Nightfall- Die Nacht bricht an

David Goodis

Der mit nicht einmal fünfzig Jahren verstorbene Amerikaner David Goodis gehört mit knapp zwanzig Romanen trotz oder vielleicht auch wegen der vielen Adaptionen seiner Werke zu den herausragenden, aber nicht selten auch falsch eingeschätzten Romanciers der schwarzen Serie. Als der Bastei- Verlag 1987 den mit Aldo Ray und Anne Bancroft verfilmten „Nightfall- Die Nacht bricht an“ im Rahmen ihrer schwarzen Serie als Taschenbuch veröffentlichte, stellte der Verlag auf das Titelbild ein Zitat von Francois Truffaut, dass besagte, wie sehr Goodis gegen die Verleger kämpfte, die ihm Pessimismus in seinen Romanen vorgeworfen haben. „Nightfall“ ist Goodis dritter Roman gewesen und der dunkle Zynismus des lebenslangen Alkoholikers zeigt sich in diesem Buch noch nicht. Was Goodis immer aus der Masse der Krimiautoren herausgehoben hat, ist seine Beschreibung des einfachen Mannes und nicht selten der Verzicht auf klassische, konventionelle Ermittlungsmethoden. Viele seiner Geschichten erfüllten nicht einmal die rudimentären Ansprüche an klassische Kriminalliteratur und zogen den Leser trotzdem in den Bann eines Verbrechens. Durch das Aufbrechen konventioneller Erzählstruktur – im ersten Viertel des vorliegenden Romans weiß der Leser nicht, ob der Protagonist Vanning paranoid, ein Verbrecher/ Mörder und nur durch Zufall in den Blick der Polizei geraten ist – erzeugt Goodis eine greifbare Spannung. Leider leiden einige seiner Romane hinsichtlich der Plotauflösung unter den damaligen Konventionen und insbesondere bei „Nightfall“ kann selbst ein zynischer Leser nicht von einem pessimistischen Ende sprechen, sondern zu viele Zufälligkeiten führen zu einem zuckersüßen, ohne Frage befriedigenden, aber insbesondere im Vergleich zur dynamischen und die Neugierde des Lesers auf mehreren Ebenen fesselnden Entwicklung im ersten Drittel des Buches auch zu konstruierten Abschluss. 

Eine heiße Nacht in Manhattan. Der Graphiker Vanning arbeitet an einem Auftrag. Dieser muss am nächsten Morgen fertig sein. Die Hitze verhindert, dass er sich konzentrieren kann. Er geht auf die Straße, in der nächsten Kneipe lernt er eine Frau kennen und will mit ihr nach Hause gehen. Dabei „entführen“ ihn drei Männer. Vanning scheint nicht überrascht. Anscheinend hat er auf diesen Moment der Erlösung fast masochistisch gewartet. Der Leser kann in diesem Moment Vannings extrem passives Verhalten gar nicht einordnen und bleibt mit einem harten Schnitt auf den zweiten Handlungsbogen, der stringent mit Vannings Erfahrungen zusammenläuft, verwirrt zurück. Ist Vanning auf der Flucht? Dagegen würde sein ruhiges, bürgerliches und geordnetes Leben sprechen. Handelt es sich um eine Verwechselung? Dagegen spricht Vannings Erwartungshaltung, das ihm endlich etwas passieren muss. Dieser Fatalismus verblüfft und stößt den Leser ab.

Auf dem zweiten Spannungsbogen lernt der Leser den Polizisten Fraser kennen. Ein Familienvater, drei Kinder. Eine durchschnittliche Existenz. Zusätzlich scheint er nur einen einzigen Fall zu haben. Bei einem Bankraub in Seattle sind von drei Männern dreihunderttausend Dollar gestohlen worden. Kurze Zeit später hat man einen der potentiellen Täter erschossen aufgefunden. Am Tatort befand sich Vannings Wagen und die Fingerabdrücke auf der Tatwaffe stammen von Vanning. Die Justiz ist überzeugt, dass Vanning einen seiner Komplizen erschossen und die Beute versteckt hat, Jetzt lebt er in einer eher auffälligen Tarnung sein durchschnittliches Leben, um die Ermittler zu täuschen. Alles spricht gegen Vanning. Wirklich alles. Nur Frasers Bauchgefühl sagt, dass bei dieser Geschichte etwas nicht stimmen kann. Zu unauffällig, zu simpel lebt Vanning. Er hat sich im Grunde nicht einmal die Mühe gegeben, durch eine falsche Identität aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit zu verschwinden. Ist Vanning wirklich ein derartig eiskalter Verbrecher?

Fraser ist ein ungewöhnlicher Ermittler. Anstatt die Schuld bei Vanning zu suchen, hofft er auf dessen Unschuld. Welche Dimensionen dieser Fall angenommen hat, kann der Leser aus heutiger Sicht kaum ermitteln. Immerhin ist Fraser nur für diesen Fall zuständig. Von seinen Vorgesetzten isoliert hat er eine Wohnung gegenüber Vannings gemietet und observiert ihn fast rund um die Uhr.

