Das Kosmotop

Andreas brandhorst

Andreas Brandhorst neuer Science Fiction Roman zeigt seine Stärken als Autor - eine spürbar positive Routine, weiterhin die Entwicklung exotischer Landschaften - genauso wie seine Schwächen. Auch wenn er sich mehr und mehr auf die Idee einer Suche nicht selten getarnt in Form eines Auftrags konzentriert und vordergründig sogar klassische Spannung erzeugen will und stellenweise kann, fehlt seinen Figuren nicht selten der innere Drang, wie in diesem Fall das nicht perfekte, aber bestehende Universum zu retten. Andreas Brandhorst entwickelt sich wie in seiner ersten Phase in den frühen achtziger Jahren zu einem ruhigeren Erzähler, was seine Bücher manchmal überdimensionaler, aber nicht vielschichtiger erscheinen lässt als sie es wirklich sind. Beginnt man eine intensive Auseinandersetzung mit "Das Kosmotop", so kommt er dem vielschichtigen "Culture" Universum mit diesem Buch wahrscheinlich am nächsten. Da wäre der Bund der Kompetenz, bestehend aus den Mitgliedern von insgesamt zwanzig unterschiedlichen, aber hochentwickelten Zivilisationen. Sie setzen zur kontinuierlichen Befriedigung des Universums Pazifikatoren ein. Vielleicht bleibt der Autor in diesem Punkt zu unbestimmt und die präsentierten Fakten sind auch nicht überprüfbar. Als Unterstützer werden die von Menschen entwickelten Maschinenintelligenzen - die Koryphäen - eingesetzt. Obwohl die Menschheit mit knapp vierzehntausend Überlebenden - eine Idee, die ein wenig zu stark mit dem rückwärts zählen an die Neuauflage von "Kampfstern Galactica" erinnert - keine wichtige Rolle mehr in diesem Universum spielt, scheine ihre Schöpfungen nicht nur ein Eigenleben entwickelt zu haben, sie bleiben auf dem neusten, teilweise pervertierten Stand der Technik.

Ebenfalls aus "Kampfstern Galactica" und vielen anderen Pulpgeschichten scheint die Idee zu stammen, das ein fremdes Volk die gänzlich Ausrottung der letzten Menschen, die sich in erster Linie durch den kontinuierlichen Bewusstseinstransfer von einem Klonkörper zum Nächsten relative Unsterblichkeit und wie impliziert angedeutet wird auch sexuelle Funktion erhalten, anstrebt. Die Incera wurden von den Menschen in einem großen, ebenfalls sehr ambivalent angedeuteten großen Krieg aber nur vorläufig besiegt. Trotzdem scheint es mehr von ihnen als den Menschen zu geben. Wie angedeutet ist die Ausrottung der feindlichen Spezies keine neue Idee. Eine Veränderung tritt ein, als ein gewaltiges Raumschiff, bestehend aus verschiedenen Habitaten, vom Rand der Galaxis kommend in den Machtbereich der einzelnen Zivilisationen eintritt. Es scheint dabei Proben von allen Zivilisationen der Milchstraße sammeln zu wollen. Auf der einen Seiten besteht die Angst, das die Maschinenintelligenzen sich mit den Incera und vielleicht deren Verbündeten den Mahe, ein gigantisches Raumschiff als Vorläufer einer Invasion gebaut haben, das die Kompetenz vernichten soll. Auf der anderen Seite weckt ein solch technologisches Meisterwerk aber auch Begehrlichkeiten innerhalb der Kompetenz und verändert vor allem den nicht immer stabilen Status Quo, so dass eine Kettenreaktion befürchtet wird.

Auch wenn die Menschen in Brandhorsts Universum keine echte Rolle mehr spielen, steht ein Mensch im Mittelpunkt der Handlung. Der Leser lernt Corwain während seiner Beerdigung kennen. Nicht seiner ersten. Inzwischen lebt er in seiner achtzehnten körperlichen Inkarnation, wobei er die Körper nicht immer wechselt, wenn sie verbraucht sind, sondern es opportun erscheint. Er ist ein klassischer Konfliktlöser und erholt sich zwischen den Aufträgen teilweise jahrelang auf einer abgeschiedenen wie idyllischen Welt. Brandhorst beschreibt ihn als knorrig, aber zugänglich, der in mehrfacher Hinsicht mit einem außerirdischen „Engel“ zusammenlebt. Solace ist halb Frau, halb Vogel, aber geballte sexuelle Kraft.  Zumindest relativiert der Autor die ersten Kapitel mit einigen für sein Werk typischen Beziehungsklischees, in dem die verführerische Weiblichkeit nicht nur als Ablenkung dient, sondern sich erweist mehr und mehr nicht nur als Ratgeberin, sondern handfeste Helferin, die auf einer immer schwieriger werdenden Mission mehr als ihren Mann steht. Corwain wird von seiner Welt abberufen und soll das in die Galaxis eindringende fremde Raumschiff untersuchen und die Absichten der Entführer herausfinden.

