiedenen Pseudonymen hat die Autorin eine Reihe von bemerkenswerten Werken verfasst, die inzwischen leider von der Zeit vergessen worden sind.
Auch wenn der Titel der Kurzgeschichte „Sie fanden mein Grab“ hinsichtlich der Erzählperspektive nicht richtig ist, aber deutlich dramatischer klingt, fasst die kurze Zeile den Inhalt der Story und vor allem den entsprechenden Wendepunkt sehr gut zusammen.
Ada Trimble ist eine intelligente und durchsetzungsfähige Frau, die in der Zeit, in welcher die Geschichte spielt – wahrscheinlich die zwanziger oder dreißiger Jahre – mit beiden Beinen auf dem Boden steht. Der Gegenentwurf zu ihrer besten Freundin Helen, welche Ada zur Teilnahme an den Seancen im „Bloomsbury“ Tempel abhält. In erster Linie Ada, aber auch unbewusst Helen ist klar, dass es sich trotz der kostenlosen Teilnahme um Scharlatane handelt, welche mittels anderer Wege den leichtgläubigen Teilnehmern und verzweifelt Kontakt mit ihren verstorbenen Menschen aufsuchenden Menschen das Geld aus der Tasche ziehen.
Bis in die erste Sitzung herein etabliert die Autorin den Kontrast zwischen dem angeblichen Kontakt mit den Toten und der eher bieder bis armselig wirkenden Ausstattung des Raums. Ganz bewusst lässt Marjorie Brown alle Möglichkeiten – Bauchredner, Texte von dem kaufenden Grammaphon, möglicherweise versteckte Laufsprecher – vor den kritischen Augen Adas durchlaufen. Normalsterbliche Geister berichten Allerweltsdinge, die sich in jede Richtung interpretieren lassen. Bei bekannteren Persönlichkeiten könnten die verschiedenen Personenlexika oder die Chroniken gewälzt worden sein, damit die Informationen stimmen. Es gibt zwar keinen Beweise in die eine oder in die andere Richtung, aber stellvertretend für die Erzählerin macht Ada im direkten Kontrast zu ihrer devot naiven Freundin Helen deutlich, dass es sich um Betrug handeln muss. Zumal das Medium sich auch noch Astra Destiny nennt und über ein verkäuferisches Talent verfügt.
In der Seance tritt allerdings ein weiterer Geist auf, der neben seinem egomanischen Gehabe auch über eine Spur weiblicher Bosheit verfügt. Der perfekte Beweis für Ada, dass es sich um Betrug handelt. Und doch ist dieser potentielle Geist anders. Er verweist immer wieder auf sein Leben, in dem er von den Menschen als besonderer Geistesmensch bewundert worden ist. Seine Grabstelle wird gehegt und gepflegt. Es ist eine Pilgerstelle für die ihm in trauernden Menschen, Schüler. Gabriel Letourneau erweckt Ada Aufmerksamkeit vor allem durch sein eher ungeistliches Gehabe während der Sitzungen. Im Gegensatz zu Helen, die sich schließlich abwendet, kehrt Ada immer wieder zurück. Parallel treibt sie ihre Erkundungen in Frankreich voran, um das Grab zu finden.
Eine Schwäche, aber hinsichtlich der Handlungsentwicklung notwendig ist die Entfremdung zwischen Ada und ihrer Freundin. Zu Beginn ist Helen die Leichtgläubige, die sich leicht einfangen lässt, während Ada standfest in ihren Überzeugungen und bissig in Bezug auf ihre Kommentare sowie Bemerkungen zu den Sitzungen wirkt. Ada wird mehr und mehr in den Bann des einen Geistes und seines Grabs gezogen, während Helen plötzlich und abseits der Haupthandlung aufzuweichen scheint. Sie beginnt zu reisen, schreibt nur noch sporadisch Briefe und bricht dann den Kontakt ab. An dieser Szene erkennt der Leser auch, über welchen Zeitraum die Handlung grundlegend spielt. Das wird erst in diesen Augenblicken wirklich bewusst.
Lange Zeit betrachtet Marjorie Bowen ihre Geschichte eher als Farce, wenn nicht sogar als Parodie auf die immer stärker werdende Bewegung hin zum Aberglauben, zu Seancen und dem angeblichen Kontakt mit den Toten. Nicht nur in Berlin während der Weimarer Republik war diese „Sucht“ nach dem Jenseits deutlich spürbar. Auch Arthur Conan Doyle hat nach dem Verlust eines Teiles seiner Familie während des Ersten Weltkriegs immer wieder den Kontakt mit dem Jenseits gesucht. Aber Marjorie Bowen überspannt absichtlich den Bogen. Alles wirkt gekünstelt, auf den Effekt hin konstruiert, um „wahr“ zu sein.
Als der Titel der Geschichte „Sie fanden mein Grab“ wahr geworden ist, dreht sich in der finalen Sitzung des Plot und der Ton wird dunkler. Die zynische Pointe unterstreicht, dass es sich bei der vorliegenden Story um ein Gruselwerk handelt. Sie ist perfekt getimt, kommt aus dem Nichts und ist weiterhin für das Umfeld, aber nicht mehr den Leser unerklärlich. Für einen Moment verlässt der Leser den Zeugenstand, die Beobachterposition und rückt ganz nahe und neben Ada als einziger direkt an den Moment heran. Er erhält so auf eine subtile, subjektiver und schockierende Art und Weise den finalen Einblick. Aber schließlich realistisch betrachtet doch alles Zufall ist oder die Entlarvung eines narzisstischen Geistes diese Reaktion hervorgerufen hat, steht auf dem imaginären Blatt der Phantasie.
Das Ende rundet aber den vorliegenden kurzen Text auf einem dunklen Ton ab, den der Leser angesichts Adas süffisanter Beobachtungen zu Beginn der Story niemals vermutet hätte. Nicht nur aus diesem Grund ist die posthum dem „Twillight Story Zyklus“ zugeordnete Geschichte lesenswert und gehört zu den großen und doch intimen Texten, die sich mit dem Übernatürlichen per se, aber auch dem Subgenre der Medien/Seancen/ Geisterbeschwörungen im Detail auseinandersetzen. Auch wenn der Leser anfänglich ein wenig das Gefühl hatte, als wären Schillers “Geisterseher” und Robert Krafts “Der Graf von St. Germain” mit ihrem Hang, den Kontakt zur Geisterwelt als Farce zu entlarven, die Paten dieser Geschichte.
Herausgeber : JMB Verlag
Erscheinungstermin : 15. Februar 2025
Auflage : 1.
Sprache : Deutsch
Seitenzahl der Print-Ausgabe : 50 Seiten
ISBN-10 : 3959450613
ISBN-13 : 978-3959450614
Originaltitel : They found my grave