Robert A. Heinlein- In Dialogue with His Century

William Patterson jr.

In seinem Nachwort spricht William Patterson jr. davon, dass ihn Heinleins Witwe Virginia Heinlein im Jahre 2000 beauftragt hat, eine definitive Biographie ihres Mannes zu verfassen. Virginia Heinlein hat bis zu ihrem Tod im Jahre 2003 das Vermächtnis ihres Mannes auf literarischer Ebene gepflegt und in privater Hinsicht wie einen Schatz gehütet, was dank der Wahl eines selbsterklärten Fans zumindest teilweise die kritische Reflektion durch den Biographen ausschalten sollte. Daher fragt sich der Leser schon vor Beginn der Lektüre, ob Patterson überhaupt neutral über den Science Fiction Autoren schreiben kann. Zumindest dank Patterson vielen Mitgliedern des Heinlein Klans für ihre Kooperation. Viele Zeitzeugen insbesondere des ersten Lebensabschnitts Heinleins sind in der Zwischenzeit gestorben, ihre Äußerungen über Robert A. Heinlein von der vergangenen Zeit vielleicht sogar ein wenig verklärt. Zehn Jahre nach der Auftragserteilung und sieben Jahre nach Virginia Heinleins Tod liegt der erste Teil dieser umfangreichen Biographie vor, der die Jahre von Heinleins Geburt bis 1948 und seiner zweiten Hochzeit zusammenfasst. Obwohl in diese Zeit die meisten Geschichten seiner Future History fallen und die ersten ungewöhnlich erfolgreichen Jugendromane veröffentlicht worden sind, vermisst man die kritischen und teilweise geschwätzigen Spätwerke wie „Starship Troopers“, „Strangers in a strange Land“ oder die sexuellen Alte- Herren-Phantasiewerke wie „Freitag“. Bislang hatte William Patterson jr. als Science Fiction Fan sich fast ausschließlich bis auf einen Exkurs in die Geschichte des Science Fiction Fandoms in seiner Heimatstadt Phoenix mit Robert A. Heinlein befasst, den er zusammen mit Mark Twain als eine der sprachgewaltigsten und einflussreichsten literarischen Stimmen des 19. und 20. Jahrhunderts ansieht. Übertrieben erscheint, dass Heinleins Tod mit den wichtigsten Ereignissen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – die JFK Ermordung bzw. die Landung auf dem Mond – und geschmacklos des 21. Jahrhunderts – der Anschlag vom 11. September – auf eine Stufe gestellt wird. Dazu ist Heinleins literarischer Einfluss in der absolut kommerziellen wie künstlerisch enttäuschenden Spätphase eines Werkes zu stark geschwunden. Im Vergleich zu Stephen King, dessen deutlich erfolgreichere Karriere mehrere Höhen und Tiefen durchlaufen hat, konnte Heinlein bei seinen letzten Büchern keine Meilensteine wie „22/22/63“ setzen, in denen er sich mit der politischen Gegenwart der USA und vor allem der Illusion eines goldenen Zeitalters unter einer zweiten Amtszeit JFKs auseinandersetzte.
Nicht umsonst hängt der Autor die Erwartungshaltung der Leser mit dem Titel „ Robert A. Heinlein: In Dialogue with His Century: Volume 1, 1907-1948: Learning Curve“ sehr hoch auf. Ohne den Details vorzugreifen beschreibt er natürlich, wie Heinlein nach dem ersten überraschenden Erfolg mit „Life- Line“ – wo er keinen Storywettbewerb gewann, sondern nur einem Aufruf des Magazins zum Einreichen von Storys folgte, die bei Veröffentlichung die gleichen Cent pro Word Sätze erhalten wie die Geschichten etablierter Autoren – an den zahlreichen folgenden Ablehnungen als Autor reifte und sich opportunistisch auf die Themen einschoss, die John W. Campbell am ehesten ankaufen würde. In „Dialogue with his Century“ ist ein gewagter Titel. Jeder Mensch lebt in einer eher ambivalenten Beziehung zu seiner Umwelt und Robert A. Heinlein ist als Soldat bis zu seinem Ausscheiden aus gesundheitlichen Gründen genauso geprägt worden wie von den eher erfolglosen Ausflügen in die Kommunalpolitik. Der Titel suggeriert, dass Heinlein intellektuell und pragmatisch seine Zeit und sein Leben kontinuierlich hinterfragt und eine wechselseitige Beeinflussung aufgebaut hat. Das ist zumindest im ersten Band dieser Duo- Biographie nicht der Fall.
