Variable Star

Robert A. Heinlein/ Spider Robinson

Als vor Jahren das Manuskript und einige Ideen aus Heinleins Nachlass für ein neues Jugendbuch auftauchten, war die Euphorie groß. Sie flaute erst ab, als sein erster Roman „For us, the Living“ veröffentlicht worden ist, der auf der einen Seite aufgrund seines statischen belehrenden Aufbaus nicht seinem sonstigen Werk entsprach. Die Furcht war groß, dass das vom lebenslangen Heinlein Fan Spider Robinson fertig gestellte Werk auch nicht den Erwartungen der Fans entspricht. Herausgekommen ist mit „Variable Star“ ein interessanter Übergangsroman, dessen Position in Heinleins Gesamtwerk gut zu erkennen ist. Der Auftakt entspricht seinen Jugendbüchern mit einer „Coming of Age“ Geschichte, der Mittelteil erinnert eher mit der langen Reise an Bord des Raumschiffs an seine Geschichten der vierziger Jahre, während ungewöhnlich gegen Ende außerirdische Aktivitäten impliziert werden und das Ende die bekannte Auseinandersetzung mit dem rücksichtslosen Großkapitalismus ist. Trotz oder vielleicht gerade wegen dieser unterschiedlichen Themen wirkt „Variable Star“  kompakt und stringent. Nur der Mittelteil hängt in erster Linie angesichts der statischen Handlungsentwicklung – der Flug dauert immerhin zwanzig Jahre von der Erde zu einer der gefundenen zukünftigen Kolonien – im Gesamtroman durch, da die Personenentwicklung abgeschlossen erscheint und neue Charaktere eher pragmatisch als plottechnisch relevant eingeführt werden.

Der Dreh- und Angelpunkt ist der Ich- Erzähler Joel Johnston. Auch Ich- Erzähler sind in Heinleins Jugendbüchern selten. Ob es im Original auch diese Perspektive gewesen ist, erwähnt Spider Robinson in seinem emotionalen Nachwort nicht. Rückblickend als Teil eines Berichts macht die Wahl Sinn. Nur verzerrt sie auch einige Dinge. Sicherlich steht bei Heinleins Jugendbüchern immer ein noch reifender „Held“ im Mittelpunkt der Geschichte. Aber die Ich- Erzählerperspektive verzerrt auch einige wichtige Aspekte des Buches. Eigentlich könnte das Leben für Joel Johnston nicht schöner sein. Er hat eine hübsche, intelligente Freundin und verbringt einen perfekten Abend. In wenigen Jahren wird er sein Musikstudium abgeschlossen haben und dann kann der auf Ganymed geborene Johnston endlich heiraten und mit Jinny Kinder haben. Nur drängt das Mädchen umgehend auf Heirat. Zum ersten Mal bringt Jinny ihren Freund nach Hause. Das Problem ist, sie ist Nachkommin der reichsten Familie des bekannten Universums und will „gesunde“ Kinder, die ihre Familie natürlich ernähern kann. Auch Johnston soll nach einer harten Ausbildung von zwanzig Jahren in den Familienkonzern eintreten.

Das seine Jinny ihn angelogen und ihm Armut vorgespiegelt hat, ist der erste Schock. Der zweite Schock ist, dass er seine Familie im Grunde nicht alleine aufziehen und ernähren kann, sondern das sein ganzes Leben durchgeplant erscheint. Unterstützt von der kleinen Schwester Jinnys beschließt er, mit dem nächsten Auswandererschiff zu einer der Kolonien zu fliehen. Die Grundidee ist verblüffend einfach und wird von Heinlein/ Spiderson exemplarisch aufgelöst. Innerhalb weniger Stunden löst sich Johnstons Welt auf. Während der anfänglich naive Johnston nicht nur durch die Begegnung mit Jinnys Familie an Profil gewinnt, zerfällt Jinny eher. Sie ist doch arrogant, verwöhnt, affektiert, berechnend und schließlich auch egoistisch. So stellt sich der Leser eine verwöhnte Nachkommin einer reichen Familie vor. Mit ihrer kleineren Schwester – auch hier bauen die Autoren letzt endlich einen kleinen Science Fiction Trick ein – entwickeln sie allerdings über den ganzen Roman ein entsprechendes Gegengewicht. Johnston dagegen ist anfänglich ein typischer Heinlein Held. Amerikanisch durch und durch auch wenn er auf dem Ganymed geboren worden ist. Die Frontiermentalität wird von Heinlein/ Robinson perfekt wieder gespiegelt. Da liegt aber auch ein Problem des Romans. In den fünfziger Jahren konzipiert überträgt Robinson die Ideen für Leser ins 21. Jahrhundert. Während Jinny arrogant und egoistisch ist, müssen diese „Schwächen“ auch Johnston zugeschrieben werden. Seine Lebensplanung ist das genaue Gegenteil von Jinnys, aber die Ziele sind ähnlich. Das Fundament, auf dem er sein Leben aufbauen möchte, ist eher brüchig. Wenn er Jinny bittet, mit ihm in die Kolonien zu gehen, um aus dem Nichts heraus etwas aufzubauen, ist diese Gegenvorstellung genauso egoistisch wie Jinnys Wunsch, in der Oberschicht zu bleiben. Heinlein und Robinson halten noch eine ironische Komponente in der Hinterhand, die vieles kritisch gesprochen allerdings auch relativiert. Während Heinlein in vielen seiner Büchern die angesprochenen Frontier Gedanken bis zum Ende durchzieht und den Charakteren wirklich die Möglichkeit gibt, vom Tellerwäscher zum Millionär durch harte, auf Eigeninitiative basierende Arbeit zu werden, wird diese Idee zu schnell verworfen. Johnstons Herkunft ist in doppelter Hinsicht auf goldenen Beinen aufgebaut. Der Vater ist ein hervorragender Wissenschaftler gewesen und dank des Faktors Zufall auch ein vorausschauender Investor. Wäre die Grundidee gewesen,  an Johnston zu beweisen, dass Geld nicht unbedingt den Charakter verdirbt, wird diese Idee angesichts der Planung des Romans zu schnell verworfen, denn Johnston kann den Reichtum nur begrenzt ausgeben und wenn er es tut, dann eher nicht aus eigenem Antrieb.

