Zwischen Barsoom und Peenemünde

Rainer Eisfeld

Schon der Titel mit den Extremen Barsoom – Burroghs fiktiver Mars – und Peendemünde – dem Beginn der Raumfahrt unter dem langen, brutalen Schatten der Nazis – impliziert die Bandbreite der hier gesammelten Essays Rainer Eisfeld. Aber vom Vorwort an wird der Leser erkennen, dass dieser Sammelband deutlich enger mit seinem bisherigen sekundärliterarischen Werk verbunden ist als gedacht. Das beginnt mit der Rückkehr in die Science Fiction Szene als Herausgeber verschiedener Romane Alfred Elton van Vogts im Rahmen der „Heyne SF Bibliothek“, spannt den Bogen mit einer Auseinandersetzung/ Ergänzung seiner Studien „Als Teenager träumten“ und „Die Zukunft in der Tasche“, findet im ersten Teil seiner Ergänzung mit seinem Artikel über den fiktiven/ realen Mars (siehe „Marsfieber) oder endet im letzten, überdurchschnittlich recherchierten und angenehm zu lesenden Peenemünde- Teil mit dem Querverweis auf „Mondsüchtig“. Aber noch mehr steckt in dieser Sammlung, denn Rainer Eisfeld kehrt nicht nur in einem nicht ganz befriedigenden Exkurs zu den Wurzeln seiner professionellen Karriere als Übersetzung anfänglich rein britischer Science Fiction zurück, sondern ergänzt erstaunt in seinem Vorwort, dass auch die Biographie des Western „Helden“ Wild Bill Hickock“ sehr viel enger mit den Aspekten der amerikanischen Science Fiction verbunden ist als er anfänglich dachte. Auch wenn einige der hier gesammelten Artikel schon in anderen Quellen teilweise auch unlängst erschienen sind, geben sie in der hier gesammelten Komplexität und Überlappung einen weiteren guten Eindruck der sozialkritischen Außenseiterperspektive mit intimen Kenntnissen, die Rainer Eisfeld in seinen längeren Arbeiten immer wieder angestrebt hat.

Von den fünf großen Blöcken ist wie schon angesprochen der dritte mit Beispielen seiner Übersetzungen verschiedener Klassiker aus der Feder Simaks, Kuttners, Browns oder Williamsons der schwächste Teil. Das liegt weniger an dem teilweise selbstironischen Vorwort, dessen Informationen „Die Zukunft der in der Tasche“ wie selbstverständlich ergänzen, sondern an der  manchmal zu oberflächlich kommentierten Ansammlung der hier präsentierten Beispiele, von denen Alfred Elton van Vogt mit zwei Romanen in Kombination mit der Analyse der „Expedition der Space Beagle“ einen fast unbehaglichen Schwerpunkt bildet. Enttäuschend ist, dass Rainer Eisfeld zwar Marion Zimmer Bradleys Romandebüt für viele Leser erstaunlich aber richtig auf diese Seite des Atlantiks platziert, aber mit keinem Wort auf die schweren Vorwürfe eingeht, dass sie den Kindesmissbrauchs ihres damaligen Mannes Walter H. Breen zumindest wissentlich toleriert hat. Eine Mittäterschaft könnte bislang nicht nachgewiesen werden. Wenn Rainer Eisfeld konsequent auf Werner von Brauns Wissen und Mittäterschaft bei der Tötung von KZ Häftlingen durch unmenschliche Zwangsarbeit hinweist, dann sollte zusätzlich zur von ihm vorgenommenen unbewussten Geschlechtsumwandlung zumindest ein Hinweis gegeben oder Marion Zimmer Bradley als Ganzes verschwiegen werden. Unhängig von den einleitenden Worten und Hinweisen auf die einzelnen Werke sowie der Verweis auf Kürzungen, wäre es sinnvoller gewesen, Übersetzung und Original gegenüberzustellen und vielleicht die sprachlichen Schwierigkeiten/ Besonderheiten gegenüber zu stellen. Vermessen scheint allerdings die Erwartungshaltung, eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Texten angesichts des begrenzten Umfangs dieser Sammlung zu erwarten.