In diesem Kammerspiel gibt es noch zwei Charaktere. Da wäre wie bei vielen David Goodis Romanen die attraktive Martha. Kein klassischer Vamp, keine normale Verführerin. Sie hat aber Vanning am ersten Abend in die Arme der Männer getrieben, die ihn schließlich kurzzeitig entführten. Liebt sie den attraktiven Schweiger oder gehört sie etwa zur Bande? Und schließlich John, das Oberhaupt der Bankräuberbande. Er versucht wichtige Informationen aus Vanning herauszupressen. Sein Triumph könnte Vannings Untergang sein.

John scheint dabei im Gegensatz zu seinen Handlangern der intelligente Kopf zu sein. Der Versuch, Vanning nicht nur in der Vergangenheit – es gab tatsächlich schon eine Begegnung und indirekt hat der Banküberfall natürlich auch mit Vanning zu tun – zu beseitigen, sondern die Vorzeichen zu manipulieren, wirkt zu überambitioniert und lässt den Katalysator weniger effektiv und verstörend erscheinen. Auf der anderen Seite ist diese Konstruktion wahrscheinlich notwendig, um das psychologische Spiel sinnvoll und für den Leser akzeptabel aufzulösen.

Ohne großartige Actionszenen – neben der Entführung inklusive der brachialen Vorgehensweise der Männer ist es nur noch der finale Showdown, in dessen Verlauf nicht nur die schon angesprochen konstruiert erscheinenden Spuren aus der Vergangenheit offenbart, sondern in mehrfacher Hinsicht auch reiner Tisch gemacht wird, der Aktionen/ Reaktionen beinhaltet – ist „Nightfall“ trotzdem auf psychologischer Ebene ein ungewöhnliches Buch.David Goodis hat einen unbescholtenen Mann nicht nur in eine Extremsituation bugsiert, sondern ihn auch in Versuchung geführt. Aus einer vielleicht affektartigen, für den Leser nachvollziehbaren Aktion entwickelt sich das schlechte Gewissen. Wobei das schlechte Gewissen nicht einmal gegenüber der Tat an sich ist – Vanning ist Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen und hat anscheinend in Asien keinen einfachen Krieg gehabt -, sondern das ihm im Grunde die Erlösung fehlt. Wie alle anderen ist er ein klassischer „Verlierer“, der sich in eine zumindest vor den normalen Augen der Justiz ausweglosen Situation befindet.  

Zu den Stärken David Goodis nicht nur in diesem Buch gehört, dass es sich in erster Linie um bodenständige Charaktere handelt, die keine echten Klischees erfüllen. Selbst der Gangster ist ein berechnender Pragmatiker und nicht wie seine dumpfen Helfer auf Brutalität angewiesen. Es gibt eine potentielle Femme Fatale, die sich als gänzlich andere Frau erweist. Der Polizist ist kein einsamer Jäger, sondern verfügt über ein gesundes, liebevolles Familienleben. Der Fall scheint ihn zu erdrücken. Er muss immer wieder mit seiner Frau sprechen, die ihm zuhörend unterstützt. Vanning dagegen möchte nichts lieber haben als Familie. Aus dem Krieg zurückgekehrt hat er sich eine einfache Existenz als Werbedesigner aufgebaut. Er lebt bescheiden. Er weiß, dass die Begegnung in dieser Nacht seine bürgerliche Existenz auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte zerstören könnte. Wie bei einem komplexen Puzzle fügen sich die einzelnen so unterschiedlichen, aber durch den Bankraub in Seattle untrennbar miteinander verbundenen Figuren ineinander und bilden über einen relativen kurzen Zeitraum – der Plot spielt in wenigen Nächten – eine Einheit. Angetrieben von emotional zufrieden stellend, niemals kitschig geschriebenen und auch heute noch modern erscheinenden Dialogen, einer pointierten effektiven und kompakten Charakterzeichnung sowie eine anfänglich schwierig zu überschauenden und deswegen so faszinierenden Struktur gelingt es David Goodis nicht nur anfänglich, den Leser im Dunkeln zu lassen, sondern ihm die Scheu vor einem potentiellen Verbrecher zu nehmen. Im Mittelteil ist es im Grunde nicht mehr relevant, ob Vanning ein Bankräuber und Mörder ist. Der Leser kennt Fragmente des Geschehens interessanterweise nur aus zweiter Hand. Fraser setzt die einzelnen Komponenten vor seiner Frau zusammen und muss trotzdem eine Lücke lassen. Vanning versucht diese Brüche später zu füllen. John offenbart den dahinter stehenden eher zu ambitionierten oder vielleicht nur arroganten Plan.

Hinzu kommt, dass Goodis selten überzeugend die erdrückende Hitze in Manhatten mit seinen vielen einsamen Menschen insbesondere zu Beginn des Romans in einfache, aber im Gedächtnis bleibende Worte  gefasst hat. Es sind einfache und trotzdem komplexe, vielleicht auch komplizierte Personen, über die er schreibt. Und das ist die Stärke seiner eher Anhängern des Genres nur zu Unrecht bekannten Romane. Als frühes Werk weist „Nightfall“ den Weg und bleibt deswegen länger im Gedächtnis als der ohne Frage bekanntere, aber von Truffaut in seiner Adaption zu oberflächlich interpretierte „Schießen Sie auf den Pianisten“. 

Bastei Taschenbuch, Schwarze Serie

198 Seiten, Erschienen 1993

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