Vergessene Welt

Christophe Bec

Splitter Verlag veröffentlicht mit Christophe Becs und Fabrizios Fainas/ Mauro Salvatoris „Vergessene Welt“ eine Adaption des gleichnamigen Arthur Conan Doyles Roman, mit dem dieser 1912 niemals aus dem Schatten Sherlock Holmes tretend einen gänzlich anderen und angesichts seiner Dickköpfigkeit doch auch vergleichbaren Charakter literarisch etabliert hat. Es ist nicht die erste Adaption des bekannten Romans in Comicform. Schon 1990 und 1992 erschien in Frankreich André-Paul Duchâteau/Patrice Sanahujas „Challenger“. Seit 1925 ist der Stoff insgesamt sieben Mal für die Leinwand oder das Fernsehen adaptiert wobei, wobei insbesondere die Dinosaurier auch in „King Kong und die weiße Frau“ ihre Spuren hinterlassen haben. „Vergessene Welt“ ist die erste längere und heute bekannteste Geschichte um George Edward Challenger, der in insgesamt vier teilweise sehr dunklen pessimistischen Storys unter Arthur Conan Doyles Federführung aufgetreten ist.

Der Autor Bec hat sich in den letzten zwanzig Jahren mit einem breiten Spektrum an Comics vom apokalyptischen Western über „Carthago“ oder „Deepwater Prison“ bis zur Huldigung verschiedener Piloten als einfallsreicher, eher eigene Texte entwickelnder Autor etabliert. Es ist seine erste Zusammenarbeit mit den beiden Zeichnern Faina und Salvatori, wobei insbesondere der Erstere mit seinem strengen, historisch akkuraten Stil im Vergleich zu seinen ansonsten eher provokanten Arbeiten überrascht.

 Christophe Bec folgt der eher rudimentären Beschreibung Arthur Conan Doyles. Auch sein Challenger ist aufbrausend und zumindest aggressiv, wenn auch nicht körperlich gewalttätig. Mit seinem langen dunklen Bart und seinen schweren Zügen haben Fabrizio Faina und Mauro Salvatori ihn gut in diesen von den eindrucksvollen Hintergrundzeichnungen dominierten Comic eingebaut. Im Gegensatz zum ersten Roman erfährt der Leser so gut wie nichts über seinen Hintergrund. Weder das Geburtsjahr 1863 noch seinen beruflichen Werdegang. Challenger gilt in der elitären Professorenklasse als klassischer Außenseiter, der allerdings im Gegensatz zu seinem großen Konkurrenten Professor Summerlee sich im Felde weitergebildet hat. Challenger behauptet, dass es auf der Erde noch Dinosaurier gibt, während Summerlee sie als ausgestorben ansieht. Eher widerwillig muss Summerlee Challenger auf einer Expedition nach Südamerika begleiten. Neben einem Großwildjäger und einem treuen Indio nimmt der junge Journalist Edward Dunn Malone an der Reise teil, der sich selbst seiner großen Liebe beweisend als Mittler zum Leser fungiert. Wie Doktor Watson soll er als Chronist den Wahrheitsgehalt der Reise aufzeichnen. Im Gegensatz allerdings zum berühmtem Begleiter Sherlock Holmes darf er weder eigenständig handeln noch seine eher passive Pflicht der Aufzeichnung der Reise verletzten.

Obwohl die Geschichte durch unzählige Adaptionen bekannt ist und vor allem die „vergessene Welt“ im Gegensatz zu Doyles origineller schon vor dem Ersten Weltkrieg veröffentlichter Geschichte heute keine Überraschung mehr darstellt, haben sich Christophe Bec und seine beiden Zeichner sehr viel Mühe gegeben, den Text zeitgemäß und vor allem erstaunlich detailliert zu erzählen. Während die Vorgeschichte absichtlich distanziert in schwarzweißen Bildern kurz beschrieben worden sind, überzogen neben dem Prolog mit dem weißen Albino vor allem die mittleren Abschnitt bis zum epochalen Blick auf die ersten Dinosaurier auf dem Plateau. Ohne Langeweile aufkommen zu lassen haben sich die Macher des Comics erst einmal darauf konzentriert, den einzelnen nicht immer freiwilligen Mitgliedern der Expedition nicht nur individuelle Züge zu geben, sondern sie nicht den typischen Klischees entsprechen zu lassen. So ist der britische Großwildjäger genauso wenig immer schießwütig wie der Professor Summerlee ein wenig konstruktives, mit der Reise überforderter Mann. Professor Challenger muss vielleicht der Vorwurf gemacht werden, dass er absichtlich zu wenig seiner Informationen Preis gibt und der Leser nicht gänzlich einordnen kann, wie weit er tatsächlich bei seiner ersten Reise vorgedrungen ist. Er spricht zwar davon, lange vor Erreichen der Hochebene von einer Schlange gebissen worden zu sein, was ihn zu einer passiven Umkehr zwingt, aber die Selbstsicherheit, mit welcher er voranschreitet, spricht für das Gegenteil. Bis auf die kurze Begegnung mit seiner ängstlichen Verlobten ist der Journalist Munro vielleicht die am meisten unterentwickelte Figur des ersten Bandes und die Originalzitate aus Doyles Vorlage sind absichtlich in Maschinenschrift als Beweis seiner später veröffentlichten Aufzeichnungen distanzierter von den pointierten und gut übersetzten Dialogen abgedruckt worden.