 Der Mars steht dagegen im Mittelpunkt des inhaltlich manchmal sehr überraschenden ersten Abschnitts dieser sekundärliterarischen Arbeit. Rainer Eisfeld Nachruf auf den 2012 verstorbenen Ray Bradbury „Siedler an fremder Grenze: Ray Bradbury, Sänger des amerikanischen Dranges nach außen“ zeigt die beiden Seiten des einzigartigen Autoren. Selten wird der Leser die Begriffe Frontier und Amerika öfter finden als auf diesen wenigen Seite. Des Kosmopolit, der stetige Warnung vor dem menschlichen Drang der Selbstzerstörung, der Poet der amerikanischen Jugend lange vor Stephen King und schließlich der überdurchschnittliche Stilist hat nicht selten in seinen Werken wie in „Die Mars Chroniken“ die amerikanische Frontiermentalität und damit einhergehend wie von Burroughs übernommen einige Legenden des Wilden Westens geschickt extrapoliert und inhaltlich modernisiert. Auch wenn Rainer Eisfeld im Verlaufe des zu kurzen Artikels – es ist schwer, einem so vielfältigen Phantasten in einem Nachruf gerecht zu werden – auf die einzelnen Aspekte seines Werkes eingeht, bleibt das Bild eines kleinen neugierigen Jungen hinter der Schreibmaschine hängen, der seine Sehnsüchte und Träume im Gegensatz zu den eher opportunistisch orientierten anderen Autoren dieser Epoche zu Papier brachte. Die Wurzeln von Rad Bradburys Phantasie werden in den anschließenden „Wandlungen eines imaginären Mars“ weiter betont. Auch wenn Rainer Eisfeld Burroughs und Brackett mit ihren Mars- Romanen ( hier schließt sich ein erstaunlicher Kreis zu Bradbury, mit dem Leigh Brackett die Werke anscheinend vor ihrem eigentlichen Entstehen durchgesprochen hat) als reinen Pulp abschätzig abhandelt, zeigt sich, wie lange sie das in erster Linie amerikanische Marsbild im Gegensatz zu den alten, erhabenen, auf griechischen Vorlagen basierenden europäischen Vorstellungen dominiert haben. Kurz und kompakt streift der Autor die wichtigen Mars- Romane, bevor er ein wenig auf den Stand der wissenschaftlichen Forschung eingeht.  

 Das Kapitel „Science Fiction in ihrer Zeitumgebung“ ist nicht unbedingt passend tituliert und wirkt eher zusammengesetzt. Das Zitat aus „Als Teenager träumten“ passt genauso wie die Beschreibung der frühen Entwicklung der britischen Science Fiction, aber die Auseinandersetzung mit Oswald Spenglers „Der Untergang des Abendlandes“ im Zusammenhang mit van Vogts „Die Expedition der Space Beagle“ ist nur partiell eine Zeit- als eine Geistes Erscheinung, da die zugrunde liegenden Geschichten in den vierziger Jahren, die etwas entschärfte Romanfassung in den fünfziger Jahren erschienen ist. Rainer Eisfeld geht aber intensiv und kenntnisreich auf die verblüffenden Ähnlichkeiten der beiden Werke ein. Viel interessanter ist der lange „Leidensweg“ Arthur C. Clarkes als Spätfolge der zu pulpigen britischen Science Fiction, die in Deutschland durch die ersten Übersetzungen im Rahmen der UTOPIA Grossbände bekannt und berüchtigt geworden ist. Diese in Deutschland bislang wenig behandelte Kapitel innerhalb der Entwicklung der angloamerikanischen Science Fiction zwischen dem langen Schatten H.G. Wells und der erst später aufkommenden New World Bewegung fasst Rainer Eisfeld kompakt und mit einigen Zitaten ergänzt lesenswert und kurzweilig zusammen. Einer der Höhepunkte dieser Sammlung, da der Autor auch aufzeigt, dass sich trotz der unterschiedlichen Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs parallelen in der Entwicklung des Genres feststellen lassen.  