 Wie in seinen anderen Romanen entwickelt Andreas Brandhorst erst einmal den exotischen Hintergrund. Dabei funktioniert die Mischung aus Bekanntem und Unbekannten ausgesprochen gut. Obwohl der Roman in einer fernen Zukunft spielt, agieren insbesondere die Menschen sehr gegenwärtig. Das führt manchmal zu auf den ersten Blick bizarren Widersprüchen, fügt sich aber rückblickend den komplizierten, aber nicht immer komplexen Plot gut ein. Gewöhnt sich der Leser an die Idee der Bewusstseinstransfers, dann reduziert sich Corwain auf einen normalen Agenten, der mit einer Mischung aus Intelligenz, Zufälligkeiten und Kombinationsgabe auf eine im Grunde unmögliche Mission geht. Um Corwain herum bewegen sich einige Nebelfiguren, die aber angesichts der Länge des Romans besser ausgearbeitet hätten werden könnten. Vor allem weil Andreas Brandhorst versucht, deren Motive ambivalenter und differenzierter zu beschreiben, die einzelnen Parteien nicht nach gut und böse zu sortieren. Diesen roten Faden kann er nicht durchhalten. Geschickt beginnt Brandhorst im Kleinen, da Cordwain einen Konflikt zwischen den Menschen und den Mahe lösen soll. Die Ebene bleibt zugänglich, der Konflikt überschaubar. Erst mit der Suche nach dem Objekt und dessen rücksichtslosem Vorgehen wird die Situation komplexer, nicht alles passt sich wirklich an. Brandhorst vertraut nicht selten der indirekten Rede, versucht die für die Protagonisten wie Leser "überraschenden" Wendungen durch Aktionen und Reaktionen zu erklären. Aber viele dieser Szenen hat ein mit seinem umfangreichen Werk Vertrauter schon mal gelesen, so einmal durchlebt, so dass im Vergleich zu Iain Banks späteren "Culture" Werken, mit denen sich "Das Kosmotop" vergleichen, aber nicht unbedingt messen lassen manches mechanisch erscheint. Insbesondere die Maschinenintelligenzen wirken zu dunkel humorlos, zu pragmatisch und damit angesichts des Raums, den sie in diesem Roman einnehmen, zu eindimensional. Im entscheidenden Schritt fehlt Brandhorst der Mut, Positionsveränderungen und einhergehend Charakterwandlungen bis zum bitteren Ende durchzufechten. Hinzu kommt, dass das mit einer positiven Pointe versehene Ende die vielen Handlungsstränge zu passen unter Corwains "Führung" zusammenfasst. Er zeigt ihn zu wenig als Werkzeug fremder Mächte und eigener "Politiker". Im   Vergleich zum gereiften Charakter zu Beginn - eine Art Feuermann mit dem Sendungsbewusstsein, möglichst sehr lange gut zu leben - wirkt diese Vorgehensweise nicht immer konsequent.

Zu den Stärken des Buches gehört der exotische Hintergrund, den Brandhorst mit einem soliden, aber nicht atemberaubenden Tempo bereist. Auch wenn die Entfernungen gigantisch sind, fehlt nicht nur diesem Roman trotz der Ereignisse an einigen Stellen die Dynamik. Es wird ohne Frage eher Neugierde als Spannung erzeugt. Dazu kommt die detaillierte, manchmal phlegmatische Erzählweise. Aber die Plätze, die Cordwain und seine Solace bereisen, sind aber fremdartig, abenteuerlich, bizarr und doch auch irgendwie melancholisch vertraut.

Einen letzten Vorwurf muss sich Andreas Brandhorst aber gefallen lassen. Der Roman setzt sich aus vielen bekannten, nicht unbedingt neuen Ideen zusammen, deren Grundlage von der klassischen „Star Trek“ Serie über mehrfach erwähnten „Kampfstern Galactica“ oder zahlreiche Paranoia Thriller  bis zu den angesprochenen Werken eines Iain Banks oder eines Charles Stross reicht. Mit den dem Leser vertrauten Elementen geht er allerdings routiniert um, wobei er einige philosophisch emotionale Szenen als individuellen Gegenentwurf in die laufende Handlung mischt. Betrachtet man die letzten Arbeiten Brandhorst, dann hat der in Italien lebende Autor einen eigenen Tonfall gefunden, den er mit dem nicht gänzlich zufriedenstellenden, zu ambitioniert angelegten und zu wenig im Detail befriedigenden „Das Kosmotop“ höchstens bestätigt, aber nicht weiter extrapoliert.      

  • Taschenbuch: 560 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (9. Juni 2014)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453315448
  • ISBN-13: 978-3453315440