Auf der Reise zum weit entfernten Ziel wird Johnston natürlich zu einem Mann. Dieser Mittelteil scheint auch mehr von Spider Robinson gestaltet zu sein. Das beginnt mit dem nach dem früh verstorbenen Science Fiction Autoren benannten Raumschiff „Charles Sheffield“ und endet in der plötzlichen Explosion der Sonne und damit der Vernichtung des Sonnensystems mit Milliarden von Toten. Diese Szene kommt aus dem Nichts heraus und erschüttert neben den Protagonisten auch den Leser. Eine Erklärung bleibt Spider Robinson dem Betrachter schuldig. Der Epilog mit dem Besuch aller weiteren von Menschen bewohnten Kolonien könnte in Richtung Invasion – ungewöhnlich für Heinlein, da in seinem Werk der Mensch immer die dominierende Spezies selbst unter großen Opfern ist – als auch fortlaufende Naturkatastrophen als Teil des Prozesses, den Sonnen durchlaufen müssen deuten. Während Heinlein seine Romane in einem eigenen Universum platziert hat, dass er insbesondere mit seinem umstrittenen Spätwerk zu schließen suchte, intrigiert Spider Robinson Hinweise auf das amerikanische Kulturgut von den Simpsons bis vielleicht ein wenig deplatziert Hinweisen auf den 11. September. Ebenso die Entwicklung der Figur Nehemiah „Der Prophet“ Scudder mit seinen negativ besetzten islamischen Zügen an Bord des Raumschiffs. Die Führung des Schiffes entspricht mehr dem konservativen Bush Regiment dieser Zeit. Auch wenn Spider Robinson Kanadier ist, lehnt er sich zu sehr mit zu wenig nachhaltiger Ironie der Mitte zu, sondern betont den amerikanischen Aspekt eines möglicherweise gerechten Krieges, der politisch erzkonservativ Heinleins „Star Ship Trooper“ Ära entspricht. Dafür finden sich ausreichend Vaterfiguren – Johnston ist Waise -, welche die Erziehung des selbstbewussten jungen Mannes abschließen, Auch ein Motiv, dass sich in den Jugendbüchern wieder findet. Bei diesen beiden Aspekten geht über die Hommage an Heinleins aktiven amerikanischen Patriotismus hinaus, weil Robinson schließlich wie schon angedeutet aus dem Nichts heraus eine weitere Gefahr entwickelt. Die Unsicherheit des Autoren über die Möglichkeiten, im Mittelteil Spannung aufzubauen, sind offensichtlich und die angebotenen Versuche wirken bemüht.  

Ebenfalls fragwürdig ist die Idee von Telepathen als zeitlose Kommunikationsboten, die ohne das Geheimdienste – ein früher Hinweis auf die amerikanische Paranoia -  oder Jinnys Familie mithören.  So kann Johnston quasi mit der Heimat verbunden bleiben, obwohl die Idee wie eine „Deus Ex Machina“ Variante erscheint und vor allem angesichts des bis dahin solide technokratischen Ansatzes zu viele zu einfache Möglichkeiten offen lässt.

Der Leser soll „Variable Star“ weniger als die Vervollständigung von Heinleins Werk sehen, sondern als Ausblick in ein Paralleluniversum, in dem Heinlein weniger sein komödiantisches Spätwerk verfasst hat, sondern die Wurzeln seiner Jugendbücher in eine „moderne“ und doch teilweise wieder archaisch erscheinende Form gepresst hat. Der Übergang von Heinleins Entwurf zu Spider Robinsons Roman ist nahtlos. Vielleicht wirkt das Ende zu abrupt und Spider Robinson hat „Variable Star“ zu statisch konstruiert, aber die Idee, Heinlein aus der fünfziger Jahren mit einem so typischen Entwurf seiner Jugendbücher in die Gegenwart zu bringen ist trotz der angesprochenen Schwächen gut gelungen und liest sich kurzweilig unterhaltsam.    

  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 564 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag: Tor Books (7. Dezember 2010)
  • Verkauf durch: Amazon Media EU S.à r.l.
  • Sprache: Englisch
  • ASIN: B004GKMMQK