Mitnichten ist es auch so, dass Robert A. Heinlein in späteren Jahren nicht über seine Arbeiten und vor allem seine konservativen politischen Absichten sprechen oder schreiben wollte. William Patterson jr. Biographie ist in einem engeren Zusammenhang mit Heinleins posthum veröffentlichter Essay- Sammlung „Grumbles from the Grave“ zu verstehen, die logischerweise einen besseren Einfluss in die Denkweise des Amerikaners bietet, der aber auf der anderen Seite eine kritische Selbstreflektion fehlt. William Patterson jr. versucht diese Schwäche teilweise durch eine nicht allzu kritische Distanz zu machen Ideen Heinleins auszugleichen. Wie bei allen Autorenbiographien erhofft sich der Leser einen Blick hinter die Kulissen, in die geistige Gedankenfabrik des Autoren, der so viele unterhaltsame und provokante Werke geschrieben hat. Zumindest im ersten Band wird diese Erwartung nicht befriedigt. Zu selten geht Patterson in die Details. Zusätzlich erwartet der Autor wahrscheinlich auch selbstverständlich, dass die Leser sich in Robert A. Heinleins Werk sehr gut auskennen. Da inzwischen auch die lange verschollenen Arbeiten wie „For us, the Living“ veröffentlicht worden sind, kann der Leser die Position des Biographen nachvollziehen. Wer sich nicht intensiver insbesondere auch mit den politischen Ansichten seiner Geschichten auseinandergesetzt hat, wird von der fehlenden kritischen Reflektion oder Analyse enttäuscht sein. William Patterson jr. schreibt in erster Linie seinem Idol dessen manchmal eckiges Leben auf den Leib und will keinen Schatten auf einen der wichtigsten Science Fiction Autoren des abgelaufenen Jahrhunderts werfen. Julia Phillips selbst Nicht James Tiptree jr. Lesern zu empfehlende Biographie hat ein leuchtendes Beispiel in dieser Hinsicht gesetzt und aufgezeigt, dass Autoren nicht nur mittels ihrer Veröffentlichungen aus den schriftstellerischen Elfenbeintürmen kommunizieren. Während Julie Phillips in die Psyche der unter Pseudonym schreibenden Alice Sheldon respektvoll einzudringen sucht, finden sich bei William Patterson jr. immer wieder Hinweise, dass der Scheck des Verlages in der Frühphase von Heinleins Karriere rechtzeitig eingetroffen ist, um dessen finanzielles Leiden insbesondere während der verschiedenen laufenden Scheidungen zu mildern.
Patterson beschreibt Heinleins Jugend als Mischung aus harte, von den Wirtschaftsdepressionen geprägte Schule des Lebens und einem frühen Hang zur Eigenständigkeit. So hat er seit seinem fünfzehnten Lebensjahr den Lebensunterhalt nicht nur für sich, sondern teilweise auch seine Familie mit oder alleine verdient. Aus dieser Zeit stammen zusammen mit dem Militärdienst sowie einem Hang zum Technischen Heinleins Tugenden wie Selbstdisziplin und politischer Erzkonservatismus. Das Theorie in Form seiner Romane und Praxis schon früh in seiner Karriere aufeinander getroffen sind, zeigt der Umgang mit Heinleins semiautobiographischer Utopie „For us, the Living“, in dem Heinleins Erfahrungen aus der Politik und sein soziales Umfeld genauso eingeflossen ist wie seine Abneigung gegen den klassischen Sozialismus und gesellschaftlich anarchistische Bestrebungen. Patterson geht auf Heinleins literarische Vorbilder – in diesem Fall Bellamy und ganz besonders Wells – ein. Versucht ihren Einfluss dominanter erscheinen zu lassen als er ist und gleitet umgehend von den Schwächen des Buches ablenkend ins Private ab. Da kurze Zeit später John Campbell „Life- Line“ kaufen sollte, braucht Patterson nicht mehr auf die offensichtlichen Schwächen und teilweise kruden futuristischen Thesen dieses Werkes eingehen. So kann es sich ein zu euphorischer Biograph auch einfach machen. Da es in Hinblick auf Heinleins Frühwerk keine weiteren „kritischen“ Arbeiten gegeben hat, beschreibt Patterson den scheinbaren Siegeszug eines Autoren, der zwar bei den Lesern sehr beliebt und zweitens immer den Pulps zu entkommen sucht, dessen Frühwerk inklusiv der wichtigen „Future History“ in einer Art oberflächlichen Schnelldurchlauf durchlaufen wird. Wer die Inhalt hinter den aufgeführten Titeln kennt, braucht keine näheren Inhaltsangaben. Ansonsten bleibt manches Stückwerk, zumal die Bogenschläge zu Heinleins Leben inklusiv seiner sich langsam auflösenden zweiten Ehe stellenweise konstruiert erscheinen.