 „FANAnnIA“ und „Unternehmen Bimsstein“ sind als Ergänzungen zu „Die Zukunft in der Tasche“, der Geschichte der frühen Jahre des westdeutschen Fandoms zu betrachten. Schon in „Die Zukunft in der Tasche“ hat Rainer Eisfeld über den Konflikt zwischen Walter Ernsting und Anne Steul berichtet, die mit dem WETZcon das erste Science Fiction Treffen in Deutschland sehr zum Leidwesen des SFCD Mitbegründers Walter Ernsting organisiert hat. Es fehlt aber der Hinweis, ob Rainer Eisfeld versucht hat, mit dem amerikanischen Science Fiction Autoren Gregory Benford einen der wenigen lebenden Teilnehmer zu seinen Eindrücken befragt hat. Dank neuer aus Steuls persönlichem Umfeld Fakten beschreibt Rainer Eisfeld die anfänglich auch selbstironisch agierende selbstbewußte Frau zuletzt aufgrund ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit als eine korpulente Frau, die sich eher über ihre wenigen Fanzines als im persönlichen Gespräch zu artikulieren wusste. Geschlechterunabhängig hat sie sich mit ihrer humorvollen Art, das Genre nicht technokratisch zu betrachten in einer Nische etabliert. Fair gesprochen gibt es diese Nischen auch heute noch. Das die Männer um Walter Ernsting, Bingenheimer, Walter Spiegl oder W.D. Rohr die Entwicklung der Science Fiction als beruflichen Ein- , Um- oder Aufstieg gesehen haben, wird ebenfalls im folgenden „Unternehmen Bimsstein“ Artikel deutlich. Auf der einen Seite beschreibt Rainer Eisfeld die lang herbei gesehnte Bindung an die amerikanische Science Fiction, die Walter Ernsting nicht, aber Walter Spiegl aufgrund seiner Tätigkeit für American Express herstellen konnte. Mit Raymond Z. Gallun wurde ein solcher Autor gefunden. So interessant die Anekdoten auch sind, so sehr Rainer Eisfeld mit einer Legende aufräumt – Walter Ernstings fiktiv übersetzter Roman war nicht die erste gefälschte Arbeit im Rahmen der UTOPIA Grossbände, sondern anscheinend der fünfte Band eines deutschen Autoren mit falschem Originaltitel und nicht existierenden Übersetzer und damit nicht auf Ernstings „Miest“ gewachsen – muss er sich auch beim zweiten Artikel Kritik Gefallen lassen. Das Essay wurde extra für diesen Band geschrieben. Der Seitenhieb auf die Huldigung Werner von Brauns durch Walter Ernsting ist unabhängig von der Brisanz des Themas überflüssig. Es ist eine klassische Wiederholung. Auch Rainer Eisfeld brüstet sich heute beschämt klingend mit einem fiktiven Briefwechsel seiner Bonner SF Gruppe mit Werner von Braun. Man kann Walter Ernsting nur den Vorwurf machen, dass er sich im Gegensatz zu Rainer Eisfeld in späteren Jahren nicht von Werner von Braun öffentlich distanziert, sondern zu diesem Thema geschwiegen hat. Rainer Eisfeld rückt über die Zeitbedingte Missinformation der Hintergründe des V – Waffenprogramms in Verbindung mit den Konzentrationslagern Walter Ernsting immer wieder impliziert nahe an die Nationalsozialisten heran. Walter Ernsting war sicherlich kein Nazi. Auch im Gedenkband des „terranischen Clubs Eden“ finden sich derartig verunglückte Verbalexzesse, die in erster Linie auf aus der Gegenwart geäußerte Kritik in eine Vergangenheit bestehen, die im Gegensatz zu Rainer Eisfeld der Verfasser deren Zeilen nicht mitgemacht hat. Sinnvoller, sich nicht wiederholend und passender wäre es gewesen, wenn Rainer Eisfeld sein Essay mit einem Blick in die siebziger und achtziger Jahre geschlossen hätte, in denen die von ihm angesprochenen beruflichen Verbindungen die politisch linken Science Fiction Fans förmlich in die Hand des Science Fiction Establishment gespült hatte, das sie vorher angegriffen hatten. Verfilzung war, ist und bleibt ein Thema in der deutschen Science Fiction Profiszene, aber diesen Aspekt extrapoliert Rainer Eisfeld leider nicht. Um es noch einmal deutlich zu betonen, der Personenkult um Werner von Braun insbesondere von Seiten des SFCDs ist aufgrund der Fakten und Tatsachen aus heutiger Sicht nicht mehr zu vertreten, muss aber in einem kurzweilig zu lesenden Bändchen wie „Zwischen Barsoom und Peenemünde“ einmal abgehandelt – dazu dient das Vorwort – und bei den extra für diese Sammlung geschriebenen Artikeln nicht noch einmal belehrend eingehämmert  werden.       