Der Plot entwickelt sich über die beiden sehr kurzen Rückblenden hinaus stringent. Sehr gut voneinander abgegrenzt sind die zwischenmenschlichen Beziehungen von den verschiedenen Gefahren – angefangen von überdimensionalen Krokodilen über die Warnungen der abergläubischen Einheimischen bis zum Fund eines während der früheren Expedition des Albinos verstorbenen Begleiters - , die Challengers Team auf dieser Reise erlebt. Im Gegensatz zum Roman kann Christophe Becs die verstrichene Zeit weniger plastisch darstellen, sondern konzentriert sich prägnant auf einzelne Szenen.

In einem absichtlich antiquierten, aber nicht übertriebenen viktorianischen Stil gehalten wird die Geschichte in erster Linie von vielen Zeichnungen mit detaillierten Hintergründen und weniger extrapolierten Figuren angetrieben.   Fabrizios Faina und Mauro Salvatori haben es geschafft, im Vergleich zu den vielen unterbudgetierten Comicadaptionen ihrer Erzählung eine faszinierende Atmosphäre – viele Skizzen im Anhang erläutern dabei visuell eindrucksvoll und für den Leser nachvollziehbar ihre gelungene Vorgehensweise – zu geben, welche die Bekanntheit des Plots sehr gut ausgleicht. Der Leser wird förmlich in diese vor mehr als einhundert Jahren spielende Geschichte einbezogen und vergisst, dass in dieser bis zum Hochplateau und der ersten Begegnung mit den Dinosauriern führenden Geschichte Challenger im Grunde kontinuierlich in der Defensive ist. Bec konzentriert sich hinsichtlich der Dialoge auf einige interessante, direkt aus der Vorlage übernommene Szenen. So will Summerlee auch am Fuße der Berge nicht glauben, dass ein Geier vielleicht ein Flugdinosaurier sein könnte. Auf der anderen Seite muss man den drei an dieser Adaption beteiligten vielleicht auch ein wenig den Vorwurf machen, der „Jurassic Park“ Struktur gefolgt zu sein, die schließlich im Blick auf einen kleinen Teil des Hochplateaus und den ersten gigantischen Pflanzenfressenden Dinosauriern endet.

Farbtechnisch haben die Zeichner ihrem Comic eine zurückhaltende, realistische Gestaltung gegeben, welche die Geschichte insbesondere im Gegensatz zu einigen zu knalligen Adaptionen sehr gut in die angestrebte Zeit einordnet und den Leser positiv noch ein wenig vom Geschehen distanziert, auf der anderen Seite aber auch den südamerikanischen Dschungel sowie die schwer zu erklimmenden Berge oder den zu durchschreitenden Wasserfall deutlicher als auf den ersten Blick erkennbar von den deutlich kräftigeren Farben der vergessenen Welt trennt. Es sind diese vielen kleinen Szenen, die wie schon angesprochen mit einer positiven Verliebtheit zum Detail die Geschichte vor allem in diesem ersten, das Wunder vorbereitenden Band schon zu einer Comicliebhaberlektüre machen, in welcher die Zeichnungen und Bilder die einfache, vielleicht sogar ein wenig zu unemotional und zurückhaltend erzählte Story in den Hintergrund drücken. Splitter hat das Abenteuer in der gewohnten Manier drucktechnisch sehr ansprechend in einer schön gestalteten Hardcoverausgabe im leichten, für den Verlag so typischen Überformat veröffentlicht, das die Brillanz der Bilder besonders gut zur Geltung bringt. Selbst für Anhänger der Doyle Romans ist diese Art der Adaption eine perfekte Ergänzung, um weniger die Handlung als die Bilder bei der Lektüre des Originals auf sich wirken zu lassen.             

 

 

AutorChristophe Bec
ZeichnerFabrizio Faina, Mauro Salvatori
EinbandHardcover
Seiten56
Band1 von 3
Lieferzeit3-5 Werktage
ISBN978-3-95839-024-9
erscheint am:01.02.2015
Kategorie: