Perry Rhodan Neo 81 "Callibsos Schatten"

Michelle Stern

Michelle Stern hat in ihrem “Neo“ Roman eine ehrenvolle Aufgabe. Bislang konnten die Leser davon ausgehen, dass zumindest das Konzept “Es“ oberflächlich dem aus der Erstauflage bekannten Unsterblichen ähnelt, der das Potential der Menschheit im Vergleich zu den degenerierten Arkoniden fördern, aber auch manipulieren wollte. In diesem „Neo“ Roman erfährt der Leser, dass der Kampf der Superintelligenzen um eine interessante Facette bereichert wird. Anscheinend streiten teilweise hinter den Kulissen der Puppenspieler und Manipulator Callibso und Es um die Menschheit.  Diese Auseinandersetzung folgt impliziert festen Regeln und Gewalt wird mit Gewalt beantwortet. Zwar wirkt diese Prämisse ein wenig zu schematisch und angesichts der zahlreichen Puppenpräsenzen auf der Erde zu simpel gestaltet, aber mit Rhodans Onkel Karl, der ein Bote Es plötzlich genau wie unter dem anderen Namen Carfesch bekannt ist, wird der Bogenschlag direkt zu Perry Rhodans Familie geschlagen.  In der Originalserie übernahm Perry Rhodan nicht zuletzt durch seine Landung auf dem Mond, die Opportunität der Arkoniden und die Etablierung der Dritten Macht die Federführung bei der Expansion ins All. Natürlich als charismatischer Anführer und um ihm auch eine Mutantenfähigkeit zu geben auch als Sofortumschalter. In der „Neo“ Serie wird Perry Rhodan das Schicksal, ein Spielball komischer Mächte zu werden, relativ früh in die sprichwörtliche Wiege gelegt. Seine ersten Lebensabschnitte erfolgen unter der direkten oder indirekten Kontrolle der Puppen.  Diese Verschiebung des Fokus wird schon in den Eingangskapiteln deutlich gemacht. Thora, Perry Rhodan und Tai´Targ untersuchen die ausgebrannte Ruine von Onkel Karls Wohnwagen. Der Leerraumroboter und leider inzwischen das Faktotum für unmögliche Aufgaben analysiert die Infrarotspuren und kann den Ablauf bis zum Ausbrennen des Wohnwagens als Holosimulation darstellen. Mit den virtuellen Exzessen sind die Leser ohne Frage auf Augenhöhe am Geschehen dran, aber im Vergleich zur ansonsten eingesetzten Technik geht auch ordentlich Spannung verloren, da Tai´Targ auf wenigen Seiten das Geschenen zusammenfasst und sogar den Hinweis auf der Versteck eines Notizbuches umgehend gefunden wird. In diesem Notizbuch finden viele Informationen über die Puppen. Namen, Adressen, Sozialversicherungsnummern. Der nächste MacGuffin Bogenschlag ist das automatische Datenabgleich dank Alan Mercant. Immerhin befindet man sich weiterhin auf einer von den Arkoniden besetzten Erde, die zumindest Datenströme kontrollieren sollten.  Wie schon erahnt haben die Puppen relativ früh auf Rhodan eingewirkt. Neu ist, dass eine Puppe möglicherweise für den Tod von Flippers Frau verantwortlich ist.

Während ihrer Reise in den Mittleren Westen bemerkt Perry Rhodan, dass sich Reginald Bull seltsam verhält. Es ist erstaunlich, dass Perry Rhodan sich keine Gedanken macht. Die vielleicht schwierigste Stelle des Romans. Michelle Stern stellt Perry Rhodan wieder als naiven Dummkopf dar. Angesichts der zahllosen Informationen, die sich in Onkel Karls Notizbuch befunden haben und der vagen Möglichkeit, dass erstens die Puppen noch auf der Erde sind und sie zweitens vor allem ohne Probleme andere Menschen „übernehmen“ und manipulieren können, wirkt es unglaubwürdig, dass sich Perry Rhodan in dieser Hinsicht keine Gedanken macht.  Unabhängig von dieser Fahrlässigkeit ist ein anderer Aspekt dieses Bewußtseinskonfliktes interessant.  Unbewusst hat der Leser das Gefühl, als haben die Autoren vergessen, dass dieser Reginald Bull weder Unsterblichkeit noch so erfahren wie sein Pendant aus der Erstauflage ist. Warum  gelingt die Übernahme durch Tankin nicht effektiver. Wenn die Puppen öfter auf derartige Schwierigkeiten stoßen, dann wäre ihr Vordringen nicht so gefährlich. Michelle Stern bemüht sich, Bullys inneren Konflikt bildlich darzustellen. Mit der als Achtjährige personifizierten verstorbenen Schwester und ihren wertvollen Tipps überspannt sie allerdings den Bogen. 