Mit dem fünften Teil „Fragen an Peenemünde“ greift Rainer Eisfeld auf seine Werner von Braun Biographie „Mondsüchtig“ zurück. Liest man die Eingangszeilen, dann kann der Leser Walter Ernstings Naivität sogar verstehen, denn nach dem verlorenen Krieg, der Gefangennahme der Peenemünder Ingenieure und schließlich der Übersiedelung in die USA scheint Werner von Braun seine Getreuen auf einen Mythos eingeschworen zu haben, denn Rainer Eisfeld in den ersten Auflagen von „Mondsüchtig“ noch nicht zu demontieren suchte. Er arbeitet heraus, dass nicht nur KZ Häftlinge im Mittelbau Dora, sondern auch in Peenemünde eingesetzt worden sind. Mit Wissen und Billigung der verantwortlichen Wissenschaftler und damit auch Werner von Braun. In den beiden hier versammelten Artikeln – „Der Mythos Peenemünde“ und „Über den Umgang mit Jahrestagen der V2 – geht er einen Schritt weiter und demontiert die Idee, dass die Raumfahrt ihren Ursprung in Peenemünde gefunden hat. Für ihn ist das Flug zum Mond ein Projekt, dass die Amerikaner schließlich basierend auf den Forschungen einer deutschen Vernichtungs- oder Terrorwaffe gegründet haben. Peter Wegener spricht in seinen Memoiren offen davon, dass die Idee eines Flugs zum Mond in seinen Jahren in Peenemünde nicht angesprochen worden ist. Im ersten Artikel beschreibt Rainer Eisfeld die Schaffung und Verbreitung nicht zuletzt durch verschiedene quasi sekundärliterarische Werke oder das technokratisch aufgebaute Museum vor Ort, bevor er in der zweiten Hälfte systematisch die verschiedenen Aussagen relativiert, in ihren richtigen Kontext setzt und das Netz aus Lügen über den Selbstschutz hinaus zerreist. Während der Umgang mit den Jahrestagen und der Überbetonung des technischen Fortschritts bei teilweise Ignoranz der Arbeit von KZ Häftlingen zu einer wortgewaltigen Mahnung wird, ist der erste Artikel eine exzellente Ergänzung nicht nur zu seinem Buch, sondern zu vielen Schriften über Peenemünde und die dortige Raketenforschung.   

Der Bildteil mit mehr als zwanzig Bildseiten, teilweise farbig, bestehend aus den Titelbildern der sechziger Jahre, seltenen Fandom- Fotos und vor allem Abbildungen von Amateurschriften ist ein weiterer Höhepunkt dieser lesenswerten Sammlung. Zusammengefasst ein wenig enttäuschend hinsichtlich der Originalbeiträge ist wie schon eingangs angesprochen „Zwischen Barsoom und Peenemünde“ eine interessante, in erster Linie in Kenntnis der anderen angesprochenen Werke Rainer Eisfelds zu lesende Sammlung von Gedanken, Ergänzungen bisheriger Recherchen und Hinweisen auf wieder zu entdeckende Werke. Das eindringliche Vorwort verweist auf den wichtigen Schwerpunkt Peenemünde am Ende des Buches. Mit dem schönen Druckbild, dem interessanten Titelbild und den seltenen Fotos ein weiterer empfehlenswerter sekundärliterarischer Text aus dem Haus Dieter von Reekens. 

Von den eingebildeten „Landschaften“ des Mars bis zu den zerbröckelnden Mythen der V-2-Konstrukteure
Broschüre, 213 S., 26 Abb. (davon 8 in Farbe), Drucknachweise, Personen- und Sachregister
20,00 € ISBN 978-3-940679-89-5

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