Bei den realen Figuren wie zum Beispiel Captain Ernest J. King auf einem der ersten Flugzeugträger der USA – die „Lexington“ – gibt sich Patterson mehr Mühe. Hier sticht ein bislang historischer eher unbekannter Fakt hervor: Anscheinend haben die Amerikaner 1932 einen Angriff auf Pearl Harbour von Flugzeugträgern im Rahmen eines Manövers nicht nur geübt, sondern erfolgreich durchgeführt. Die Behörden haben die Schwächen der Inselverteidigung ignoriert, die Japaner anscheinend 1936 die Berichte studiert und 1941 ziemlich exakt den amerikanischen Angriffsplänen folgend umgesetzt. Leider schafft es Patterson nicht, den Sprung von realen Heinlein beeinflussenden Figuren für Ernest J. King zu seinen späteren Romanen zu schlagen, in denen der Autor diese charismatischen Charaktere literarisch zum Leben erweckt hat. Ohne Frage die interessanteste Figur neben dem zu überheroisch, zu sehr als Mann dargestellten Heinlein ist dessen zweite Frau Leslyn MacDonald, die mit ihrer offenen Art, eine Ehe zu führen und ihrer Willigkeit, für Nacktbilder zur Verfügung zu stehen, Heinleins lebenslange Sexualität sowie seinen Hang zum Nudismus beeinflusst hat. Da es keine Dokumente gibt, muss Patterson in erster Linie Virginia Heinlein vertrauen, die in ihr auch einen Ausdruck von Alkoholismus, Depressionen und schließlich Selbstzerstörung gesehen hat. Interessant sind die zahlreichen Anspielungen auf den späteren Scientology Gründer Hubbard, der mit Heinleins Frau ein offenes Verhältnis gehabt hat. Zu dieser Zeit gehörte Hubbard noch zu den führenden Science Fiction Autoren, die sich auch im Krieg an der vordersten Front bewährt haben. Erst aufgrund seiner Kriegsverletzungen hat sich Hubbard der kommerziellen Religiosität, der zumindest in den Magazinen auch John W. Campbell ein wenig die Tür geöffnet hat. Leider fehlen auch hier die entsprechenden Querverweise. Am Objekt seiner Begierde klebend hat der Leser manchmal das Gefühl, als atme der Biograph förmlich auf, wenn er unliebsame Menschen aus Heinleins Nähe in späteren Zeitabschnitten einfach unter den Tisch fallen lassen kann, ohne über ihr weiteres dunkles oder verklärtes Schicksal berichten zu müssen. Ein abschließendes Urteil kann natürlich nicht gefällt werden. Die Biographie endet mit dem Jahr 1948, als Heinlein in den Hafen seiner dritten Ehe mit Virginia gesteuert ist. Als er den Pulps zu Gunsten des plötzlich explodierenden Jugendbuchmarktes genauso entkommen ist wie Hollywood mit einer Adaption seines Romans „Rocketship Galileo“ zu locken begann. Als es den Heinleins finanziell besser ging und der Autor auch örtlich zur Ruhe gekommen scheint. Trotz der zahlreichen angesprochenen Schwächen überzeugt dieser erste Teil der Biographie durch einen warmherzigen, vielleicht manchmal zu subjektiven Schreibstil und einen Respekt vor dem Patterson überdimensional in jeglicher Hinsicht erscheinenden Autoren.
Dem ersten Band sind neben einer Vorgeschichte der Heinleins bis zu Robert A. Heinleins Geburt ein Stammbaum – von Robert A. Heinlein selbst verfasst – sowie mehr als einhundertfünfzig zum Teil klein gedruckte Seiten mit Quellenangaben, Anekdoten, Querverweisen und Hinweisen auf die einzelnen Erscheinungsdaten seiner Werke beigefügt. Die Informationen drohen angesichts des flüssig geschriebenen Biographietextes den Leser förmlich zu erschlagen. Nicht alle sind wirklich notwendig, aber teilweise runden sie Pattersons zu oberflächliche Argumentation zufrieden stellend ab.


William Patterson jr. : "Robert A. Heinlein- In Dialogue with His Century"
Sachbuch, Hardcover, 624 Seiten
MacMillan 2010

ISBN 9-7807-6531-9609

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