Im Vergleich zu den letzten „Neo“ Romanen verfügt „Callibsons Schatten“ über deutlich weniger effektive Handlung. Die beiden Spannungsbögen werden relativ stringent zusammengeführt.  Zu Beginn der weiteren Handlungsebene verwandelt sich die Dust Bowl in eine Biosphäre, in welcher der Fürsorger Satrak sein Projekt Vesogh ablaufen lässt. Vordergründig ist es das Ziel, aus dem ausgelaugten Boden ein neues Paradies, einen neuen Dschungel zu erschaffen, um den unterdrückten Menschen zu zeigen, wie weit die Technik Arkons zum Wohle der eroberten Welten reichen könnte.  In Wirklichkeit will Satrak nur eine persönliche Biosphäre erschaffen, in der er in Anlehnung an seine Heimat regelmäßig einen persönlichen Dschungel besuchen und sich erholen kann. Diese Idee ist nicht einmal schlecht, aber erstens kann anscheinend jeder in diese wertvolle und wichtige Biosphäre eindringen und zweitens verliert der Leser schon zum wiederholten Male das Gefühl für den Zeitablauf. Wie lange sich Perry Rhodan wieder auf der Erde aufhält, wird eher angedeutet. Dass die Arkoniden in dieser Zeit unglaublich viel erreicht haben – die Schaffung einer eigenen Polizei und die Fruchtbarmachung der „Wüste“ – ist außer Frage gestellt. Auf der anderen Seite haben sie aber viele grundlegende Probleme der Besetzung nicht angefasst und der Widerstand ist angesichts der unglaublichen technischen Überlegenheit noch sehr stark. Unglaubwürdig erscheint, dass Satrak eine arkonidische Projektleiterin mit derartig menschlichen Zügen benötigt. Passend ist eine Assistentin im Team wieder eine Puppe, der Perry Rhodan zumindest indirekt schon einmal begegnet ist. So wird die Puppe quasi als Sexsklavin gehalten.  Die Projektleiterin kann ihn sadistischen Neigungen an ihr ausprobieren. Ohne in die Details zu gehen versucht Michelle Stern hier eine erotische Stimmung aufzubauen. Allerdings wirkt die Zeichnung der Figuren ausgesprochen oberflächlich und wenig nuanciert. Es folgt inklusiv entsprechenden Staubsturm eine melodramatische Szene, die ausschließlich als Füllmaterial dient. Kaum ist die überlegene arkonidische Technik etabliert, sorgt die  Natur mit einem entsprechenden gigantischen Sturm wieder für eine Destabilisierung.  Am Ende treffen alle Gruppen in einem hohlen Baum aufeinander. Neben dem bislang nicht bekannten Interesse der Imperatrice an der Erde versucht Perry Rhodan den Fürsorger anscheinend für die Menschen zu begeistern. Während K.H. Scheer logisch konsequent ein degenerierendes Arkonidenreich unter der Kontrolle des Roboterhirns beschrieben hat, haut Perry Rhodan ohne wirklich dieser These entsprechende Kenntnisse in diese Kerbe. Er spricht davon, dass das Große Imperium auf tönernen Füßen steht. Keine wirkliche Überraschung, da alle Formen von Regierungen destabilisiert werden können. Das Problem ist nur, dass im Gegensatz zur Originalserie anscheinend noch ausreichend egoistische und Macht hungrige Oligarchen vorhanden sind.  Lustig bis peinlich wird es, wenn er von der Unzufriedenheit der vielen Völker spricht. Was interessant das erstens den Fürsorger und zweitens ist jedes Volk unzufrieden, das seine Freiheit verloren und in ein Reich eingegliedert worden ist. Perry Rhodan sieht das Arkonidenreich als vorübergehende Erscheinung. Alles ist vorübergehend. Das Reich besteht seit mehr als zehntausend Jahren und hat im Vergleich zu den Menschen beeindruckendes geleistet. Der „Neo“ Perry Rhodan ist nicht unsterblich und sollte eigentlich die Eindrücke der letzten Jahre erst einmal verarbeiten.  Vor allem führt diese Tirade buchstäblich ins Nichts. Perry Rhodan will danach zu Callibso gebracht werden.  Indirekt den Feind an den Hörnern packen, der sich im Hintergrund angesichts der Puppe eher totlacht.  Diese ganze Rede wirkt befremdlich und ist es schade, dass in einem der wenigen Momente, in denen Perry Rhodan zumindest in der Theorie charismatisch erscheint, das Potential derartig verschenkt wird. Vor allem ist die Rede sinnlos, da sie erstens die immer noch sehr aktiven Arkoniden nicht von der Erde vertreibt, zweitens die Menschen intergalaktisch gar nichts bisher geleistet haben und drittens Rhodan außer potentieller Demokratie für unterdrückte Völker, von denen er kaum eine Handvoll kennt, nichts anbieten kann.

Der Cliffhanger ist frustrierend einfach mit dem endgültig kapitulierenden Bully, der Thora und Rhodan schützen möchte.  Zusammengefasst ist „Callibsons Schatten“ ein stilistisch solider Roman, dessen Figurenzeichnung insbesondere hinsichtlich der Frauenfiguren relativ klischeehaft eindimensional erscheint. Zu wenig agieren die Figuren aus sich selbst heraus, was allerdings angesichts der inhaltlichen Entwicklung auch schwierig ist. Michelle Stern gelingt es auch nicht, während des zumindest in der Theorie dramatischen Höhepunkts wirklich Spannung aufzubauen, da die Intention Rhodans in dieser Szene zu theoretisch herausgearbeitet wird. 

Pabel Verlag, Taschenheft

160 Seiten, Erschienen November 2014

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